Am 25. Januar 2018 um 23:20:07 MEZ hob eine Ariane 5 Typ ECA von der ELA-3-Startrampe des Centre Spatial Guyanais ab [1], besser bekannt als Weltraumbahnhof Kourou in Französisch-Guyana. Mit an Bord waren zwei Nachrichtensatelliten, SES-14 des luxemburgischen Satellitenbetreibers SES, vielen vielleicht bekannter als Betreiber der ASTRA-TV-Satelliten, sowie Al Yah 3 des Betreibers Al Yah Satellite Communications Company aus den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE). Diese Satelliten sollte die Ariane auf den Weg zur geostationären Umlaufbahn in 35786 km Höhe über dem Äquator bringen, 42164 km vom Erdmittelpunkt entfernt, wo sie die Erde synchron mit deren Rotation umkreisen würden, so dass man sie von der Erde aus mit fest installierten Antennen an ortsfester Stelle am Himmel würde anpeilen können, wie wir das von TV-Satelliten gewohnt sind.
Um die geostationäre Bahn zu erreichen, sollten die Satelliten von der Ariane auf einem sogenannten supersynchronen Transferorbit ausgesetzt werden, einer elliptischen Bahn, die etwas mehr Höhe als die geostationäre Bahn im erdfernsten Punkt erreicht – in diesem Fall war der erdnächste Punkt in 249 km und der erdfernste in 45234 km Höhe über der Erde bei einer Bahnneigung von 3,0° zum Äquator geplant. Aus diesem Orbit sollten die Satelliten leicht aus eigener Kraft auf ihre geplanten Orbitalpositionen 47,5 Grad West vor der Küste von Brasilien bzw. 20° West mitten über dem Atlantik manövriert werden können. Zu diesem Zweck und um ihre Positionen trotz Störungen durch die Gezeiten von Sonne und Mond für die geplante Betriebsdauer halten zu können, verfügen die Satelliten über Triebwerke zum Manövrieren. Der verfügbare Treibstoff begrenzt somit auch ihre Lebensdauer im geostationären Orbit.
Es war der 97. Start einer Ariane 5, die seit Dezember 2002 und dem damaligen Absturz einer Ariane 5 gleichen Typs aufgrund eines Triebwerkfehlers nicht weniger als 82 makellose Missionen hintereinander abgeliefert hatte.
Der Start wurde von zahlreichen Zuschauern am Strand von Kourou beobachtet. Diese stellten auch ein paar Videos vom Start ins Netz, unter anderem dieses:
Bei 1:10 sieht man, wie die Rakete dicht am Mond vorbei fliegt, der sich zur betreffenden Zeit 84° hoch am Himmel und damit fast im Zenit über den Beobachtern befand. Die Rakete flog also fast über die Köpfe der Zuschauer in Kourou hinweg.
9 Minuten und 26s nach dem Start verlor die Bodenkontrolle in Kourou dann den Kontakt zur Rakete. Im live gesendeten CNES-Webcast, von dem es hier eine gekürzte Aufzeichnung gibt, verschwinden in diesem Moment die Geschwindigkeits- und Höhenanzeigen; der Webcast schreitet allerdings zunächst fort, als sei nichts Besonderes vorgefallen. Die Datenanzeigen kehren nicht wieder.
Erst eine Stunde nach dem Start trat Stéphane Israël, CEO von Arianespace, dem Betreiber der Ariane-Raketen, vor die Presse und erklärte, dass man kurz nach der Zündung der zweiten Stufe den Kontakt zur Rakete verloren habe. Man gehe davon aus, dass die Satelliten im Orbit ausgesetzt worden seien, habe aber auch zu diesen noch keinen Kontakt. Man benötige noch Zeit, um festzustellen, wo sich die Satelliten tatsächlich befänden und was die Konsequenzen der Anomalie seien. Schließlich bat er die Kunden um Entschuldigung für das enttäuschte Vertrauen und verwies darauf, wie riskant Raumfahrt eben sei.
Tatsächlich gelang es den Betreibern noch in der Nacht, Kontakt zu den ausgesetzten Satelliten herzustellen. Allerdings fanden sie sich nicht auf der gewünschten Umlaufbahn, sondern in einem Orbit, der bei einer Erdferne von 43200 km rund 2000 km niedriger als geplant ausgefallen war, was nicht tragisch war, der jedoch um 20,64° statt der geplanten 3,0° gegen den Äquator geneigt war, und das war ein Problem, denn es kostet viel Treibstoff, die Bahnebene so gravierend zu kippen, was die Betriebsdauer der Satelliten potenziell stark verkürzen könnte. So wurde die Mission als partieller Fehlschlag verbucht.
Eine Rakete auf Abwegen
Anhand des obigen Videos vom Strand in Kourou und weiteren von anderen Orten aus ließ sich recht schnell rekonstruieren, was schief gelaufen war, und dies wurde in einer Pressemeldung von Arianespace am Tag nach dem Start schon bestätigt [2]: die Rakete war in die falsche Richtung, ca. 20° zu weit Richtung Süden gestartet! Statt geradewegs in Richtung Osten (Azimut 90°) startete sie in Richtung Ost-Südost (Azimut 110°). Sie hätte natürlich niemals so dicht vorbei an bewohntem Gebiet und die Zuschauer am Strand fliegen dürfen. Nie zuvor war eine Rakete vom Weltraumbahnhof Kourou so weit nach Süden abgewichen. Für den etwaigen katastrophalen Absturz der Rakete sowie den Abwurf der Feststoffbooster waren entsprechende Sperr- bzw. Warnzonen über dem Atlantik eingerichtet worden. Tatsächlich sind die Booster und die erste Stufe nun irgendwo 200 km bzw. 1100 km weiter südlich als angekündigt ins Meer gefallen und hätten potenziell Schiffe oder Inseln gefährden können, und eine explodierte Rakete hätte gar Trümmerteile und toxische Treibstoffe über Kourou regnen lassen können.
Die Tracking-Station in Natal/Brasilien konnte nach dem Start keinen Kontakt mit der Rakete aufnehmen, die sie in Richtung ihres nominellen Kurses erwartete. Einer Station auf der Insel Ascension erging es ähnlich und durch die Abweichung nach Süden kam sie gar nicht erst in Reichweite der Tracking-Stationen Libreville/Gabun und Malinidi/Kenia in Afrika, was den anhaltenden Kontaktverlust erklärt.
Die Online-Ausgabe von La Tribune [3] berichtete am 30. Januar darüber, dass bis zu diesem Flug die beiden beteiligten Firmen ArianeGroup (zuständig für den Bau der Rakete) und Arianespace (zuständig für ihren Betrieb und die Vermarktung) stets die Raketenparameter gegengecheckt hätten, was aus Gründen der Kostenersparnis bei diesem Flug erstmals unterlassen worden sei. Die Firma ArianeGroup sei alleine für die Programmierung zuständig gewesen und habe einen Fehler begangen, der “den übelsten russischen Raketen-Gags würdig” sei.
Untersuchungsergebnisse
In Zusammenarbeit mit der ESA wurde zügig eine unabhängige Untersuchungskommission unter der Leitung des ESA-Generalinspektors Toni Tolker-Nielsen eingesetzt, deren Ergebnis am 23. Februar in einer Arianespace-Pressemeldung veröffentlicht wurde [4]. Die Anomalie sei vollständig verstanden und Handlungsempfehlungen seien an die Betreiberfirmen Arianespace und ArianeGroup kommuniziert worden. Die Ursache sei eine falsche Programmierung des Trägheitsnavigationssystems der Rakete gewesen. Ansonsten habe die Rakete perfekt funktioniert und geplante Ariane- und Sojus-Missionen im März seien nicht betroffen, vorausgesetzt die Empfehlungen der Kommission würden sofort umgesetzt.
In einem auf dem Untersuchungsbericht beruhenden Artikel von SeraData [5] wird näher ausgeführt, dass ein bisher nie zuvor von einem Kunden geäußerter Sonderwunsch von SES zu dem Problem geführt habe, und zwar ihren Satelliten am Ende der Mission im rechten Winkel zur Flugrichtung der Rakete auszusetzen. In einer vollständigen Aufzeichnung des Webcasts sieht man dann auch in der Simulation, dass vor dem Aussetzen von SES-14 die gesamte Oberstufe der Rakete um 90° seitwärts gedreht wird (Link zur entsprechenden Stelle im Video) bis sie im Augenblick des Aussetzens im Winkel von 90° zur Flugrichtung weist (Bild unten).
Das Problem scheint nun gewesen zu sein, dass beim Aussetzmanöver eines der Trägheitsnavigationsysteme der Ariane bei der üblichen Kalibrierung seinen Nullpunkt unterschritten hätte, was anscheinend nicht zulässig war. Dies wollte man offenbar vermeiden, indem man das Trägheitsnavigationssystem mit einem Azimut-Offset von -20° kalibierte, so dass es bei einem Start nach Osten (90° Azimut) nur 70° Azimut ausgab. Damit die Rakete trotzdem exakt in Richtung Osten abhob, musste man folglich eine Azimutvorgabe von 70° programmieren. Das alles hat dann beim Aussetzen des Satelliten auch wunderbar funktioniert. Nur hatte man es am Ende versäumt, die übliche 90°-Zielvorgabe für den Startazimut dann auch auf 70° anzupassen. Und so flog die Rakete in gutem Glauben, sie sei auf 90°-Kurs, in Richtung 110° Azimut davon…
Weil diese Programmierung ein Spezialfall abseits der Norm war, fiel sie bei den Kontrollen zur Qualitätssicherung nicht auf, und so nahm das Unheil seinen Lauf. Ob der entfallene Gegencheck durch Arianespace einen Unterschied gemacht hätte, bleibt unklar. Für die Zukunft empfahl die Untersuchungskommission jedenfalls beiden Firmen eine robustere Kontrolle der Daten.
Warum hat man die Rakete nicht zerstört?
Trotz der Untersuchungsergebnisse bleiben Fragen über den Ablauf der Mission. Laut Spaceflight101.com [1] ist in den Regularien – zumindest für Sojus-Starts, die aber auch für Ariane-Starts gültig sein dürften – ein Startazimut zwischen -10,5° und 93,5° zulässig. Die Rakete flog mit 110° weit außerhalb des Korridors und hätte nach Vorschrift eigentlich sofort gesprengt werden müssen. Vier Personen sind für die Auslösung der Selbstzerstörung verantwortlich: der Telemetry Officer überwacht den Zustand der Rakete selbst; ihm dürfte nichts Ungewöhnliches aufgefallen sein. Der Deputy Safety Officer kann anhand zweier Bildschirme den Ort der Rakete und die nominelle Flugbahn in der Vertikalen und Horizontalen überwachen, und hätte eigentlich binnen 15 s bemerken müssen, dass die Rakete vom Kurs abwich, und somit den Chief Safety Officer informieren müssen, der die Selbstzerstörung per Funkbefehl auslösen kann und dem die letzte Entscheidungsgewalt darüber obliegt. Dazu gab es noch einen Backup-Operator, der für jeden der drei anderen hätte einspringen können. Laut einem Tweet von Peter B. de Selding, Redakteur der Zeitschrift SpaceIntelReport, hätten Industrievertreter verlauten lassen, dass man die Gefahr, die lokale Bevölkerung durch die Sprengung der Rakete zu gefährden, gegenüber dem Risiko einer Fortsetzung des Fluges abgewogen habe und man sich daher für die Fortsetzung entschieden habe. Im Nachhinein scheint die Entscheidung riskant gewesen zu sein, aber sie hat die Mission jedenfalls gerettet.
Die zuständige französische Forschungsministerin Vidal bestritt später vehement, dass die Rakete Kourou überflogen habe [6], was in strikter Auslegung auch stimmt, aber gemäß dem obigen Video kam die Rakete einem Überflug bedenklich nahe, und Trümmer streuen bekanntlich, wenn sie aus großer Höhe herunterfallen.
Eine gesonderte Untersuchung zu Sicherheitsfragen soll noch im Gange sein.
Etwas merkwürdig war die Nicht-Reaktion der Techniker im Kontrollraum bis ca. 3 Minuten nach dem Abbruch der Kommunikation, als erstmals besorgte Gespräche einiger Techniker zu beobachten waren. Bis zum Telemetrieabriss konnte man auf dem Bildschirm die Kursabweichung der Rakete verfolgen. Das Bild unten zeigt einen Bildausschnitt aus dem Webcast 7 Minuten und 46s nach dem Start, als noch Telemetrie und damit Positionsdaten empfangen wurden:
Nach dem Abriss der Telemetrie zeigt die Karte die Rakete jedoch wieder scheinbar auf Kurs. In Abwesenheit von Positionsdaten wurde offenbar auf die Darstellung der geplanten Bahn umgeschaltet, was bei normalem Flugverlauf auch sinnvoll gewesen wäre. In diesem Fall kaschierte es allerdings die Kursabweichung.
Der Webcast inklusive Kommentaren und auch der Twitter-Feed gingen weiter, als ob alles nominell sei, und Ereignisse wie das Aussetzen der Satelliten wurden als Tatsachen dargestellt, obwohl es keinerlei Bestätigung dafür gab.
Können die Satelliten gerettet werden?
Die mehr als 17° Abweichung in der Bahnneigung bedeuten eine erforderliche Geschwindigkeitskorrektur von 1100 m/s [1] oder fast 4000 km/h, welche die Satelliten mit eigenem Antrieb aufbringen müssen.
Man kann jedoch laut [1] alternativ auch einfach eine Weile abwarten, denn die Bahn ist durch Störungen von Sonne und Mond nicht ortsfest, sondern präzediert, d.h. ihre Schnittlinie mit der Ebene der Erdbahn um die Sonne rotiert langsam. Wenn man genug Geduld aufbringt, bis die Bahn in die Nähe der gewünschten Bahn um den Erdäquator gedriftet ist, soll sich die notwendige Korrektur auf lediglich 165 m/s (ca. 600 km/h) beschränken.
Beide Satelliten verfügen über Treibstoffreserven, allerdings auf Kosten der Betriebsdauer. SES-14 ist dafür ausgelegt, seinen Orbit auch beim Start mit der weniger leistungsfähigen SpaceX Falcon-9-Rakete dank effizienter Ionentriebwerke erreichen zu können. Laut Spaceflight Now [7] soll SES-14 die geplante Orbitalposition nun in 9 statt 5 Monaten erreichen können und die Treibstoffreserven sollen danach noch für die nominelle Lebenszeit von 15 Jahren ausreichen. Bei Al Yah 3 ist es komplizierter, er verfügt über einen chemischen Antrieb zum Einschuss in den geostationären Orbit, dem nicht genug Treibstoff zur Verfügung stehen wird, um diesen direkt zu erreichen, und zusätzlich über Ionentriebwerke zum Manövrieren, die den Satelliten nun auf seine Bahn hieven müssen. Über Al Yah 3 fand sich keine Quelle mit einer Einschätzung über die Verkürzung seiner Betriebsdauer, nur eine von La Tribune [4] zitierte Aussage von Experten, dass die Korrektur einer solchen Bahn ein Drittel bis zur Hälfte der Betriebszeit eines geostationären Satelliten kosten könnte. Mit entsprechender Geduld sollte für Al Yah 3 eher der kleinere Wert zutreffen. Jedenfalls soll dieser Satellit ebenfalls noch in diesem Jahr seine vorgesehene Orbitalposition erreichen und in Betrieb gehen.
Fazit
Der Flug der Ariane 5 VA241 stellt sich als typischer Fall von Spezialanforderungen abseits der Spezifikationen dar, die ein Abweichen von eingefahrenen und erprobten Prozeduren nötig machen, wie man dies in der Industrie aus zahllosen Fallbeispielen kennt. Solche “Stunts” sind stets riskant, insbesondere wenn man wie hier nur einen einzigen Versuch hat. Vermutlich wird es einen guten Grund gegeben haben, aufgrund dessen SES die Anforderung bezüglich des Aussetzens ihres Satelliten im rechten Winkel zur Flugbahn stellte, und hätte Arianespace sich dem verweigert, hätte SES den Start möglicherweise bei SpaceX gebucht, mit denen sie schon zusammengearbeitet hatten, unter anderem bei der ersten Wiederverwendung einer Falcon-9-Unterstufe. Für die Umsetzung der Anforderung, einer gezielt abseitig einzustellenden Azimutrichtung beim Start, gab es keinen Prozess im Rahmen der Qualitätssicherung, die implementierte Modifikation war offenbar unzureichend dokumentiert und kommuniziert worden. Es ist für SES dabei noch glücklich gelaufen, da ihr Satellit seine nominelle Betriebsdauer voraussichtlich wird erreichen können. Leidtragender ist der Betreiber Al Yah Satellite Communications Company, der sein Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Ariane 5 gesetzt hatte und nun ohne eigenes Verschulden eine reduzierte Betriebsdauer seines Satelliten wird hinnehmen müssen. Das dürfte künftig die ohnehin günstigere Konkurrenz auf der anderen Seite des Atlantik noch attraktiver machen.
Quellen:
[1] Spaceflight 101, “Figuring out the Ariane 5 VA241 Anomaly”
[2] SES-Pressemeldung, “SES-14 in good health and on track despite launch anomaly“, 26.01.2018
[3] Michel Cabirol, “L’incroyable raté d’ArianeGroup lors du lancement d’Ariane 5 (VA241)“, 30.01.2018
[4] Arianespace Press Release, “Independent Enquiry Commission announces conclusions concerning the launcher trajectory deviation during Flight VA241“, 23.02.2018
[5] David Todd, “Arianespace knows cause of Ariane 5 flight deviation but concern remains about range safety“, SeraData, 23.02.2018
[6] Michel Cabirol, “Trois questions sans réponse autour du vol VA241 d’Ariane 5“, La Tribune, 26.02.2018
[7] Stephen Clark, “Investigators say erroneous navigation input led Ariane 5 rocket off course“, Spaceflight Now, 23.02.2018
Siehe auch:
[8] Wikipedia, “Ariane 5 flight VA241“
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