Man muss kein Kreationist sein um die Frage, ob Darwin „recht hatte” mit einem klaren „Ja, aber…” zu beantworten. Das Problem, welches uns von einem endgültigen „Ja.” abhalten sollte,liegt darin, dass natürlich keine Theorie alles erklären kann, was an Fakten tatsächlich vorliegt.
Die schlichten Fakten sind den Evolutionsbiologen bekannt. Um es vorweg zu schicken, die Probleme sind nicht von der Art, dass sie eine Krise in der Wissenschaft auslösen könnten oder geeignet wären, Gegnern der Evolutionstheorie Argumente zu liefern. Wie Prof. Joachim Kurtz, Evolutionsforscher an der Universität in Münster anlässlich seines Vortrages zur Eröffnung der Ringvorlesung „Hat Darwin Recht?” vor einer Woche in Münster erklärte, war Darwin selbst durchaus klar, dass beispielsweise die Erklärung der tatsächlichen Entstehung von Arten durch den Mechanismus der natürlichen Zuchtwahl (oder natürlichen Auslese) der schwierigste Teil seiner Theorie ist.
Darwin selbst hat das ganze sechste Kapitel seiner “Entstehung der Arten” den „Schwierigkeiten der Theorie” gewidmet und dabei dem Problem, wie mit dem Prozess der natürlichen Auslese die tatsächliche Entstehung abgegrenzter Arten zu erklären ist, besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Es ist besonders bewundernswert an Darwin, dass er die Schwierigkeiten seiner Theorie nie verschwieg, sondern offen benannte und Hypothesen suchte, mit denen die offenen Fragen geklärt werden könnten.
Um das Problem zu verstehen ist es sinnvoll, sich die Situation zu einem beliebigen vergangenen Zeitpunkt der Evolution vorzustellen, z.B. den Moment, als die ersten Ur-Affen, die die Vorfahren aller heute lebenden Affen und der Menschen waren, die Erde bevölkerten. Nach Darwins Theorie hat dann bei einem dieser Affen eine zufällige Veränderung des Erbmaterials dazu geführt, dass dieser besser als seine Artgenossen an die Umweltbedingungen angepasst war. Dieser Vorteil sorgte dafür, dass dieser Affe mehr überlebende Nachfahren hatte als seine Artgenossen.
Im Laufe der Zeit breitet sich dieser Vorteil innerhalb der ganzen Art aus, irgendwann haben entweder alle Mitglieder der Art das entsprechende Merkmal oder wenigstens ein großer Teil, während andere Affen andere vorteilhafte Merkmale haben. Durch ständige Neukombination werden diese Merkmale miteinander kombiniert, was wiederum, bei veränderlichen Umweltbedingungen, ein Vorteil für das Überleben sein kann.
Nur eine neue Art entsteht auf diese Weise nicht. Sobald eine Veränderung des Erbmaterials nämlich dazu führt, dass sein Träger seine Erbinformationen nicht mehr mit allen Exemplaren der Art austauschen kann, verschlechtern sich seine Reproduktionschancen.
Für die Wissenschaft ist das wie gesagt kein Grund, ins Lager der Kreationisten zu wechseln, es handelt sich um nicht mehr als die ganz normale wissenschaftliche Herausforderung, die Theorie zu erweitern, ihre Grenzen zu erkennen und die Ursachen für das zu finden, was bisher noch nicht verstanden ist. Hier liegt ja überhaupt der Unterschied zwischen Wissenschaft und einer Denkrichtung wie dem Kreationismus: Während die ersteren Schwierigkeiten einer Theorie als Herausforderung für die Weiterentwicklung oder Verbesserung dieses Systems oder auch der Entwicklung eines neuen sehen, versuchen letztere aus solchen Problemen das Scheitern des ganzen Projektes Wissenschaft abzuleiten.
Inzwischen sind einige Mechanismen bekannt, die bei Zugrundelegung der Darwinschen Grundideen die Artenbildung verständlich machen. Geografische Aufspaltungen der Lebensräume gehören dazu, aber auch Mechanismen der sexuellen Auswahl, die dazu führen, dass bestimmte genetische Ausprägungen der Art sich bevorzugt miteinander kombinieren, sodass über lange Zeit Populationen entstehen die aufgrund der Vielzahl der Unterschiede keine gemeinsamen Nachfahren mehr hervorbringen können.
Darwins 150 Jahre alte Theorie hat also das gleiche Schicksal wie viele andere Theorien: Sie war bei ihrer Entstehung genial, aber sie hatte ihre Grenzen, sie musste erweitert und verändert werden, so wie z.B. auch die Newtonsche Mechanik durch die Relativitätstheorie erweitert wurde. Und in beiden Fällen ist diese Weiterentwicklung und Veränderung auch heute natürlich nicht zum Stehen gekommen. Immer wieder gibt es neue Probleme, die als Herausforderungen verstanden und bearbeitet werden.
Bleibt die Frage, warum wir über Darwins Theorie so ganz anders sprechen als über die Klassische Mechanik. Dass Newton von Einstein widerlegt wurde, dass das Michelson-Experiment die klassische Mechanik falsifiziert hat, kommt uns leicht von den Lippen, ohne dass jemand damit Newtons Leistung schmälern würde.
Dass die Evolutionstheorie im Laufe der letzten anderthalb Jahrhunderte Darwin falsifiziert hätte, wird kaum ein Forscher äußern, im Gegenteil, auch Prof. Kurtz sagt, auf die Frage, die der Ringvorlesung den Namen gab, die Darwinsche Theorie sein eine der am besten bestätigten Theorien überhaupt.
Damit hat er, in einer bestimmten Lesart, sicher Recht, aber in dieser Lesart ist auch Newtons Theorie eine der am besten bestätigten Theorien. Jede neue Runde, die die Erde um die Sonne vollführt, bestätigt die klassische Mechanik, jeder Apfel, der zu Boden fällt und jedes Uhrpendel. Beide Theorien haben ihre Erklärungskraft und ihre Grenzen.
Dass auch Wissenschaftler über Darwins Theorie anders reden als über Newtons liegt vielleicht daran, dass Darwins Theorie noch immer verteidigt werden muss gegen Leute, die das Prinzip der Evolution grundsätzlich infrage stellen. Aber die Wortführer dieser Evolutionsleugner kennen die Grenzen von Darwins Theorie sicher ganz genau. Deshalb ist es vielleicht das Beste, auf die Frage „Hat Darwin recht?” ganz gelassen zu antworten: „Nein, weil keine wissenschaftliche Theorie über die absolute Wahrheit verfügt. Es gibt Dinge, die konnte Darwin erklären, und es gibt andere Dinge, mit denen mühen wir uns noch heute ab. Aber es gibt sicher für alles eine Erklärung.”
Ich danke Herrn Prof. Kurtz für die kritische Durchsicht des Textes.
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