Das Aquatic Center von Peking ist derzeit Ort eines beinahe unwirklichen Schauspiels: allein die ersten beiden Tage der olympischen Schwimmwettbewerbe brachten sieben neue Weltrekorde.
Die Gesichter der jubelnden Sieger sind euphorisch, sucht man nach Antworten auf diese wahnsinnigen Leistungssprünge, blickt man allerdings meist in ziemlich ratlose Mienen.
Allein der US-Schwimm-Superstar Michael Phelps war an zwei neuen Weltrekorden beteiligt, die einigermaßen fabelhaft anmuten. Gestern verbesserte der Modellathlet seine eigene Bestmarke über die 400-m-Lagen-Distanz ganz nebenbei um stattliche 1,41 Sekunden. Und wohlgemerkt: 1,41 Sekunden sind im Schwimmsport der Durchbruch in eine andere Dimension!
Und heute ließ es Phelps mit seinen Staffelkameraden der 4 x 100-Meter-Freistilstaffel nochmal richtig krachen: das Quartett verbesserte seine eigene Weltbestmarke (die erst im Vorlauf – dort war noch Cullen Jones mit dabei – aufgestellt wurde!) um weitere 3,99 Sekunden. Manche Kommentatoren sprechen von einer Sternstunde des Schwimmsports – bei anderen Beobachtern wachsen die Zweifel, ob hier alles mit rechten Dingen zugeht. (Und natürlich werden die Rekorde auch in der (Sport-)Blogosphäre diskutiert.)
Leistungsexplosionen, die Fragen aufwerfen
Denn die irrwitzigen Leistungen, die wir im Moment erleben, gehen keineswegs allein auf das Konto des Wunderkinds Michael Phelps. Seine US-Teamkameraden sorgen ja genauso für Fabelzeiten, wie Schwimmer aus Australien oder Frankreich. Und die letzten Rekorde gehen auf das Konto des Japaners Kosuke Kitajima (100 m Brust) oder der Italienerin Federica Pellegrini, die in einem Vorlauf (!) mit 1:55,45 den Weltrekord über 200m Freistil aufstellte.
Diese Rekordflut von Peking passt freilich ins Bild: allein im Jahr 2008 gab es im Schwimmsport 51 neue Weltrekorde. Wie kann das sein? Ist es plausibel, daß die Schwimmstars früher Tage soviel weniger Talent, soviel weniger Ehrgeiz und soviel weniger Trainingsdisziplin hatten?
Nur ein Beispiel: der deutsche Ausnahmeschwimmer Michael Groß (mit einer Körperlänge von über 2m und einer entsprechenden Armspannweite geradezu prädestiniert für den Schwimmsport) holte sich 1984 bei den Olympischen Spielen von Los Angeles u.a. die Goldmedaille über die 200-m-Freistil-Strecke. Seine Zeit damals: 01:47,44 min – Weltrekord!
Wie gesagt: Groß war der beste Schwimmer seiner Zeit, verfügte über hervorragende physische Ausgangsbedingungen und man darf sicher sein, daß er nach ausgetüftelten Trainingsplänen arbeitete. Michael Phelps – das zum Vergleich – schlug im März 2007 nach 01:43,86 min an. Er war damit fast 4 Sekunden schneller als Groß!
Ist der erfolgreichste Olympionike auch ein großer Sportler?
Sicher: Phelps wird in die Geschichte des Schwimmsports und der olympischen Sommerspiele eingehen. Denn der 23-jährige Athlet (mit einem Gardemaß von 1,93m und mit einer Armspannweite von 2,03m) wird bis zum Ende dieser XIX. Olympischen Sommerspiele mehr Medaillien eingesammelt haben, als irgendein Sportler zuvor.
Aber wie ist es zu erklären, daß die Zeiten eines Michael Groß, der respektvoll “Albatros” genannt wurde, im Vergleich zu Phelps so abfallen? In einem direkten Rennen würde Groß heute so weit hinter Michael Phelps zurückliegen, daß er vermutlich resigniert an den Beckenrand schwimmen würde, um sich schnell unter die Duschen zu verziehen…
Was ist das Geheminis von Phelps und Co.?
Nun könnte man einwenden, daß Phelps eben ein Jahrhundert- oder gar ein Jahrtausendtalent ist. Das Argument ist ein wenig schief, denn es ist ja (wie oben angedeutet) keineswegs nur Superstar Phelps, der die Rekordmarken purzeln lässt. Ihm tut es eine ganze Garde junger, muskelbepackter Schwimmer gleich, die allesamt mehrere Sekunden schneller unterwegs sind, als die Spitzenschwimmer von vor 15 Jahren. (Nur ein Beispiel: Beim Staffelwettbewerb von heute blieben gleich 5 Staffeln unter dem alten Weltrekord… eine Farce?!)
Die leistungsbestimmenden Faktoren sind über die Jahre gleichgeblieben. Die Leistungsentwicklung eines Schwimmers wird durch ein komplexes Wechselspiel von physischen, psychischen und technischen Aspekten bestimmt.
Kommentare (18)