Das Pfingstwunder dieses Jahres ist das gute Wetter, aber aufregend ist die Nachricht, daß der extrem ehrgeizige und inzwischen sehr wohlhabende Craig Venter 1.08 Millionen Glieder eines DNA-Moleküls anfertigen und als Kette einem leeren Leben einfügen konnte, das sich damit zu regen begann. Künstliches Lebes also? Die Experten streiten sich wie immer, und wie immer streiten sie sich mit Meinungen statt mit Argumenten.
Es scheint, daß Venters gelungenes Experiment vor allem eins klarmacht: Es zeigt uns nicht, was Leben ist, es zeigt uns vielmehr, wie unsere Zeit Leben versteht, nämlich als Computer, also als Maschine, die einem Programm folgt, die mit Software läuft. “Ich bin der erste chemische Apparat, der seine eigene Sequenz betrachten kann”, wie Venter am Ende seiner Autobiographie “Entschlüsselt” (S. 538) schreibt. Er will diese Software verstehen, er will wissen, ob das entschlüsselte Leben ein verstandenes Leben ist.
Warum sagt ihm denn niemand, daß man Leben nicht entschlüsseln kann. Wir kennen doch niemanden, der es vorher verschlüsselt hat. Das ist die Grenze der Maschine, die Venter sein will. Da kann sein Motor brummen, wie er will. Wie wer will?

Kommentare (15)

  1. #1 Stefanp
    Mai 24, 2010

    Die Erbinformation ist nun mal kodiert. Sie haben in Ihren Zellkernen keine Organe, Knochen und so weiter, die nur ausgepackt werden müssten. Stattdessen haben Sie eine Abfolge von Basenpaaren, welche Aminosäuren kodieren, welche wiederum Proteine ergeben … und am Ende haben Sie dann Organe, Knochen etc. Da selbige nicht direkt vorliegen, sind sie kodiert. Dass die Kodierung sprachlich auch als Verschlüsselung aufgefasst werden kann, ist wohl kaum ein ontologisches Drama.

  2. #2 Kraus
    Mai 24, 2010

    Ach Mist, nicht aufgepasst und auf EPF geklickt.

    “Ernst Peter Fischer studierte […] Biologie”

    Glaub ich nicht.

  3. #3 Wb
    Mai 24, 2010

    …daß man Leben nicht entschlüsseln kann.

    Wie wahr.

    Kreationismus dieser Art wird demzufolge auch zur Erfolglosigkeit tendieren, d.h. es wird nicht viel herauskommen, aber es wird wohl auch nicht so gefährlich. Aber eine leckere neue Genakartoffel oder neuer neuer leckerer Genreis ist ja auch schon was; bei Mikroorganismen wird voraussichtlich aber nicht viel kommen.

    Ganz klar ist das aber nicht, man kann auch Pech haben.

  4. #4 Wb
    Mai 24, 2010

    Hierzu besteht möglicherweise noch Beratungsbedarf:

    Dass die Kodierung sprachlich auch als Verschlüsselung aufgefasst werden kann

    Ein Schlüssel dient dem Öffnen von Türen und dem Erweitern des Bewegungskreises, auf einer metaphorischen Ebene bedeutet er den Zugriff auf Daten nach zuvor erfolgter “Entschlüsselung” dieser Daten; der Anwender will die Daten “as is” entgegennehmen und dann abstrahieren – zu Informationen [1].

    Was zurzeit von Venter&Co. geleistet wird ist 1.) die Erfassung von Daten und 2.) der Umbau der Daten. Dann kommt irgendetwas heraus. Da die Daten aber eben nicht verschlüsselt vorliegen, jedenfalls ist das überhaupt nicht klar, warum sollte die Natur die Daten verschlüsseln?, kann von einer Entschlüsselung, also von einer Aufbereitung der Daten für eine spätere Abstraktion nicht die Rede sein.

    Venter stümpert demzufolge auch nur herum, großartig sicherlich seine technischen Fähigkeiten, was die Reproduktion oder den Zusammenbau betrifft, aber ansonsten sieht es ganz gaanz mau aus. Venter versteht nicht, was er tut.

    HTH
    Wb

    [1] Insofern sind u.a. auch die so genannten Datenschutzgesetze mit einem lachenden und einem weinenden Auge zu betrachten; es geht nämlich um die Information.

  5. #5 Stefanp
    Mai 24, 2010

    Um etwas zu verschlüsseln benötigt man nicht immer einen Schlüssel. In der Informationstechnologie sind schlüssellose Verschlüsselungen Gang und Gäbe. Falls Sie heute in irgendeiner Form ein Passwort verwendet haben, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass Sie eine Verschlüsselung angestoßen haben, ohne dass jemals ein Schlüssel dafür verwendet worden wäre.
    In seiner allgemeinsten Form setzt eine Verschlüsselung daher auch nicht die Existenz eines Schlüssels voraus. Stattdessen meint es die Unkenntlichmachung eines Datensatzes. Folglich kann Entschlüsselung informationstechnologisch ohne Weiteres als Gewinnung von Information aus einem zuvor unkenntlichen Datensatz verstanden werden. Ein Schlüssel ist dafür nicht notwendig.
    Um an den Inhalt zu kommen muss man folglich auch nicht einen nicht-existenten Schlüssel besitzen, sondern das Verfahren an sich knacken, den verwendeten Code brechen. In der Biologie geht es diesbezüglich weniger dramatisch zu als in der Kryptographie. Kodiert ist das Erbgut nichtsdestoweniger.

  6. #6 Wb
    Mai 24, 2010

    @Stefanp
    “schlüssellose Verschlüsselungen”:
    Was Sie womöglich meinen ist Datenvernichtung.
    Keine Ahnung was Sie mit “Code brechen” meinen, auch scheint der “Code”, also die Kodierung, also das In-Form-Giessen realer Sachverhalte, hier weitgehend unverstanden; das, was Sie hier lesen ist Code.

    HTH
    Wb

    PS: BTW, 99,9% der Bev. versteht nicht, was da abgeht im Bereich der Genforschung, gell?

  7. #7 KommentarAbo
    Mai 24, 2010

  8. #8 rix
    Mai 25, 2010

    Hier sind wohl jemandem die Sponsoren pleitegegangen.
    Es folgt nun ein Aufruf an alle Gläubigen, sorry, Gläubiger – sorry, potentielle Gläubiger, ihren Glauben mit einer verzinslichen Opfergabe zu manifestieren (Deutschland bürgt natürlich für die Dividende).
    Schöne Grüße aus Südkorea von den Klongeistern.

  9. #9 Stefanp
    Mai 25, 2010

    Selbstverständlich ist alles Geschriebene und Gesprochene Code. Sie sind der Bedeutung meines Satzes, den Sie in ihrem ersten Kommentar zitiert haben, schon dicht auf der Spur. Vielleicht hilft es, wenn Sie noch nach z. B. Hieroglyphen und Entschlüsselung googeln.
    “Code brechen” wäre eine kryptographische Sprechweise. Es geht immer um die Erlangung der Befähigung des Verstehens. “Entschlüsselung” beinhaltet eine Aussage über die Kenntnis des Kodierungssystems. Der Begriff ist dabei einzig durch die “lesende Seite” motiviert. Die Intention eines eventuell existierenden Schreibers zur Verschleierung oder die Existenz eines Schlüssel ist für die Verwendung des Begriffs vollkommen unerheblich.

  10. #10 Wb
    Mai 25, 2010

    @Stefanp
    Wie dem auch sei, werter Kommentatorenkollege, die Sichtweise, dass die Daten unverschlüsselt vorliegen und einer Abstraktion bedürfen und keiner Entschlüsselung (mit oder ohne Schlüssel ;), ist wohl die übliche.

    Und die Abstraktion dürfte -euphemistisch formuliert- sehr sehr schwierig werden, was eben nicht so viele unserer Mitbürger zu wissen scheinen; die denken womöglich, dass das so oft behauptete Entschlüsseln (vs. Erfassen) der DNA einem Verstehen gleich oder nahe kommt.

    Sie nagen hieran – “Wir kennen doch niemanden, der es vorher verschlüsselt hat.” -, gell. Nunja, der geschätzte Autor betreibt hier Wissenschaftskritik auf Feuilletonniveau; das gelingt recht gut, finden Sie doch auch, oder?

  11. #11 Stefanp
    Mai 25, 2010

    Der sprachliche Aspekt – die angebliche Unsinnigkeit des Begriffs Entschlüsselung – ist hier immerhin ein zentraler Aufhänger. (Auch Sie schreiben, nebenbei gesagt, davon, dass die Natur doch nicht verschlüsselt habe.) Doch wie gezeigt bedarfs es weder eines Schlüssels noch einer bewussten Intention des Verschlüsselns, um das Verstehen einer Kodierung als Entschlüsselung aufzufassen. Sie können sich auch nicht einfach hinstellen und behaupten, ihre eigene Sicht sei – selbstverständlich – die übliche und richtige. Das ist zwar ein netter Versuch eines Totschlagarguments. Nur leider wenig überzeugend, wenn die sprachliche Evidenz überwältigend das Gegenteil belegt. Ich kann natürlich auch mit einem – zumindest von manchen so verstandenen – (sprachlichen) Totschlagargument kontern: Schlagen Sie “Entschlüsselung” im Duden nach. Dieser kennt zwei Bedeutungen/Verwendungsweisen in der deutschen Sprache (und keine davon ist selten oder unüblich):
    a) (einen verschlŸüsselten Text) mithilfe des bei der VerschlŸüsselung verwendeten SchlŸüssels wieder lesbar machen, in Klartext umsetzen
    b) einer Sache durch Aufdecken von etw. ihre RäŠtselhaftigkeit nehmen
    Und weil es so schön ist, verwendet der Duden sogar “das Erbgut, die DNS entschlüsseln” als Beispiel.

  12. #12 Wb
    Mai 25, 2010

    Doch wie gezeigt bedarfs es weder eines Schlüssels noch einer bewussten Intention des Verschlüsselns, um das Verstehen einer Kodierung als Entschlüsselung aufzufassen.

    Wenn wir die DNS als Datenhaltung auffassen, dann gilt es diese zu abstrahieren [1] und ihre Bedeutung als Bauplan zu verstehen.
    Der Begriff “Entschüsseln” ist hier entweder falsch oder ungünstig, jedenfalls aus Sicht mancher und es lohnt sich, dieser Ungunst ein paar Zeilen zu widmen.

    Und das Schlimme ist eben auch, dass große Teile der Bev. meinen, dass die behauptete Entschlüsselung einem Verstehen gleich- oder nahekommt, was wirklich nicht gut ist.

    Immerhin weiß der Baer nun, wie Sie es meinen.

    MFG
    Wb

    [1] vs. “entschlüsseln” – wenn der Duden eine metaphorische Nutzung dieses Wortes, also eine Entschlüsselung ohne Schlüssel erlaubt, OK, das macht diesen Artikel vermutlich nur erforderlicher…

  13. #13 LeviCevita
    Mai 25, 2010

    Wir kennen auch niemanden der die physikalischen Gesetze “erschaffen” hat und trotzdem sind wir jeden Tag dabei sie zu entschlüsseln. Man mag dagegen jetzt anführen dass das alles nur auf Modellen und Hypothesen beruht die dann mit experimenteller Bestätigung zu wissenschaftlichen Theorien werden. Der Kernreaktor funktioniert aber trotzdem wie man ihn sich vorstellt auch wenn die Theorie dahinter wahrscheinlich nicht die letzte Wahrheit sein sollte weil sich die Physik immer in der Entwicklung befindet.
    Ein Auto bewegt sich streng genommen auch mit relativistischen Effekten.
    Man muss keinen Verschlüssler kennen um das Rätsel zu entschlüsseln. Mich intressiert nicht das “Wer wars?” sondern das “Wie funktionierts und wie mache ich es mir nutzbar”.

  14. #14 Wb
    Mai 25, 2010

    Ergänzend:
    Teilweise direkt falsch, teilweise irreführend, zusammengefasst: Marketing

  15. #15 Wb
    Mai 25, 2010

    Ergänzend:
    Teilweise direkt falsch, teilweise irreführend, zusammengefasst: Marketing

    MFG
    Wb