Zum Meteorschwarm der Lyriden habe ich mal nichts geschrieben, weil der – wie eigentlich jedes Jahr – ohnehin zum Vergessen war.
Aber statt dessen wurde anderer seltener Besuch über Europa gesichtet, und zwar das X-37B OTV-5 der US Air Force. Die X-37 ist ein unbemanntes Weltraumflugzeug, dessen Entwicklungsverantwortung das Verteidigungsministerium 2004 von der NASA (X-37A) übernommen hatte und welches von der US Air Force ab 2006 als eigene Variante (X-37B) weiterentwickelt wurde.
Das primär von Boeing gebaute, ca. 9 m lange und vollgetankt 5 Tonnen schwere Raumflugzeug ähnelt einer verkleinerten Version des Space Shuttles. Ursprünglich zum Start aus der Ladebucht des Space Shuttles vorgesehen wird es tatsächlich wie ein Satellit an der Spitze einer Rakete gestartet, geschützt von einer Nutzlastverkleidung, weil man befürchtete, dass das Gerät mit seinen Trag- und Leitflächen im unverkleideten Zustand Schaden durch die aerodynamischen Kräfte beim Start nehmen könnte. Wie das Shuttle kann sich das Flugzeug von Hitzeschutzkacheln geschützt durch die Atmosphäre abbremsen lassen und wie ein Gleitflugzeug auf einer gewöhnlichen Flughafen-Landebahn aufsetzen. Dies alles bewerkstelligt die X-37B vollkommen autonom, ohne jede Fernsteuerung.
Der Erstflug der X-37B in den Orbit fand 2010 statt; die X-37A schaffte es nie in den Orbit. Grundsätzlich wiederverwendbar wurden bisher 2 Orbiter gebaut, die 4 vollendete und einen noch laufenden Flug absolvierten (nummeriert mit OTV-1, OTV-2 etc., was für Orbital Test Vehicles steht). Die Missionsdauer der automatischen Geräte beträgt viele Monate; bisher wurden Missionen zwischen 7,5 und 23,5 Monaten geflogen, bevor sie in Edwards, Vandenberg oder dem Kennedy Space Center landeten.
Wozu die X-37B genau verwendet wird, darüber gibt es größtenteils nur Spekulationen. Das einzige derzeit im Einsatz befindliche Raumflugzeug soll in seiner 2,1 m langen und 1,2 m durchmessenden Nutzlastbucht bis zu 250 kg Nutzlast tragen und unter, verglichen mit Raumkapseln wie der Space-X Dragon oder der Sojus, geringen G-Kräften wieder zur Erde bringen können. Dank seines Orbitaltriebwerks mit 1,5 Tonnen Schub und eines üppigen Treibstoffvorrats ist es in der Lage, seine Umlaufbahn um bis zu 3,1 km/s zu ändern – beinahe bis zur Fluchtgeschwindigkeit der Erde, wobei die Bahnänderungen natürlich eher in kleinen Stufen erfolgen und z.B. die Bahnneigung und Höhe im niedrigen Orbit ändern (Boeing gibt eine maximale Betriebshöhe von 925 km an). Das ermöglicht beispielsweise, die Bahn so zu verändern, dass mit geringer Vorlaufzeit ein bestimmter Ort auf der Erde zu einer bestimmten Zeit überflogen werden kann.
Offiziell verlautbarte von der Air Force die Aussage, dass es sich um “ein experimentales Testprogramm zur Demonstration von Technologien für eine zuverlässige, wiederverwendbare, unbemannte Weltraumplattform für die U.S. Air Force” handele. Für den vierten Flug OTV-4 wurde immerhin bestätigt, dass dabei einerseits ein Ionentriebwerk (Hall-Effekt-Antrieb) getestet worden sei und andererseits ein Experiment zur Erprobung der Widerstandsfähigkeit verschiedener Materialen in der Hochatmosphäre und Strahlung im niedrigen Erdorbit durchgeführt worden sei.
Obwohl über die Umlaufbahnen der bisherigen X-37B-Flüge nie offizielle Informationen ausgegeben worden waren, gelang es Amateuren stets binnen weniger Tage nach den nicht zu verheimlichenden Starts, das Gerät am Himmel auszumachen und die Bahn zu bestimmen. Keine der bisherigen Missionen brachte es bis in unsere nördlichen Breitengrade, der nördlichste Punkt einer Mission war bisher 43,5° Breite bei OTV-4.
Die letzte gestartete Mission war OTV-5, das am 7. September 2017 von einer Falcon-9 im Orbit ausgesetzt worden war. Es war schon vor dem Start von der Air Force angekündigt worden, dass die Bahn nördlicher verlaufen sollte und aus der Sperrzone für den Niedergang der ersten Stufe vor der Küste Floridas hatte man geschlossen, dass die Bahn in 60°-70° Bahnneigung (mit den entsprechenden Breitengraden für den nördlichsten und südlichsten Punkt der Bahn) erfolgen würde. Der OTV-5 Orbiter wurde jedoch seitdem nicht gesichtet- bis zum 13. April 2018, 218 Tage nach dem Start, als es von einem niederländischen Enthusiasten auf einer Bahn mit 54,5° Bahnneigung und 357 km Höhe entdeckt wurde. Durch rückwärts-Extrapolation der Bahn zum Startzeitpunkt ergab sich, dass diese genau zur richtigen Zeit über Cape Canaveral verlaufen war, womit ziemlich sicher ist, dass es sich wirklich um die X-37B handelt. Am 18. April war dann von Amateuren beobachtet worden, dass die Bahn abgesenkt worden war.
OTV-5 kann derzeit abends von Mitteleuropa aus am Himmel gesichtet werden. Wer es versuchen möchte, nutze am besten die Webseite Heavens-Above.com mit aktuellsten Bahndaten, wobei man unbedingt oben rechts seinen Beobachtungsort spezifizieren muss, ansonsten erhält man eine Vorhersage aus der Perspektive des Erdmittelpunkts, die nicht gerade zielführend für das Aufspüren ist. Man findet OTV-5 dann auf der Heavens-Above-Homepage unter “Satelliten” und “OTV 5 (USA 277)”. Ein Klick auf diesen Link liefert dann eine Tabelle ähnlich wie diese hier (ab heute für Köln):
Wenn die Bahn vorläufig unverändert bleibt, gibt es vor allem heute Abend (23.04.), am 28.04, am 29.04. und am 01.05 sehr hohe (d.h. auch nahe, helle) Überflüge über Deutschland. In den Niederlanden war OTV-5 mit 1. Größenklasse gesichtet worden, weniger spektakulär als die ISS, aber dennoch leicht zu sehen.
Man orientiert sich am besten an der Himmelsrichtung unter “Anfang” und stellt sich an einen Ort mit freier Sicht in diese Richtung (Westen ist grob Richtung untergegangener Sonne). Zur angegeben Zeit für den Anfang des Überflugs ist das OTV-5 noch niedrig am Himmel und weit weg, man wird es vermutlich die erste Minute lang noch nicht sehen, aber wenn man die gedachte Bahn in Richtung des höchsten Punkts im Auge behält (wer mag, kann auch auf das Datum vorne klicken und sich eine Himmelskarte mit der Bahn anzeigen lassen), wird man alsbald einen flott bewegten “Stern” ausmachen, der zur angegeben Zeit für den höchsten Punkt eben jenen erreichen sollte. Wenn für den Endzeitpunkt eine Höhe von mehr als 10° angegeben ist oder gar die gleiche Höhe wie für den höchsten Punkt, dann wird man das OTV-5 in den Erdschatten eintreten sehen, was mit einer leichten Rotfärbung und nachfolgendem raschen Verblassen bis zur Unsichtbarkeit verbunden ist – man sieht den Raumgleiter eben nur, wenn er oben in der Höhe noch von der Sonne beschienen wird, und vor dem Eintritt in den Erdschatten erlebt das OTV einen Sonnenuntergang.
Würde mich freuen, wenn der eine oder die andere sich hier zurück meldet und berichtet, ob die Sichtung erfolgreich war.
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