1,7 Milliarden Sternpositionen und -helligkeiten ! 1,3 Milliarden Entfernungen und Eigenbewegungen von Sternen ! 161 Millionen Oberflächentemperaturen ! 77 Millionen Leuchtkraft- und Durchmesserbestimmungen ! 7 Millionen Radialgeschwindigkeitsmessungen !
Die meisten Leser werden in den Medien mitbekommen haben, dass die Astrometrie-Raumsonde Gaia ihren zweiten großen Datenrelease (DR2) veröffentlicht hat. Im vorliegenden Artikel stelle ich Gaia näher vor. In einem oder mehreren folgenden Artikeln beschäftige ich mich demnächst mit der Bedeutung der Sonde für die Astronomie.
Das Raumschiff
Die Sonde wurde 2006 von der ESA bei Airbus Defence and Space (damals EADS Astrium) in Toulouse, Frankreich, in Auftrag gegeben und 2013 mit zwei Jahren Verzögerung und nur 16% über den ursprünglich veranschlagten Kosten gestartet.
Gaia sieht ein wenig aus wie ein Zylinder mit sehr breiter Krempe. Die “Krempe” durchmisst 10 m und ist eine nach dem Start ausgefahrene Sonnenblende, welche die Optiken des Geräts im permanenten Schatten hält und vor Streulicht schützt – kein reflektiertes Licht darf in die Öffnungen der Teleskope hinein leuchten, selbst wenn es sie nur streifend trifft. Die Unterseite der Sonnenblende zeigt dementsprechend in Richtung der Sonne und trägt die Solarzellen zur Stromversorgung.
Die Struktur der Sonde bildet das Mechanical Service Module (mechanisches Versorgungsmodul), das aus einem kohlefaserverstärkten Trägerrahmen für die übrigen Teile der Sonde, einem thermalen Zelt als Hülle der Sonde, dem Antriebssystem und dem ausklappbaren Sonnenschild besteht.
Das spannendste ist schließlich die Nutzlast, die zwei Spiegelteleskope umfasst, welche komplett auf alle Linsen verzichten, weil diese nicht frei von Farbfehlern sein können, so wie dem größten optischen Sensorfeld, das jemals in den Weltraum geflogen wurde, einem CCD-Array von sage und schreibe 97 cm x 42 cm mit knapp einem Gigapixel (938 Mpx) an Bildpunkten.
Optiken und Sensoren werden von einem Rahmen aus keramikartigem Siliziumcarbid (Karborund) gehalten, der extrem formstabil gegenüber Temperaturschwankungen ist und Wärme sehr gut abführt. Die Spiegel bestehen ebenfalls aus diesem Material. Es ist für die Messungen extrem wichtig, dass sich in der Optik kein Abstand auch nur um Mikrometer verändert, denn die Positionsmessung erfolgt mit weit höherer Genauigkeit, als die Abstände der Pixel (10 µm) auf dem Sensor oder das Auflösungsvermögen der Optik es alleine erlauben würden. Neben der Verwendung des thermostabilen Materials wird zusätzlich noch die Temperatur auf -110°C konstant gehalten.
Die Instrumente
Gaia verfügt über zwei identische Teleskope mit rechteckigen Öffnungen von 1,45 m x 0,50 m Seitenlängen, die in zwei verschiedene Richtungen mit einem Winkelabstand von 106,5° zueinander blicken und deren Bilder auf den Sensor überlagert werden. Die Sonde rotiert langsam, einmal in 6h, d.h. 1° pro Minute, so dass das gleiche Sternenfeld mit 106,5 Minuten Versatz erst Blickrichtung LOS 1 (engl. line-of-sight) und dann LOS 2 durchquert. Das gleichzeitige Betrachten und Vergleichen zweier Richtungen erlaubt bei der Positionsmessung eine wechselseitige Referenz über große Abstände und den Vergleich zweier Richtungen mit stark unterschiedlichen Sternparallaxen (ein Stern wackelt ja in der Richtung, in der sich die Sonde gerade um die Sonne bewegt, senkrecht dazu verschieben sich die Sterne gerade nicht). Man misst Positionen relativ zwischen Objekten (es gibt keine absolute Referenz), und wenn man stets nur Nachbarsterne miteinander vergleicht, dann summieren sich Fehler auf und den Parallaxen fehlt es an unbewegten Referenzobjekten. Gaia bietet hier weit getrennte Referenzobjekte zum Vergleich an und vermeidet diese Probleme. Schon der Vorgänger HIPPARCOS arbeitete auf diese Weise.
Die Rotation erklärt auch die längliche Form der Spiegel, denn ein Objekt bewegt sich während der Drehung der Sonde entlang der langen Achse der Hauptspiegel (Scanrichtung) und bleibt somit lange im Blickfeld des ebenso ausgerichteten Sensorfelds. Die Hauptspiegel M1 bzw. M1′ sind konkav, also nach innen gewölbt, wie alle Teleskop-Primärspiegel, und bündeln somit das Licht zu einem reellen Bild. Ihnen folgen kleinere (35 cm x 16 cm) Sekundärspiegel M2 bzw. M2′, die konvex sind – diese spreizen den Strahlengang auseinander und verlängern die optische Brennweite auf 35 m, ohne die mechanische Baulänge stark zu vergrößern. Man kennt dies vom Cassegrain-Teleskop. Anders als beim Cassegrain befindet sich der Sekundärspiegel nicht im einfallenden Strahlengang, sondern es handelt sich hier um einen “Tri-Schiefspiegler”(Anastigmat). Schiefspiegler sind – wie alle Spiegelteleskope – gegenüber Linsenfernrohren frei von Farbfehlern, was wichtig für Gaia ist, die ein breites Farbspektrum der Sterne vermisst (320-1000 nm, nahes UV bis nahes Infrarot) und zur Positionsmessung alle Farben scharf auf den gleichen Punkt fokussieren muss. Gegenüber konventionellen Spiegelteleskopen liefern Schiefspiegler dank fehlender Abschattungen schärfere Abbildungen. Gewöhnliche Schiefspiegler mit nur 2 Spiegeln leiden unter Astigmatismus (Brennweite in senkrechter und waagerechter Ebene sind verschieden), der Tri-Schiefspiegler kompensiert dies. Der Strahlengang verläuft wie auf diesem Bild, und wird zusätzlich noch durch drei folgende Spiegel gefaltet, also mechanisch verkürzt, und die Strahlengänge beider Teleskope werden, wie bereits erwähnt, auf dem Sensorfeld überlagert. Das Sensorfeld besteht aus 106 8,8 Mpx-CCDs mit 90% Quanteneffizienz. Die CCDs auf dem Sensorfeld sind in Gruppen mit verschiedenen Aufgaben angeordnet, und jede der meist 7 waagerechten Reihen der CCDs hat ihren eigenen Prozessor (Video Processing Unit, VPU). Während der Rotation durchwandert das Blickfeld die einzelnen Gruppen der Reihe nach von links nach rechts und damit alle drei Instrumente der Sonde:
- das Astrometrie-Instrument (Astro), das die Sternörter und -eigenbewegungen mit einem breiten Feld aus 62 breitbandigen CCDs misst,
- das Photometer (BP/RP, Blue Photometer/Red Photometer), das die Helligkeitsverteilung über verschiedene Wellenlängen im blauen (320-660 nm, UV-Rot) und roten (650-1000 nm, Rot-IR) Spektralbereich mit jeweils für diese Wellenlängen optimierten CCDs misst,
- das Radialgeschwindigkeits-Spektrometer (RVS, Radial-Velocity Spectrometer), ein Gitter-Spektrometer, das sich im Strahlengang der rechten Seite des Sensorfelds befindet. Seine 12 Sensoren sind empfindlich im nahen Infrarot. Die Sensoren decken nur 57% der Höhe des Sensorfeldes ab – die aus Linsen bestehende Optik um das Gitter herum kann nicht die gesamte Höhe des Sensorfeldes ausleuchten. Die Messung der Radialgeschwindigkeiten findet in einem schmalen, im Spektrometer isolierten Band zwischen 847 und 874 nm statt (nahes IR), das vor allem bei G- und K-Sternen zahlreiche Linien enthält, bei allen Sternen Wasserstofflinien der Paschen-Serie.
Neben den CCDs für die drei Instrumente sind noch drei andere unterstützende Komponenten aktiv:
- 2 CCDs arbeiten als Wavefront-Sensoren nach dem Hartmann-Shack-Verfahren. Die Sekundärspiegel haben jeweils 5 Freiheitsgrade zur Verstellung und werden bei Fehlern in der Wellenfront automatisch justiert.
- 2 CCDs dienen in Kombination mit einem Laser-Interferometer, das einen künstlichen Stern erzeugt, als Basiswinkel-Monitor (Basic Angle Monitor, BAM). Der Laser-Stern wird in beide Optiken eingespiegelt und auf dem BAM-Sensor überlagert, wo es zur Interferenz mit entsprechendem Streifenmuster kommt. Wenn sich der Winkelabstand der Teleskope ändert, wandert das Interferenzmuster auf dem Sensor. Ein zweiter Sensor dient als Redundanz, falls der erste ausfallen sollte. Man verwendet Interferenzstreifen statt einer punktförmigen Abbildung, weil man auf diese Weise das Licht auf eine größere Fläche verteilt und nicht einige wenige Pixel mit geringer Lichtmenge bereits überbelichtet. Mit mehr nutzbarem Licht erhöht sich die Messgenauigkeit (Signal-Rausch-Abstand). Die Genauigkeit der Messung beträgt 0,5 µas (Mikrobogensekunden) über 15 Minuten [2]. Ausrichtungsfehler werden im wesentlichen nur protokolliert. Solche Fehler werden weitgehend durch Selbstkalibrierung der gemessenen Daten eliminiert und ansonsten aufgezeichnet, um den systematischen Messfehler der Daten zu erfassen.
- 2 Reihen von 7 CCDs bilden den Sky-Mapper, der die Sterne dem Teleskop, von dem sie stammen, zuordnet (Reihe 1 sieht nur Sterne von Teleskop 1, Reihe 2 nur von Teleskop 2) und sie nach Helligkeiten klassifiziert. Objekte schwächer als 20,7m werden ignoriert, ansonsten werden sie mit Zeitstempel und umgebenden Pixeln abgespeichert und somit festgelegt, welche Sterne im weiteren Verlauf noch Beachtung finden. Objekte, die auf dem ersten Astrometriefeld nicht auftauchen, werden als Artefakte kosmischer Strahlen gewertet und verworfen.
Die Verarbeitungskette
Die CCDs werden nicht etwa Bild für Bild mit einem Verschluss belichtet und anschließend ausgelesen, was bei der Rotation der Sonde unscharfe oder lichtschwache Bilder ergeben würde. In einem CCD wird bekanntlich beim Auslesen die Ladung pixelweise aus jeder Spalte hinausgeschoben. Bei Gaia erfolgt dieses Schieben in Richtung der Bewegung der abgebildeten Sterne aufgrund der Rotation der Sonde, und zwar von einer Atomuhr kontrolliert exakt synchron mit der Rotation. Während also das aufgenommene Bild des Sterns durch die CCD-Spalte geschoben wird, wandert das vom Teleskop projizierte reelle Bild des Sterns synchron mit und belichtet den Chip während des Auslesens. Diese Art des Betriebs nennt sich Time-Delayed Integration (TDI) und nutzt die gesamte Zeit des Sensors zur Belichtung. Ein Stern benötigt 4,42 Sekunden, um die 4500 Zeilen einer Spalte zu durchlaufen, und dies ist dann auch die Belichtungszeit eines Sensors.
Schon bei dieser Belichtungszeit würden helle Objekte die Pixel übersättigen und das Signal in Nachbarpixel überlaufen, was ein unscharfes, nicht präzise messbares Bild ergeben würde. Daher verfügen die CCDs über 12 sogenannte TDI-Gates in jeder Spalte, in denen die beim Auslesen durchlaufende Ladung auf Wunsch abgeführt werden kann; die Spalte ist dahinter dann also unbelichtet. Damit erreicht nur das hinter einem aktivierten Gate noch einfallende Sternenlicht die Auslesezeile am Ende des Chips, und somit kann man gezielt die Belichtungszeiten von 4500 auf 2900, 2048, 1024, …, 4 und 2 TDI-Zeilen verkürzen. Dies legt die Elektronik für jeden Stern individuell vor der Aufnahme anhand seiner vom Sky-Mapper bestimmten Helligkeit fest.
In jedem der 9 Astrometriefelder (9 Reihen zu je 7 senkrecht übereinander angeordneter CCDs) wird die Belichtung und Positionsmessung wiederholt, was eine weitere Erhöhung der Messgenauigkeit ermöglicht. Ein Pixel ist 59 Millibogensekunden (milli arc second, mas) in Scanrichtung und 177 mas quer dazu ausgedehnt. Der genaue Zeitpunkt, wann das Helligkeitsmaximum des Sterns in der Auslesezeile des Sensors ausgelesen wird, bestimmt seine exakte Position in Scanrichtung mit höherer Genauigkeit, als die Pixelauflösung des Sensors alleine es vermochte (die genaue Position des Maximums kann auf Subpixel-Genauigkeit interpoliert werden). Die Messgenauigkeit eines Durchlaufs durch alle 9 Astrometriefelder beträgt je nach Sternhelligkeit bis zu 30 Mikrobogensekunden (micro arc second, µas). Im Laufe der 5-jährigen Mission wird jedes Objekt im Schnitt 70mal aus verschiedenen Richtungen gescannt, was die Ermittlung 2-dimensionaler Koordinaten mit einer Genauigkeit von 9 µas für einen Stern von 15m ermöglichen soll. Das ist 20-50 mal besser als bei HIPPARCOS. Aus den exakten Positionen folgen dann auch die Sternparallaxen, das periodische Hin- und Herschwanken des Sterns aufgrund des Umlaufs der Sonde um die Sonne, aus dem die Entfernung des Sterns ermittelt wird.
Nach den Astrometriefeldern durchläuft ein Stern das Photometrie-Instrument, das genau wie die Astrometriefelder auf die Vorauswahl der Sky-Mapper angesetzt wird. Unmittelbar vor den BP- und RP-Sensorreihen befindet sich jeweils ein Prisma, welches das Licht jedes Sterns in ein kleines, 45 Pixel langes Spektrum in Scanrichtung auseinanderzieht. Somit wird nicht nur die Gesamthelligkeit des Sterns gemessen, sondern die Helligkeitsverteilung über die verschiedenen Farben (Spectral Energy Distribution, SED), und dies getrennt für den blauen und roten/infraroten Teil des Spektrums. Aus dieser Information lassen sich z.B. die Leuchtkraft, Masse, Alter und Temperatur eines Sterns erschließen. Die Spektren schwächerer Sterne werden über 12 Spalten (also senkrecht zur Scanrichtung) aufsummiert; Sterne heller als 11,5m werden hingegen in nur einer Spalte ausgewertet und TDI-Gates verkürzen die Belichtungszeit für die hellsten Sterne. Der Einsatz des Photometers ist auf Zonen mit weniger als 750000 Sternen pro Quadratgrad (etwa 4 Vollmondflächen) beschränkt, da sich die Spektren ansonsten zu sehr überlappen. Beeinträchtigungen der Qualität beginnen schon bei geringerer Sterndichte. Die Messgenauigkeit des Photometers beträgt, abhängig von der Helligkeit eines gemessenen Sterns, 0,01 bis 0,2 Magnituden. Das Photometer erfüllt neben der Helligkeitsmessung auch eine Kalibrierfunktion, denn kleine Asymmetrien in den Optiken der Teleskope können zu kleinen Verschiebungen der Brennpunkte für verschiedene Farben führen, die die Positionsmessung ungenauer machen; solche Abweichungen können mit Hilfe der gemessenen SED aufgespürt und im Post-Processing auf der Erde korrigiert werden.
Schließlich folgt das Radialgeschwindigkeits-Spektrometer (RVS), das eine wesentlich höhere spektrale Auflösung als das Photometer hat. Mit dem RVS lassen sich Spektrallinien auflösen und damit die Doppler-Shifts von Sternen messen, die sich auf uns zu oder von uns weg bewegen (bis 16m), die Verbreiterung von Spektrallinien bei rotierenden Sternen (bis 12,5m), die Zusammensetzung der Sternatmosphären (bis 11m) sowie die Extinktion durch interstellaren Staub (bis 12,5m). Die auf den Bereich 847-874 nm verkürzten Spektren werden durch das vorgeschaltete Gitter auf 1100 Pixel auseinandergezogen, was 0,0245 nm Wellenlänge pro Pixel entspricht. Auch hier wird das Licht schwächerer Sterne über mehrere Spalten aufsummiert (in diesem Fall 10), für helle Sterne über 7m wird nur eine Spalte verwendet. Da die Spektren hier viel langgezogener sind als im Photometer und sich eher überlappen, kann das RVS maximal 35000 Objekte pro Quadratgrad verarbeiten.
Die gemessenen Daten der wissenschaftlichen Instrumente wie auch des BAM und des WFS werden vor dem Versenden in einem 120 GB großen SSD-Speicher gepuffert. Die Instrumente liefern bereits gesonderte Informationen über mutmaßliche sich bewegende Objekte, helle Objekte, Kalibrierungssterne und virtuelle Sterne, die von Hand zu Testzwecken eingespielt werden können. Diese Informationen dienen zur Priorisierung der Messungen und bestimmen somit, welche Daten zuerst zur Erde gesendet werden oder von höher priorisierten Daten ggf. überschrieben werden dürfen. Normalerweise dauert eine Übertragung der gesamten Messungen eines Tages in verlustfrei komprimiertem Datenformat 12,5 h; in der Milchstraßenebene kann sie jedoch 24h überschreiten und damit müssen niederpriorisierte (typischerweise schwächste) Objekte ausgelassen werden.
Der Empfang ist auf der Erde durch drei 35-m-Antennen in Argentinien, Spanien und Australien praktisch rund um die Uhr gesichert. Die Daten werden weitergeleitet an ein Team von 450 Astronomen, Software-Ingenieuren un Projektmanagement-Spezialisten in 25 Ländern, dem Data Processing and Analysis Consortium (DPAC). Dieses führt die eigentlichen Messungen und Kalibrierungen durch und scannt die Daten täglich nach neuen Supernovae oder Asteroiden, die dann sofort als Alarme an die Wissenschaftsgemeinschaft zur weiteren Verfolgung gemeldet werden. Die übrigen Daten werden regelmäßig als Data Releases (DR) veröffentlicht. DR1 erfolgte am 14.09.2016, DR2 am 25.04.2018. DR3 und 4 sollen Mitte 2020 und Ende 2022 folgen.
Orbit und Scanning-Verfahren
Gaia bewegt sich einem Bereich von ±120000 km x ±340000 km x ±180000 km um den Lagrange-2-Punkt des Erde-Sonne-Systems herum. Dies ist ein Punkt 1,5 Millionen km außerhalb der Erdbahn, wo aufgrund der gemeinsamen Schwerkraft von Erde und Sonne die Umlaufzeit um die Sonne trotz der größeren Entfernung von der Sonne derjenigen der Erde um die Sonne entspricht, d.h. die Sonde bewegt sich außerhalb der Erdbahn zusammen mit der Erde um die Sonne und sie sieht die Erde stets grob (innerhalb von 15°) in Richtung der Sonne stehen; nicht exakt, da sie auf Sonnenlicht für ihre Solarzellen angewiesen ist und nicht im Erdschatten verweilen darf (die einzige potenzielle Verfinsterung durch die Erde während einer möglichen verlängerten Missionsdauer bis 2025 wird im Juli 2019 durch ein spezielles Ausweichmanöver verhindert!). Damit bleibt auch die Temperatur stabil und die Sonde hat stets freien Blick nach außen, von der Sonne weg, ohne dass Erde, Mond oder gar die Sonne ins Blickfeld geraten könnten. Gleichzeitig bleiben die Solarzellen und die Antenne immer auf Sonne bzw. Erde ausgerichtet.
Um den gesamten Himmel abzuscannen ist die Rotationsachse der Sonde um 45° von der Sonne weggeneigt und präzediert langsam um die Sonne herum. Eine Präzessionsperiode dauert 63 Tage, das sind 5,8 Perioden pro Jahr. In Kombination mit dem Umlauf um die Sonne vollführt die Achse eine spiralförmige Bewegung über die Himmelskugel, während die Teleskope senkrecht zur Drehachse den Himmel entlang von Großkreisen abscannen und so allmählich den ganzen Himmel erfassen. Die Ausrichtung des Scans wurde übrigens dahingehend optimiert, dass einige helle Sterne nahe am Rand von Jupiter vorbei ziehen, so dass die Ablenkung ihres Lichts im Schwerefeld des Riesenplaneten als Beifang gemessen werden kann. So arbeitet Gaia nun seit 2014 und hat den Himmel bereits mehrfach komplett gescannt. Datenrelease 2 wurde gerade veröffentlicht und beinhaltet die Messungen aus 22 Monaten (25. Juli 2014 bis 23. Mai 2016). Alle diese Daten wurden, im Gegensatz zum DR1, vollständig von der Sonde selbst gemessen und verwenden keine Ergänzungen aus anderen Quellen. Was sich mit diesen Daten alles anstellen lässt, erkläre ich in einem anderen Artikel.
Referenzen/Literatur
[1] Gaia Collaboration, “The Gaia Mission“, Astronomy & Astrophysics manuscript no. 29272, September 15, 2016; arXiv:1609.04153.
[2] Herbert J. Kramer, “GAIA (Global Astrometric Interferometer for Astrophysics) Mission“, eoPortal Directory, ESA (Webseite).
[3] Patrick Chapman et al., “The Gaia Attitude & Orbit Control System“, 7th International ESA Conference on Guidance, Navigation & Control Systems, At Tralee, County Kerry, Ireland (GNC 2008), Juni 2008.
[4] Wikipedia,”Gaia (spacecraft)”
[5] Wikipedia, “Gaia (Raumsonde)”
[6] ESA, Gaia Missions-Homepage
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