Es ist viel Zeit vergangen seit ich zum letzten Mal etwas Belletristisches gelesen habe. Aber gleich der erste Griff ins Bücherregal seit langer Zeit war ein voller Erfolg. Das Buch heißt “Ruhm” und ist von Daniel Kehlmann geschrieben worden.

Im Untertitel steht “Ein Roman in neun Geschichten”. Neun einzelne Erzählungen, die man wohl auch jeweils einzeln lesen könnte ohne zu merken, dass sie Teil eines größeren ganzen sind, spielen mit der Fiktion und erzählen von der Fiktion der Fiktion.

Natürlich ist Belletristik immer Fiktion. Kehlmann macht die Fiktion jedoch zu seinem Thema. Es geht um die Fiktion, die der Autor aufbaut, wenn er eine Geschichte erzählt, und um die Tatsache (oder ist auch das nur eine Fiktion?), dass er jede Geschichte, und sei sie noch so stringent angelegt, auch anders enden lassen könnte. Es geht vor allem auch um die Fiktionen, die im Alltag entstehen und die wir aufbauen können, weil wir – per e-Mail und Mobiltelefon – jederzeit von jedem Ort aus Personen erfinden können, die wir nicht sind und Geschichten konstruieren können, die wir nicht erlebt haben.

Da lebt einer ein Stück eines fremden Lebens, weil er aus Versehen dessen Mobiltelefon-Nummer bekommt. Eine Frau sorgt sich, einmal in einer Geschichte ihres Schriftsteller-Freundes aufzutauchen, und erkennt sich kaum, als sie sich dann dort begegnet. Ein Mann verdoppelt per SMS und e-Mail sein Leben und weiß schließlich nicht mehr, welches das wirkliche Leben ist und was er darin durch seine Nachrichten tatsächlich beeinflussen kann. Sie alle sind auf unterschiedliche Weise miteinander verbunden und irgendwie voneinander abhängig – auch wenn sie nichts voneinander wissen.

Wir können Leben erfinden, die wir nicht leben oder doch gerade dadurch leben, dass wir sie erfinden. Und wir können das Leben anderer durch solche Geschichten verändern, manchmal gewollt, und manchmal ohne es je zu erfahren. Neun solcher Geschichten, die zusammen ein Roman sind, erzählt Daniel Kehlmann in „Ruhm”.

Nachtrag:
Nachdem ich diesen Text heute morgen verfasst hatte, las ich bei Twitter, dass Schnutinger das Web 2.0 verlassen will. “Schnutinger” ist eine Fiktion, erfunden von Ute Hamelmann, für viele aber sind hier fiktionale Gestalt und Erfinderin identisch. Der Grund, oder der Anlass oder der Auslöser: ausgerechnet ein Werbespot eines Mobilfunk-Unternehmens. Irgendwie könnte das die zehnte Geschichte in Kehlmanns Roman sein.