Oft taucht das “Bullet-Cluster” auf, wenn es um dunkle Materie geht.
Was steckt dahinter?
Der Bullet-Cluster (auch 1E 0657-558) ist ein Galaxienhaufen, also eine Ansammlung von Galaxien, die sich unter ihrer gemeinsamen Schwerkraft umeinander bewegen. D.h., genauer gesagt sind es zwei Galaxienhaufen, wobei ein kleinerer, das eigentliche Geschoss (engl. bullet), den größeren mit hoher Geschwindigkeit (4500 km/s) vor ca. 100 Millionen Jahren durchstoßen hat. Die Abstände zwischen den Galaxien sind groß und die einzelnen Galaxien flogen im wesentlichen unbeeindruckt aneinander vorbei. Aber die beiden Galaxienhaufen enthalten große Mengen an intergalaktischem Gas, und dieses kollidierte miteinander, wurde abgebremst und dadurch enorm aufgeheizt, auf 70 bzw. 100 Millionen K für die beiden Teilhaufen, so dass es Röntgenstrahlung aussendet und damit seine Existenz und Menge sichtbar bzw. messbar macht.
In dieser Arbeit[1] wurde nun untersucht, wie sich die Masse auf die beiden Subcluster und das Gas verteilt. Die Masse des Gases lässt sich auf 10% Genauigkeit aus der Intensität und Wellenlänge der vom Chandra-Weltraumteleskop aufgenommenen Röntgenstrahlung ableiten und beträgt in Radien von 100 Kiloparsec (326.000 LJ) um die hellsten Galaxien in den beiden Haufen 5,5±0,6 und 2,7±0,6 Billionen Sonnenmassen, und in entsprechenden Radien um das heißeste Gas in den beiden Subclustern 6,6±0,7 und 5,8±0,6 Billionen Sonnenmassen. In den entsprechenden Radien findet sich, ausgehend von einem Masse-Leuchtkraft-Verhältnis von 2 Sonnenmassen auf eine Sonnenleuchtkraft (vgl. Artikel zum Dokkum-Paper) an im normalen Sternenlicht leuchtender Materie 0,54±0,08 und 0,58±0,09 Billionen Sonnenmassen um die hellsten Galaxien, und 0,23±0,02 bzw. 0,12±0,01 Billionen Sonnenmassen um die Zentren des heißen Gases. Das im Röntgenlicht strahlende Gas (erste 4 Zahlen) überwiegt also mengenmäßig überall bei weitem die leuchtende Materie (letzte 4 Zahlen), selbst wenn man von einem höheren Masse-Leuchtkraft-Verhältnis als 2 ausgeht (der mögliche Bereich liegt zwischen 0,5 und 3).
Nun haben die Autoren anhand der Verzerrung der Hintergrundgalaxien (Gravitationslinseneffekt) eine Karte ermittelt, welche die Verteilung der gravitativen Masse gegenüber derjenigen des heißen Gases darstellt, und die sieht so aus:
Links sieht man die Galaxien und die Linien gleicher Schwerkraft (Verzerrung des Hintergrunds) und rechts die gleichen Linien überlagert mit der Verteilung des leuchtenden Gases. Man sieht deutlich (die gemessene Signifikanz ist 8σ!), dass das abgebremste Gas mehr in der Mitte der beiden Galaxienhaufen konzentriert ist, während die Galaxienhaufen selbst mitsamt ihren Schwerpunkten weitergeflogen sind und mit den Orten der gravitativen Masse zusammenfallen.Das heißt wiederum, dass der Großteil der gravitativen Masse sich nicht dort befindet, wo das Gas ist, sondern in der Gegend der Haufenzentren, wo auch die Sterne sind. Aber im Gas steckt der Großteil der leuchtenden, baryonischen Masse (also die aus Protonen und Neutronen bestehende, “gewöhnliche” Materie) – wesentlich mehr als in den Galaxien, welche die beiden Subcluster ausmachen. Die Gravitation geht also offenbar größtenteils nicht von der baryonischen Materie aus.
Dies werteten die Autoren als direkten Beleg für die Existenz Dunkler Materie, denn von dieser nimmt man an, dass sie nicht mit sich selbst oder baryonischem Gas wechselwirkt und abgebremst wird, sondern sich wie die Sterne und Galaxien durchdringt und der Bewegung der Galaxien folgt (und sie zusammenhält). So konnten Gas und Dunkle Materie räumlich getrennt werden – das Gas kollidierte und verlangsamte sich, die Dunkle Materie und die Galaxien flogen unbeirrt weiter.
Der Bullet-Cluster ist nicht der einzige solche Fall, sondern es gibt eine ganze Reihe bekannter kollidierender Galaxienhaufen mit ähnlicher Separation von leuchtendem Gas und schwerer Masse.
Referenz:
[1] Douglas Clowe et al., “A direct empirical proof of the existence of dark matter“, The Astrophysical Journal Letters, Volume 648, Number 2; arXiv:astro-ph/0608407v1, 22.04.2006
Kommentare (18)