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In alten Filmen kann man sie noch sehen: Hunderte von Arbeitern, die nach dem gellenden Schichtende-Signal in den Werkshallen aus den Toren großer Produktionsstätten quellen und in ihren kurz bemessenen Feierabend entfliehen. Sie waren nicht nur das Rückgrat der Wirtschaft. Wenn sie es so wollten, stand die Produktion. Wie war es dazu gekommen?

In den ersten Phasen der industriellen Entwicklung war die Konfliktlage eindeutig. Arbeit stand gegen Kapital, und die Arbeiterklasse trotzte den Unternehmern kraft ihrer schieren Masse und gewerkschaftlichen Organisation zunehmend Arbeitnehmerrechte und größere Anteile an der Wertschöpfung ab. Nach der dritten Industriellen Revolution, nach dem Einzug von Fließbändern, Robotern und Digitalisierung in die Produktionshallen und am Vorabend der Industrie 4.0 ist alles anders. Die Arbeitswelt hat sich verändert, die Arbeitsbedingungen, die Arbeitsverträge und die Organisation.

Römer kannten schon den Dienstvertrag

Die Pyramidenarbeiter im alten Ägypten hätten sich so etwas jedenfalls nicht in ihren kühnsten Träumen nicht ausmalen können. Wenn sie nicht taten, was ihnen befohlen worden war, spürten sie die Peitsche. Die Römer kamen da schon etwas weiter. Immerhin kannten sie den Dienstvertrag. Wenn man so will, lässt sich daraus die Existenz angedeuteter arbeitsrechtlicher Elemente erkennen. Allerdings spielten sie keine besonders große Rolle in der antiken römischen Gesellschaft, da der Großteil der Arbeiten von Sklaven erledigt wurde – etwas für die Geschichtsbücher.

Arbeitsvertrag: Lange Geschichte

Dagegen führten die Germanen ein Element ein, das bis zum heutigen Tag Gültigkeit hat, auch wenn seine Bedeutung in der Gegenwart eher ab- als zunimmt: Die langfristige Gültigkeit von Arbeitsverträgen. Dort gab es den Treudienstvertrag, der von nicht weniger als der lebenslangen Vertragsbindung der Beteiligten ausging. Bis heute ergeben sich aus Arbeitsverträgen langfristige Schutzpflichten, die auch über das Ende des Vertrages hinaus gelten. So ist es ehemaligen Arbeitsnehmern nicht erlaubt, Betriebsinterna und schon gar keine Betriebsgeheimnisse ihres früheren Arbeitgebers auszuplaudern.

Christentum brachte Wende

Das aufkommende Christentum brachte in der Betrachtung der Arbeitswelt eine Zäsur: War bis dato in der griechischen und römischen Welt die Kopfarbeit noch hoch geschätzt, während Handarbeit sich eher Diffamierungen gefallen lassen musste, war es damit bald vorbei. Der Grund war leicht einsehbar. Schließlich waren Jesus und seine Jünger, bevor sie sich darauf verlegten, predigend über das Land zu ziehen (Kopfarbeit), als Zimmermann und Fischer (Handarbeit) gestartet.

Industrialisierung: Verelendung der Massen

Nach der fortschreitenden Herausentwicklung der arbeitsteiligen Gesellschaft über das Mittelalter wurde im Zuge der immer stärker um sich greifenden Industrialisierung die Arbeit lohnabhängig Beschäftigter ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts als Bestandteil der Kapitalverwertung verstanden. Das Ungleichgewicht der Kräfte zwischen Unternehmern und Arbeitern war die unmittelbare Konsequenz. In der Folge kam es im 19. Jahrhundert zur Verelendung breiter Massen der arbeitenden Bevölkerung und zu unhaltbaren sozialen Missständen. Letztlich war dies der Hintergrund für die Entstehung des Kinderarbeitsverbots, des Jugendschutzes sowie schließlich der Sozialversicherung.

Erste Gewerkschaften: Weiter Weg

Von der Gründung erster vereinzelter Arbeiterorganisationen bis hin zur Herausbildung schlagkräftiger Gewerkschaften, die auf Augenhöhe mit den Arbeitgebern Tarifverträge erstritten und politischen Einfluss nahmen, war es ein weiter Weg. Er führte zunächst nicht über eine sich erhebende industrielle Arbeiterschaft, die zu diesem Zeitpunkt noch nicht ausreichend zahlreich war, sondern im Wesentlichen über Handwerksgesellen. Die Vereine, die gegründet werden, machen sich zunächst die Hilfe zur Selbsthilfe zum Ziel, kümmern sich um Unterstützung bei Krankheit und in Sterbefällen von Handwerksgesellen.

Weberaufstand und anderer Boykott

Die Gesellen empfinden die sich verändernde Arbeitswelt als einen Angriff auf ihre Perspektiven. Der Plan von der Gründung des eigenen Meisterbetriebs scheint in Gefahr zu geraten, der schnell ansteigende Maschineneinsatz erscheint ihnen als Entwertung ihrer handwerklichen Fähigkeiten und Kompetenz. 1844 kommt es zum Weberaufstand, zu Boykottaktionen und politischem Protest. Handwerksgesellen gründen auch die ersten Vereine, die außer anderem auch mit weitgehenden Forderungen nach Demokratisierung antreten. Einer von ihnen ist der Bund der Gerechten, der sich 1847 unter dem Einfluss von Karl Marx und Friedrich Engels in den Bund der Kommunisten umbenennt.

Marx‘ und Engels Kommunistisches Manifest

Ein Jahr später veröffentlicht der Bund die Thesen des Kommunistischen Manifests von Marx und Engels, das ein Jahr zuvor in London erschienen war. Allerdings ist es seiner Zeit noch um einiges voraus. Denn es gibt zu diesem Zeitpunkt noch kein massenhaftes Proletariat, das sich aus dem Druck seiner Verelendung in der Marx‘schen Klassenlogik gegen das Kapital erheben und sich das Eigentum an den Produktionsmitteln sichern könnte. Es gibt auch noch keine kampfbereite Arbeiterorganisation, ja nicht einmal ein Klassenbewusstsein der Industriearbeiter. Der große Einfluss des Kommunistischen Manifests auf die Arbeiterschaft wird sich erst Jahre später entfalten.

Märzrevolution brachte Durchbruch

Allerdings: Eine wichtige Voraussetzung für die Formulierung spezifischer Interessen und Forderungen der Arbeiterschaft sowie für die Herausbildung einer entsprechenden politischen Bewusstseins wurde schon sehr bald gelegt: Die Märzrevolution von 1848 brachte in dieser Beziehung einen Durchbruch. Die Revolution war eine von Bürgern, Handwerkern, Arbeitern und Bauern getragene Erhebung gegen die Fürsten der Nationalstaaten im Deutschen Bund.

Die Revolution zerfiel

Aber die Interessenlagen der Beteiligten waren zu unterschiedlich. Das Bürgertum und die Handwerker wollten sich von fürstlicher Bevormundung und Standesordnungen befreien, die Arbeiterschaft sich von der sozialen Verelendung und die Bauern wollten die Leibeigenschaft loswerden – Forderungen, die sich nicht unter eine Decke bringen ließen. So schaffte es das  Berliner „Zentralkomitee für Arbeiter“ mit seinen Forderungen am Ende nicht einmal auf die Tagesordnung, der Paulskirchenversammlung, die angetreten war, eine Nationalverfassung zu verabschieden. Zudem verfügten die Revolutionäre nicht über die erforderlichen militärischen Mittel, ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Am Ende zerfiel die Revolution, und die Obrigkeiten gewannen die Macht zurück.

Organisationen bilden sich

Aber auch wenn die Revolution im Ergebnis gescheitert war – vergeblich war sie keineswegs. Das politische Bewusstsein von der Veränderbarkeit der Verhältnisse war geweckt und verschaffte sich innerhalb der nachfolgenden 150 Jahre Raum. Die in der Paulskirche festgeschriebene Presse-, Versammlungs- und Vereinsfreiheit führten zu unterschiedlichsten Organisationsformen, Arbeiter- und Gesellenvereine bis hin zu ersten Gewerkschaften. Die schnell steigende Produktivität der Wirtschaft brachte es zudem mit sich, dass aufgrund immer deutlicher werdender Verteilungsspielräume in der Folge Gewerkschaften in der Lage waren, als Gegenüber von Arbeitgebern und Politik auf Augenhöhe den Interessen der lohnabhängigen Beschäftigten zunehmend Geltung zu verschaffen. Ihre Geschichte und Erfolge feiern sie in jedem Jahr zum ersten Mai.

Arbeitnehmerrechte und „Smart factory“

Wegen der rasanten Änderungen unserer Welt und den technologischen Entwicklungsschritten der Wirtschaft müssen Arbeitnehmerrechte immer wieder in neuem Licht betrachtet werden. „Smart factory“ beschreibt heute die Perspektive der Wirtschaftswelt im Prozess der 4. Industriellen Revolution: Die Kommunikation zwischen Werkstücken, Produktionsmaschinen, Logistiksteuerung Beschäftigten und Kunden macht früher Undenkbares möglich. Die Produktion auf Abruf, die Online-Vergabe von Teilaufträgen, die kurzfristige projektbezogene Bindung von Arbeitnehmern, ohne langfristig gültige Arbeitsverträge.

Von Arbeitsort bis Mitbestimmung

Auf dem Prüfstand stehen damit Faktoren, die noch vor wenigen Jahren kein Thema waren – etwa der Arbeitsort: In der jetzt entstehenden digitalen Arbeitswelt ist der Zugriff auf Produktionsmittel, Steuerungsmechanismen und Personal nicht mehr zwingend an den Produktionsort gebunden. Die gegenwärtige Corona-Pandemie zeigt, wie leicht sich auch andere Einsatzorte der Beschäftigten integrieren lassen. Eng im Zusammenhang damit steht auch die Arbeitszeitregelung. Der Vorteil der individuellen Arbeitszeit und die bessere zeitliche Abstimmung zwischen Beruf und Freizeit haben ihren Preis. Der Arbeitnehmer ist über Handy und E-Mail praktisch durchgängig und Arbeitszeitübergreifend erreichbar. Zudem droht eine Aufsplittung der eigentlichen Arbeitszeit.

Datenschutzrelevante Fragen

Untersuchungen zeigen, dass Angestellte im Homeoffice mehr arbeiten als im Büro. Die digitale Vernetzung zwischen Produktions- und Einsatzort erlaubt darüber hinaus auch die Kontrolle von Arbeitszeit und Arbeitsergebnis sowie Bewegungsprofile, sofern die gleichzeitige private und berufliche Nutzung von Kommunikationsmitteln angeordnet oder verabredet ist. In diesem Zusammenhang stellen sich auch dringend zu beantwortende datenschutzrechtliche Fragen.

Fragen gibt es vor dem Hintergrund der Vierten Industriellen Revolution auch im Zusammenhang mit den Schutzrechten der Arbeitnehmer, ihrem Versicherungsschutz durch Berufsgenossenschaften oder der Pflichtmitgliedschaft in gesetzlichen Versicherungen. Darüber hinaus bedürfen je nach Entwicklung der Arbeitsverhältnisse auch etliche Aspekte der Arbeitsnehmer-Mitbestimmungsrechte einer neuen Bewertung.

Autor:

Martin Renken studierte Geschichte und Wirtschaftswissenschaften und war jahrelang als Redakteur bei einer deutschen Tageszeitung angestellt. Sein Hauptinteresse lag und liegt auf Themen rund um die Arbeitswelt und Globalisierung.