In den 1960er Jahren hat es das berühmte Milgram-Experiment gegegen, das unter der Rubrik “Gehorsamsbereitschaft gegenüber Autoritäten” zu finden ist und zeigt, daß Menschen dazu verführt werden können, böse zu handeln. Seitdem weiß man, wo sich Wärter für Konzentrationslager finden lassen – überall. Man weiß das vor allem, nachdem das Experiment vielfach mit dem gleichen Ergebnis wiederholt werden konnte.
Nun gibt es eine Kritik des Konstrukts, nämlich in dem Buch “Moralische Integrität” von Hans Bernhard Schmid (Suhrkamp 2011), der den Spieß umdreht und erklärt, nicht den Versuchspersonen fehle es an moralischer Integrität, sondern das Experiment sei nicht integer.
In einem kleinen Text kann man so eine starke These kaum angreifen, selbst wenn sie auf schwachen Füßen steht. Mich stört vor allem, was dem Autor eine Herzensangelegenheit zu sein scheint, nämlich von atomistischen Annahmen und einer atomistischen Moral zu sprechen, die für Normalmenschen nichts bedeuten, da sie sich “in holistischen Strukturen” bewegen, was immer dass ein mag. Es gibt keine atomistische Moral, meint der Verfasser, und ich frage mich, wer das Gegenteil behauptet hat. Was soll das überhaupt sein, eine atomistische Moral?
Das ist ein mistiges Wort, das ohne Kenntnis von Atomen geprägt ist. Atome sind gerade nur als Kontext zu verstehen, wie die Physik spätestens seit Einstein weiß, auch wenn es manchen schwerfällt. Wer von Atomen spricht, sollte wissen, daß er sie herstellt. Eine atomistische Moral entsteht durch die Umstände – genau wie Milgram es gezeigt hat.

Kommentare (5)

  1. #1 Dr. Webbaer
    Juli 3, 2011

    Das Milgram-Experiment wird oft für die Behauptung herangezogen, fast jeder Mensch, einen entsprechenden Autoritätskontext vorausgesetzt, wäre in der Lage verbrecherisch zu handeln – und demzufolge sei dann u.a. schlussfolgern, dass die sogenannte Resozialisierung das Ziel des Strafvollzugs sein müsse.

    So die Linken früher, mittlerweile glaubt man nicht mehr so recht an Milgram und seine Gleichmacherei. – Empfehlenswert vielleicht in diesem Zusammenhang folgendes Buch:
    https://www.amazon.de/Die-Lust-B%C3%B6sen-Gewalt-heilbar/dp/3312004748/ref=sr_1_1?ie=UTF8&qid=1309678732&sr=8-1

    MFG
    Dr. Webbaer

  2. #2 YeRainbow
    Juli 3, 2011

    Interessant an den Milgram-experimenten ist doch, daß es TROTZDEM immer menschen gab, die sich dem verweigerten.
    DAS ist der eigentlich interessante Fakt. Ich schätze, in die Richtung müßte mal Forschung gehen…

  3. #3 YeRainbow
    Juli 3, 2011

    ich glaube nicht, daß ich dasBuch von Sorg lesen muß. Das gabs doch schon mal (klassisch) von Konrad Lorenz.

    Ideologie mit Biologie zu vermischen ist aber nie zulässig…

  4. #4 Dr. Webbaer
    Juli 3, 2011

    Interessant an den Milgram-experimenten ist doch, daß es TROTZDEM immer menschen gab, die sich dem verweigerten.

    Sischer. Es ist eben nicht so, dass beliebige Menschen (oder Bären) auf Zuruf verbrecherisch werden. Milgram (und andere) betrieben eine Überschätzung der Pädagogisierung und Indoktrination, die auch in seine wenig überzeugenden Theorien zur Reizüberflutung einflossen. Man beachte: Der Mensch der Sechziger litt bereits an Reizüberflutung, wenn M. zu glauben ist.

    Nichtsdestotrotz kann man Milgram als Vorreiter der heutigen sozialpolitischen Enmtwicklung verstehen, die ins Irrationale geht und denn auch evolutionär durch Bevölkerungsabnahme, äh, konditioniert wird. – Sicherlich sind die Milgramschen Experimente nicht integer und entspringen im seinen, äh, Projektionen, was dann auch die Resultate, äh, biased ausfallen lässt. – Milgram, ein schwieriger Fall!

    HTH
    Dr. Webbaer

  5. #5 Goofy Gaffelfall
    August 12, 2011

    Ja, eine atomistische Moral, eine fraktionierte Moral, entsteht wohl durch Umstände.
    Umstände die herzustellen von Beraterfirmen ihren Klienten aus der Wirtschafts- und Finanzwelt anscheinend angeraten werden um effizient Gewinne zu optimieren.
    Aus meiner Sicht ist es ein Verstoß gegen die sogenannte Würde des Menschen, wenn sich beispielsweise sowohl Kunden als auch Angestellten an den Service-Telephonen in die Logik ihnen unbekannter Programmierer gezwungen sehen, wenn es Probleme rund um ein Produkt oder einen Vertrag zu lösen gilt.
    Falls die automatische Telephonabfrage erfolgreich durchlaufen ist, lautet die immer gleiche Ansprache der anscheinend immer gleichen Dame von der Service-Line: “Mein Name ist Chantal Mustermann, was kann ich für sie tun?” . Sie hört, sie überlegt, erkennt die Überschreitung des eigenen Kompetenzbereichs und verbindet.
    Mein Name ist Kevin Muster, was kann ich für sie tun, läßt sich nach einer Weile der vermeintlich kompetente Kollege vernehmen. Manchmal klappts, manchmal läßt sich was tun.
    Wir werden uns oft einig – schließlich erleben sich die Gesprächspartner am Telephon selbst auch im Alltag als Kunden – Firmen sollten die Erfahrung ihrer Mitarbeiter im Kundenverkehr nutzen bevor sie aus der Unzahl der Berater eventuell einen auswählen der bündelt.
    Doch damit verliehen sie Würde. Würde an der Stelle wo ihnen würdelose Funktionsträger, Funktionierer angeraten worden sind.
    Milgrams Experiment das den nächsten Stromstoß verlangt ist durchs Programm, “das es erfordert” ersetzt
    Irgendwie finden sich alle auf Sicht damit ab und coole junge Menschen erklären dem, der sich vorläufig noch daran stört: Ei das ist doch überall so (nicht auf der Höhe der Zeit, Alter)!
    Sie wissens nicht besser, die atomisierten Aggregate im System von morgen.
    G. Gaffelfall