Saturns Mond Enceladus misst gerade einmal 505 km im Durchmesser – das ist nur gut ein Siebtel unseres Mondes, der schon zu klein ist, eine Atmosphäre zu halten und damit eine tote Welt ist. Dennoch ist der kleine Enceladus einer der aussichtsreichsten Orte, um Leben außerhalb der Erde zu finden.
Enceladus umkreist mit Saturn zusammen die Sonne in einer Entfernung von 10 AE. Die Welten des Saturn-Systems erhalten also nur ein hundertstel der Leistung der Sonnenstrahlung wie die Erde – hier sind es rund 1,4 kW pro Quadratmeter, dort gerade einmal 14 Watt. Auf der Basis von Sonnenlicht kann dort kein Leben existieren. Aber die Kälte hat einen Vorteil: Flüchtige Stoffe, die bei uns gasförmig oder flüssig sind, gefrieren dort zu einem Panzer aus Eis, der das Innere von Enceladus isoliert. Und es gibt andere Wärmequellen als die Sonne. Zum Beispiel die Gezeitenkraft; die wärmt von innen.
Kosmischer Hansdampf in allen Rissen
Die Raumsonde Cassini, die Saturn und seine Monde von 2010 bis 2017 umkreiste und aus der Nähe erkundete, entdeckte im Gegenlicht, dass Enceladus Fontänen aus Wasserdampf ins All schießt; der Fachbegriff dafür ist Kryovulkanismus, was ungefähr mit “Kältevulkanismus” zu übersetzen ist. Während Vulkane auf der Erde flüssiges Gestein ausspucken, speit Enceladus flüssiges Wasser, das sich allerdings im Vakuum sofort in Dampf verwandelt, der den Kryovulkanismus wohl auch antreibt – Wasser, das in einem durch Gezeiten verursachten Riss im Eis aufsteigt, wird durch den Druckabfall zur Oberfläche hin einen Dampfdruck verursachen, der das Wasser an die Oberfläche und darüber hinaus drückt. Mit dem Wasser gelangen auch darin gelöste und schwebende Stoffe ins All. Die von Enceladus freigesetzten Eispartikel bilden gar einen eigenen Ring um Saturn, den E-Ring (schon 1967 von der Erde aus entdeckt ehemals als “Exterior Ring” = äußerer Ring bezeichnet; mittlerweile kennt man einen noch weiter außen liegenden).
Die Fontänen stammen aus der Südpol-Region, die ein Streifenmuster zeigt, das schnell den Spitznamen “Tigerstreifen” erhielt. Es war lange nicht klar, ob das flüssige Wasser nur unter den Tigerstreifen existiert, etwa in Form eines linsenförmigen Wasserkörpers unter dem Eispanzer, oder ob es einen globalen Ozean unter der Oberfläche gibt, die an den Tigerstreifen lediglich am dünnsten ist, weil dort die größte geothermische Aktivität herrscht. Nahe Vorbeiflüge von Cassini konnten jedoch keine bei einer Wasserlinse zu erwartende Unregelmäßigkeiten im Schwerefeld von Enceladus nachweisen, und 2015 fand ein Team um Carolyn Porco [6] dann, dass sich der Eispanzer unabhängig vom Inneren des Mondes bewegt, wenn Saturns Gezeitenkräfte an ihm zerren. Nicht anders als unser Erdmond hat auch Enceladus eine elliptische Umlaufbahn, auf der er sich in Saturnnähe schneller bewegt als in Saturnferne. Im Mittel zeigt er, wie der Erdmond, Saturn immer die gleiche Hemisphäre, aber da er mit konstanter Geschwindigkeit rotiert, gelingt das nicht im Einklang mit der schwankenden Umlaufgeschwindigkeit. Aus der Sicht von Saturn wiegt der Mond (wie der Erdmond aus Sicht der Erde) ein wenig hin und her (Libration; lat. libra = Waage). Da Enceladus keine perfekte Kugel ist, greift Saturns Schwerkraft wie an einem Hebel an der langen Achse des Mondes an und versucht diese, stets in die perfekte Ausrichtung zu sich hin zu ziehen, was den Mond wie einen Klumpen Wackelpudding, den man mit den Händen um eine horizontale Achse dreht, ständig verformt und durchknetet. Und Porco et al. fanden, dass der Eispanzer sich dabei viel stärker dreht, als es für einen soliden Körper möglich wäre. Folglich schwimmt Enceladus’ Eispanzer auf einem flüssigen Ozean – so wie die Erdkruste auf einem Meer aus flüssigem Magma schwimmt.
Poröses Inneres?
Dies ist zugleich die Wärmequelle, die Enceladus’ Wasser flüssig hält und die es in Fontänen ins All schießen lässt. Gaël Choblet von der Universität Nantes in Frankreich und andere veröffentlichten Ende 2017 eine Studie [4],[5] der gemäß radioaktiver Zerfall im Inneren von Enceladus nur 1% der nötigen Wärme liefern kann, um den Ozean flüssig zu halten. Aber auch die Gezeitenkraft, die nur auf das Wasser wirkt, wäre nicht ausreichend, es flüssig zu halten. Nach 30 Millionen Jahren wäre das Eis erstarrt, Gezeitenkraft hin oder her. Choblet konnte in Simulationen jedoch zeigen, dass ein poröses Planeteninneres, in welches das Wasser einsickert, diesem genug Wärme übertragen kann, so dass das auf mindestens 90°C erhitzte Wasser vor allem an den Polen aufsteigen und den Ozean heizen kann. Somit kommt das Wasser in innigen Kontakt mit dem Gestein. Darauf deutet auch eine Beobachtung von Cassini im Jahre 2017 [7] hin, als die Sonde beim Durchflug des von den Fontänen ausgestoßenen Nebels darin Wasserstoff fand. Der deutet auf Reduktionsreaktionen von Wasser (Sauerstoffabgabe) hin, die einer beträchtlichen Energieaufnahme bedürfen.
Die Entschlüsselung Enceladus’ organischer Hexenküche
Reichlich Wasser, geothermale Aktivität, inniger Kontakt zwischen Wasserkörper und porösem Gestein in einer über Milliarden Jahre stabilen Umgebung – all dies sind die Zutaten für die Entstehung von Makromolekülen, die man heute als Schritt zum selbst reproduzierenden Molekül und dem Beginn der chemischen Evolution betrachtet, an deren Ende Leben steht. Deswegen ist der eisige Enceladus einer der heißesten Kandidaten für die Entstehung von Leben außerhalb der Erde in unserem Sonnensystem. Eine neue Arbeit [2], [3] von Frank Postberg (Universität Heidelberg) und anderen hat nun einen weiteres Puzzleteil zum Gesamtbild beigetragen. Die Arbeit ist leider (noch) nicht auf arXiv frei zugänglich verfügbar, aber ich habe ein älteres kurzes Papier [1] mit den wichtigsten Ergebnissen gefunden.
Postberg hat Messungen von Cassinis Cosmic Dust Analyzer (CDA) ausgewertet, der unter anderem über ein “Flugzeit-Massenspektroskop” für geladene Teilchen verfügte. Das Gerät war zur Untersuchung der Zusammensetzung mikroskopischer Teilchen (millionstel bis tausendstel Millimeter groß) in Saturns Ringen gebaut worden. Die Teilchen prallten darin (nachdem ihre Anzahl, Ladung, Größe, Masse und Bewegungsrichtung bereits registriert worden war) mit mehreren Kilometern pro Sekunde auf eine Metallplatte, was sie in ihre molekularen Bestandteile zerlegte und den Molekülen und Atomen auch Elektronen entriss. Die elektrisch geladenen Teilchen wurden sodann von elektrischen Feldern sortiert und im Massenspektroskop von einem elektrischen Feld beschleunigt. Da die elektrische Feldkraft auf einfach ionisierte Moleküle die gleiche ist, aber die Beschleunigung durch diese Kraft von der Masse abhängig, konnte man aus der Zeit, die ein Molekül benötigte, um das Feld zu durchlaufen, auf die Masse des Moleküls schließen. Diese wird üblicherweise als “Atomgewicht” u, das ist die Zahl der Kernteilchen (Protonen und Neutronen) im Molekül angegeben. Wasser hat beispielsweise zwei Wasserstoffatome mit dem Atomgewicht von je 1u (ein Proton im Kern) und ein Sauerstoffatom mit dem Gewicht 16u (8 Protonen, 8 Neutronen im Kern), macht insgesamt 18u für das Wassermolekül. Kohlenstoff hat normalerweise das Atomgewicht 12, CO2 demgemäß 12u + 2·16u = 44u.
Riesenmoleküle mit Aroma
Langkettige Moleküle werden vor allem von Kohlenstoff gebildet, an denen reichlich Wasserstoff (daher: Kohlenwasserstoffe) sowie einzelne Sauerstoff- oder Stickstoffatome angedockt sind. Moleküle mit hauptsächlich ringförmigen Strukturen werden “aromatisch” genannt (weil einige von ihnen auch so riechen), lineare Ketten “aliphatisch“. Da solche Kettenmoleküle auf der Erde normalerweise im Zusammenhang mit Leben stehen (z.B. Bestandteile von Eiweißen sind oder bei der Zersetzung von Biomasse entstehen – Erdöl besteht aus ihnen), nennt man sie, wie ihre ganze Chemie organisch. Organische Moleküle entstehen aber auch durch Prozesse, die mit Leben nichts zu tun haben, z.B. finden sich auf Teilchen kosmischen Staubs Aminosäuren, Ameisensäure und die Atmosphäre des Saturnmonds Titan ist gelb bzw. die Oberfläche von Pluto rot von sogenannten Tholinen, die durch UV-Licht von der Sonne aus Methan, Ethan und Stickstoff gebildet werden.
Postberg und Kollegen haben sich insgesamt 7000 Spektren von E-Ring-Partikeln, die also von Enceladus stammten, vorgenommen. 25% der Spektren zeigen organische Bestandteile, darunter 75 Spektren, die sogenannte “hochmassige organische Kationen” (highly massive organic cations, HMOCs) aufweisen. Kationen sind bekanntlich positiv geladene Atome oder Moleküle, die demgemäß im elektrischen Feld zur Kathode (Minuspol) wandern.
HMOCs fanden sich stets zusammen mit Molekülen, deren Masse von 77u-79u höchstwahrscheinlich auf aromatische Benzol-Ringe wie Benzylalkohol und Benzolsäure zurückgeht. In solchen Spektren ist zugleich der Natrium-Anteil klein; Natrium entstammt höchstwahrscheinlich dem salzigen Ozean von Enceladus (Kochsalz = Natriumchlorid). Während Spektren ohne HMOCs meist 1% Natrium und Kaliumanteil zeigen, ist der Salzanteil in den HMOC-Spektren 1000mal geringer. Dafür enthalten die HMOC-Spektren Anteile organischer Moleküle im einprozentigen Bereich – sie stammen also offenbar direkt aus einer Quelle organischer Moleküle.Die HMOC-Linien sind verbreitert und periodisch mit 11-14u Abstand, was darauf hinweist, dass es sich um eine Vielzahl von Molekülen und Molekülbestandteilen handelt, die beim Aufprall noch massiverer Moleküle jenseits der Nachweisfähigkeit von Cassinis CDA auf dessen Target entstanden und in Bruchstücke verschiedenster Größe zerfielen. Dies wird zusätzlich durch die Beobachtung gestützt, dass der Anteil der HMOCs mit zunehmender Einschlagsgeschwindigkeit steigt, wobei oberhalb von 12 km/s kein weiterer Anstieg zu beobachten ist. Je höher die Einschlagenergie, desto besser werden die langkettigen Moleküle zertrümmert, bis ihre Bestandteile durch noch höhere Energie zunächst nicht mehr weiter zerlegt werden können. Auch Cassinis zweites Spektrometer INMS (Ion and Neutral Mass Spectrometer), das Moleküle bis 99u erfassen konnte, zeigte eine Häufung schwerer Moleküle bei Einschlägen mit hoher Geschwindigkeit.
Die Autoren schließen auf einen Anteil von 3% der E-Ring-Partikel mit organischen Molekülen hoher Masse, die ursprünglich weit mehr als 200u gehabt haben müssen.
Fettfilm aus der Tiefe
Die komplexen, teilweise aromatischen Moleküle wurden unter anderem sehr nahe an Enceladus und auch direkt in der Nebelwolke seiner Geysire gefunden, was die nachträgliche Entstehung im Weltraum unwahrscheinlich macht (in dieser Molekülgröße sowieso). Eine Ausgasung von der Oberfläche ist ausgeschlossen, weil die Temperaturen in Enceladus’ Eis dafür zu niedrig sind und die Moleküle bei diesen fest oder flüssig sein müssen.
Die Herkunft der Moleküle vermuten die Autoren vielmehr in einer Schicht an der Oberfläche des Ozeans, wo sich die leichten, nicht wasserlöslichen Moleküle wie ein Ölfilm unter der Eisdecke sammeln. Wenn von unten aus Hydrothermalquellen Gasblasen aufsteigen und sich unterhalb von Rissen im Eis sammeln, können platzende Gasbläschen das organische Material in vom Wasser separate feinste Tröpfchen oder Flöckchen zerstäuben (Aerosole), die Kondensationskeime für die Anlagerung von Wassereis bilden und später vom Dampfdruck in den Fontänen von Enceladus in den Weltraum katapultiert werden.
Dies würde den geringen Salzgehalt der Teilchen mit HMOCs begründen – normale Wassertropfen aus Enceladus’ Ozean sind salzhaltiger. Eine solche Aerosolbildung von organischen Stoffen aus normalerweise biologisch entstandenen dünnen Filmen ist aus den Ozeanen der Erde wohlbekannt, wo solche Prozesse auch dazu beitragen, die organischen Stoffe zu “ernten” und an die Wasseroberfläche zu bringen.
Wir brauchen mehr Daten!
Auf Enceladus könnten die organischen Verbindungen in Hydrothermalquellen am Boden des Ozeans gebildet werden oder gar, wie auf der Erde, biologischen Ursprungs sein – darüber kann man derzeit nur spekulieren. Cassini war nicht dafür ausgerüstet, biologische Spuren nachzuweisen, mit ihnen hätte auch niemand im Saturnorbit gerechnet. Derzeit bemüht man sich, organische Moleküle in Enceladus’ Geysiren mit Radioastronomie von der Erde aus zu untersuchen. Der Nachweis von komplexen organischen Molekülen in den Nebelwolken über den Geysiren zeigt, dass es sehr einfach wäre, mit einer Raumsonde die organische Chemie des Enceladus-Ozeans zu erforschen – man müsste nicht einmal landen, sondern einfach durch die Geysir-Nebel fliegen.
Die NASA hat 2015 und 2017 bereits zwei Versuche unternommen, Förderung für die Sonde Enceladus Life Finder (ELF) zu erhalten, die genau dies tun soll – leider wurde der Vorschlag beide Male zugunsten anderer Missionen abgelehnt. Die neuen Ergebnisse tragen aber vielleicht dazu bei, dass ELF oder ein Nachfolger zukünftig den Zuschlag erhält. Bis dahin können wir uns damit trösten, dass die Sonde Europa Clipper, die bereits in der Entwicklung ist und 2022-2025 zum Jupitermond Europa starten soll, Ähnliches vor hat (auch auf Europa fanden sich Geysire). Sie bereitet wiederum das Terrain für eine Landesonde vor, die in den 2030ern das Eis an der Oberfläche von Europa untersuchen soll. Vielleicht erleben wir ja noch die Entdeckung von Leben außerhalb der Erde.
Referenzen und weitere Artikel
[1] F. Postberg et al., “Complex organic macromolecular compounds in ice grains from Enceladus.“, 48th Lunar and Planetary Science conference, 20.-24. März 2017, The Woodlands, Texas, USA.
[2] F. Postberg et al., “Macromolecular organic compounds from the depths of Enceladus“, Nature 558, pages 564–568 (2018) , Letter, 27. Juni 2018.
[3] Pressemitteilung Nr. 81/2018, “Komplexe organische Moleküle auf dem Saturnmond Enceladus“, Universität Heidelberg, 28. Juni 2018.
[4] ESA, “Heating Ocean Moon Enceladus for Billions of Years“, ESA > Our Activities > Space Science > Cassini-Huygens, 6. November 2017.
[5] Robert Gast, “Enceladus’ heißer Kern“, Spektrum.de, 08. November 2017.
[6] Preston Dyches, “Cassini Finds Global Ocean in Saturn’s Moon Enceladus“, Jet Propulsion Laboratory, Pasadena, California, 14. September 2015.
[7] NASA/JPL-Caltech/Southwest Research Institute, “Enceladus Hydrothermal Activity“, 14. April 2017.
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