Existieren die Phänomene der Naturwissenschaften unabhängig von den Forschern, die sich mit ihnen beschäftigen? Die Antwort, die man auf diese Frage gibt, hängt natürlich ganz davon ab, wie man den Begriff der Unabhängigkeit versteht. Klar ist, dass viele Untersuchungsobjekte der Naturwissenschaften ihre Existenz nur den Forschern verdanken, die sie untersuchen.

Exakte Reproduzierbarkeit von Experimenten, Darstellbarkeit von Zusammenhängen in mathematischen Modellen und Ableitbarkeit von Vorhersagen, die mit experimentellen Befunden verglichen werden können, aus solchen mathematischen Modellen – das sind die die Ideale der exakten Naturwissenschaften. Umso exakter eine Naturwissenschaft wird, desto weniger hat sie mit der Natur zu tun. Die exakteste Wissenschaft ist heute die Physik, und sie begann ihre Phase als exakte Wissenschaft mit Torricellis Röhre, Galileis Pendel und Newtons Mechanik. Damit begann auch die Zeit des modernen Experimentes, in dem Bedingungen geschaffen werden, die in der Natur niemals zuvor existierten und die unabhängig vom Handeln des Forschers auch nicht existieren können.

Es gibt in der Natur ohne den Forscher, der sie erschafft, keine Pendel, die sich wie mathematische verhalten, keinen freien Fall, keinen Quanten-Hall-Effekt und kein 2D Elektronengas. Die Wissenschaftler schaffen diese Effekte und Phänomene erst, und ihre große Leistung besteht eigentlich nicht darin, diese Dinge entdeckt zu haben, sondern in der Lage zu sein, die Bedingungen ihres Zustandekommens immer wieder reproduzieren zu können.

Denn das macht die Bedeutung der exakten Wissenschaften für die Technik aus, die heute so oft in einem Atemzug mit der Wissenschaft genannt wird. Ingenieure können die Konstruktionen der exakten Wissenschaften nutzen, um ganz praktische Dinge wie Uhren und Computer-Chips zu bauen.

Problematisch wird es jedoch, wenn man versucht, die Methoden der exakten Wissenschaften auf Bereiche auszudehnen, in denen man unvermeidlich mit Dingen zu tun bekommt, die nicht vom Menschen geschaffen sind, und die man auch nicht, wie im Experiment, ganz unter Kontrolle bekommen kann – wenn man in die wirkliche Natur zurückkehrt. Zum Glück ist das in heute gar nicht mehr so einfach: Unsere ganze alltägliche Welt ist zum großen Teil kultiviert, überschaubar, kontrollierbar. Verglichen mit der tatsächlichen Natur haben wir uns in einer Umwelt eingerichtet, die wenig komplex ist, die wirklich Ähnlichkeit hat mit einem kontrollierbaren Labor-Experiment. Hier kann Technik so funktionieren, wie sie von Ingenieuren und exakten Wissenschaftlern konzipiert wurde.

Wie begrenzt unser Handlungs-Spielraum, der auf Wissenschaft und Technik basiert, ist merken wir, wenn wir mit unserem Auto den Asphalt verlassen und auf einen Waldweg einbiegen, oder wenn in Köln durch unbekannten Untergrund eine U-Bahn gebaut wird. Nur für unsere künstliche, überschaubare Welt, in der die Komplexität enorm reduziert ist, ist die wissenschaftlich-rationale Handlungsorientierung die angemessene Konzeption. In der Wildnis würde auch ein Biologe schnell verhungern – und beim Überwinden eines Gebirgszuges hilft Erfahrung, Geschicklichkeit und Kraft mehr als das Wissen um den Reibungskoeffizienten und die Fallbeschleunigung.

Kommentare (36)

  1. #1 Christian W
    Mai 14, 2009

    Exakte Reproduzierbarkeit von Experimenten, Darstellbarkeit von Zusammenhängen in mathematischen Modellen und Ableitbarkeit von Vorhersagen, die mit experimentellen Befunden verglichen werden können, aus solchen mathematischen Modellen – das sind die die Ideale der exakten Naturwissenschaften. Umso exakter eine Naturwissenschaft wird, desto weniger hat sie mit der Natur zu tun. Die exakteste Wissenschaft ist heute die Physik, und sie begann ihre Phase als exakte Wissenschaft mit Torricellis Röhre, Galileis Pendel und Newtons Mechanik. Damit begann auch die Zeit des modernen Experimentes, in dem Bedingungen geschaffen werden, die in der Natur niemals zuvor existierten und die unabhängig vom Handeln des Forschers auch nicht existieren können.

    Du. Meine. Güte.
    Also das kann man nun wirklich nicht mehr mit verschieden verstandenen Begriffen entschuldigen.

    Ich verabschiede mich endgültig von diesem Alles-außer-Science-Blog.
    Christian W

  2. #2 Ulrich
    Mai 14, 2009

    Der Biologe in der Wildnis würde dank seiner Kenntnis der Giftpflanzen eventuell länger überleben als der Klempner. Und selbst wenn nicht – was wäre denn die hier suggerierte Alternative zur “wissenschaftlich-rationalen Handlungsorientierung”? Ein Regentanz?

  3. #3 Jörg Friedrich
    Mai 14, 2009

    @Ulrich: Der Biologe kennt (vielleicht) die Giftpflanzen, der Klempner wäre (vielleicht) in der Lage, ein Regendach zu bauen. Selbst ein ganzes Team unterschiedlich geschulter Techniker und Wissenschaftler hätte seine Schwierigkeiten, es sei denn, sie hätten die Werkzeuge dabei, die Wildnis schnell zu kultivieren, sie überschaubar zu machen.

    Die Alternativen sind z.B. Tabus – und die werden tatsächlich über Mythen vermittelt, zu denen auch der Regentanz gehört. Der regentanz selbst hat keine Wirkung, aber er gehört zur Stabilisierung der Mythen, die dazu führen, dass Tabus funktionieren.

  4. #4 sil
    Mai 14, 2009

    Darf man mit einem Kugelschreiber auch “Würfel” oder “Pyramide” schreiben?

  5. #5 Althir
    Mai 14, 2009

    @Christian W:
    Könnten Sie mich darüber aufklären, warum der Satz “Umso exakter eine Naturwissenschaft wird, desto weniger hat sie mit der Natur zu tun.” so problematisch ist?
    Dass bei wissenschaftlichen Experimenten kontrollierte, wohldefinierte Bedingungen herrschen müssen, damit bestimmte Effekte untersucht und reproduzierbare Ergebnisse gelierfert werden können bedeutet doch, dass man sich von der Natur entfernt.
    Habe ich da etwas falsch verstanden?

  6. #6 Ulrich
    Mai 14, 2009

    @ Jörg: Was heißt es, dass Tabus “funktionieren”? Wie hilft das Tabu (welches?) einem Menschen, in der Wildnis zu überleben?

  7. #7 sil
    Mai 14, 2009

    “Nur für unsere künstliche, überschaubare Welt, in der die Komplexität enorm reduziert ist, ist die wissenschaftlich-rationale Handlungsorientierung die angemessene Konzeption.”

    Bei Bedarf (und wenn es ins Essy passt) ist die heutige moderne Welt aber sicher auch mal hochkomplex und unübersichtlich.
    Lebt es sich in der Wildnis abergläubig besser? Nur, weil man keinen Strom hat, sollte man doch nicht darauf verzichten, auf Ursache und Wirkung zu achten und die Herausforderungen des Lebens planvoll und logisch anzugehen.

    Das Beispiel mit dem Biologen ist interessant. Sollte es tatsächlich so sein, dass ein Mensch in gewohnter Umgebung besser klar kommt, als in ungewohnter?
    Das musste wirklich mal gesagt werden, danke.
    Wenn man “Biologe” durch “Poststrukturalist”, oder ein ähnlich kompliziertes Wort, ersetzt, wird es noch anschaulicher.

  8. #8 Jörg Friedrich
    Mai 14, 2009

    @Ulrich: Um nicht missverstanden zu werden: ich denke nicht, dass die Tabus, denen ich unterliege, mir in der Wildnis helfen würden, wenn überhaupt, dann würde mir tatsächlich mein rationales Denkvermögen dort von Nutzen sein, möglicherweise verbunden mit dem bewussten Brechen von Tabus.

    Meine Überlebenschancen wären allerdings weit geringer als die desjenigen, der in dieser Welt aufgewachsen ist, und der den dort wirkenden Tabus gehorcht.

    Dabei glaube ich nicht, dass Tabus unbedingt so etwas wie kulturelle Erfahrungen sind, soweit wie ich z.B. die Untersuchungen zum Inzest-Tabu verstanden habe, resultiert das nicht aus irgendeinem angesammelten Wissen über die biologische Schädlichkeit des Inzest. (siehe z.B. https://www.sociosite.net/topics/texts/koenig.pdf ) Es ist eben so, dass Völker, bei denen dieses Tabu wirkt (in Verbindung mit dem Drang, den Partner möglichst weit weg zu suchen), erfolgreicher im Kampf ums Dasein sind.

    Daraus ergibt sich m.E. folgendes: Tabus können im allgemeinen nicht rational gerechtfertigt werden – es gibt z.B. viele Nahrungs-Tabus, die nicht ernährungs-physiologisch gerechtfertigt werden können (siehe z.B. “Soziologie der Ernährung” von Hans-Werner Prahl und Monika Setzwein) – manche alerdings schon, und das sind dann die, die den Menschen in der Wildnis überleben lassen. Außerdem gibt es eine Reihe von Tabus, die auf eine sehr verwickelte Weise zur Stabilität der Gruppe beitragen und zum Gleichgewicht zwischen der Gruppe und ihrer Umwelt – und die letztlich dazu führen, dass die Gruppe überlebt.

  9. #9 Andrea N.D.
    Mai 14, 2009

    Irgendwie werde ich den Eindruck nicht los, dass sich Sience blogs hier einen Virus eingefangen hat, der offensichtlich nicht loszubekommen ist. Der Artikel ist einmal wieder inkonsistent, Gedankenaneinanderreihung ohne Sinn und Zweck, selbstverständlich ohne Methode und per se wissenschaftsfeindlich – das waren die anderen auch. Wie allerdings als Alternative dann Mythen und Tabus im Kommentar angeführt werden, d.i. der Kommentar dann noch genutzt wird, um etwas zu postulieren, das wohl sogar nach Empfinden des Autors dann doch nicht in den Artikel gepasst hat, sprengt die bisherige Unsinns-Dimension. Nach welche Kriterien werden denn die Autoren hier ausgewählt?

  10. #10 sil
    Mai 14, 2009

    Bescheuertes Tabu:
    https://blog.zeit.de/sex/?p=788

  11. #11 Hattori Hansen
    Mai 15, 2009

    @Andrea N.D.
    Ich sehe in diesem Artikel keine Wissenschaftsfeindlichkeit – sondern einfach eine Variation der abgedroschenen Frage”Wenn in einem Wald ein Baum umfällt, und niemand ist da der es hört, hat es dann ein Geräusch dabei gegeben?”.

    @Jörg Friedrich
    Selbstverständlich existieren die Phänomene der Naturwissenschaft, ebenso wie deren Untersuchungsobjekte ohne Wissenschaftler existieren, nur eben meist als Teil eines viel unüberschaubareren, komplexeren Systems.
    Darum versuchen, salopp gesprochen, Physiker in erster Näherung alle Phänomene in maximal zwei Dimensionen mit dem Modell des Harmonischen Oszillators oder des Wasserstoffatoms u.ä. analytisch (in ihren Worten exakt) zu beschreiben. Ist dies für Sie “Erschaffung” eines Untersuchungsobjektes?

    Zur Ausdehnung der Naturwissenschaft in “Bereiche, in denen man unvermeidlich mit Dingen zu tun bekommt, die nicht vom Menschen geschaffen sind” möchte ich anführen, dass, wenn man so will, die Naturwissenschaft eben genau in diesem Umfeld vor Tausenden von Jahren entstanden ist, eben um den einzelnen Stämmem beim Überleben zu helfen. – Steinzeitliche Versionen von Biologie, Meteorologie, Medizin, Materialwissenschaft. (Und leider auch Religion, Mythen und Tabus…)

  12. #12 Jörg Friedrich
    Mai 15, 2009

    @Hattori Hansen: Über Modelle spreche ich hier noch gar nicht, ich bin noch ganz beim Experiment. Ich denke, dabei muss man unterscheiden: Natürlich erschafft der Experimentator nicht die Elektronen oder die Atome, auch nicht das Material, aus dem er sein Pendel baut. Er bringt sie jedoch in eine Konstellation zueinander, die in der Natur ohne sein Zutun niemals auftreten, er erschafft Bedingungen, die es in der Natur nicht gibt – und damit erschafft er – und das habe ich ober geschrieben – die Effekte und Phänomene (Ian Hacking hat das in Kapitel 13 “Creation of Phenomena” seines Buches “Representing and Intervening” an weiteren Beispielen sehr ausführlich dargestellt)

    Wenn Sie meinen, schon vor tausenden von Jahren hat es frühe Versionen der Naturwissenschaften gegeben, dann haben Sie allerdings einen sehr allgemeinen Begriff von Naturwissenschaften, der mit dem, was heute unter “exakten Wissenschaften” verstanden wird, nicht viel zu tun hat.

  13. #13 Hattori Hansen
    Mai 15, 2009

    @Jörg Friedrich
    Was für den Experimentator das ideale Pendel (harmonische Schwingungen) ist für den Theoretiker der harmonische Oszillator. Das 2D Elektonengas ist übrigens auch ein Modell. Und unlängst wurde der Quanten Hall Effekt beobachtet ohne starke Magnetfelder, durch Beschuss von Bi-Sb-Kristallen mit Röntgenstrahlung, Voraussetzungen, die in der Natur durchaus auftreten könnten (nur dass den Effekt halt niemand misst…)

    Der Doppler-Effekt existiert unabhängig vom Wissenschaftler, der ihn untersucht, ebenso wie Beugung und Brechung des Lichtes (der Regenbogen ist eins der wunderschönsten Experimente, welche die Natur hervorbringt). Der freie Fall kommt in der Natur etwa am Mond vor, weil keine Atmosphäre.

    Ist Luca Toni eigentlich ein Experimentator, weil er reproduzierbar Bananenflanken tritt, wenngleich er wahrscheinlich null Ahnung vom Magnus-Effekt hat?

  14. #14 Jörg Friedrich
    Mai 15, 2009

    Der freie Fall käme auf dem Mond genau dann vor, wenn dort ein überhängendes Gebirge existierte, von dessen Spitze sich ein homogenes kugelförmiges Steinchen lösen würde. Der Doppler-Effekt würde in der Natur auftreten, wenn es da Objekte gäbe, die sich schnell über längere Zeit in eine Richtung bewegen und dabei einen gleichmäßigen Ton erzeugen. usw.

    Natürlich gibt es in der Natur Regelmäßigkeiten, und der Regenbogen ist sicherlich eine der angenehmsten. Und natürlich wird in der Natur Licht gebrochen und gebeugt, bewegen sich Gegenstände aufgrund von Gravitätionskräften usw. Aber Das, was Naturwissenschftler als “Effekte” beschreiben und im Experiment reproduzieren, kommt außerhalb des Experiments faktisch nicht vor. Von den einfachen Effekten aus der Frühzeit der exakten Wissenschaften (freier Fall, Lichtbrechung) kann man noch sagen, dass sie unter günstigen Bedingungen auch in der Natur nahezu so beobachtet werden können, wie im Experiment (schon beim Doppler-Effekt kann man das nicht mehr sagen) aber die Effekte, die in der heutigen Naturwissenschaft untersucht werden, kommen in der Natur quasi nicht vor – oder anders gesagt, sie sind so selten, dass wir sie nicht beobachten oder untersuchen könnten, dass wir sie gar nicht erkennen könnten, wenn wir sie nicht selbst schaffen würden.

  15. #15 Jörg Friedrich
    Mai 15, 2009

    @Hatori Hansen: die Frage des Verhältnisses zwischen Pendel und harmonischem Oszillator würde ich gern unter dem soeben veröffentlichten 2. Teil meiner “Nancy-Cartwright-Trilogie” diskutieren, da passt das m.E. sehr gut:
    https://www.scienceblogs.de/arte-fakten/2009/05/nancy-cartwright-der-alswennoperator.php

  16. #16 hape
    Mai 15, 2009

    aber die Effekte, die in der heutigen Naturwissenschaft untersucht werden, kommen in der Natur quasi nicht vor

    was ist z.B. mit der gesamten Astronomie? Synchrotronstrahlung beispielsweise mag zwar im Labor mit hilfe eines ringförmigen Teilchenbeschleunigers erzeugt werden, aber dieses Experiment hilft dann, die Strahlung die in Galaxien, Nebeln, Plasmen oder was weiß ich wo die dann überall vorkommt, zu verstehen und so eben genau diese Naturphänomene zu untersuchen (gerade weil hier natürliche Synchrotronstrahlung auftritt). Klar gibt es Phänomene, die so im Labor geschaffen werden (keine Ahnung, ob es organische Feld-Transistoren in gleicher Form in der Natur gibt, ich tippe auf eher nein), aber genauso werden auch natürlchie Phänomene untersucht (Teilchenzerfälle- und Kollisionen tretten ständig in der Atmoshpäre auf usw.), nur eben utner Laborbedingungen, um sie besser verstehen zu können. Dass sic hdie Naturwissenschaften so vno der Natur entfernt, kann ich nicht wirklcih verstehen, was ist näher an der Natur, als den Urpsrung von allem zu untersuchen?

  17. #17 Karl Mistelberger
    Mai 15, 2009

    Wir haben anhand der unwiderlegbaren (Variante der) Hohlwelttheorie gesehen, dass die Frage nach der Richtigkeit gar nicht das einzige Kriterium für den Nutzen einer Theorie ist. Andere Beispiele: »π ist ungleich 4« ist richtig, aber nicht so nützlich wie die falsche Aussage »π = 3,15«.

    Die Physiker, die tatsächlich was geleistet haben, wissen um das Problem:

    Niels Bohr hat das Problem in den Osterferien 1933 auf einer Schihütte beschrieben: “Mit dem Geschirrwaschen ist es doch genau so wie mit der Sprache. Wir haben schmutziges Spülwasser und schmutzige Küchentücher, und doch gelingt es, damit die Teller und Gläser schließlich sauber zu machen. So haben wir in der Sprache unklare Begriffe und eine in ihrem Anwendungsbereich in unbekannter Weise eingeschränkte Logik, und doch gelingt es, damit Klarheit in unser Verständnis der Natur zu bringen.” (aus Werner Heisenberg: “Der Teil und das Ganze”, hier schon einmal darauf hingewiesen: http://www.scienceblogs.de/zoonpolitikon/2009/01/was-ist-ein-moderater-islamist.php)

  18. #18 Hattori Hansen
    Mai 15, 2009

    Voraussetzung für die Beobachtung eines “Effekts”, dessen naturwissenschaftliche Beschreibung natürlich stets nur eine Näherung sein kann, ist meines Erachtens dennoch sein natürliches Vorkommen.

    Es ist somit eher eine Glaubensfrage, ob der Mensch auf seinem Weg durch Raum und Zeit bereits existierende “Effekte” entdeckt, (Meiner Ansicht nach ist Bose-Einstein-Kondensation seit dem Urknall naturwissenschaftlicher Fakt, produziert wurde sie halt erst vor 10 Jahren) oder selbst verantwortlich für das Auftreten selbiger ist. Ich gehe sogar soweit zu sagen, dass das Vorhandensein all dieser Effekte, die mühsam in komplizierten Experimenten erforscht werden, notwendige Voraussetzung zur Ausbildung jenes Universums ist, wie wir es heute kennen.

    Um poetisch mit der geschätzten Björk zu enden:
    All the modern things
    Have always existed
    They’ve just been waiting
    To come out
    And multiply
    And take over
    It’s their turn now

  19. #19 Ludmila Carone
    Mai 15, 2009

    @Jörg Friedrich:

    Der freie Fall käme auf dem Mond genau dann vor, wenn dort ein überhängendes Gebirge existierte, von dessen Spitze sich ein homogenes kugelförmiges Steinchen lösen würde.

    Höchstwahrscheinlich löst sich selbst auf dem Mond irgendwo irgendwann mal während eines Mondbebens ein Felsbrocken von einem überhängenden Kraterrand und fällt im freien Fall in den Krater hinein. Und eine Kugelform ist dafür exakt überhaupt nicht notwendig. Wo keine Reibung, da ist es schnurzpiepsegal, wie die Form des Körpers ist oder seine Masse.

    Der Doppler-Effekt würde in der Natur auftreten, wenn es da Objekte gäbe, die sich schnell über längere Zeit in eine Richtung bewegen und dabei einen gleichmäßigen Ton erzeugen

    Das kriegen Photonen von Sternen wunderbar hin: Sich gleichmäßig dopplerverschoben über eine längere Zeit zu bewegen. So entdecken wir heutzutage Planeten.

    Ehrlich, ich kann Ihren Definitionen hier exakt null abgewinnen. Läuft diametral dem entgegen, wie ich Wissenschaft verstehe. Es scheint mir der Versuch zu sein, krampfhaft den Menschen als Maß aller Dinge zu bestimmen. Und das zeichnet eher die Esoterik aus und nicht die Naturwissenschaft.

  20. #20 Jörg Friedrich
    Mai 15, 2009

    @Hattori Hansen: Ich glaube, wir sind gar nicht mehr so weit auseinander in unseren Ansichten. Mein Standpunkt lässt sich folgendermaßen (präziser) formulieren: Vorraussetzung für die wissenschaftliche Untersuchung von Phänomenen ist ihre Produktion, bei der Versuchsanordnungen aufgebaut werden, die der Mensch in der Natur niemals vorfindet und bei denen er damit die Gegenstände in einer Weise bearbeitet und in Konstellationen zueinander bringt, die sie in der Natur nicht haben. Ob die gleiche Konstellation irgendwo im Universum auch vorkommt, ist dabei nebensächlich, weil der Mensch für seine wissenschftliche Arbeit dieses Vorkommen nicht nutzt. Für die meisten Effekte der Naturwissenschaft ist es nahezu ausgeschlossen, dass wir sie ohne ihre Erschaffung im Experiment je gefunden hätten, dass sie ohne diese aktive Arbeit auftreten, ist ebenfalls nahezu ausgeschlossen.

    @Ludmila: Ich hatte die runde Gestalt angenommen um Taumel-Bewegungen, die den freien Fall stören würden auszuschließen. Aber es mag sein, dass diese gegenüber anderen Störungen nicht ins Gewicht fallen. Gut: Wenn bei einem Mondbeben sich von einem überhängenden Krater ein Stein löst, dan bewegt sich dieser im freien Fall. Ich habe keine Ahnung, wie oft das vorkommt. Aber würden die Wissenschftler sich mit diesem Phänomen beschäftigen, wenn sie auf die tatsächlich vorkommenden Fälle angewiesen wären? Vorraussetzung dafür, dass wir überhaupt darüber sprechen können, dass es auf dem Mond den freien Fall möglicherweise und auch nur näherungsweise wirklich gibt, ist, dass Experimentatoren diesen Effekt zuerst in sehr künstlichen Bedingungen geschaffen haben.

    Ebenso ist es mit dem Fall des von Ihnen beschriebenen Auftreten des Doppler-Effektes: dass sie ihn heute überhaupt als Effekt in den Messungen isolieren können setzt vorraus, dass er zunächst mal – auf einem ganz anderen Gebiet, künstlich in einer sehr unnatürlichen Versuchsanordnung produziert wurde. (Ob der von Ihnen beschriebene Effekt überhaupt das gleiche ist wie der ursprüngliche Doppler-Effekt und ob es sich nicht eher um eine Modell-Übertragung auf einen ganz anderen Bereich handelt, ist noch eine andere, nicht weniger spannende Frage).

  21. #21 Ludmila Carone
    Mai 15, 2009

    @Jörg Friedrich: Merken Sie eigentlich nicht, dass Sie sich mit diesem Abschnitt selbst auf das eklatanteste widersprechen?

    dass sie ihn heute überhaupt als Effekt in den Messungen isolieren können setzt vorraus, dass er zunächst mal – auf einem ganz anderen Gebiet, künstlich in einer sehr unnatürlichen Versuchsanordnung produziert wurde.

    A) Wir messen was unter Laborbedinungen.
    B) Dieses Phänomen entecken wir in der “freien Natur”.
    C) Es sieht exakt so aus wie im “künstlichen Labor”
    => Keine Gegensatz zwischen Natur und Naturwissenschaft Q.E.D.

    Die Tatsache, dass wir Messungen im Labor, hier auf der Erde auf Sterne anwenden können, ist ein Beleg für die Universalität der beobachteten Gesetzmäßigkeiten.

    Das wird bereits dadurch deutlich, dass ich Ihnen jedes Beispiel, das Sie für Bedingungen nannten, die es angeblich “in der Natur” so nicht gibt, auseinandergepflückt habe.

    Im Übrigen: Taumelbewegungen? Im freien Fall? Im Vakuum? Wenn interessieren denn Taumelbewegungen? Egal, wie ein Körper im freien Fall taumelt oder nicht. Es hat exakt null Einfluss auf die Fallgeschwindigkeit. Also jetzt fühle ich mich von Ihnen ernsthaft auf den Arm genommen. Taumelbewegungen. Mann, Mann, Mann.

    künstlich in einer sehr unnatürlichen Versuchsanordnung produziert wurde.

    Es bleibt dabei. Sie konstruieren sich mit aller Gewalt einen Gegensatz Mensch vs Natur, der einfach nicht existiert. Und den man – noch schlimmer- bei denen wiederfindet, welche der Naturwissenschaft als Bein pinkeln wollen.

    Menschen sind ebenfalls Teil der Natur, auch diese angeblich künstlichen Bedingungen sind Teil der Natur. Es heißt mit gutem Grund Naturwissenschaft. Weil die Natur da drin enthalten ist.

  22. #22 MartinB
    Mai 15, 2009

    “Problematisch wird es jedoch, […] – wenn man in die wirkliche Natur zurückkehrt”

    Aha. Es gibt also eine wirkliche Natur, und es gibt den unnatürlichen Menschen, oder wie? Die Entdeckung des Heliums durch Spektralanalyse der Sonne zeigt als Beispiel deutlich, dass die Trennung unsinnig ist – man identifiziert Spektrallinien im Labor, dann sieht man im Sonnenspektrum unbekannte Spektrallinien und weiß, dass da ein neues Element sein muss. Dem Elektron im atom ist es herzlich schnurz, ob es in einer “unnatürlichen Versuchsanordnung” oder einer “natürlichen Umgebung” existiert – seine Energieniveaus werden davon nicht angetastet.

    Vor ein paar Milliarden Jahren gab es in afrika natürliche Kernreaktoren. Die funktionierten auch ziemlich genauso wie die “unnatürlichen” Kernreaktoren.

    Das ist doch gerade der Witz der Naturgesetze, dass sie immer funktionieren und dass man sie deshalb mit Laborexperimenten studieren kann. Oder wollen wir lieber Goethe’s Farbenlehre?

  23. #23 MartinB
    Mai 15, 2009

    Den Satz hatte ich vorhin überlesen:

    “Für die meisten Effekte der Naturwissenschaft ist es nahezu ausgeschlossen, dass wir sie ohne ihre Erschaffung im Experiment je gefunden hätten, dass sie ohne diese aktive Arbeit auftreten, ist ebenfalls nahezu ausgeschlossen.”

    Man kann sich natürlich darüber streiten, was “die meisten Effekte” sind, aber alle fundamentalen Effekte der Naturwissenschaft finden natürlich auch außerhalb des Labors statt. Auch im QHE passiert mit den Elektronen ja nicht plötzlich ganz was anderes, nur weil sie im Labor sind. Die haben immer noch ne Wellenfunktion, gehorchen immer noch der Schrödingergleichung usw.

    Die Naturgesetze sind halt so kompliziert, dass sie unter speziellen Bedingungen Effekte hervorbringen können, die man ansonsten nicht sieht, aber da besteht kein fundamentaler Unterschied zwischen den “natürlichen” und den “unnatürlichen” Phänomenen.

  24. #24 Ogdan Ücgür
    Mai 16, 2009

    Ein sehr wichtiger Kommentar. Er gefällt mir sehr gut. Ich finde es richtig, daß darauf hingewiesen wird, daß wir Menschen immer wieder aufpassen müssen, daß nicht etwas zum reinen Selbstzweck verkommt. Der Zweck jedoch unterliegt ethischen Grundsätzen, nicht naturwissenschaftlichen!

  25. #25 Jörg Friedrich
    Mai 16, 2009

    @Ludmila: Sie wissen sicherlich, dass die resultierende Beschleunigung sich bei rotierenden Körpern in so einem Fall aus Fallbeschleunigung und Zentripedalkraft besteht. Ich habe mir vorgestellt, dass der Körper bei diesem Mondbeben, bei dem er sichlöst und in den Krater fällt, vermutlich erst mal eine Weile kullert und deshalb einen gewissen Spin bekommt. Der Effekt würde bei wirklich runden Körpern natürlich sich resultierend nicht auf die Fallgeschwindigkeit ausirken (wenn die Drehachse wagrecht ist) bei unregelmäßigen schon.

    Aber selbst wenn der Körper beim Mondbeben tatsächlich im freien Fall fällt hat das nichts mit meinem Argument zu tun, weil die Naturwissenschaftler, als sie begannen, den freien Fall zu untersuchen, nicht jene fallenden Mondsteine zum gegenstand hatten sondern Objekte, die sie in sehr außergewöhnliche Umstände brachten – um sie überhaupt untersuchen zu können.

    Und nein: Kein Phänomen sieht in der Natur “exakt so aus wie im Labor”. Wenn Sie natürlich die Laborbedingungen zum “Teil der Natur” erklären, dann haben Sie recht, wenn Sie Natur so auffassen, dass der Mensch in allem was er tut ein Teil von ihr ist, ja, dann ist alles Natur, dann ist ja sogar Literaturwissenschaft eine Naturwissenschaft.

    @MartinB: Es ist die Frage, was Sie als “die fundamentalen Effekte” bezeichnen. Ich sprach von den Effekten, die Naturwissenschftler in den exakten Wissenschaften untersuchen und nannte als Beispiele die Pendelbewegung des idealen Pendels, den freien Fall, den Hall-Effekt, den Doppler-Effekt. Dass den Effekten die Eigenschaften von Objekten zugrunde liegen, die sie auch auserhalb des Labors haben, ist von mir unbestritten. Aber diese Eigenschaften führen in der Natur nicht zu idealen Pendelbewegungen und auch nicht zu Laserlicht – das passiert nur durch das Eingreifen des Menschen, der entsprechende künstliche Bedingungen schafft (und sie reproduzieren kann).

  26. #26 MartinB
    Mai 16, 2009

    Na klar gibt es in der Natur Pendelbewegung, auch ziemlich ideale – wenn zum beispiel eine verpuppte Raupe an nem seidenfaden vom Baum hängt.
    Da ist dann der Einfluss der Reibung etwas größer als im IDealexperiment, das ich vielleicht im Vakuum durchführe, aber auch das ist nicht perfekt, weil der Faden elastisch ist oder sonst irgendwas. Unsere Physik ist quantitativ, nicht qualitativ – bei welcher Abweichung vom mathematisch idealen Pendel beginnt denn die Künstlichkeit?

    Ob es irgendwo einen natürlichen laser geben kann, weiß ich nicht, aber – und das ist das entscheidende – *es ist völlig egal*!
    Das Beispiel mit dem natürlichen Atomkraftwerk, das ich oben angeführt habe, zeigt hinreichend, wie absolut willkürlich diese Trennung ist.
    Oder nehmen wir die SPektralzerlegung des Lichts, von Goethe gern angeführt als Beispiel, wie der Mensch durch Experimente etwas unnatürliches tut – gibt es auch in jedem Regenbogen

    Natürlich haben Sie recht, dass es im Labor Effekte geben kann, die so in der Natur nicht vorkommen, aber was heisst das schon? Diese Aussage ist trivial und auch nicht der Aufreger hier. Der Aufreger ist die Aussage, dass es problematisch wird, wenn wir “in die wirkliche Natur zurückkehren”. Das ist schlicht und einfach Blödsinn, ein gutes Beispiel dafür ist die gegenseitige Befruchtung von Astrophysik (ganz doll natürlich) und Elementarteilchenphysik (ganz böse künstlich). Sowas sollte nach Ihrer Logik gar nicht existieren können.

  27. #27 Michael Michaelis
    Mai 16, 2009

    Eigentlich wollte ich ja hier nichts mehr sagen, und nachdem sich die Debatte mittlerweile um rutschendes Mondgestein dreht, sollte man sich nur kurz umdrehen und grußlos den Raum verlassen. Auf diesen Punkt will ich aber doch noch hinweisen:

    Wenn Sie natürlich die Laborbedingungen zum “Teil der Natur” erklären, dann haben Sie recht, wenn Sie Natur so auffassen, dass der Mensch in allem was er tut ein Teil von ihr ist, ja, dann ist alles Natur, dann ist ja sogar Literaturwissenschaft eine Naturwissenschaft.

    (Jörg Friedrich)

    Da wird ein Gegeneinander konstruiert, an dem sich schön ablesen läßt, wie Herr Friedrich denkt. Es gibt Literaturwissenschaft, und es gibt Naturwissenschaft. Daß es Literatur und Natur gibt, die gleichermaßen Gegenstand von Wissenschaft sein können, bleibt außen vor. Der Gegenstand und die Methode sind ein und dasselbe, das eine nicht ohne das andere denkbar.

    Es ist gar kein Wunder, daß hier gelegentlich der Begriff vom „Mythos“ die Runde macht: analytisches Denken sieht halt anders aus.

    Ach ja: Nebelkerzen kann man nicht bekämpfen, indem man sich mit dem, der sie wirft, darüber streitet, wo sie gerade abbrennen. Das bekommt man viel besser hin, indem man einfach mal Türen und Fenster öffnet.

  28. #28 Ludmila
    Mai 17, 2009

    @Jörg Friedrich:
    Erst geben Sie selbst zu, dass die Effekte der Natur denen im Labor dermaßen ähnlich sehen, das man sie eindeutig zuordnen kann und was fällt Ihnen dazu ein? Sie mäkeln am Wort “exakt” rum. Wenn man “exakt” ganz genau nimmt, ist kein Effekt jemals irgendwo exakt reproduziert worden. Weder in der Natur noch im Labor. Noch nicht mal im selben Labor zu unterschiedlichen Zeiten. Weil es keine perfekten Geräte gibt. Und außerdem lässt sich kein Labor dieser Welt vollständig von der “Natur” entkoppeln. was wiederum zeigt, dass diese Unterscheidung hier “Labor” und da “Natur” schlicht Quatsch ist.

    Und Ihr Gesülze zum Mondgestein übergehe ich einfach mal. Ich hab keinen Bock mit Ihnen darüber zu diskutieren, was Sie sich so auf dem Mond vorstellen. Dann können wir ja gleich über rosafarbene unsichtbare Einhörner diskutieren.

    Ich hab nun wirklich in den Diskussionen mit Ihnen alles versucht. Offene Kritik, goldende Brücken, lange Erklärungen. Es bringt alles aber irgendwie nichts. Dann halt nicht.

  29. #29 Jörg Friedrich
    Mai 17, 2009

    @MartinB: Ich stimme mit Ihnen darin überein, dass es “völlig egal ist” ob es irgendwo in der Natur “natürliche Laser geben kann” – aber meine Begründung ist eine andere: Die Laser, die es auf der Erde gibt, verdanken Ihre Existenz ausschließlich der Tatsache, dass Wissenschaftler in Laboren Bedingungen hergestellt haben, die die Gegenstände ihrer Forschung in sehr ungewöhnliche, spezielle Situationen gebracht haben. So können Effekte produziert werden, die wir in der Natur zuvor nicht beobachtet haben (und die wir zum großen Teil auch nie beobachten würden. Und indem wir diese Laborbedingungen dann massenhaft mit hinreicheder Genauigkeit reproduzieren, machen wir diese Effekte technisch anwendbar.

    Dass es problematisch wird, wenn wir mit den Ergebnissen unserer Forschungen die kontrollierbare Welt verlassen, sollte doch inzwischen jedem offensichtlich sein. Alle Probleme, die wir unter den Stichworten Technologiefolgenabschätzung Technologiefolgenforschung heute bearbeiten, sind von diese Art.

    @Michael Michaelis: Verstehe ich Sie richtig dass sie der Meinung sind, dass Literaturwissenschaft und Naturwissenschaft die gleichen Methoden verwenden? Und was bedeutet es, wenn Sie sagen Gegenstand und Methode sind ein und dasselbe, das eine sei ohne das andere nicht denkbar? Es tut mir leid, ich verstehe es nicht.

    @Ludmila: Was genau ist denn das Ziel ihrer Versuche, die sie im letzten Satz Ihres Kommentars noch einmal zusamnfassen? Dass ich widerrufe? Dass ich schreibe, Sie haben Recht und ich habe mich geirrt? Aber das kann doch nicht gelingen, wenn Sie mir einerseits das Wort verdrehen (ch hätte z.B. an dem Wort “exakt” “herumgemäkelt”) und andererseits dann genau das beschreiben, was ich die ganze Zeit sage (z.B. dass die Arbeit im Labor darin besteht, Labor und “Natur” voneinander zu entkoppeln).

  30. #30 MartinB
    Mai 17, 2009

    Langsam fürchte ich, ich habe keine Ahnung, was Sie eigentlich sagen wollen.
    Der Blog-Eintrag beginnt mit dem Satz
    “Existieren die Phänomene der Naturwissenschaften unabhängig von den Forschern, die sich mit ihnen beschäftigen?”
    Aus diesem Satz und dem was danach kam, habe ich geschlossen, dass Sie eine TRennung zwischen “natürlichen” und “künstlichen” Phänomenen postulieren, die in irgendeiner Weise fundamental ist.

    Und jetzt sagen Sie, alles was Sie sagen wollten, war, dass es Probleme im Sinne von Technologiefolgen geben kann, wenn man die Ergebnisse der Laborversuche in Technik umwandelt und dann anwendet?
    Das eine hat mit dem anderen ziemlich genau gar nichts zu tun. Dass wir Probleme bekommen können, wenn wir die Ergebnisse unserer Technik massenhaft umsetzen, ist zwar richtig, sagt aber nichts über ihre “Unnatürlichkeit” aus (was immer das genau sein soll). Dafür lösen wir schließlich auch jede Menge Probleme, wenn wir die Ergebnisse der Laborexperimente die “kontrollierbare Welt” (wie immer Sie die nun wieder genau definieren wollen, ich setze es mal mit Laborexperiment gleich) verlassen – beispielsweise, wenn mir der Augenarzt mit dem Laser die Netzhautablösung festschweißt, damit ich nicht erblinde.

    Die eigentlichen Kritikpunkte (wo ziehen Sie denn die Grenze? Ab welcher Genauigkeit wird ein Phänomen künstlich? Was ist mit Phänomenen wie dem von mir zitierten natürlichen Kernraftwerk? – sind Kernkraftwerke nun künstlich oder natürlich) haben Sie leider ignoriert. (Auch die Argumente von Ludmilla ignorieren Sie geflissentlich und gehen nur auf deren letzten Satz ein, statt sich mit den Inhalten auseinanderzusetzen, die davor kommen.)

    Auch der Laser ist kein wirklich gutes Beispiel für ein künstliches Phänomen. Halten Sie einen Rubin ins Sonnenlicht – dann gibt es Rubinfluoreszenz und die durch den Rubin sausenden Photonen sorgen für stimulierte Emission. Das gibt noch keinen wirkungsvollen Laserstrahl, weil Sie dazu nochzwei Spiegel brauchen, aber (ich komme wieder auf den Eingangssatz zurück) die “Phänomene der Naturwissenschaft” (in diesem Fall das entscheidende Phänomen der stimulierten Emission) gibt es auch in der Natur.

    Ein wenig habe ich das Gefühl, dass Sie eine ziemlich triviale Aussage (das Ende des Eintrags: Wenn ein Mensch der modernen Welt in die Natur kommt, bekommt er schnell Probleme, weil ihm die natürliche Welt so fremd ist) nehmen, und diese “Erkenntnis” nehmen Sie als Argument dafür, dass es da irgendwine fundamentale Trennung zwischen “Natur” und “Technik” gibt. Ist aber so natürlich unsinnig: Jeder Menschbekommt Probleme, wenn er in eine natürliche Ungebung versetzt wird, die er nicht gewohnt ist. Auch der !Kung oder der Inuit wird in einem europäischen Wald massive Probleme bekommen, obwohl die beide keine Naturwissenschaft betreiben.

    Vielleicht machen Sie sich doch einmal die Mühe, begriffleich etwas schärfer zu fassen, was Sie uns eigentlich sagen wollen.

  31. #31 Jörg Friedrich
    Mai 17, 2009

    @Martin B: Ich beginne mit Ihrem letzten Satz, in dem SIe mehr “begriffliche Schärfe” fordern. Leider stellt sich oft erst im Laufe so einer Diskussion wie dieser hier heraus, wie unscharf von denen, die meine Texte lesen, Begriffe verstanden werden. Der Begriff des “Phänomens” z.B. ist aus meiner Sicht für den Sinnen zugängliche Ereignisse reserviert, für das, was wir unmittelbar beobachten. Es ist “das Erscheinende”. Eine stimulierte Emission von Elektronen ist kein Phänomen, es ist ein Vorgang, mit dem Sie Phänomene erklären.

    Ich bin aber gern bereit, beim Auftreten solche begrifflichen Unschärfen zu klären. Leider kann ich aber nicht jeden Begriff, der eigentlich klar belegt sein sollte, nochmals vorab definieren. Ich hatte Beispiele für Phänomene angeführt und ich denke, auch aus den Beispielen wurde deutlich, dass Prozesse wie stimulierte Emissionen keine Phänomene sind.

    Der Rubin ist trozdem ein schönes Beispiel um den Punkt meiner Argumentation deutlich zu machen um den es im Eingang meines Textes ging. Sie sagen, sie “halten ihn ins Sonnenlicht”. Mussten Sie vorher noch etwas mit dem Rubin tun, damit es zu jener stimmulierten Emission kommt? Sie mussten ihn aus der Erde holen, Rubine liegen selten ohne Zutun des Menschen im Sonnenlicht herum. Sie mussten Ihn wahrscheinlich bearbeiten damit der Kristall überhaupt vom Sonnenlicht getroffen werden kann.

    Ohne Zutun des Menschen also keine stimulierte Emission im Rubin. Zum Lase brauchen Sie dann noch zwei Spiegel und eine Menge theoretisches Wissen oder Erfahrung und Experimentierkunst, um tatsächlich das Phänomen Laserlicht zu erzeugen.

    Ob Sie das dann noch als natürliches Phänomen oder als künstliches ansehen, ist zweitrangig, wesentlich für den Gang der Argumentation ist es, dass es durch menschiche Handlung erzeugt ist, und selbst wenn so etwas zufällig irgendwo im Universum auch einmal zufällig ohne menschliches Zutun geschieht, ist das für uns völlig unbedeutend, da das, was der Mensch untersuchen und für sich nutzbar machen kann, immer das selbst gemachte Phänomen ist.

    Sie fragen, was das Ganze mit Technologiefolgen-Problemen zu tun hat – mir scheint das offensichtlich und der Gang dieser Diskussion bestätigt mich. Wenn wir nämlich die Tatsache vergessen, dass wir die selbst produzierten Phänomene nur in sehr überschaubaren, selbst gemachten und immer wieder durch Menschen stabilisierten Umgebungen unter Kontrolle halten können, dann kommt es zu den problematischen Technologiefolgen, die wir heute überall beobachten. Außerhalb unserer engen, selbst geschaffenen, komplexitätsreduzierten Welt führt die Anwendung der so gefundenen und re-produzierten Phänomene zu unerwarteten Wirkungen und Folgen. Das ist der Zusammenhang.

    Zum Schluss: Ich habe die Inhalte von Ludmila Carone nicht ignoriert sondern darauf hingewiesen, dass sie genau das beschreibt, was ich zuvor gesagt habe. Es gibt keinen Widerspruch zwischen ihrer Aussage, dass man Effekte niemals ganz exakt reproduzieren kann, weil man Labor und Außenwelt (Sie schrieb “Natur” und setzte das in Anführungszeichen, wohl um anzudeuten, dass für sie ja auch das Labor ein Teil der Natur ist) nicht vollständig entkoppeln kann – genau dieser Versuch des Entkoppelns ist ja das, was ich als Handeln zur Produktion der Bedingungen, unter denen Phänomene überhaupt auftreten, beschreibe.

  32. #32 MartinB
    Mai 17, 2009

    Aha. In dem Satz
    “Klar ist, dass viele Untersuchungsobjekte der Naturwissenschaften ihre Existenz nur den Forschern verdanken, die sie untersuchen.” sprechen Sie aber nicht von Phänomenen, sondern von den Objekten, die untersucht werden (und damit die Phänomene an den Tag legen). Das meinte ich aber gar nicht, als ich von begrifflicher Schärfe sprach.

    TRotz der wiederholten erklärung verstehe ich nämlich immer noch nicht, was Sie eigentlich sagen wollen. Einerseits argumentieren Sie, dass mein Rubin-Beispiel nicht gut ist, wel man den Rubin erst schleifen muss (klar, aber stimulierte Emission gibt es auch in anderen Systemen, da reicht schon ein He-Ne-Gemisch oder CO2-Gas).
    Im Nachsatz sagen Sie dann aber, dass es egal wäre, auch wenn wir einen natürlichen Laser finden würden. Wenn es aber dann doch egal ist, dann verstehe ich nicht, warum Sie so viel aufhebens um die Trennung machen, die es dann vielleicht auch gar nicht gibt.

    Und weiter unten sagen Sie, dass Sie eigentlich mit Ludmilla übereinstimmen und dass es keinen Widerspruch zur Aussage gibt, dass man zwischen Natur und Labor nicht vollständig trennen kann.

    Für mich liest sich das wie
    “Phänomene, die die Menschen im Labor erzeugen, sind ganz anders als die in der Natur von selbst auftretenden, außer dass sie nur ein bisschen anders sind und manchmal auch nicht, denn dieselben Effekte wie im Labor können manchmal dann doch auch in der Natur auftreten.”

    Und das ist der Grund, warum ich nach mehr begrifflicher Schärfe gefragt habe.

    Den Bogen zur Technikfolgenabschätzung sehe ich nach wie vor nicht. Für die Technikfolgen ist es ziemlich egal, ob ein Phänomen künstlich oder natürlich ist – wenn ich, ohne Ahnung von Viren zu haben, irgendwo die Pest einschleppe ist das genauso gravierend wie wenn ich den Pestbazillus vorher im Labor gehabt habe. (Blödes Beispiel, mir fällt gerade kein besseres ein).
    Technikfolgen haben was mit dem EIngriff in komplexe Systeme zu tun, da haben Sie sicher recht, aber ob dieser Eingriff durch etwas geschieht, das vorher im Labor existiert hat oder nicht ist ziemlich wurst.

  33. #33 Michael Michaelis
    Mai 17, 2009

    Verstehe ich Sie richtig dass sie der Meinung sind, dass Literaturwissenschaft und Naturwissenschaft die gleichen Methoden verwenden?<

    Yep.

    Und was bedeutet es, wenn Sie sagen Gegenstand und Methode sind ein und dasselbe, das eine sei ohne das andere nicht denkbar? Es tut mir leid, ich verstehe es nicht.

    Das sage nicht ich, sondern so interpretiere ich Ihre Aussagen.

  34. #34 Michael Michaelis
    Mai 17, 2009

    Sorry, noch einmal:
    @Jörg Friedrich:

    Verstehe ich Sie richtig dass sie der Meinung sind, dass Literaturwissenschaft und Naturwissenschaft die gleichen Methoden verwenden?

    Yep.

    Und was bedeutet es, wenn Sie sagen Gegenstand und Methode sind ein und dasselbe, das eine sei ohne das andere nicht denkbar? Es tut mir leid, ich verstehe es nicht.

    Das sage nicht ich, sondern so interpretiere ich Ihre Aussagen.

  35. #35 Jörg Friedrich
    Mai 18, 2009

    @MartinB: Der geschliffene Rubin mit den zwei Spiegeln, das CO2-Gas, das He-Ne-gemisch, das sind die Untersuchungsgegenstände der Naturwissenschft, oder? Und sie alle sind Menschen-gemacht, auch wenn Sie sagen werden, dass es irgendwo auch natürliches CO2-gas gibt, das, was untersucht wird, ist vom Menschen zuvor für diese Untersuchung produziert und es wird in bestimmte Umstände gebracht.

    Wenn sich alle meine Erläuterungen für Sie so lesen wie “Phänomene, die die Menschen im Labor erzeugen, sind ganz anders als die in der Natur von selbst auftretenden, außer dass sie nur ein bisschen anders sind und manchmal auch nicht, denn dieselben Effekte wie im Labor können manchmal dann doch auch in der Natur auftreten.” dann muss ich für den Moment gestehen, dass ich nicht weiter weiß. Vielleich versuchen wir es bei anderer Gelegenheit noch einmal, vielleicht bin ich auch einfach wirklich unfähig, mich verständlich zu machen. Allerdings verlange ich “begriffliche Schärfe” auch bei den lesern, die meine Gedanken kritisieren, und wenn für Sie die bedeutung von “Natur und Labor nicht trennen können” das Gleiche ist wie “das Labor nicht von der Natur vollständig entkoppeln können” dann fürchte ich, dass vielleicht auch ungenaues Lesen und interpretieren eine Quelle von Missverständnissen sein kann.

    @Michael Michaelis: In der Literaturwissenschaft gibt es z.B. keine Experimente. Aus literaturwissenschaftlichen Theorien kann mein keine Prognosen ableiten – und das ist auch niemals Ziel von literaturwissenschaftlichem Arbeiten.

  36. #36 Michael Michaelis
    Mai 18, 2009

    Das ist natürlich richtig: in den Literaturwissenschaften werden keine Vorhersagen gemacht. Es gibt auch andere Unterschiede, z.B. wird hier nicht mit mathematischen Modellen gearbeitet. Anders sieht das z.B. in der Soziologie aus (eine andere Wissenschaft, deren Gegenstand nicht die Natur ist). Hier werden sehr wohl Modelle entwickelt, die zukünftige Entwicklungen vorhersagen sollen. Möglicherweise kommen die Soziologen aber aufgrund ihrer wissenschaftlichen Arbeit zu der Aussage, dass so etwas wie Vorhersagbarkeit für ihren Gegenstand prinzipiell unmöglich ist (wie Niklas Luhmann dies tut).

    Darauf kommt es m.E. aber gar nicht an. Die Ergebnisse von wissenschaftlicher Arbeit unterscheiden sich zwischen den Disziplinen naturgemäß gewaltig – nicht jedoch ihre Methode (die Definition wurde in diesem Blog schon mehr als einmal in den Kommentaren gegeben, man kann bei das Bedarf auch bei mir nachschlagen).

    Diese beiden Ebenen muss man genauso sorgfältig auseinander halten wie wissenschaftliche Methode und dem gesellschaftlichen Betrieb (an den Unis, den Forschung in der Industrie etc.), in dem man sich ihrer bedient.