UMA fragte am 23. April 2018:
Was passiert langfristig mit den Satelliten?
Die in niedrigen Orbits werden durch die Erdatmosphäre abgebremst und verglühen. Aber die in größeren Höhen?Störungen durch Mond, Sonne, Magnetfelder, Strahlung …? Kollidieren sie und bilden einen Ring?
Wäre nach einer oder hundert Millionen Jahren noch etwas übrig?
In welcher Höhe ist die Lebensdauer am höchsten? Geostationär oder niedriger?
Dazu habe ich ein wenig recherchiert. Zunächst, der Vollständigkeit halber, der einfache Fall, den UMa sich schon selbst beantwortet hat:
Luftwiderstand
Niedrige Erdorbits (engl. low Earth orbit, LEO) führen noch durch die äußere Erdatmosphäre. Zum Beispiel bewegt sich die ISS auf ihrer ca. 350 km hohen Umlaufbahn in dem Bereich, in dem die Atmosphäre durch Kollision von geladenen Teilchen des Sonnenwinds mit Atomen in der Hochatmosphäre zum Leuchten angeregt wird; Stickstoff leuchtet zwischen 150 und 600 km Höhe in roter oder blauer Farbe, während das Grün des Sauerstoffs in 80 bis 200 km Höhe entsteht. Die Atmosphärenschicht von ca. 100 bis ca. 600 km Höhe heißt Thermosphäre, darüber liegt die Exosphäre, die sich in 1000-2000 km Höhe im Raum verliert.
Deswegen sind LEO-Satelliten einem permanenten, wenn auch geringen Luftwiderstand ausgesetzt, der mit der Höhe und der dünner werdenden Atmosphäre rasch abnimmt. Dies betrifft auch Satelliten auf elliptischen Bahnen, deren erdnächster Punkt (Perigäum, sprich “Perigä-um”) in entsprechend niedriger Höhe verläuft. Beispielsweise betreibt Russland Kommunikationssatelliten, die auf einer Bahn kreisen, die sie bis 40000 km hoch über Russland tragen (das zum Teil zu weit nördlich liegt, um von der geostationären Bahn aus versorgt zu werden), und die ein Perigäum von nur ca. 500 km haben. Damit stehen sie 8 Stunden lang über der Nordhalbkugel und nur 4 Stunden lang südlich des Äquators.
Der im Perigäum stärkste Luftwiderstand sorgt dafür, dass das Apogäum (also der erdfernste Punkt) abgesenkt wird und die Bahn somit kreisförmiger wird. Satelliten im Betrieb müssen zur Einhaltung ihrer Bahnen daher regelmäßig Bahnkorrekturen vornehmen, und ihre Lebenszeit wird durch den Treibstoffvorrat begrenzt. Die ISS wird regelmäßig von den sie besuchenden Frachtschiffen auf eine höhere Bahn befördert.
Wenn dies nicht geschieht, geht es unweigerlich abwärts. Wie lange das dauert, ist schwer zu sagen, da die Exosphärenausdehnung unter dem Einfluss der Sonnenaktivität stark schwanken kann, was sich bei höheren Umlaufbahnen jedoch ausmittelt, die Atmosphärenausdehnung auch mit dem Breitengrad variiert und der Luftwiderstand auch von der Form des Objekts abhängt, während für dessen Beharrungsvermögen sein Verhältnis von Oberfläche zu Masse eine Rolle spielt. Aber als Faustformel kann man diese Tabelle verwenden, um wenigstens eine grobe Idee zu bekommen, wie die Orbit-Verfalldauer von der Höhe abhängt [1]:
Orbithöhe | Lebensdauer |
---|---|
180 km | Stunden |
200 km | 1 Tag |
300 km | 1 Monat |
400 km | 1 Jahr |
500 km | 10 Jahre |
700 km | 100 Jahre |
900 km | 1000 Jahre |
Über 2000 km hinaus spielt der Luftwiderstand dann keine Rolle mehr.
Strahlungsdruck
Bereits in der Exosphäre übertrifft eine andere Kraft den Luftwiderstand, und zwar der Strahlungsdruck des Lichts aus verschiedenen Quellen. Hauptquelle ist das Sonnenlicht (in Erdnähe ca. 1370 W/m² Strahlungsleistung), weitere Quellen sind sortiert nach Größe das von der beleuchteten Seite der Erde reflektierte Sonnenlicht, von der gesamten Erde ausgehende Infrarotstrahlung und Infrarotstrahlung, die der im Licht aufgeheizte Satellit selbst abstrahlt (sogenannter thermaler Schub). Jedes Photon, das den Satelliten trifft oder von ihm ausgesendet wird, hat einen kleinen Impuls h·ν . h ist hierbei das Plancksche Wirkungsquantum 6,625·10-34 Js und ν die Frequenz des Lichts.
Der Satellit erhält nun auf der einen Seite des Orbits einen beschleunigenden Schub und auf der gegenüberliegenden Seite einen abbremsenden Schub vom Sonnenlicht. Dies führt dazu, dass eine ursprünglich kreisförmige Bahn exzentrisch wird. Bei einer Satellitenbahn wird ja beispielsweise das Apogäum angehoben, wenn man im Perigäum in Flugrichtung beschleunigt. Das Perigäum wird wiederum abgesenkt, wenn man im Apogäum gegen die Flugrichtung abbremst. Genau das passiert nun durch den Druck des Sonnenlichts: auf derjenigen Seite, auf welcher der Satellit vom Sonnenlicht angeschoben wird, gewinnt er Schwung, um auf der gegenüberliegenden Seite mehr Abstand von der Sonne zu gewinnen. Dort verliert er wiederum Geschwindigkeit, die ihn danach näher an die Erde heran bringt. Allerdings kann sich der Effekt nicht langfristig akkumulieren, denn während die Erde mit dem Satelliten die Sonne umkreist, ändert sich permanent die Richtung der Einstrahlung des Sonnenlichts relativ zur Apsidenlinie, der Linie zwischen Perigäum und Apogäum. Zwar sorgt der Effekt dafür, dass beispielsweise ein geostationärer Satellit seine Bahn nicht exakt einhält, aber er führt nicht langfristig zum Absturz. Dies ist nur möglich, wenn die Verfallszeit des Orbits sehr kurz ist. Beispielsweise wird in dieser Arbeit vorgeschlagen, kleine CubeSats, das sind Satelliten, die aus einem oder mehreren modularen 10 x 10 x 10 cm-Würfeln zusammengesteckt werden, aus bis zu 15000 km Perigäumsabstand binnen zwei Jahren herunter zu holen, indem man sie mit einem 4 m durchmessenden aufblasbaren Ballon ausstattet, der sich am Missionsende aufbläht und das Verhältnis von Oberfläche zu Masse um einen Faktor ca. 1000 erhöht. Dies sorgt für ein schnelles Absinken des Perigäums in die Exosphäre, wo der Ballon dann schnell vom Luftwiderstand zum Absturz gebracht wird.
Neben dem direkten Strahlungsdruck wirkt sich bei rotierenden Satelliten der Effekt der abgestrahlten Wärmestrahlung aus. Rotiert der Satellit nicht zu schnell und nicht zu langsam, dann erhitzt er sich auf der sonnenzugewandten Seite (am stärksten dort, wo die Sonne senkrecht auf ihn scheint, sozusagen bei “12:00 Uhr”), strahlt seine Wärme aber größtenteils etwas verzögert und durch die Rotation versetzt in eine andere Richtung aus (z.B. “14:00 Uhr”). Dieser sogenannte Jarkowski-Effekt führt bei prograder Rotation (Drehung in gleichem Sinn wie der Umlauf um die Erde) zu einer langsamen Drift nach außen, bei einer retrograden Rotation hingegen zu einem Absinken der Bahn. Der Effekt ist allerdings winzig. 1976 und 1992 wurden zwei LAGEOS-Satelliten gestartet, die nichts anderes als Metallkugeln bestückt mit Laser-Retroreflektoren sind, und die dazu verwendet werden, Positionen auf der Erde relativ zu den Satelliten mit Hilfe von Laser-Entfernungsmessung zu bestimmen. Sie befinden sich auf Bahnen in 5900 km Höhe und rotieren in der Ebene ihrer Bahn. Es wurde beobachtet, dass die Bahn in der Größenordnung von 1-10 cm pro Jahr an Höhe verliert, was hauptsächlich auf den Jarkowski-Effekt zurückgeführt wird. Die Verweildauer von LAGEOS 1 im Orbit wurde auf 8, 4 Millionen Jahre geschätzt.
Satelliten werden sich langfristig gebunden mit der Erde drehen – schnelle oder retrograde Rotation werden langfristig durch Induktionseffekte (“Wirbelstrombremse”) im Magnetfeld der Erde gestoppt werden, bis der Satellit der Erde stets die gleiche Seite zu dreht. Dann ist der Jarkowski-Effekt klein, aber er wirkt nach außen, von der Erde weg.
Andere Effekte
Die bei weitem stärkste Kraft auf einen außerhalb der Exosphäre umlaufenden Satelliten geht von der abgeplatteten Form der Erde aus; sie ist etwa 100-mal größer als die zuvor beschriebenen Kräfte durch den Strahlungsdruck. Diese verursacht Störungen der Bahn in einer komplexen Weise, die über Besselfunktionen ausgedrückt werden kann. Der wichtigste Term ist eine “Besselfunktion erster Gattung und zweiter Ordnung”, in der Literatur meist einfach als J2-Term bezeichnet. Der J2-Term beeinflusst mehrere Parameter der Umlaufbahn, unter anderem verursacht er eine Perigäumsdrehung, aber er wirkt sich langfristig (säkular) nicht auf die Umlaufzeit bzw. Bahnhalbachse aus.
Ähnliches gilt für die Kräfte dritter Körper wie Sonne und Mond. Sie beeinflussen die Form der Bahn, verändern aber nicht langfristig die Energie (Lage- und Bewegungsenergie) des kreisenden Satelliten. Sie ärgern nur die Betreiber von Kommunikationssatelliten, weil sie deren Bahnen ständig verändern, so dass permanent mit Düsenkraft dagegen gehalten werden muss. Ohne diese Korrekturen würden sie von ihren Positionen, etwa auf der geostationären Bahn, wegdriften, aber nicht abstürzen. Das gilt jedenfalls für Satelliten, die sich in relativer Nähe zur Erde bewegen (mit Sicherheit bis ca. zur geostationären Bahn); Raumsonden, die sich in der Nähe der Lagrangepunkte oder im Umfeld des Mondes aufhalten, sind nur schwach an die Erde gebunden und können durch die Kräfte von Sonne und Mond langfristig entkommen. Die Punkte L1 und L2 in Bezug zur Sonne vor und hinter der Erde sind ohnehin instabil.
Der Sonnenwind übt eine Kraft vergleichbar dem Strahlungsdruck aus. Diese ist allerdings im Vergleich zum Strahlungsdruck durch das Sonnenlicht um einen Faktor ∼1000 kleiner.
Unser Mond entfernt sich von der Erde, weil er mit seiner Schwerkraft auf diese zurück wirkt und in ihr Flutberge verursacht, die ihm durch die Erdrotation voraus eilen und ihn gewissermaßen im “Gravitationsstraktorfeld” mitziehen – Gezeitenkräfte. So entfernt sich der Mond jedes Jahr um 4 cm von der Erde. Da künstliche Erdsatelliten viel zu klein sind, um die Form der Erde zu beeinflussen, wirkt dieser Effekt sich nicht auf sie aus. Die Flutberge des Mondes sind mit ihren Umlaufzeiten nicht synchronisiert, wie sie es mit dem Mond sind, und ihr Effekt mittelt sich für die Satelliten somit wirkungslos weg.
Wie alle umeinander kreisenden Körper strahlen Satelliten nach der Allgemeinen Relativitätstheorie Gravitationswellen aus. Diese sind aber bei den winzigen Satelliten so exorbitant gering, dass sie überhaupt keine Rolle gegenüber den zuvor beschriebenen Effekten spielen. Ehe auf diese Weise ein Satellit zum Absturz auf die Erde kommt, ist diese längst vom Roten Riesen Sonne verschluckt oder verdampft worden.
Der ständige Beschuss durch Mikrometeoriten, geladene Teilchen von der Sonne, ihr UV-Licht, der Temperaturstress zwischen beleuchteter und unbeleuchteter Seite des Satelliten und über lange Zeiten wahrscheinlicher werdende Kollisionen wird solche Objekte, die nicht in wenigen 1000 Jahren von der äußersten Atmosphäre oder dem Jarkowski-Effekt zum Absturz gebracht wurden, ohnehin den Garaus machen, sie wegerodieren, auseinander fallen lassen und zertrümmern. Kleine Objekte sind dann wieder leichter von Strahlung beeinflussbar. Ganz kleine verlieren Energie durch den Poynting-Robertson-Effekt (ein dem Jarkowski-Effekt verwandter Effekt), was dann möglicherweise zu ihrem vorzeitigen Absturz führen wird.
Alles nicht so einfach…
Leider gibt’s keine einfache Antwort auf diese Frage. Sie wurde unter anderem auf space.stackexchange.com gestellt und ein erfahrener Raumfahrtingenieur antwortete darauf:
This is an interesting question to ask but unfortunately is one with:
a) a complex answer requiring much study to explore the variables and
b) many different regimes according to altitude and the various perturbations that apply
A million years is a long time, perhaps a lot comes down to how much of an orbit disturbance is significant to you over that time. I don’t wish to put you off but this could be several weeks study with a good orbit propagator.
Also sinngemäß, interessante Frage, aber es gibt zu viele Freiheitsgrade und man müsste so was über Wochen für viele Einzelfälle simulieren.
Referenzen
[1] Satellite Orbital Lifetimes
[2] Charlotte Lücking, “A Passive High Altitude Deorbiting Strategy“, 25th Annual IAA/USU Conference on Small satellites, 2011-08-08 – 2011-08-11.
[3] Wikipedia, Orbital Decay
[4] Lorenzo Iorio, “The impact of the orbital decay of theLAGEOS satellites on the frame-dragging tests“, Advances in Space Research 57(1):493-498 · January 2016, arXiv:1510:08585
[5] Paolo Farinella and David Vokrouhlicky, ” Thermal force effects on slowly rotating, spherical artificial satellites – I. Solar heating“, Planet. Space Science,Vol. 44, No. 12, pp. 1551 -1561. 1996
[6] How Spacecraft Fly without Formulae, Kapitel 3, Real Orbits
Kommentare (28)