ScienceBlogs-Leser Gerald Fix hat uns die im Titel gestellte Frage geschickt, und führt hier aus, was der Hintergrund dazu ist:

“Im Bereich der Psychologie und artverwandten Wissenschaften werden häufig Studenten zu Experimenten herangezogen. Ein Beispiel:

Der Verhaltsökonom Dan Arely hat untersucht, ob Menschen betrügen, wenn sie dazu die Gelegenheit haben. Harvard-Studenten nahmen an einem Wissenstest teil (z.B. wie heißt der längste Fluss der Erde). Für jede richtige Antwort bei den 50 Fragen gab es einen kleinen Geldbetrag. Nach dem Test mussten die Antworten vom Antwortbogen auf einen maschinell auslesbaren Abgabebogen übertragen werden. Dabei erhielt die Hälfte der Studenten Bögen “mit Kopierfehler”, das heißt, die richtigen Antworten waren grau unterlegt. Wie viele würden betrügen?

Ich vermute, dass Harvard-Studenten nicht zu den dümmsten Exemplaren der Gattung Mensch gehören. Merken die nicht, dass genau dieser “Kopierfehler” das wesentliche Merkmal des Tests ist? Beeinflusst das Weltwissen der Studenten nicht solche Tests? Oder sind Studenten tatsächlich nur so eine Art Laborratten mit schlechterem Musikgeschmack?

Viele Grüße

Gerald Fix”

Kommentare (7)

  1. #1 knorke
    10. Juli 2021

    Derartige Tests mit Studenten sind leider sehr verbreitet.Meist mangels besserer finanzieller Möglichkeiten für die Stichprobenziehung. Der Unterschied zwischen derartigen Tests und dem Test an Laborratten dürfte sein, dass der Mensch tatsächlich der relevante Untersuchungsgegenstand ist, während die Ratte idR nur Mittel zum Zweck ist, während der Untersuchungsgegenstand selbst z.B. ein Medikament oder eine Chemikalie ist.
    Der andere wesentliche Unterschied ist, dass bei Studien an Menschen natürlich der Ethikrat ein Wörtchen mitzusprechen hat.
    Worau der Fragesteller abstellt ist, ob Studenten nicht zu schlau sind, um den Zweck zu erkennen.
    Nun zunächst mal: Ja, manchmal. Vor allem wenn es Psychologiestudenten sind. Das wird genau deswegen idR auch vermieden.
    Zudem versucht man meist, solche Prüfungen zu verschleiern, sodass der wahre Zweck der Prüfung nicht offenichtlich ist. So wie hier die Tarnung als bezahlter Wissenstest. Das ist Standardprozedere: Er wird normalerweise nicht als Verhaltenstest eingeleitet, sondern zum Beispiel als tatsächliche Prüfaufgabe oder als Test, mit dem man sich vermeintlich für irgendwas qualifizieren kann.
    Trotzdem steht das “ja”: Wenn man Student an der Uni ist und weiß, dass dort gelegentlich mal Tests gemacht werden, die andere Zwecke haben als behauptet, dann gibt es sicherlich einige, die skeptisch werden, wenn sie praktisch die richtige Lösung serviert bekommen. Das lässt sich in dem Umfeld nicht ändern. Gelgentlich befragt man die Leute nach dem Test und nachdem man sie über den Zweck aufgeklärt hat, ob sie einen dahingehenden Verdacht hatten. Auch das ist nicht wasserdicht, aber besser als nichts.

    Wenn nun – wie in diesem Falle – die Testpersonen vermuten, dass diese “Schatten” da sind um sie zu ködern, dann müssten sie ja eigentlich folgern, dass es besser ist, nichts zu verändern. Folglich dürfte sich dann im Vergleich der beiden Gruppen kein Unterschied zeigen, weil beide Gruppen keine Veranlassung haben, ihre Antwort nachträglich abzuändern. Zeigt sich dann doch ein Unterschied zugunsten der richtigen Antworten, dann hat man den Effekt, den man erwartet hat u.U. nachgewiesen.
    Es bleibt das Problem, dass man in dem Umfeld nicht sicher genug sein kann. Es ging hier in den SB ja schon ein zwei Mal auch um das Thema reproduzierungskrise und da hat grade auch die Psychologie einige klassische Experimentalerkennte die man im Grundstudium lernt plötzlich mit einem Fragezeichen versehen.
    Psychologische Experimente können ziemlich ausgefuchst sein. Dieses hier ist realtiv langweilig, muss ich gestehen. Einen großen wissenschaftlichen Mehrwert kann ich nicht darin erkennen nachzuweisen, das Studenten für Geld bereit sein können zu betrügen. Entweder war das ein Test zum “Üben” für eine Studentengruppe, oder aber die gesamte Geschichte ist komplexer gelagert. Um das rauszukriegen, müsste man dann schon das Paper lesen.

  2. #2 zimtspinne
    10. Juli 2021

    Mich hätte schon stutzig gemacht, erstens vielleicht der Geldbetrag (das waren dann ja wohl keine bezahlten freiwillige-Probanden-Tests?) und die Übertragung der Antworten auf einen Abgabebogen. Die Kopierfehler hätten der Sache dann den Rest gegeben.
    Wenn die dafür Psychologiestudenten nehmen, wäre das kompletter Unsinn, die riechen den Braten doch meilenweit gegen den Wind und kennen solche Verschleierungstaktiken der Studienziele ja auch gut genug…
    wenn das aber irgendwelche rekrutierten freiwillige Studienprobanden sind, dann machen sich viele von denen sicher gar keine großen Gedanken über die Hintergründe. Sie sind jung und brauchen das Geld.

  3. #3 Joseph Kuhn
    11. Juli 2021

    Es gibt Berge von Literatur zum Experiment in der Sozialpsychologie und zum Problem, dass Probanden darüber nachdenken, was in einem Experiment wohl untersucht wird. Ein Klassiker mit einem sprechenden Titel ist der Sammelband von Walter Bungard aus dem Jahr 1988 “Die ‘gute’ Versuchsperson denkt nicht”.

    Man könnte die Frage also so beantworten: Studenten sollen sich im Experiment möglichst nicht von Laborratten unterscheiden. Weil sie es aber tun, hat die experimentelle Sozialpsychologie besondere Replikationsprobleme.

  4. #4 Gerald Fix
    11. Juli 2021

    Vielen Dank für die Antworten. Ich fasse zusammen: Solche Experimente sind problematisch, aber die Leiter der Experimente wissen das.

    Zu #3: Witzig, der Titel des Bungard-Buchs – das Ariely-Buch heißt auf Deutsch: Denken nützt zwar, hilft aber nichts. Das klingt so, als hätten die Übersetzer Bungard gekannt …

    zu #1: Ganz so langweilig wie von mir dargestellt, ist die Sache wohl nicht. Es wurde auch unterschieden, ob die Probanden gefahrlos betrügen konnten (z.B. in dem sie selbst auswerteten). Das überraschende Ergebnis: Die Kontrollgruppe ohne Betrugsmöglichkeit hatte 64% richtige Antworten, die “Betrügergruppen” 72% und das unabhängig von ihrem Entdeckungsrisiko. Das widerspricht den Erkenntnissen aller Strafrechtler, die das Entdeckungsrisiko als wesentlichen Punkt betrachten.

  5. #5 zimtspinne
    11. Juli 2021

    Naja, die Konsequenzen im Strafrecht sind aber auch andere Kaliber [beim Erwischtwerden von Straftaten] als in diesem Experiment.
    Ich für mich könnte mir vorstellen, ganz bewusst das Risiko des Betrügens einzugehen, um mal zu gucken, was passiert. Es geht ja um nichts.
    Das ist so auf das reale Leben so wenig übertragbar wie Studienergebnisse aus einem Mausmodell im Labor auf den Menschen (im echten Leben).

  6. #6 demolog
    12. Juli 2021

    @ #5 Zimtspinne

    Naja, die Konsequenzen im Strafrecht sind aber auch andere Kaliber [beim Erwischtwerden von Straftaten] als in diesem Experiment.

    Sehe ich nicht so. Wenn die Studierenden von heute die Wissenselite von Morgen sein soll, dann ist der Effekt (die Konequenzen) nur zeitverschoben wirksam. Denn wenn diese Studierendenb erstmal gelernt haben, das “opportunistisch” sein sich auszahlt, dann wird das ein ganzes leben lang nicht mehr weggehen, ohne, das es dafür einen triftigen Grund gibt. Und ein Universitätsabschluß ist kein hinreichender Grund, eher noch ist es die Bestätigung dafür, das man mit Opportunismus durchkommt, während man mit kritischem Geist und Redlichkeit seh roft an Mauern rennt und Auffällig wird, sodass das Leben zur Last und Komplikation wird.

  7. #7 demolog
    12. Juli 2021

    Mich erschliesst es mir sowieso nicht, wieso man sich ohne Not in solche Testbedingungen begeben wollte oder muß. Und wenn dann auch noch offensichtliche betrügereinen möglich sind, dann wäre für mich der vesuch nicht nutzlos, aber korrumpierend, weil erdarauf abzielt was einem im Alltag besser nie begegnete: Das Schlupfloch zur Umgehung der zwingenden Wirklichkeiten. All das ist unredlich und allein das würde in mir einen Zweifel auslösen, der mich jeden test auf der Stelle abbrechen lassen würde. Ausserdem ist ja bekannt, wie unklar die Ergebnisse solcher Tests letztlich sind. Weil denkende Menschen über den Sinn von solchen Tests nachdenken, ist es zuweilen absurd, sie dennoch durchzu führen, weil… dieses metadenken dazu führt, das die Ergebnisse unbrauchbar werden. Es sei denn, genau das wäre die Aufgabe der Tests. Um herrauszufinden, wie es aussieht, wenn Menschen Metaebenen bedenken…
    Aber auch ,oer gerade dann würde ich mir überlegen, ob ich den Test beende, weil ich mich nicht gerne in meiner Weltenkonstruktion und Repräsentation durchschauen lasse. Der Spruch, das man seine Pläne nie bekannt gibt, ist da eine artverwandte Situation mit der Szenerie. Man sollte seine intrinsischen beweggründe nie der Offenlegung preisgeben, denn das könnte natürlich auf mich zurück fallen als konkretes Beispiel einer prolematischen Situation/Chraktere. Und das, obwohl unklar sei, ob ich un dmein Charakter überhaupt Deckungsgleich sind. Deswegen sind tests, indenen Raum zum Schummeln vorhanden ist, die legendären Spündenfallen, die das Leben anscheinend bietet, aber in denen man eher nicht hineintappen sollte und auch nicht mal in solche Situationen gebracht werden sollte.