Nico Marquardt, ein 13-jähriger Gymnasiast aus Potsdam, berichtigte Kalkulationen der NASA – und er hat Recht!

Dabei ging es nicht etwa um einen kleinen Rechenfehler, sondern um die “größte Bedrohung unseres Planeten” (erwartbar angespitzter Bild-Griffel): die Möglichkeit, dass der Asteroid Apophis im Jahr 2036 auf die Erde einschlägt und eine weltweite Katastrophe auslöst.


Der erdnahe Asteroid war erst vor vier Jahren überhaupt als Apokalypse-Kandidat entdeckt worden. In einer Hauruck-Hochrechnung schätzte die NASA die Wahrscheinlichkeit eines Aufpralls zunächst auf 1:37, um dann doch auf den entspannteren Wert von 1:45.000 zurückzurudern.

Doch das Szenario bleibt genauso erschreckend:

In ziemlich genau 21 Jahren, am Freitag den 13. (!) April 2029, soll Apophis haarscharf (kosmisch gesehen) an der Erde vorbei pflügen… um dann, von der Gravitation der Erde umgelenkt, exakt sieben Jahre später doch wieder die Bahn unseres Planeten zu kreuzen, am Sonntag den 13. (puh!) April 2036.

Dabei trifft er wahrscheinlich nicht die Erde, aber unwahrscheinlich eben doch. Landet Apophis wie gehofft im Atlantik, wäre eine gigantische Tsunami-Welle die Folge – landet er auf dem Festland, könnte es das gewesen sein mit der Zivilisation. In jedem Falle wären die Folgen wie globale Staubwolke, Asche- und Säureregen, Ernteausfälle und jahrelange Finsternis gigantisch in ihrem Ausmaß.

Nico Marquardt war fasziniert von der Geschichte des “Killerasteroiden”, der damals noch 2004-MN4 hieß – aber die Risikoskala der NASA kam ihm seltsam vor…

So beschloss er, die Angaben lieber selbst noch mal nachzurechnen.

Er stellte fest, dass NASA einen wichtigen Faktor unberücksichtigt gelassen hatte: Geostationäre Satelliten, die die Wahrscheinlichkeit, dass Apophis schon 2029 IRGEND ETWAS trifft, merklich erhöhen.

Erst Ende letzter Woche hatte die ESA Grafiken veröffentlicht, die zeigen, wie viel Weltraumschrott so herumschwirrt — nur 13% der rund 6.000 Satelliten im erdnahen Orbit sind überhaupt noch in Betrieb (via).

Und mit einer zunehmenden Menge Technikschrott im Orbit kommt es folglich zunehmend häufig zu Explosionen und Kollisionen – mit anderem Zeug, oder aber mit anderen astronomischen Körpern.

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Visualisierung der Satellitenschrott-Daten, über die Seite der ESA

Nico rechnete die Daten des Satellitenkontrollzentrums der ESA in die Impact-Faktoren des Asteroiden mit ein – und kam auf eine Wahrscheinlichkeit von 0,22 Prozent. Das ist zwar etwas unwahrscheinlicher als ein Fünfer im Lotto, aber immerhin 200x wahrscheinlicher als ein Sechser im Lotto.

Für seine Forschung zum “Killerasteroiden” bekam Nico im März den Sonderpreis für Physik im “Jugend Forscht” Regionalwettbewerb Brandenburg verliehen.

Das ist wissenschaftlicher Nachwuchs, wie er sein sollte: Mit Eigeninitiative, Kreativität und Arbeitswut Dinge in Erfahrung bringen, die nicht auf einen Merzschen Bierdeckel zusammengestaucht werden müssen.

[Was im benachbarten Bundesland Sachsen allerdings anders aussieht: für eine Bildergalerie im Jugendmagazin Spießer posierten die Gewinner mit DinA4-Blatt — was auf den ersten Blick wirkt wie die berüchtigte WM der schönsten Hintern, entpuppt sich dann doch als vielseitiger Teenie-Forschungsüberblick, von Fahrradsattel über Zauberpilz bis Sudoku-Software. Wobei auch durch mehr Geklicks nix über die Forschung zu erfahren ist. Aber auch Spießer verdienen PIs…]

Doch die ultimative Würdigung von Nicos Arbeit kam dann eher indirekt daher.

Auf der NASA-Seite zur Risikoeinschätzung des Apophis-Asteroiden steht zwar nach wie vor “0.002200000% chance of Earth Impact“. Immerhin ließ aber NASA kürzlich ESA ausrichten, dass ESA Nico ausrichten möge, er habe wohl Recht.

Derweil werden mit viel Geld und Fleiß neue Programme gestrickt, die gefährlich erdnahe Objekte überwachen und zur Not kontrolliert abschießen sollen. Doch auch das beste Budget kann die Frage nicht beantworten, wer in diesem Spiel nun der Spatz und wer das Kanonenrohr sein wird.

Kommentare (28)

  1. #1 florian
    April 15, 2008

    Das ist wieder was für die Zeitung… 😉
    Gibts irgendwo genau Angaben wie das berechnet wurde? (Hab auf die Schnelle im Netz nix gefunden). Man muss da wohl den Radius der Erde mit 35880 km ersetzen. Aber selbst dann wundert es mich, das die Wahrscheinlichkeit da soo stark in die Höhe geht. Denn in dieser großen Kugel können die Satelliten doch nicht so viel Volumen einnehmen? (Hab jetzt nicht nachgerechnet, ist nur ne Schätzung “aus dem Bauch”).

    Auf jeden Fall ne interessante Arbeit und noch interessantere Idee! Gratulation!

    Und wir können sicher sein, das so gut wie alle Medien nicht darauf eingehen werden, dass es sich hier nicht um eine Wahrscheinlichkeit einer Kollision mit der Erde (“Earth-Impact Probability”, wie auf der NASA-Seite angegeben) handelt sondern um eine mit einem Satelliten… (aber “Weltuntergang” ist halt immer so schön als Schlagzeile 😉 )

  2. #2 Topper
    April 15, 2008

    Also ich habe da diesen Bericht auf N24 gesehen (http://www.n24.de/news/newsitem_719680.html)

    Naja total dumm meiner Meinung nach.
    Warum? Wegen 2 Dingen:

    1. Kann ein kleiner Sattelit einen Millionen Tonnen (um genau zu sein: 2.6×10^10 kg ) schwehren Asteroiden nicht so ablenken dass er deswegen die Erde trifft. Das währe wie wenn eine Fliege ein Auto so ablenkt dass dadurch ein Unfall passiert und das nicht weil sich der Fahrer dabei erschreckt. Als Beispiel wurde bei der Deep Impact mission der NASA keiene Kursabweichung des getroffnen Asteroiden festgestellt.

    2. Kreutzt der Asteroid zwar in etwa die Erdbahn in einer Entfernung des GEO-Stationären Orbit, aber mit einer völlig anderen Bahnneigung (Geostationäre Satteliten müssen genau über dem Äquator liegen wenn sie fix seien sollen)
    Quelle:
    http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/e/e0/2037_Apophis_Path_of_Risk.jpg

    Also wie gesagt, glaubt nicht immer den Stuss der geschrieben steht.

  3. #3 Thilo Kuessner
    April 15, 2008

    Was genau ist denn mit Earth Impact Probability gemeint?
    Als Laie würde ich vermuten, daß dies nur die Wahrscheinlichkeit irgendwelcher Folgen für die Erde ist, also z.B. daß ein Schrottsatellit getroffen wird und ins Meer stürzt. Das wäre natürlich etwas anderes, als wenn der Asteroid die Erde trifft.

  4. #4 florian
    April 15, 2008

    @topper: Es ist auch nicht so gemeint gewesen, dass der Satellit den Asteroid bei einer Kollision zur Erde ablenkt – das geschieht sicher nicht. Aber bei einer Kollision des Asteroiden wird sich die Bahn des Asteroiden auf jeden Fall (wenn auch minimal) ändern. Und so eine kleine Änderung könnte schon ausreichen, dass aus der sehr nahen Begegnung die beim nächsten Besuch des Asteroiden ins Haus stehen würde, eine Kollision wird.
    @Bahnneigung: Wenn der Asteroid die Bahn der Erde kreuzt, dann kreuzt er naürlich auch den projizierten Äquator…

    Hmm – das ist vermutlich der Faktor, den ich vorhin nicht berücksichtigt habe. Es geht ja dann eigentlich nicht um das Verhältnis der Volumen Satelliten/Kreis(R=35880) sondern mehr um einen Ring im Bereich der geostationären Satelliten, der vom Asteroiden gekreuzt wird – das ist natürlich ein viel kleinerer Bereich als die ganze Kugel…

    Mal schauen, vielleicht find ich ja noch ein paar Information…

  5. #5 florian
    April 15, 2008

    @Thilo: Also die “Impact Probability” ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Asteroid mit der Erde kollidiert. “Kaskadenartige”-Reaktionen (Asteroid trifft Satellit, Satellit trifft Erde) sind damit nicht gemeint – und auch nicht wirklich zu berechnen… Ausserdem würde der Satellit so einen Impakt vermutlich sowieso nicht überleben; die Bruchstücke wären zu klein, um noch mit der Erde zu kollidieren

  6. #6 florian
    April 15, 2008

    Nachtrag: Ich habe mir gerade den N24 Bericht angeschaut – aber der ist ein bisschen irreführend. Das kommt wirklich so rüber, als würde der Satellit den Asteroiden auf die Erde ablenken…
    Naja – Journalisten und Wissenschaft (+gefährliche Asteroiden) – das übliche Problem 😉

  7. #7 Anwen
    April 16, 2008

    Das Problem ist wie Florian schon sagt, dass bei einer Kollision bei einem Satelliten 2029 die Bahnveränderung des Asteroiden die Wahrscheinlichkeit für den Aufprall bei der Rückkehr 7 Jahre später erhöht…
    Und die Nasa nimmt für ihre “Earth Probablility” die sog. Palermoskala, die in diesem Fall einen Wert für die Bewegungsenergie des Asteroiden ausweist, die mit der Wahrscheinlichkeit des Aufpralls zusammengerechnet wird.

  8. #8 florian
    April 16, 2008

    Hmm – http://www.scienceblogs.de/astrodicticum-simplex“>Dieser Artikel hier sagt, das NASA (und ESA) doch meinen, Nico hätte sich geirrt…

  9. #9 Florian
    April 16, 2008

    Ups – irgendwas ist beim Verlinken schief gegangen. Ich meinte eigentlich diesen Beitrag hier.

  10. #10 Anwen Roberts
    April 16, 2008

    @florian — das ist natürlich schon was für die zeitung gewesen 😉 was deinen zuletzt verlinkten artikel angeht, ist es ja auch so, dass die nasa-seite seither nicht aktualisiert wurde, wie auch in dem bsp. (link zur nasa-site) in meinem post…
    aber nachkommastellen-numbercrunching hin oder her, fakt ist, dass spaceschrott einfach bislang nicht eingerechnet wurde.
    ich habe vor knapp 2 tagen mit nico gesprochen, aber werde da gern nochmal nachhaken, ob ihn die esa jetzt doch nicht mehr mag…

  11. #11 topper
    April 16, 2008

    @florian,

    das währe dann so in etwa die Frage ob das Wetter nach 10 Jahren hier besser oder schlechter ist, wenn heute in China ein Sack Reiß umfällt. Natürlich ist es rein theorethisch möglich, dass dadurch die Erde getroffen wird, aber es ist genau so wahrscheinlich, dass er die Erde wegen eines Zusammenstosses mit einem Satteliten Jahre später nicht treffen wird oder? Um das zu berechnen braucht man die genaue Masse des Satteliten und des Asteroiden, die exakte Position, Geschwindigkeit und Richtungsvektor des Asteroiden, die relative Geschwindigkeit / den Vektor des zusammenstosses, sämtliche auftretenden Bahnstörungen…und vor allem jede Menge Rechenleistung. Das kann kein 13jähriger Junge, wenn überhaupt können das die Supercomputer der NASA “ANNÄHERND” in dem sie verschiedene Werte als Startbedingung annehmen und das Millionenfach durchrechnen um dabei zu sehen wie oft die Erde in der Simulation getroffen wird. So kommen die dann auf die Wahrscheinlichkeit (Beispiel: Die Erde wurde in 10 von 45000 Simulationen getroffen). Nach einiger Zeit entstehen neue Messpunkte, da sich die Position des Asteroiden ändert und sich mit der verstrichnen Zeit und mehrerer neuer, möglichst weit auseinanderliegneder Punkte die genauigkeit der Richtungs- und Geschwindigkeitswerte verbessern. Die simulierten Einschlagspunkte auf der Erde werden dann auf eine Karte vorgemerkt, so entsteht dann die mögliche Einschlagszone. Das kannst Du nicht, dass kann ich nicht, dass kann kein Astrophisker, und auch kein 13Jähriges Kind ohne die nötige Software und Rechenleistung.

  12. #12 topper
    April 16, 2008

    ach ja @Bahnneigung nochmal:

    Eine Kreutzung der “Ebene” des Geostationären / des Äquators finden wenn überhaupt nur in 2 möglichen Punkten statt und einer davon is mit sicherheit nicht im Geostationären Orbit.

    Schon sehr Unwarscheinlich dass sich ausgerechnet in den Burchteilen einer Millisekunde die das dauert ausgerechnet in diesem einen Punkt ein Geostationärer Satellit befindet oder? Und der größte Teil des “Normale” Weltraumschrottes befindet sich in der Regel unterhalb des Geostationären Orbits. Nur bei Missionen die zu anderen Planeten oder zum Mond führen wird der Geostationäre Orbit durchschritten. Also natürlich möglich die Wahrscheinlichkeit, aber ich denke mal vernachlässigbar klein würde, villeicht sogar noch unwarscheinlicher als das er die grosse Erde trifft.

    Villeicht stösst ja Elvis vorher noch mit Apophis zusammen und trifft schon gleich am 13. April 2029 die Erde. Hmm ich glaube ich schreibe das mal an die NASA, dass ham die bestimmt noch nicht mit eingerechnet…

  13. #13 L. Carone
    April 16, 2008

    Dieser Brocken mit einem Durchmesser von 200-300 Metern Durchmesser würde nicht den Weltuntergang bedeuten. Das ist schon arg übertrieben. Er könnte aber bei einem Sturz in einen Ozean beträchtliche Tsunamis auslösen (die bis zu 17 Meter hoch sein können – nach dieser Simulation
    http://www.planetary.org/programs/projects/near_earth_objects/apophis_competition/press.html)

    Man kann auch mal mit diesem Applet ein wenig an den Parametern rumschrauben und schauen, was ein Aufschlag auf dem Festland an Schaden bringen würde:

    http://www.lpl.arizona.edu/~marcus/cgi-bin/crater.cgi

    So, heftig wäre es auch wieder nicht. Ok, wenn das Teil eine Großstadt trifft, dann wäre es das gewesen, aber eine globale Katastrophe sieht ein wenig anders aus.

    Ist halt grad Mode: Asteroid->Weltuntergang. Armageddon lässt grüßen.

  14. #14 Anatol
    April 16, 2008

    @ topper

    Man könnte natürlich auch einfach die Simulation einmal mit den Schwersten und einmal mit den leichtesten Sateliten durchspielen ^^ dann noch meinetwegen, satelit trifft mitig, links außen, rechts außen, oben, unten, dazu noch direkttreffer, streifschuss, ect….am ende kommst damit sicher nicht über ein paar tausend möglichkeiten hinaus…..und das kannst dir mit einer selbstgeschriebenen software am heim pc durchrechnen lassen….

  15. #15 Daniel Fischer
    April 16, 2008

    Eine E-Mail an die NASA-Abteilung für erdnahe Asteroiden hat gestern genügt, um mailwendend zu erfahren, dass alles ausgemachter Blödsinn ist. Und der Potsdamer Wissenschaftler ist von N24 massiv missbraucht worden …

  16. #16 Daniel Fischer
    April 16, 2008

    Ach ja, bei ScienceBlogs muss man die URL in Anführungszeichen setzen … also nochmal: Hier kann man nachlesen, was die NASA und F. Spahn zu sagen haben.

  17. #17 florian
    April 16, 2008

    @Daniel: Sowas hab ich mir eh schon gedacht… Ganz aus der Luft gegriffen ist der Gedankengang natürlich nicht… aber was die Medien daraus gemacht haben ist fast mal wieder typisch… Kaum geht es um Asteroiden, will jeder gleich das schlimmste glauben und niemand fragt nach.

    @Anwen: auf das Interview mit Nico bin ich schon gespannt. Es wäre interessant zu hören, was er nun genau getan und gerechnet hat (und vor allem wie und wo diese 1:450 herkommen…)

  18. #18 Thilo Kuessner
    April 16, 2008

    @florian: Interessanter wäre wohl die Frage, welche publicity-versessenen Erwachsenen (Physiker, Lehrer oder was auch immer) den Jungen mit seinem Jugend-forscht-Beitrag so in die Medien gebracht haben. Der 13-jährige wird ja nicht aus eigener Initiative ins Fernsehen gekommen sein.
    Was er genau gerechnet hat, weiß ich natürlich nicht. Wahrscheinlich wird er ja stark vereinfachte Modelle irgendwelcher Differentialgleichungen gelöst haben, die in Wirklichkeit so kompliziert sind, daß sie nur von großen Rechenzentren mit der erforderlichen Genauigkeit bearbeitet werden können. Eigentlich eine tolle Leistung für einen 13-jährigen und ein hervorragender Jugend-forscht-Beitrag.

  19. #19 Anwen Roberts
    April 16, 2008

    @florian Nasa ist in der Tat dabei, ua. gegen die afp-Meldung von heute früh gegenzuhalten — aber bezeichnenderweise in Bezug auf ihre Glückwunschgrüße:
    “NASA had previously estimated the chances at only 1 in 45,000 but told its sister organisation, the European Space Agency (ESA), that the young whizzkid had got it right.”

    ESA-Pressesprecher streiten jetzt ab, dass sie den Jungen persönlich kontaktiert hätten – er selbst sagt was anderes. Tja…
    In Kontakt standen Schüler und ESA aber auf jeden Fall, schließlich hat er Daten vom Satellitenkontrollzentrum erhalten, die ihm erst erlaubten, die Satelliten mit einzurechnen.

    Nicos Referenz, Prof. Spahn von der Uni Potsdam lässt den ärmsten nun fallen … hoffen wir mal, dass der Gymnasiast jetzt trotz missglücktem N24-Auftritt nicht den totalen medialen Overkill mitmachen muss, dessen Wirkungen er wohl wirklich nicht kalkulieren kann..

  20. #20 kamenin
    April 16, 2008

    Nur mal was anderes, nachdem die Meldung inzwischen ja auch schon in der US-Blogosphäre zerpflückt wird.
    Wie kommt man denn von 0,22% auf die Aussage “Das ist zwar etwas unwahrscheinlicher als ein Fünfer im Lotto, aber immerhin 200x wahrscheinlicher als ein Sechser im Lotto”? Das stimmt doch per Augenschein schon nicht, und kurzer Überschlag ergibt da auch eher einen Faktor “30.000x wahrscheinlicher als ein Sechser”.

    Hoffentlich ist das Geschäftsmodell hier besser kalkuliert 😉

  21. #21 Christian
    April 17, 2008

    Nun ist es auch bis zur Süddeutschen durchgesickert – wieder mal bloss eine typische BILD-Zeitungs-Ente:

    http://www.sueddeutsche.de/,tt6m1/wissen/artikel/87/169593/

    Der arme Junge kann einem ja direkt leid tun, da zerren die ihn gleich vor eine Kamera nach der anderen und am Ende stellt sich das Ganze als Riesenflop heraus. Manche Journalisten sollten echt nicht über wissenschaftliche Themen berichten dürfen – bevor ich in riesigen Lettern abdrucke, dass die NASA sich komplett geirrt hat, frage ich doch wenigstens mal dort nach(!)

    Und wenn ich da nun heute in die Süddeutsche schaue….:

    “Nico Marquardt selbst macht zu seiner Arbeit widersprüchliche Angaben. Der Wert von eins zu 450 sei “eine typische Bild-Zeitungs-Übertreibung”, klagt er. Er habe das nicht gesagt, doch auch der Tagespiegel zitiert diese Zahl. Bei N24 sagte der Junge, die Gefahr steige “um 20 bis 30″, ohne eine Einheit zu nennen. Der SZ erklärte er, die Chance eines Einschlags liege nun ungefähr bei eins zu 44.998. Der Wert ändere sich ständig. Genaueres wolle er nicht sagen, weil es auch um Patente gehe.”

    Also wirklich, wie kann man denn angesichts dessen und angesichts der Tatsache, dass es weder von der NASA noch von der ESA irgendeine Art von Bestätigung oder einen sonstigen Kommentar zu der ganzen Geschichte gab, diese als Journalist ohne jede Form der kritischen Hinterfragung einfach übernehmen?

  22. #22 Anwen
    April 17, 2008

    Betr.: Nico VS. NASA
    Oder hat er? Mit seinen Aussagen hat sich Nico Marquardt wohl arg weit aus dem Fenster gelehnt, ohne die Wirkung seiner Worte in den Medien wirklich abschätzen zu können. Doch ihn nun als ausgefuchsten Tatsachenbehaupter hinzustellen, geht an der Sache vorbei. Vor allem tut die Kette gegenseitiger Beschuldigungen in erster Linie dem Jungen unrecht. Daher sollte man schon nochmal schauen, wer hier eigentlich wann was behauptet hat. Hier Auszüge aus meinem Gespräch mit dem Hobbyastronomen am 14. April, und aus den Pressemeldungen der letzten Tage:

    (1) Glückwünsche von der NASA
    Nico: “Die NASA gibt natürlich keine Bahnparameter und dergleichen heraus. Aber um das Risiko, dass Apophis schon 2029 mit einem anderen Objekt zusammenprallt, zu berechnen, habe ich mit dem Satellitenkontrollzentrum der ESA gearbeitet.”

    Gegen die Aussage der AFP-Meldung von vorgestern –- “NASA had previously estimated the chances at only 1 in 45,000 but told its sister organisation, the European Space Agency (ESA), that the young whizzkid had got it right.” — erhebt ESA nun Einspruch: Es seien keine Glückwünsche von der NASA überbracht worden, wie Sprecher der ESA gestern verlauten ließen.

    (2) Einschlagswahrscheinlichkeit
    Nico: “Meine Berechnungen beruhen auf eigenen Beobachtungen. Erst habe ich nur Daten aus dem Internet verwendet, konnte diese dann aber durch Beobachtungen mit dem Teleskop am AIP Potsdam weiter ausfeilen. Der von mir ermittelte Wert von 0,2% Wahrscheinlichkeit ist nicht so fest, wie es die Bild-Zeitung dargestellt hat. Daher wollte ich eigentlich nicht, dass die Zahlen so erscheinen. Die sind tagtäglich Veränderungen unterworfen und werden laufend angepasst.”

    Die SZ von heute schreibt, wie Christian schon angemerkt hat, dass Nico zu seiner Arbeit selbst widersprüchliche Angaben machen würde: “Der Wert von eins zu 450 sei “eine typische Bild-Zeitungs-Übertreibung”, klagt er. Er habe das nicht gesagt…”

    (3) Referenzen kriegen kalte Füße
    Nico: “Am Anfang war das der totale Horror, so ganz ohne Hilfe. Ich musste alles selber in meiner Freizeit machen. Aber nachdem ich dann Kontakt zum AIP Potsdam hatte und dort meine eigenen Beobachtungen mit dem Teleskop machen konnte, hat mir Professor Spahn von der Uni Potsdam geholfen, die Formeln dazu auszuarbeiten.”

    Der SZ sagte Spahn, er habe “Nico vor einigen Monaten in sein Büro eingeladen und “einen Nachmittag gequatscht”, wie er sagt… Es gefalle ihm, dass der Junge die Autorität der Nasa nicht einfach hinnehme, sagte Spahn,.. aber sein Ergebnis sei leider falsch. Spahn sagt, er habe erst aus der Bild-Zeitung erfahren, was Nico Marquardt ausgerechnet habe und ihm dann, wieder in seinem Büro, “die Tafel vollgemalt”, um ihm den Fehler zu erklären.” (Link)

  23. #23 florian
    April 17, 2008

    “Die NASA gibt natürlich keine Bahnparameter und dergleichen heraus”

    Hmm – der Satz wundert mich irgendwie. Bei NEODys gibt es alle relevanten Bahndaten zu Apophis, auch über das Minor Planet Center lassen sich alle Beobachtungsdaten zu Apophis runterladen (im Formular “Apophis” eingeben). Und auch auf der NASA-Homepage finden sich die Bahndaten von Apophis.
    Oder meint Nico hier etwas anderes? Ich denke, der arme Junge wurde wirklich schlecht beraten und jetzt auch noch mit dem ganzen Medienzirkus alleingelassen.

    Auch “Meine Berechnungen beruhen auf eigenen Beobachtungen” überrascht mich auch ein wenig… Gerade bei einem Objekt, das so nahe kommt wie Apophis ist es wichtig, möglichst viele und genaue Beobachtungen zu haben. Wenn Nico hier wirklich nur seine eigenen Beobachtungen verwendet hat, dann wundert es mich nicht, dass die Werte nicht ganz so genau sind. Bahnbestimmung und Berechnung von Kollisionswahrscheinlichkeit ist absolut nicht trivial! Großartig, dass Nico sich da durchgeackert hat; nicht so großartig wie gesagt die scheinbar schlechte Beratung (ich nehm mal an, das hier auch ein Lehrer o.Ä. die Arbeit betreut hat – offensichtlich mit nicht viel Ahnung vom eigentlichen Thema).

    Naja – mit 13 Jahren kann man bei solchen Themen ruhig Fehler machen. Ich hoffe, Nico lässt sich dadurch nicht entmutigen…

  24. #24 Thilo Kuessner
    April 19, 2008

    Ich habe zwar fast denselben Kommentar schon auf http://www.scienceblogs.de/mathlog/2008/04/lorenz-entwickelte-in-den-60er.php
    gepostet, aber hier paßt es vielleicht besser:

    Was der Potsdamer Schüler gerechnet hat, war wohl ein 4-Körper-Problem. (Jedenfalls stand das in dem Spahn-Statement.)
    Bekanntlich gilt Poincaré’s Arbeit über das “einfachere” 3-Körperproblem (um 1890) als das historisch erste Beispiel von Chaos (also Unberechenbarkeit).

    Weiß jemand, wieviel Rechnerkapazität man heute benötigen würde, um einigermaßen korrekte Wahrscheinlichkeitsaussagen über Lösungen des 4-Körper-Problems zu berechnen? Kann man sowas mit einem Heim-PC in Potsdam machen?

  25. #25 florian
    April 19, 2008

    @Thilo: Also die numerische Lösung des N-Körperproblems gehört heute zu den alltäglichen Aufgaben in der Himmelsmechanik. Da gibts fertige Software (z.B. Mercury6 oder SWIFT) die sich überall installieren lässt und auch auf einem Heimcomputer schnell verläßliche Ergebnisse liefert. Und gerade in diesem Fall musste man die Bahn ja nur knapp 30 Jahre in die Zukunft rechnen – das lässt sich mit einem aktuellen PC vermutlich in Sekunden bis Minuten berechnen.

  26. #26 Frank Spahn
    April 21, 2008

    Um kurz die Chronologie der Sache zu beleuchten und das Rätselraten abzukürzen: Im Januar konsultierte mich Nico, welche Effekte die Bahn eines Asteroiden beeinflussen (3 – u. 4 Körperproblem wurde erwähnt, liegt aber weit jenseits der Möglichkeiten eines 13 Jährigen) etc. Ich war von Nico’s Engagement begeistert und habe gern mit Erklärungen geholfen (jetzt muss ich fast sagen – leider). Ich riet Nico, mich auf dem Laufenden zu halten. Ich hörte jedoch erst wieder etwas aus der “Bild” – und rief sofort im Gymnasium an, er möge sich mit mir treffen, denn: ich wollte wissen, wie er DIE Wahrscheinlichkeit berechnete. Das war am 11.4.2008 – an dem ich auch erfuhr, dass es nun geostationärer Schrott sein soll, der Apophis den entscheidenden Kick geben soll. Ich rechnete ihm vor, wie hoch (grob geschätzt) die Wahrscheinlichkeit für solch einen Impakt sei — die oben geführten Gedanken mit dem Durchschnitt der Volumina, besser, wieviel Schrott befindet sich im von Apophis überstrichenen Volumenn((Wirkungsquerschnitt+Unsicherheit)*Geschwindigkeit(relativ)*Schrottzahl- dichte) sind alles korrekte Ansätze. Es kommen sehr, sehr geringe Werte heraus, die alle weit (eins zu ‘ner Millionen, sehr gut aber auch noch 1000 mal kleiner – hängt von der Schrottwolke und Apophis’ Bahn ab) unter der NASA Angabe liegen. Ich riet ihm, diese Tatsache in den zukünftigen Treffen mit den Medienvertretern deutlich heraus zu stellen. Der erste Test war N24 und Nico brachte es nicht fertig, seine eigene Arbeit zu relativieren – das ist aber auch bei Sensationsreportern fast nicht möglich. Ich selbst habe den Verantwortlichen des Dreh’s klipp und klar gesagt, dass die “Bild” Geschichte Nonsens ist und dementiert gehört – nichts davon in der geschnitten Version. OK – egal, für Nico selbst ist das wesentlich zuviel des Ruhms – und ein Teil der widersprüchlichen Angaben kommen wohl auch von ihm, im Bestreben vom Ruhm etwas retten zu wollen. Und dabei sind gleich mehrere Kollegen falsch zitiert worden. Dass ich Nico fallen liess, ist glatter Unsinn, dazu hätte ich (a) die Arbeit kennen und betreuen müssen – in diesem Fall hätte es keinen Medienrummel gegeben – ich habe die Arbeit, trotz Anforderung bis heute nicht gesehen – (b) diesen Medienrummel zunächst mitmachen müssen (oben sind meine Warnungen zu lesen, die aber Nico so ziemlich alle in den Wind schlug). Nico hätte sofort dem Medieninteresse widerstehen müssen – aber das ist, zugegebenener Massen, arg viel verlangt für einen 13 Jährigen.
    Was bleibt? Ein engagierter Junge, der weiter neugierig bleiben und an den Mediengaunern keinen Schaden nehmen soll. Eine Arbeit (die ich gern noch gesehen hätte), die keinerlei Anlass zur Änderung der NASA Wahrscheinlichkeit gibt – dazu ist eine Kollision Apophis-Satellit zuuuuuu unwahrscheinlich (dazu brauche ich die Arbeit allerdings gar nicht erstsehen). Don Yeomans gibt dem Recht, indem er mit genauerer Kenntnis der Apophis-Trajektorie die extrem geringe Wahrscheinlichkeit bestätigt (“… orders of magnitude below our value …”). Und wieder mal die Erkenntnis, das den Medien (positive Ausnahme hier ist “zdf-heute” und SZ) die Wahrheit diametral im Weg steht, wenn es um Sensationsmache geht – schade und vor allem schlimm.

  27. #28 Tatjana
    Juli 4, 2011

    Also irgendwie verstehe ich diesen Artikel nicht. Ich habe mir einen Artikel von Florian Freistetter über Aphopis durchgelesen. Darin steht, dass Nico NICHT recht hat und keinerlei Kontakt mit der Nasa stattfand! Deswegen verwirrt mich der letzte Satz: Immerhin ließ aber NASA kürzlich ESA ausrichten, dass ESA Nico ausrichten möge, er habe wohl Recht..

    Auch las ich im Artikel von Florian, dass Aphopis auf der Turiner Skala einen Wert von 4 hatt(e), dass heisst bei einem möglichen Einschlag 2036 enstehen regionale Folgen. Aber in diesem Artikel wird von weltweiten Folgen gesprochen (Säureregen, Finsterniss usw.) Ich versteh jetzt gar nix mehr….

    Lg