Zeit für einen neuen Dies-und-Das (der letzte liegt bei 1300 Beiträgen). Er ist wie immer zur freien Diskussion gedacht.
Ein Teil der Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft. Umgekehrt geht es aber auch. Man will das eine, kleinere oder größere Problem beheben und, wie so oft, sind die Konsequenzen in komplexen, nicht-linearen Systemen mindestens unübersichtlich, wenn nicht gar derart, dass das behobene Problem manchmal wie das kleinere Übel erscheint.
Nehmen wir den Fussball. In den 70ern und 80ern nahm das Getrete ein solches Ausmaß an (vielleicht als Paradebeispiele mögen die bei der WM 82/86 niedergetretenen Spieler Sokrates, Zico und Maradona gelten), daß die FIFA meinte eingreifen zu müssen. Jedes Foul von den Dauertretern Goikoetxea [ der Schlächter von Bilbao] und Claudio Gentile wäre heutzutage eine rote Karte. Ganz zu schweigen von Schumachers berühmten Foul an Battiston, welches eher zivilrechtliche Konsequenzen verdient hätte. Also begann man die Stürmer und “Kreativen” zu schützen. Gut so. Doch plötzlich war es nicht nur etwas besser einen genialen Dribbler im Team zu haben, es war viel besser. Ein Messi oder ein Ronaldo hätten in den 80ern sehr schnell “einen auf die Socken bekommen” und ihre Anwesenheit hätte damals sicher den Sieg ihrer Mannschaft wahrscheinlicher gemacht. Sicher jedoch war er nicht. Heute aber ist ein Sieg Paderborns gegen den FC Bayern ungefähr ebenso wahrscheinlich wie ein Erdbeben der Stärke 9 in Ostwestfalen. So haben letztlich die Regeln, die in den 90ern die “Künstler” im Fussball schützen sollten, dazu geführt, dass die kommerzielle Macht der groszen Teams mittlerweile ein Titelgarant ohne Wenn und Aber ist. Überspitzt formuliert hat erst dieser erhöhte Schutz für die Messis, Ronaldos und Reus dieser Welt dafür gesorgt, dass der Mammon den Fussball so absolut regiert, wie er es jetzt tut.
Bild: “Tertiary Enrolment” bezeichnet den Anteil der Jugendlichen, die so etwas wie high school oder Gymnasium erfolgreich abgeschlossen haben und ein Universitätsstudium beginnen. Dabei bezieht sich der Anteil auf alle Jugendlichen, die ungefähr in demselben Alter sind. Bis auf Südost-Asien und das sub-saharische Afrika sind Studenten an Universitäten mehrheitlich weiblich. Bildnachweis: Economist – 7 März 2015
Oder nehmen wir ein anderes Beispiel. In einem jüngst erschienenen Paper zeigen Jeremy Greenwood und Kollegen, dass einer der wichtigsten Mechanismen, die in den Gesellschaften des 20ten Jahrhunderts für soziale Durchmischung gesorgt haben, das damalige Heiratsverhalten war. Vereinfacht gesagt, war es einst absolut kein Problem, dass der Chefarzt die Krankenschwester heiratete, während das heute sozial schon fast randwertig und nur noch in ZDF Vorabendserien für die ältere Generation zu beobachten ist. Was macht solches Verhalten heutzutage so seltsam: Nun, warum heiratet er nicht gleich die Oberärztin? Die ist genauso jung, genauso attraktiv und bringt obendrein 7000 netto monatlich in die Familienkasse. Tatsächlich meinen die Autoren belegen zu können, dass, hätten wir immer noch das Paarungsverhalten der 50/60er Jahre, die vielbeklagte soziale Schere zwischen Arm und Reich sich längst nicht so weit aufgetan hätte, wie sie es in den letzten Jahren getan hat. Was also ist passiert? Nun, Frauen schliessen mittlerweile, mehr noch als die Männer, hochwertige Ausbildungen ab und sie tun dies sogar mit größerem Erfolg als diese. Ein “Abwärtsheiraten” der Männer ist einfach keine demographische oder soziale Notwendigkeit mehr. Es wird auf akademischer und finanzieller Augenhöhe geheiratet, was natürlich zur sozialen Stratifizierung und, in gewissem Sinne, zur Versteinerung der Gesellschaft beiträgt. Wer aber derart beim Heiraten unter sich bleibt, der ist aber womöglich in jeder Hinsicht nicht mehr an den anderen sozialen Schichten der Gesellschaft interessiert. Maßlos überspitzt könnte man sagen, dass das Auf- und Überholen der Frauen, die die Männer immer deutlicher bei der Ausbildung hinter sich lassen, bei der Entstehung einer zunehmend desolidarisierten und hierarchischen Gesellschaft einen gewichtigen Anteil hat. Teil jener Kraft, die stets das Gute will und doch das Böse schafft?
PS: Wer sich für das Heiraten als ökonomisches Tauschgeschäft interessiert, dem sei auch dieses Buch empfohlen:
June Carbone und Naomi Cahn: Marriage Markets – How Inequality is remaking the american family.
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