Wenn ich zu einem Bekannten sage “Häuser stürzen nicht ohne Grund ein” dann setze ich voraus, dass mein Bekannter das Wort “Haus” in der gleichen Bedeutung verwendet wie ich. Es könnte sein, dass der Bekannte mir daraufhin von einem Fall erzählt, in dem ein Bauwerk ohne erkennbaren Grund doch eingestürzt ist. Ich werde mich dann möglicherweise nach den genauen Eigenschaften des Baus erkundigen, vielleicht bestand es aus alten Brettern, die notdürftig zusammengenagelt waren, vielleicht hatte nie jemand eine Berechnung darüber angestellt, ob diese Bretter ein Dach tragen können, für mich Grund genug, dem anderen zu entgegnen: “Das, wovon du da sprichst, war kein Haus, das war eine Hütte. Und Hütten, im Gegensatz zu Häusern, die können natürlich einstürzen, ohne dass es einen erkennbaren Grund gibt.”

Und schon haben wir eine wunderbare Definitions-Diskussion. Was ist ein „Haus”?

Definitionen werden gebraucht, um die Verwendung von Begriffen zu klären. Begriffe spielen aber eine ganz unterschiedliche Rolle in der Sprache. Mich interessieren hier nur Begriffe, die Objekte der realen Welt unter Kategorien bringen. Man kann auf irgendeine Weise auf ein Ding zeigen und sagen: Das ist ein Haus. Dies da ist ein Planet. Das da ist ein Vogel. Jenes ist ein Elektron.

Manchmal ist es mit dem Zeigen nicht ganz so einfach: Die Belgier sind eine Nation. Belgien ist ein Staat. Über Westeropa bewegt sich gerade eine Kaltfront. Trotzdem ist die Verwendung der Kategorien hier ähnlich wie bei den Dingen, auf die man zeigen kann: Man spricht über etwas, was wirklich existiert und bringt es unter einen Begriff. Dadurch „wirft man es in einen Topf” mit anderen existierenden Dingen. Und daran, das man das tut, entzündet sich der Streit über den Begriff.

Begriffe können – auch in den Wissenschaften – nie so klar sein, dass sie für jedes Einzelding, das es in der Welt gibt, eine endgültige Entscheidung darüber zulassen, ob es untern den Begriff fällt oder nicht. Es fällt uns merkwürdigerweise trotzdem nicht schwer, im Alltag (auch im Alltag der Wissenschaft) mit Kategorien zu arbeiten.

Im Alltag kommt man mit dem Konzept der Familienähnlichkeiten weiter, das Wittgenstein in seinen Philosophischen Untersuchungen entwickelt hat. Viele Häuser hat Wände aus Stein mit Fenstern und Menschen wohnen darin, andere sind aus Holz und Menschen wohnen auch darin, wenn das Ding aber aus Holz ist und nur als Abstellraum dient, würden wir es vielleicht nicht Haus nennen, sondern vielleicht „Laube” und wenn es nicht für den Aufenthalt von Menschen sondern für die Unterbringung eines Nuklear-Reaktors gedacht ist, nennen wir es auch nicht Haus. Andererseits ist ein Haus ein Haus, auch wenn keiner drin wohnt oder arbeitet – wenn es leersteht oder nur als Archiv genutzt wird.

Aber hilft diese Familienähnlichkeit auch in der Wissenschaft? Kann man wissenschaftliche Theorien formulieren auf der Basis solcher Begriffe?

Vielleicht hilft eine andere Anregung Wittgensteins weiter: Auf der Suche nach dem Weg, wie wir es lernen, Begriffe zu verwenden, verweist er darauf, dass uns vielleicht verschiedene Gegenstände gezeigt werden und man uns dann sagt: „So etwas und ähnliches nennt man Häuser.”

Was man uns dann zeigt, werden weder Hütten noch Archive oder Werkhallen sein, sondern Wohn- und Geschäftshäuser. Eben typische, paradigmatische Fälle, Gebäude aus Stein, mit Fenstern, stabilen Dächern, mit Türen, durch die Menschen gehen, um in den Häusern zu leben oder zu arbeiten.

Aus paradigmatischen Fällen können wir Ideal-Fälle ableiten und für die können wir dann wunderbare Definitionen angeben. Das können wir auch für Nationen, Staaten, Planeten und Wetterfronten tun. Die Frage ist allerdings, ob das, was wir dann für die Idealfälle in der Theorie herausfinden, auch für die Fälle der Realität gilt, die ja nie „ideal” sind? Und in welchem Umfang? Und wie kann man da sicher sein?

Kommentare (4)

  1. #1 Christian
    September 4, 2009

    Diese Frage habe ich mir auch schon oft gestellt.

    In Diskussionen halte ich es deshalb so, dass ich, wenn ich merke, dass etwas nicht ganz stimmig ist, meinem gegenüber über seine Vorstellung bzw Definition von benutzten Begriffen ausfrage, um mir ein sicheres Bild machen zu können.
    Wie oft trat der Fall schon ein, dass man aneinander vorbei geredet hat.

    Da allgemein gültige Definitionen im Sprachgebrauch nicht gegeben werden können müssen diese also mitunter in Diskussionen behandelt werden.
    Ein MUSS – wie ich finde – da das Extensionalitätsprinzip zur Wahrheitsfindung unabdingbar ist.

    Gruß Christian

  2. #2 miesepeter3
    September 4, 2009

    @Jörg Friedrich

    in sehr alten Sprachen gibt es für jedes Ding ein eigenes Wort, z.B. Wasser aus Quellen, Wasser aus Flüssen, Wasser aus Teichen und Regenwasser. Hierbei gibt es keine zwei Meinungen über das, worüber gerade gesprochen wird. Wäre für die Wissenschaft toll, man braucht sich nicht vorher darüber einigen, worüber man gerade spricht.
    Bedauerlicherweise gabe es irgendwann Menschen, die diese Art der Komuniktion zu umständlich fanden für das tägliche Leben. Man benötigte einen viel zu großen Wortschatz, um sich verständlich zu machen. Und außerdem, wer war kompetent genug, ein neues Wort für einen bisher noch nie gesehenen Gegenstand zu “erfinden”?
    Sie sprechen nun einfach von Süßwasser, wenn sie die oben genannten speziellen Wasser meinen. Spart unheimlich Zeit und Energie. Will man genauer werden, so definiert man eben, über welches Süßwasser man gerade zu sprechen gedenkt. Man schafft die speziellen Bergriffe nicht ab, sondern nutzt übergeordnete Begriffe, wenn es auf die Genauigkeit nicht so ankommt.
    Dieses Prinzip kann in der Wissenschaft zu Ungenauigkeiten führen, die summiert
    unterschiedliche Begriffauffassungen ergeben.
    Dieses Überordnungsprinzip war im täglichen Umgang so erfolgreich, dass man sich bei vielen übergeordneten Begriffen die Einzelbezeichnungen spart, man braucht sie nicht mehr. In der Wissenschaft hätte man sie schon noch gebraucht und so muß diese sich viele Begriffe neu “erfinden” um eine Bezeichnung zu haben, unter der sich alle (Wissenschaftler) das gleiche vorstellen.
    Naja, einfach kann ja jeder.

  3. #3 Egozentrum
    September 11, 2009

    Und schwupps wären wir wieder da, wo wir schonmal waren: wir brauchen, so manche Philosophen, eine universelle Sprache mit klar defienierten Wörtern, die nur eine Bedeutung haben.

    Ich frage mich gerade ob irgedwo tief im Gehirn eine (Universelle?) Sprache im Sinne von Bedeutungen gibt, die nicht über Assoziationen funktioniert (bzw. elementare, natale), oder ob das Gehirn über Sprache Logik macht, womit wir bei der Definitionsfrage wieder oben wären. Doppeldeutig wäre Zirkelschluss, aber das passt nicht weil es seiner Definition nicht entspricht. Aber es ist geistreich, Doppeldeutigkeiten zu nutzen. Es gibt also Philosophen, die sind gegen Geistreichtum(-reichigkeit?). Faszienierend.

  4. #4 beka
    September 11, 2009

    @Egozentrum

    Sie haben das Problem nicht verstanden. Es steht im letzten Paragraph. Sie lesen genau das Gegenteil von dem, was in dem Artikel steht.