“Das Lachen der Thrakerin” – unter diesem Titel berichtet der Philosoph Hans Blumenberg von einer Magd (einer Thrakerin), die sich über den Begründer der Wissenschaft namensThales von Milet (um 500 BC) amüsiert, der beim nachdenklichen Betrachten der Sterne in einen Brunnen gefallen ist und nun Hilfe benötigt, um wieder auf die Beine zu kommen. So schön, so gut. Doch nun lese ich bei dem Philosophen Hans Georg Gadamer (“Lob der Theorie”, Bibliothek Suhrkamp Band 828, S. 87), daß die Pointe der Geschichte ganz anders lautet. Tatsächlich war Thales in den Brunnen gestiegen, um die Sterne überhaupt beobachten zu können. Der Brunnen sozusagen als antike Version eines Fernrohres. Und als er der Thrakerin von seinen Entdeckungen berichtet hat, hat sie sich gefreut und gelacht. Wie schön, wenn man nicht über vermeintlich dumme Menschen, sondern wegen ihrer Einsichten lacht.

Kommentare (8)

  1. #1 Bey
    Juni 7, 2011

    Ja – die zweite Version ist charmant…
    Mir kommt der Gedanke: Das Potenzial ist gleich oder sehr ähnlich – ob Philosoph oder Magd: Der Philosoph entdeckt und berichtet, die Magd versteht… absolviert einen kleinen “Schnellkurs”.
    Und hat sie seine Einsichten auch nicht nachvollziehen können – so erkennt sie deren Bedeutung für den Philosophen (an) – und freut sich drüber.
    Eine Fähigkeit, die nicht selbstverständlich ist.
    Denn die Freude über das Vorankommen eines Anderen, setzt ein Mensch unbedacht gelegentlich gleich mit dem eigenen Zurückbleiben. Eine spezielle Form von Neid wächst daraus. (Und Neid schließt echte Freude wahrhaftig aus.)
    Wäre es nicht eine Magd gewesen, sondern ein anderer Philosoph, der dem Thales auf die Beine half…dann wäre wohl weniger gelacht und mehr gestritten worden.
    Denk ich.
    K.

  2. #2 Name auf Verlangen entfernt
    Juni 7, 2011

    Der rückläufige (“zurückbleiben”) Saturn steht zur Zeit dieses Posts direkt über dem Radix-Neptun (Brunnen = in Stein gefasstes Wasser = Neptun/Saturn), bei Ihnen in der Waage, beides in exaktem 120-Grad Aspekt zum laufenden Merkur in den Zwillingen (Wissen/Philosophie), seinem eigenen Zeichen, und Ihrer dortigen Mondknoten-Achse.

    Der aufgezeigte Gegensatz ist der zwischen Jungfrau und Fische (Bunnen-Spiegel/ Nachthimmel. Die Magd lacht nicht, weil sie nicht nachvollziehen könnte, sondern weil sie längst weiß, was der Philosoph noch sucht … zwei Seiten ein und derselben Sache.

    Vielleicht lohnte sich eher ein philosophischer Gedanke über die Tatsache, daß alle Wissenschaft ein Spiegel der Wirklichkeit ist, nicht die Wirklichkeit selbst?

  3. #3 Stefan
    Juni 7, 2011

    Vielleicht lohnt es sich auch mal, sich ein funktionierendes Gehirn zuzulegen. Da besteht bei einem gewissen Herrn Termin wohl großer Mangel….

    Ist ja unglaublich, was für ein Geschwafel hier immer wieder steht

  4. #4 Ariane
    Juni 7, 2011

    Dass Lachen durchaus Zeichen echter Freude ist, scheinen viele immer noch nicht zu kennen…
    “We don’t laugh AT you! We laugh WITH you!”, hat unsere Englischlehrerin früher immer gesagt, wenn wieder jemand etwas gesagt hatte, das die anderen zum Lachen brachte, ohne dass er es beabsichtigt hätte. Damit wollte sie wohl genau diesen Unterschied betonen zwischen “lachen, weil man sich über das freut, was da gerade durch das freie Spiel der Kräfte passiert ist” (oder auch einfach nur, weil man sich freut, DASS überhaupt etwas Unvorhergesehenes/Natürliches gegen alle Gewohnheitserstarrung stattfinden konnte) und “auslachen aus Schadenfreude”. Schade, dass letzteres oft als Interpretation dient, wenn eigentlich das erste der Fall ist.

  5. #5 Ariane
    Juni 7, 2011

    Ach so, aber besonders interessant an DIESER Lachgeschichte ist ja:
    In der einen und offenbar gängigen Lesart (Blumberg) ist der Philosoph/Wissenschaftler eine lächerliche/ungeschickte Figur (Tollpatsch). In der anderen und offenbar weniger verbreiteten (Gadamer) ist er eine geniale Figur – mit genial einfacher Forschungsmethode (Genie).
    Abgesehen davon, dass man gerne wüsste, was damals wirklich am Brunnen passiert ist, wäre es auch interessant zu wissen, warum die große Gemeinde der Philosophieinteressierten die Tollpatsch-Lesart bevorzugt.

  6. #6 Nele
    Juni 7, 2011

    @Ariane
    Vielleicht, weil die ursprüngliche Lesart von Platon stammt, der die Anekdote überliefert hat?

    Sokrates:[über den idealistischen Philosophen:] Denn nicht etwa um seines guten Rufes willen bleibt er diesen Dingen ganz fern, sondern in Wahrheit weilt und wandelt nur sein Leib in der Stadt, sein Geist aber, überzeugt von der Kleinlichkeit, ja völligen Nichtigkeit dieser Dinge und darum voller Verachtung gegen sie, schweift, mit Pindar zu reden, überall umher, misst die Tiefen der Erde und ihre Flächen, erforscht die Bahnen der Sterne oben am Himmelszelt und ergründet jegliche Beschaffenheit jeder Gattung des Seienden, ohne sich einzulassen auf das, was ihn unmittelbar umgibt.
    Theod. Wie meinst du das, Sokrates?
    Sokr. So wie’s des Thales Beispiel zeigt, mein Theodoros. Als er, die himmlischen Erscheinungen zu beobachten, nach oben blickte und darob in einen Brunnen fiel, soll eine kluge und witzige thrakische Magd ihn verspottet haben, dass er voll Eifers der Kenntnis der himmlischen Dinge nachtrachte, von dem aber, was vor der Nase und vor den Füßen liege, keine Ahnung habe. Der nämliche Spott passt auf alle, die sich ganz der Philosophie ergeben haben. Denn in Wahrheit hat ein solcher keine Ahnung von seinem Nebenmann und Nachbar, nicht nur, was er betreibt, sondern beinahe, ob er überhaupt ein Mensch ist oder was sonst für eine Kreatur.
    (Platon: Sämtliche Dialoge. Band IV. Theätet-Parmenides-Philebos, Hrsg. Otto Appelt, Hamburg, Felix Meiner, 1993, p. 82)

    Im weiteren Kontext des Zitates ist es schon klar, dass die Weltfremdheit des Thales als archetypischen, idealen Philosophen herausgestrichen werden soll – im Sinne Platons kann im Dialog des Theaitetos sicher nicht ein planvoll agierender Thales gesehen werden. Die Magd ist “klug und witzig”, aber damit ist bei Platon die praktische Lebensklugheit bemeint, die dem wahren Philosophen fremd ist. Die Gadamarsche Dialektik würde die Symbolik Platons zerstören.
    Nichtsdestotrotz ist die dialektische Wendung, die den Konflikt zwischen Lebenstüchtigkeit und wahrem Verstehen aufbricht sehr schön und, weil es sich bei dieser Anekdote ja ohnehin um eine Narrative handelt, auch völlig zulässig. Warum sollte man nicht die Geschichte des wahrscheinlich mythischen Thales, über den man als historische Figur nahezu nichts weiß, nicht auch anders erzählen? Für die heutige Zeit passt die neue Geschichte besser!

  7. #7 Geoman
    Juni 7, 2011

    @ Nele

    Dein Kommentar gefällt mir, vor allem ist er sehr viel entspannter und lehrreicher, als die griesgrämigen Bemerkungen des ‘Inhaltemeisters’, der von Humor nun wirklich nichts versteht. Herr Fischer sollte sich mal fragen, wann und aus welchen Gründen er letztmalig in einen postmodernen Brunnen gefallen oder gestiegen ist.

  8. #8 Ariane
    Juni 8, 2011

    @ Nele: Ach so!
    Dann wollte es Platon offenbar so platt. Nun ja. Womöglich ist Thales das von Platon erfundene Alter Ego? Eine Personifizierung der Idee “Philosoph”? Dann wäre die Geschichte eine Art selbstironisches Autoporträt…