Es gibt Standardrituale der allgemeinen Politik und der Wissenschaftsförderung, von denen eines das Rufen nach mehr Bildung und ein zweites das Betonen der Notwendigkeit von interdisziplinärer Forschung ist. Es hat sich schon länger herumgesprochen, dass Probleme sich selten den Disziplinen beugen und es sich lohnt, die Grenzen der Disziplinen nach den Problemen zu strecken, und es gibt auch glänzende Beispiele aus der Wissenschaftsgeschichte, dass interdisziplinäres Vorgehen sich lohnt. Um das zu sehen, reicht ein Blick auf die Doppelhelix, die als Struktur des Erbmaterials seit 1953 bekannt ist. Damals gab es ein wildes Rennen um die Trophäe, die man mit der DNA-Schraube zu gewinnen hoffte, und errungen haben den dazugehörigen Nobelpreis die beiden komischen Gestalten, James Watson und Francis Crick, die erstens irgendwann genug von den Fakten und Daten hatten und die zweitens alles Wissen zusammen klaubten und kombinierten, was man brauchte – chemisches, physikalisches, bakteriologisches, kristallographisches, mathematisches und manches mehr. Verloren haben die Fachleute, die über die Grenzen ihrer Disziplinen nicht hinaus kamen. Nun könnte man eigentlich erwarten, dass das Vorbild des amerikanisch-britischen Duos  Schule macht und Interdisziplinarität das Gebot der forschenden Zunft wird. Man hat auch manches versucht und vieles probiert, aber nur, um immer wieder stecken zu bleiben. Und dafür kann man zwei Gründen anführen. Der erste stammt aus meiner eigenen Erfahrung und kann so ausgedrückt werden, dass Physiker (Biologen, Philosophen … ) denken, Interdisziplinarität heiße, dass alle im Team wie Physiker (Biologen, Philosophen … ) vorgehen. Teamwork ist, wenn alle machen, was der Chef kann, und so kommt nichts zustande. Den zweiten Grund kann man in der Ausgabe der Zeitschrift NATURE lesen – im Heft mit dem Datum 30.6.2016, Seite 684 -687) -, und zwar in einem Aufsatz, der nachweist, dass Interdisziplinarität zwar gefordert, aber kaum gefördert wird. “Interdisciplary Research has consistently lower funding success”, wie die Überschrift es ausdrückt, unter der Forscher aus Australien mit sorgfältigen und umfassenden statistischen Analysen genau das zeigen, dass nämlich dann kein Geld fließt – oder nur wenig -, wenn die Arbeit interdisziplinär vonstatten gehen soll. Beispiele, wo solche übergreifenden Projekte nötig sind, kann jeder aufzählen, und sie reichen vom Klimaschutz über die Energieversorgung zur Krebsforschung und noch viel weiter. Die Autoren konstatieren nur, dass Interdisziplinarität zu wenig Fördermittel bekommt, und sie fragen sich, ob das nicht einfach daran liegen könnte, dass die Gutachter selbst in ihren disziplinären Grenzen stecken geblieben sind und einfach nicht überblicken, was man machen will, wann man diesen engen Spielraum hinter sich lässt. Was bei der Interdisziplinarität auf jeden Fall noch eine Rolle spielt, ist der Mut, Blamagen aushalten zu können. Niemand kann in sämtlichen Disziplinen sämtliche Feinheiten kennen und manchmal einfach daneben liegen, wenn er oder sie einen Vorschlag macht oder etwas nicht versteht. Das mit dem Mut haben die Menschen schon einmal gehört, als der Philosoph der Aufklärung, Immanuel Kant, im 8. Jahrhundert sagte, die Menschen müssten Mut haben, sich ihres eigenen Verstandes zu bedienen. Kant hat dabei nicht explizit von einer möglichen Blamage gesprochen, wenn man das versucht, und vielleicht wird aus dieser Idee erst dann ein Schuh, wenn man sie umdreht. Nicht der blamiert sich, der haltlose Vorschläge macht, über die Experten lachen. Sondern der blamiert sich, der gar keine Vorschläge hören will, wenn sie an sein disziplinäres Schneckenhaus klopfen, in dem ein Experte seine Spielchen treibt. Es erfordert keinen Mut, Interdisziplinarität zu fordern, es erfordert aber Risikobereitschaft, sie zu fördern. Ohne das Ö fehlt uns was.

Kommentare (4)

  1. #1 Laie
    Juli 5, 2016

    Das ist richtig, nur: wie kann man einem in einer Verteilungs- (oder Entscheidungs)position befindlichem *Beamtengehirn, der nur seinen eigenen Schreibtisch-Horizont kennt jemals erklären, warum interdisziplinäre Zusammenarbeit wichtig wären, da er höchstens das Gegenteil zwecks eigener Existenzberechtigung kennt?

    Da ist es wohl erfolgversprechender einer Steckdose das 1×1 zu erklären.

  2. #2 lindita
    Juli 6, 2016

    Es lebe die Interdisziplinarität! Was nützt alles Detailwissen ohne globalen Zusammenhang? Interdisziplinär hat man besseren Priorotätenüberblick in eigener Sache, bessere Koordination, schnelleres und effektiveres ans Ziel kommen…

    Das Problem liegt im Denken über Positionen. Man muss eventuell eine Stuffe tiefer arbeiten um allgemein besser zu sein. Und wer gibt schon höhere Posten so leicht auf. Kulturpsychologisch sieht man ja, wie schnell dir einer einen höheren Posten anbietet, ohne zu begreifen wie der Erfolg überhaupt zustande kam. Ein undurchdachtes und leichtfertiges Belohnugssystem. Man denkt zu viel vertikal und zu wenig horizontal. Deshalb strebe ich persönlich nie danach hierarchisch aufzusteigen, denn es würde für mich “Ohnmacht” bedeuten. Und so entscheide ich wann ich wo, was, wie mache, ohne dass mich ein Profilfunktionspflichtdruck einengt.

    Na ja, finanziell wird es noch nicht anerkannt, und ich arbeite nicht mal in der Wissenschaft. Wir hatten einen Restrukturierungsvorschlag von oben (sind ja sich nicht blöde, die Leute), wo es genau darum geht nicht mehr nach Profil, sondern nach Performance zu entlohnen, mit einer sicheren Basisbezahlung. Nur die meisten Mitarbeiter der mehreren Filialen haben dagegen gestimmt. Vielle haben Angst zu verlieren was sie haben, oder mehr tun zu müssen als sie momentan tun (“steht nicht in meinen Profil” – ist die ewige Antwort, die von Gewerkschaften geschüzt ist). Aktuell sind die Posten fixiert und sicher, bezahlt wirst du, ob du nun was bringst oder nicht.

    Andererseits, ein effektiver Arbeiter/Wissenschaftler ersetzt viele “leere Hülsen”. Wohin damit? Hauptsache Arbeitsmarktstatistik stimmt.

  3. #3 bombjack
    Juli 6, 2016

    […]Immanuel Kant, im 8. Jahrhundert sagte […]

    Ich glaub da sollte man noch eine “1” davor machen….so alt der Bursche doch auch wieder nicht….aber eigentlich schade u.U. wären “wir” dann schon weiter….gesellschaftlich….

    bombjack

  4. #4 Angelika Wittig
    Juli 11, 2016

    Dieser Beitrag gefällt mir ausgezeichnet.
    Disziplin ist nicht nur die Bezeichnung für einen Wissenschaftszweig, sondern wird als “bewusste Einordnung” umschrieben.
    Hierzu gibt es zwei Vorgehensweisen:
    Wenn ich mein erworbenes Fachwissen bewusst einordne, also in zahlreichen Schubladen aufbewahre, kann ich es vielleicht festhalten, lagern, konservieren – verändern, vermehren oder in Bewegung setzen kann ich es nicht.
    Hierzu brauche ich das “inter”, den Austausch, die Verbindung, die Wechselwirkung.

    “Was die Welt im Innersten zusammenhält…” sind die Menschen, die begriffen haben, dass ein erfolgreiches Team aus verschiedenen Mitgliedern mit einem gemeinsamen Ziel besteht.
    Diese Menschen sind dann auch gern bereit, ihren Hut in den Ring zu werfen.

    Jeder hat sein spezielles, individuelles Können, das zum Ganzen beitragen kann und oft ist es gerade das winzigste Detail, das dem Ganzen einen Sinn gibt.

    Wenn wir eine Analogie in der Natur betrachten, fallen mir die Elektronen ein, die winzigsten und kaum wahrgenommenen Teamarbeiter:
    Jedes Einzelne besitzt eine gleich große Masse, jedes bleibt in seiner Individualität erhalten, aber wenn sie zusammenarbeiten, schaffen sie z.B. sämtliche Elemente des Periodensystems.
    Dies ist das Ergebnis einer hervorragenden interdisziplinären Zusammenarbeit.
    Die Förderung dieser Arbeit ist eine logische Konsequenz, nur dass sie nicht irgendwie durch Geld finanziert werden kann, sondern durch das Wachstum und den Erhalt der eigenen Kraft belohnt wird.
    Da man Kraft auch als die Veränderung der Geschwindigkeit innerhalb eines Zeitintervalls definiert, ist die Qualität der Zusammenarbeit also auch am Zeitbedarf für die Zielerreichung erkennbar.