Neutronensterne sind bizarre Sternenüberreste von Supernovaexplosionen. Der Kern des Sterns bricht nach dem Erlöschen der Kernfusion, die ihn bis dahin mit ihrem Strahlungsdruck stabilisieren konnte, unter dem Gewicht der darüberliegenden Massen zusammen. Der Druck ist dabei so groß, dass die Elektronen in die Atomkerne gedrückt werden und sich mit Protonen unter Aussendung von Neutrinos zu Neutronen umwandeln, so dass die Kernteilchen schließlich so dicht gepackt sind wie in einem gigantischen Atomkern. Übrig bleibt ein Objekt mit der 1,4 bis ca. 2-fachen Masse der Sonne, komprimiert auf einen Durchmesser um die 20 km. Ein Kubikzentimeter Neutronensternmasse würde ungefähr eine Milliarde Tonnen wiegen, soviel wie ein Kubikkilometer Wasser.
Da der Vorläufstern rotierte, rotiert auch der Neutronenstern, und aufgrund des Pirouetteneffekts tut er das mit rasender Geschwindigkeit, bis mehrere Male pro Sekunde. Es gibt sogar Neutronensterne, deren Drehung durch einfließendes Material von einem Begleitstern noch weiter beschleunigt wird, so dass sie sich bis zu hunderte Male pro Sekunde drehen, man spricht dann von Millisekundenpulsaren. Auch das Magnetfeld des Vorläufersterns wird in einem Neutronenstern konserviert, komprimiert und damit immens verstärkt. Wenn er hinreichend schnell rotiert und seine Magnetfeldachse gegen die Rotationsachse geneigt ist, sendet er Radiowellen aus, er wird zum Pulsar. Überstreicht der Ausstrahlungskegel die Erde, so empfangen wir periodische Radiosignale. So wurden die ersten Neutronensterne entdeckt.
Gleich und gleich gesellt sich gern
Als wenn ein Neutronenstern nicht schon bizarr genug wäre, gibt es sie gelegentlich sogar im Doppelpack, und solche Doppelneutronensterne sind aus wissenschaftlicher Sicht besonders spannend, weil der anhand der Radiosignale exakt messbare Tanz der beiden Sterne umeinander ein hervorragender Test für die Allgemeine Relativitätstheorie ist. So vergeht die Zeit im Schwerefeld langsamer und beschleunigte Massen sollten Gravitationswellen abstrahlen. Den ersten Hinweis auf Gravitationswellen lieferte dann auch bereits 1981, lange vor der direkten Messung 2015 durch das LIGO-Gravitationswellen-Interferometer, der nach seinen Entdeckern benannte Hulse-Taylor Pulsar PSR1913+16, bei dem zwei Neutronensterne sich umkreisen, von denen einer ein Pulsar ist.
Natürlich gelingt es nicht, so ein Objekt im Teleskop umeinander kreisen zu sehen; die Umlaufzeit der Neutronensterne kann vielmehr durch Messung der Radiofrequenz des Pulsars exakt bestimmt und beobachtet werden, denn wenn er sich uns nähert, wird seine Frequenz durch die Bewegung in unsere Richtung und den Dopplereffekt ein wenig erhöht, bzw. ein wenig abgesenkt, während er sich von uns entfernt; gleichzeitig kann man so die Geschwindigkeit und die Massensumme der beiden Objekte bestimmen. Wenn man den Umlauf viele Perioden lang beobachtet, kann man die Umlaufzeit auf Sekundenbruchteile genau bestimmen. Und beim Hulse-Taylor-Pulsar fand man genau die durch Abstrahlung von Gravitationswellen erwartete Verringerung der Umlaufzeit, denn wenn die Sterne Energie abstrahlen, rücken sie enger zusammen und kreisen schneller umeinander. Im Bild oben ist zu sehen, wie der Start der Umlaufperiode, z.B. der Durchgang auf der Bahn durch die Sichtlinie zum Beobachter, mit den Jahren zunehmend früher eintritt, weil sich die Umlaufzeit verkürzt. Irgendwann werden sie kollidieren – was LIGO im August 2017 zum ersten Mal bei einem Neutronensternpaar in einer fernen Galaxie nachweisen konnte.
Einen noch besseren Test für die Relativitätstheorie ermöglichte die Entdeckung des bislang einzigen aufgespürten Doppelpulsars PSR J0737-3039, denn da hier beide Neutronensterne Radiosignale aussenden, konnte man die einzelnen Massen und die genauen Umlaufbahnen bestimmen. Dies erlaubte die Messung von mehreren, von der Relativitätstheorie vorhergesagten Effekten: Apsidendrehung (siehe unten), gravitative Rotverschiebung, Gravitationswellenabstrahlung und die Shapiro-Verzögerung. Außerdem konnte mit seiner Hilfe die Rate von Neutronenstern-Verschmelzungen in der Milchstraße besser abgeschätzt werden.
Das PALFA-Programm
Seit 2004 sucht ein unter der merkwürdigen Abkürzung PALFA (Arecibo L-band Feed Array 1.4 GHz Survey for radio Pulsars) laufendes Kooperationsprogramm mit dem 305-m-Radioteleskop bei Arecibo auf Puerto Rico nach Pulsaren. Das Arecibo-Observatorium kann aufgrund seines festen Einbaus in einem Talkessel nur einen kleinen Teil der Milchstraße beobachten, zwei Zonen die von Puerto Rico aus gesehen durch den Zenit ziehen, und zwar die Bereiche 32°-77° und 158°-214° galaktischer Länge. Im Bereich von ±5° galaktischer Breite sucht man im sogenannten L-Band von ca. 1,4 GHz (21 cm Wellenlänge) diese Zonen nach den Radiosignaturen von Pulsaren ab. Trotz des beschränkten Suchbereichs wurden von PALFA bisher insgesamt 180 neue Pulsare aufgespürt, darunter 22 Millisekundenpulsare und 3 Doppelneutronensterne.
Das PALFA-Projekt verwendet sowohl vollautomatische Suchpipelines, die auf einem Rechner vor Ort in Arecibo und auf dem Guillimin-Rechner der McGill-Universität in Montreal, Kanada laufen, als auch das Citizen-Science-Projekt Einstein@Home, um nach Pulsar-Signalen zu suchen. Die aufgenommenen Daten liegen auf Rechnern der Cornell University in Ithaca, New York und enthalten mehrere Millionen Kandidatensignale, die noch zu untersuchen sind. Es wird erwartet, dass das Projekt 1000 Terabytes an Daten produzieren wird.
PSR J1946+2052
In einer in den Astrophysical Journal Letters vom 20. Februar 2018 veröffentlichten Arbeit berichtet eine internationale Forschergruppe um Kevin Stovall, auch unter Beteiligung von Instituten aus Deutschland, von der Entdeckung eines neuen Doppelneutronensterns. Mit der lokalen Rechnerpipeline in Arecibo, welche die Daten beinahe in Echtzeit analysiert, fand man im Juli 2017 die Signatur eines Pulsars mit einer Periode von 17 ms – also eines Millisekunden-Pulsars – der in nur 260 s Beobachtungszeit merklich seine Periode änderte, d.h. er beschleunigte offenbar, was darauf hindeutete, dass er ein anderes Objekt eng umkreiste. Im August und September wurde der Pulsar noch einmal von Arecibo sowie in Green Bank aus mit alternativer Empfänger-Hardware und Software zur Bereinigung des Signals von Ausbreitungseffekten beobachtet. Man suchte dabei auch nach Pulsarsignalen des Begleiters, fand jedoch keine.
Die Auflösung selbst des großen Arecibo-Radioteleskops beträgt nur 3,35 Winkelminuten, was zu ungenau ist, um die Quelle mit anderen möglicherweise optisch bereits katalogisierten Objekten zu identifizieren. Daher wurde das Very Large Array in New Mexico eingesetzt, welches dank Radiointerferometrie eine viel bessere Auflösung und damit Positionsmessung auf 0,09 Bogensekunden genau ermöglichte. Das Objekt befand sich demnach bei Rektaszension α=19h46m14,13s und Deklination δ=+20°52’24,64″, und daraus leitet sich der Name des Pulsars ab. Man suchte in verschiedenen Katalogen von Infrarot- und optischen Objekten nach einer Quelle an der betreffenden Position, fand jedoch nur jeweils den Vermerk über ein ausgedehntes Objekt dicht bei der Position, also eine Galaxie.
Darin konnte die Quelle jedoch nicht liegen: Man kann die Entfernung eines Pulsar im Radiobereich anhand der Dispersion des Radiosignals abschätzen: wie Licht in einem Medium werden Radiowellen an Elektronen im Gas der Milchstraße verlangsamt, und diese Verlangsamung ist wellenlängenabhängig, was zu einer Frequenzverbreiterung des Signals führt. Aus dieser Verbreiterung und der ungefähr bekannten Elektronendichte in der Milchstraße kann man auf die Entfernung rückschließen. Diese wurde mit 3,5-4,2 kpc (Kiloparsec) abgeschätzt, das entspricht 11,4 bis 13,7 tausend Lichtjahren und ist damit deutlich innerhalb der Milchstraße.
Entstehung des Systems
Aus der Rate, mit der sich die Pulsationsperiode verringert, ließ sich das Alter des Pulsars auf 290 Millionen Jahre abschätzen, und er hat, wie eingangs schon angesprochen, einen unsichtbaren Begleiter, mit dem er um einen gemeinsamen Schwerpunkt kreist. Darauf deutet auch hin, dass sich seine Pulsationsperiode nur langsam verringert, was typisch für sogenannte “recycelte Pulsare” ist. Das sind Pulsare, deren Rotation sich mit dem Alter durch die Abstrahlung von Radiowellen verlangsamt hat, die aber dann durch einsetzenden anhaltenden Zufluss von Gas eines engen Begleitsterns wieder an Drehmoment gewinnen und so zu Millisekundenpulsaren werden.
Leider lässt sich die Masse der beiden Objekte bisher nur in Summe messen, sie beträgt 2,5 Sonnenmassen. Für den unsichtbaren Begleiter potenziell in Frage käme damit ein Weißer Zwerg oder ein Neutronenstern – ein schwarzes Loch wäre zu massiv, ein gewöhnlicher Stern zu groß und nicht unsichtbar. Ein Weißer Zwerg würde aber eher dazu neigen, die Bahn des Pulsars zu zirkularisieren, also kreisförmig zu machen; beobachtet wurde hingegen, dass die Bahn eine vergleichsweise hohe Exzentrizität hat (also eher elliptisch ist), was für eine frühere Supernova des Begleitsterns spricht, denn die explodieren normalerweise asymmetrisch und geben dem verbleibenden Sternenrest dann einen “Kick” wie ein Raketenantrieb. Damit muss der Begleiter ein Neutronenstern sein: es handelt sich um einen Doppelneutronenstern.
Die beiden Sterne umkreisen sich in einem mittleren Abstand von 346000 km, was nicht ganz der Strecke von der Erde zum Mond entspricht. Die Umlaufzeit beträgt dabei aber nur 1h53min ! Dies ist damit das engste Paar unter den bisher 16 bekannten Doppelneutronensternen.
Die Autoren konnten zurückrechnen, dass das System bei der Entstehung des Pulsars bereits recht eng mit einer Umlaufzeit von rund 4h und die Bahn relativ kreisförmig war. Die Autoren sehen in dem Doppelneutronenstern eine weiter fortentwickelte Kopie des Doppelpulsars J0737-3039. Bei diesem schließt man aus der geringen Eigenbewegung, mit der sich das System durch den Raum fortbewegt, aus der kreisförmigen Bahn und der geringen Diskrepanz zwischen Achsen- und Bahnneigung, dass der “Kick” des zuletzt explodierten Sterns nur gering gewesen sein kann (immerhin 70 km/s). Dies ist wiederum dann zu erwarten, wenn der ältere Neutronensternpartner der angehenden Supernova viel Material abgezogen hat und diese dann bei der Explosion nur einen geringen “Kick” entwickeln konnte. Außerdem entsteht so ein Neutronenstern mit untypisch kleiner Masse von nur 1,25 Sonnenmassen. Bei normalen Supernovae sind die Reste stets schwerer als 1,4 Sonnenmassen, der Chandrasekhar-Grenze zu den Weißen Zwergen. Für PSR J1946+2052 erwarten die Autoren ebenfalls eine kleine Masse des Begleiters, eine geringe Eigenbewegung des Systems und keine Veränderung des Profils der Pulse aufgrund einer Präzession der Pulsarachse, die bei stärkerer Achsneigung zu erwarten wäre. Dies wollen die Autoren anhand weiterer Beobachtungen überprüfen.
Relativistische Effekte
Wie eingangs erwähnt sind Doppelneutronensterne hervorragende natürliche Labore zur Überprüfung der Allgemeinen Relativitätstheorie. Aus dieser folgen für enge Systeme mit großen Massen sogenannte “Postkeplersche Bahnelemente”, die zusätzlich zu den Keplerelementen gelten, die auf Newtons Gravitationsgesetz beruhen. Eines dieser postkeplerschen Elemente ist die Rate der Apsidendrehung (weitere wurden eingangs beim Doppelpulsar genannt). Einstein hatte einst die Drehung des Merkur-Perihels erfolgreich mit der Allgemeinen Relativitätstheorie erklären können.
Ein Teil der Periheldrehung des Merkur, die 571,91 Bogensekunden pro Jahrhundert beträgt, geht auf Störungen der Bahn durch die anderen Planeten zurück, aber ein kleiner Teil von nur 43,11″/Jahrhundert ist auf die Relativitätstheorie zurückzuführen.
J1946+2052 ist das Doppelneutronenstern-System mit der bisher kleinsten bekannten Umlaufzeit, und es zeigt entsprechend die größte Rate der Apsidendrehung. Sie beträgt 25,6° pro Jahr. Aus dieser Rate kann man im Rahmen der Relativitätstheorie darauf schließen, dass der Pulsar höchstens 1,31 Sonnenmassen und der Begleit-Neutronenstern mindestens 1,18 Sonnenmassen haben muss.
Wie sich die 2,5 Sonnenmassen genau auf die beiden Neutronensterne verteilen, kann man erst durch Bestimmung der Shapiro-Laufzeitverzögerung der Pulse im Schwerefeld des Begleiters schließen. Bei exakt gleichen Massen von 1,25 Sonnenmassen würde man eine Verzögerung von 0,262 ms erwarten, bei geringerer Masse des Begleiters demnach etwas weniger. Den Wert wollen die Autoren mit 10% Genauigkeit bis Mitte 2019 und mit 1% Genauigkeit bis Mitte 2025 bestimmt haben. Ebenso soll der Verfall des Orbits durch die Abstrahlung von Gravitationswellen auf 7,5% Genauigkeit bis Mitte 2019 und auf 0,2% bis Mitte 2025 gemessen werden. Die Bestimmung der Verfallsrate der Umlaufzeit soll eine Überprüfung der Vorhersage der Allgemeinen Relativitätstheorie mit einer Genauigkeit von 0,015% ermöglichen – eine Größenordnung genauer als beim Hulse-Taylor-Pulsar, der bisher genauesten Messung (s.o.).
Aufgrund der geschätzten Verfallsrate der Umlaufzeit sagen die Autoren voraus, dass die beiden Neutronensterne in 46 Millionen Jahren verschmelzen werden, was deutlich kleiner als der für den Doppelpulsar bestimmte Zeitrahmen von 85 Millionen Jahren ist. Bereits jetzt strahlen die Neutronensterne eine Gravitationswellen-Leuchtkraft von 13% der Sonnenleuchtkraft (in elektromagnetischer Strahlung) ab. Beim Doppelpulsar sind es nur 6,2% und der bisherige Rekordhalter PSR J1757-1854 bringt es auf 10,8%.
Angesichts des kleinen Blickfelds des Arecibo-Radioteleskops rechnet man damit, dass es tausende solcher Systeme in der Milchstraße gibt. Durch das Aufspüren und Untersuchen weiterer Exemplare werden wir zukünftig besser verstehen, wie sie entstehen und schließlich miteinander verschmelzen, was wiederum unser Verständnis für die entsprechenden Gravitationswellenereignisse, die wir künftig häufiger beobachten werden, vertiefen wird.
Referenzen:
Originalartikel: K. Stovall et. al., “PALFA Discovery of a Highly Relativistic Double Neutron Star Binary“, The Astrophysical Journal Letters, 854:L22, 20. Februar 2018.
Artikel auf AAS Nova: Susanna Kohler, “PALFA Discovers Neutron Stars on a Collision Course“, 26. Februar 2018.
Über PALFA: ALFA Pulsar Studies, The PALFA Survey: Going to great depths to find radio pulsars, PALFA Survey
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