Risikomanagement betreibt man, weil durch die Nutzung von Anlagen und Maschinen Gefahren entstehen, die es sonst nicht gäbe. Es ist eine Binsenweisheit, dass es absolute Sicherheit nicht geben kann und wie schon so oft geschrieben, finde ich das Verständnis für diese Tatsache in meinem Bekannten- und Verwandtenkreis sehr oft. Nur die extrem Naiven glauben, man könnte Dinge schaffen, die nie kaputtgehen bzw. immer funktionieren. Allerdings wirft allein der Gedanke die Frage auf, warum wir überhaupt Gefahren schaffen, die es sonst nicht gäbe – ähnlich dem Computer, der vorwiegend zur Lösung von Problemen verwendet wird, die wir ohne ihn nicht hätten.
Die Antwort ist so einfach wie kompliziert: Wir als Gesellschaft bewerten die Kosten-Nutzen-Rechnung positiv, das heißt, wir glauben, dass der Nutzen den angerichteten Schaden übersteigt. Das spielt ein bisschen auf meine früher gemachte These an, dass der Einsatz bestimmter Technik eher weniger davon abhängt, dass sie funktioniert – das ist die Grundvoraussetzung – sondern, ob wir als Gesellschaft uns dafür oder dagegen entscheiden. So haben wir uns dafür entschieden, das vom Betrieb der Kernkraftwerke ausgehende Risiko mittelfristig nicht mehr tragen zu wollen und eine breite Front von Bürgerinnen und Bürgern trägt diese Entscheidung. Wir nehmen dafür die höheren Kosten der wenigstens teilweisen Umstellung unserer Energieversorgung in Kauf und wir bewerten de facto die Risiken durch den Betrieb fossil befeuerter Kraftwerke als längerfristig tragbar. Wir tragen auch nach wie vor das Risiko durch die chemische Industrie, obwohl Katastrophen nicht auszuschließen sind und nicht nur Unfälle, sondern auch langfristige Kontamination von Menschen und Boden immer wieder vorkommen. Wir tragen das Risiko des motorisierten Individualverkehrs, weil unser modernes Leben ohne einfache Transportmöglichkeiten von A nach B doch sehr erschwert würde. Wir bedeutet in diesem Sinne immer wir als Gesellschaft – Individuen mögen über alles völlig gegensätzlicher Ansicht sein. Und deswegen sollte auch klar sein, dass man über das Für und Wider der hier angebrachten Beispiele mit guten Argumenten streiten kann und die letztendliche (bzw. zeitweise) Entscheidung dann immer nur ein mehr oder minder guter Kompromiss sein wird.
Wir gehen diese Risiken ein, weil wir uns davon mehr Nutzen als Schaden versprechen. Das mag dann so sein oder eben nicht. Manchmal kann man die Entscheidung mit guten Argumenten untermauern, manchmal muss man sich auf Vermutungen stützen und dann wird es erfahrungsgemäß schwammig. Oben habe ich geschrieben, dass wir das Risiko beim Betrieb fossiler Kraftwerke dem der Kernkraftwerke vorziehen und bereit sind, die unmittelbar höheren Kosten zu tragen.
Die Frage nach dem Risiko wird oft schwarz-weiß beantwortet. Als ginge es um grundsätzliche und nicht einzelfallbezogene Entscheidungen. Und oft genug spielen Vorstellungen und Weltanschauungen in die Entscheidung, die nicht rational begründet sind, sondern emotional: Es gibt heute in allen großen Industrieländern eine erschreckend große Zahl von Gegnern der Masernimpfung, die sich zwar oft als Impfskeptiker gerieren, aber auch durch die eindeutigsten Zahlen und historischen Vergleiche nicht zu erschüttern sind. Diese Leute sind de facto bereit, das objektiv im Vergleich zur Impfung sehr viel größere Risiko für die Gesundheit durch eine Infektion mit dem Erreger in Kauf zu nehmen. Objektives und subjektiv empfundenes Risiko finden eben manchmal nicht einfach zusammen.
Risikomanagement ist der Versuch anhand von bekannten oder, wenn nicht anders möglich, möglichst sinnvoll abgeschätzten Daten über Häufigkeit von Ereignissen und Zuverlässigkeit von Menschen und Maschinen Aussagen über den Schaden anzustellen, den der Einsatz einer bestimmten Technik über die Zeit verursacht. Sie unterfüttert damit den Kostenteil der Kosten/Nutzen-Rechnung. Wer vom Nutzen spricht, darf vom Schaden einfach nicht schweigen und Risikomanagement spricht genau das, wenn man so will, die Kehrseite der Medaille, an.
Es gibt aber noch einen weiteren Grund und der ist sehr menschlich: Wir wollen tatsächlich nicht, dass Menschen zu Schaden kommen.
Das klingt trivial, aber da der Industrie immer mal wieder – und sicher manchmal zu recht – vorgehalten wird, dass der Gewinn über Menschenleben gestellt wird, halte ich es für wichtig, dass noch mal ganz klar zu sagen: Wir wollen tatsächlich nicht, dass Menschen zu Schaden kommen und wir sind bereit, dafür große Summen auszugeben. Wir sind in diesem Zusammenhang meine Kollegen hier und ich, die Leute aus der Energietechnik oder von anderen Chemiefirmen und den externen Stellen wie TÜV und DEKRA, mit denen ich schon zu tun hatte. Von diesem anekdotischen Wissen muss sich niemand überzeugen lassen, aber als Meinung möchte ich diese ganz persönliche Erfahrung verbreiten.
Wir verhindern damit nicht alle Unfälle. Wir vermeiden damit nicht alle Verletzungen. Und wir machen natürlich auch Fehler – wir sind eben Menschen. Aber wir sorgen dafür, dass nicht noch viel mehr Unfälle passieren, dass nicht noch mehr Menschen Gliedmaßen, Augen oder ihr Leben verlieren und wir kontrollieren uns sorgfältig gegenseitig, damit Fehler so schnell wie möglich aufgedeckt werden.
Das bedeutet viel Arbeit und viel Geld. Darüber ächzen und stöhnen wir auch oft genug und in der Tat schießen wir manchmal auch mit Kanonen auf Spatzen. Aber mit dieser Herangehensweise haben wir es geschafft, die meldepflichtigen Arbeitsunfälle in den letzten 25 Jahren um rund 60 % zu reduzieren. Das Ziel von 0 Unfällen werden wir wohl nicht erreichen, aber ihm möglichst nahe zu kommen ist ein erstrebenswertes Ziel und dafür ist Risikomanagement ein unverzichtbarer Baustein.
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