Für uns meinungs- und informationsbefreite Mitteleuropäer fast unvorstellbar: Die Firewall als politisches Repressionsinstrument.

Wir teilen hier die luxuriöse Erfahrung des Mauerfalls — ein deutsch-deutscher wie auch ein postgeographisch-binneneuropäischer Grenzabbau. Andernorts werden mentale und digitale Mauern aber auf-, nicht abgebaut. Im großen Stil. Jetzt. Und hier:

China / Tibet
Westliche Nachrichten sind voll davon, in China jedoch will man von blutigen Unruhen in Tibet nichts gewusst wissen. Flickr, YouTube, Google News – was nicht passt, wird passend gemacht. Unliebsame Bilder und Videos werden staatlich gedeckelt. (Immerhin: mit Ankündigung des Staatsorgans Xinhua, das Zensur als „effektives Marktmanagement” bezeichnet)

Damit mag sich China mit Blick auf die Olympischen Spiele 2008 weltpolitisch zwar gründlich
selbst demontieren. Letzten Sonntag fragte die FAZ ungewohnt angespitzt, ob Peking zur “Völkermord-Olympiade” verkomme. Doch Olympia-Protest-Kampagnen wie die von Reporter ohne Grenzen gehen im Vorfeld der Spiele trotzdem am Adressaten vorbei: einer chinesischen Öffentlichkeit, die sich schon logistisch darum nicht scheren kann.

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(c) Reporter ohne Grenzen

Von außen kritisiert es sich eben leichter, doch selbst ausländische Beobachtersites sind oftmals unzugänglich. Was ist aus dem “Adopt a Chinese blog” Projekt geworden? Und warum muss die Webzensur-Abfrageseite Great Firewall of China ausgerechnet jetzt “Rekonstruktionsarbeiten” vornehmen?

Hoffnungsträger? Chinesische und tibetische Blogger (“Tibet 2.0”!) denen es gelingt, den simplen und doch perfiden Perfektionismus der „Great Firewall” zu überbrücken. Die Große Mauer ist aber nur ein Element des Zensurprogramms, das den verklärendhübschen Namen Golden Shield Project trägt. Prinzipien: Verunsicherung, Willkür, Intransparenz.

Die mediale Kontrolle Tibets funktioniert auch sonst a la “technisches Nadelöhr”: Satelliten-TV nur auf Antrag und nur für Ausländer, „Live”-Radiosendungen werden eine Woche im Voraus aufgezeichnet und mehrfach abgehört, Journalisten erhalten statt Tickermeldungen tagesaktuelle Badword-Lists etc.

Ähnlich technokratisch also auch die Netzbarrieren: Fast 220 Millionen chinesische Internet-Nutzer hängen an einer winzigen Anzahl von Glasfaserkabeln. Das Chinesische Netz posiert als hermetisches System. Lediglich 6 % der Links verweisen auf ausländische Websites.

Versuchen kann man natürlich, auf dem beliebten Google-Verschnitt Baidu nach Stichworten wie tibet+riots zu suchen. Doch die Suchergebnisse zeigen vor allem (wenig subtil), wie Propaganda-Pageranking geht — unter den ersten Hits: Sieben (!) Tote bei Unruhen, sagt Chinesische Regierung; Dalai Lama schuld an Unruhen, sagt Chinesische Regierung, und so weiter. Nun denn. Die meisten Links führen ohnehin ins about:blank Nirvana.

Iran
Die Medien westlicher Demokratien sehen es unterschwellig als ihre Aufgabe an, Bürgern die Wahlentscheidung zu erleichtern, indem sie über Parteien und Positionen informieren. Diese Auffassung ist nicht global gültig, im Iran lautet die Gleichung eher: je weniger Informationen verfügbar sind, desto besser läuft die Wahl…

Nach Auskunft der OpenNet ist das iranische Netz mit am schärfsten beschnitten weltweit — nicht nur werden ausländische Sites geblockt, auch Minderheitenparteien und religiöse Gruppierungen im Land hat das Establishment bequemerweise ausgeblendet. Das Gerücht, dass im Vorfeld der Wahlen gar das gesamte Internet im ganzen Land lahmgelegt werden sollte, hat sich allerdings nicht bewahrheitet.

Türkei
Kurioserweise hat die Türkei wenige Tage vor Beginn der chinesischen Ausfallerscheinungen re: YouTube ein ähnliches Stilmittel eingesetzt. Wie ScienceBlogger Nick Anthis daselbst persönlich erlebt hat, war dies die Strafmaßnahme für ein dort erschienenes Anti-Atatürk-Video — in der Türkei ist der “Schutz des Andenkens” des Staatsgründers per StGB geregelt, Verstöße werden mit mehreren Jahren Gefängnisstrafe geahndet.

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Über Landesgrenzen hinweg bleibt: die Frage nach den Grenzen der Meinungsfreiheit.
Was genau als blockadewürdiges Badword oder auch juristisch als illegaler Content betrachtet wird, ist ausschließlich kulturell bedingt — in Deutschland werden eben harte Pornographie- und Neonazi-Seiten geblockt.
Das ist nicht in sich falsch, gegen die unbegrenzte Zugänglichkeit von allem sprächen ja schon Jugendschutz, Rechtsnormen und überhaupt die guten Sitten… Doch die westliche Rechnung — staatlich verordnete Polit-Zensur: bähbäh, staatlich verordnete Schmutz-Kontrolle: jaja, muss wohl — ist eben auch eine sehr geschmäcklerische.
Schon seltsam, dass ehemals technische Barrieren immer mehr die Qualität mentaler Barrieren annehmen.

Kommentare (1)

  1. #1 ali
    März 20, 2008

    Ich habe vor nicht allzu langer Zeit das Thema auch aufgegriffen (Access Denied!). Ich empfehle einen Besuch auf der Seite der Open Net Initiative. Man findet da eine aufschlussreiche Karte und Berichte zu was ‘gefiltert’ wird. Man staunt was die eigenen Regierungen so machen.