Die meisten Leser dürften schon einmal von den Magellanschen Wolken gehört haben, der Großen und der Kleinen Magellanschen Wolke. Dies sind zwei Zwerggalaxien am tiefen Südhimmel, die von Europa aus leider nie zu sehen sind. Sie erscheinen recht groß am Himmel nahe der Milchstraße und sehen für das bloße Auge ein wenig wie zwei von ihr abgebrochene Stücke aus. Während sie den Urvölkern der Südhalbkugel wie den Polynesiern, Maori, Aborigines und den südafrikanischen Khoisan (Buschleuten) schon seit Angedenken als markante Himmelsobjekte bekannt waren, erfuhren die Europäer erst zu Beginn der Neuzeit von ihnen. Die italienischen Schriftsteller und Seefahrer Peter Martyr d’Anghiera und Andrea Corsali beschrieben sie 1515 als erste, nachdem sie mit portugiesischen Schiffen Seereisen in den Süden unternommen hatten. Wenig später, 1525, erwähnte sie der Chronist und Begleiter des Weltumseglers Fernando Magellan in seinem Reisebericht. Der Name “Magellansche Wolken” wurde jedoch erst im 18. Jahrhundert populär.
Mütter der Standardkerzen
Anfang des 20. Jahrhunderts erlangten die Magellanschen Wolken Berühmtheit, weil Henrietta Swan Leavitt in ihnen Cepheiden fand und 1912 ihre Perioden-Leuchtkraft-Beziehung entdeckte, die bis heute unser zuverlässigster Zollstock zur Entfernungsmessung zwischen einigen tausend und einigen Millionen Lichtjahren ist, da, wo wir Cepheiden noch beobachten können. Denn die Cepheiden in den Magellanschen Wolken sind alle ungefähr gleich weit entfernt (160.000 LJ in der Großen und 200.000 LJ in der Kleinen), so dass sich ihre Helligkeiten direkt vergleichen lassen, und so fand Leavitt, dass die Cepheiden umso langsamer pulsierten, je heller sie waren. Somit kann man aus der Pulsationsdauer eines Cepheiden seine Leuchtkraft ablesen, und aus der Differenz zwischen beobachteter Helligkeit und ermittelter Leuchtkraft (Entfernungsmodul) kann man seine Entfernung berechnen.
Astronomen erlebten ihr blaues Wunder
1987 leuchtete dann fulminant eine Supernova in der Großen Magellanschen Wolke auf, die erste der modernen Ära, die mit bloßem Auge zu sehen war und damit für viele Großteleskope schon zu hell. Sie war auch die erste und bisher einzige Supernova, von der wir neben dem Licht auch einen kleiner Neutrinoschauer auffangen konnten, und somit war sie das erste Multi-Messenger-Ereignis der beobachtenden Astronomie. Sie war nahe genug, dass man den Vorläuferstern (Progenitor) auf alten Aufnahmen ausfindig machen konnte (Foto) und zunächst perplex darüber war, dass es nicht der erwartete Rote Überriese, sondern ein Blauer Riese war, Sanduleak -69 202 am Außenrand des berühmten Tarantelnebels – heute wissen wir, dass sehr massive Blaue Sterne nicht zu Roten Riesen mit ausgedehnter Wasserstoffhülle werden, sondern dass sie mit ihrem starken Sternenwind den Wasserstoff vielmehr hinweg blasen und im Extremfall nur ein nackter Heliumkern, ein Wolf-Rayet-Stern, verbleibt. Dann werden sie nach kurzem Leben zu Supernovae, manchmal ganz ohne Wasserstofflinien im Spektrum (Typen Ib oder Ic).
Verquirlte Spiralnebel
Bei den beiden Magellanschen Wolken handelt es sich offenbar um stark verzerrte kleine Spiralgalaxien von 7 bzw. 10 Milliarden Sonnenmassen, was bei der Großen Magellanschen Wolke (Large Magellanic Cloud, LMC) mit ihrem deutlichen Balken noch recht offensichtlich ist, während die Kleine Magellansche Wolke (Small Magellanic Cloud, SMC) als irreguläre Galaxie klassifiziert wurde, die also weder in die Kategorie der Spiralen noch in die der elliptischen Galaxien passt, aber man nimmt heute an, dass auch sie ursprünglich eine Balkenspiralgalaxie war, die durch Gezeitenkräfte ihre Form verlor. Früher ging man davon aus, dass die beiden die Milchstraße umkreisen, was eine Deformation durch die Milchstraße plausibel gemacht hätte, aber 2007 ergab eine Messung der 3D-Bewegung der beiden Sternwolken, dass sie offenbar der Milchstraße gerade das erste Mal begegnen, oder sich zumindest auf einem Orbit befinden, der sie der Milchstraße in den letzten 4 Milliarden Jahren nie näher als heute gebracht hatte; welche Möglichkeit zutrifft, hängt von der Milchstraßenmasse ab, die noch nicht gefestigt ist.
Die Verzerrungen rühren also eher von Interaktionen der beiden Galaxien miteinander her, wobei die beiden eine lange Schleppe aus Wasserstoff, den Magellanschen Strom, hinter sich her ziehen und ein Band aus Wasserstoff die beiden untereinander verbindet, die erst 2017 entdeckte Magellansche Brücke.
Aber es gibt weitere Auffälligkeiten: in der LMC kreist eine Population von Riesensternen im falschen Drehsinn um die Galaxie. Diese weisen einen Metallgehalt auf, der eher demjenigen der SMC ähnelt, als den Sternen der LMC. Eine ähnliche Population kreist im gleichen Drehsinn wie die LMC, aber in einer um 54° verkippten Ebene. Insgesamt machen diese Sterne 5% aller Sterne der LMC aus. Noch eine Auffälligkeit ist, dass die LMC sowohl junge Kugelsternhaufen (ca. 3 Milliarden Jahre alt) als auch sehr alte (13 Milliarden Jahre) enthält , aber nichts dazwischen. Könnte dies darauf hindeuten, dass die beiden Galaxien einst kollidierten, die LMC der SMC einen Teil der Sterne raubte, und die Kollision ihrer Wasserstoffwolken einen Schub von Sternentstehung auslöste, von dem die Kugelsternhaufen noch zeugen?
Simulationen der Kollision beider Galaxien konnten in der Tat die Brücke und den Strom erklären, aber es gelang nie, eine gegenläufige Sternscheibe hervor zu bringen.
Drei kleine Jägermeister…
Stattdessen schlagen der Master-Student Benjamin Armstrong und Dr. Kenji Bekki vom International Centre for Radio Astronomy Research (ICRAR) in Perth/Australien nun ein radikaleres Szenario vor: Die Große Magellansche Wolke soll demnach vor mehr als 3 Milliarden Jahren mit einer dritten Zwerggalaxie kollidiert und mit ihr verschmolzen sein. Dies wiesen sie anhand von Simulationen mit verschiedenen Ausgangsverteilungen der Massen von Dunkler Materie, der Sternenscheiben, der Gasscheiben und der zentralen Ausbuchtungen (Bulges) der verschmolzenen Galaxien nach. Sie testeten verschiedene Drehsinne für die Galaxien und den Umlauf der kleineren um die größere, sowie verschiedenen Neigungswinkeln der Scheiben zueinander. Es wurde in den Simulationen berücksichtigt, dass aus verdichtetem Gas neue Sterne entstehen, dass das UV-Licht junger Sterne und Supernovae das Gas ionisiert und aufheizt, dass es durch die Sterne mit Metallen angereicht wird und dass sich viele Sterne zu Riesen entwickeln. Die zu verschluckende Zwerggalaxie, wurde mit einer Masse von 1 Milliarde Sonnenmassen angesetzt, 1/10 der Masse der LMC, was sie dann zur allerkleinsten von drei Magellanschen Wolken gemacht hätte. Ich kürze sie hier fortan mit Tiny Magellanic Cloud – TMC ab; im Armstrong-Aufsatz und den unten daraus entnommenen Bildern heißt sie nur Companion – Begleiter.
Von allen Möglichkeiten erwies sich ein Szenario am plausibelsten, bei dem sich die beiden Galaxien im gleichen Drehsinn drehten, aber in dazu umgekehrtem Drehsinn umeinander bewegten, bevor sie verschmolzen. Das folgende Bild zeigt, wie es den beiden Galaxien danach erging:
Man sieht hier die Entwicklung der Verteilung der jeweiligen Komponenten der Galaxien über 1,4 Milliarden Jahre. Die verschiedenen Farben zeigen die relativen Sterndichten, also jeweils bezogen auf das Maximum der eigenen Dichte jeder Galaxie, das zu 1 gesetzt wird; die LMC ist in Wahrheit viel massiver und daher auch dichter als die TMC, und die TMC dünnt sich mit der Zeit aus, aber die maximale Dichte in jedem Bild ist immer 1. Dadurch sollen die stark unterschiedlichen Dichten der beiden Galaxien besser erkennbar gemacht werden. Der Logarithmus (log Σ) an der Farbskala ist vermutlich Unsinn, das Bild stammt aus dem frei zugänglichen Preprint der Arbeit, der auch noch andere Fehler enthält, und im Text oder der Bildunterschrift ist nirgends von einer logarithmischen Skala die Rede – sonst wäre die maximale Dichte im Bild 10 und die minimale 1, auch außerhalb der Galaxie.Man muss sich die jeweiligen Bilder mit gleicher Zeitangabe als miteinander am gleichen Ort verschmolzen denken, man sieht hier aber eimal nur die LMC und das andere Mal nur die TMC. Die TMC verschmiert sich zügig über die komplette LMC und sogar darüber hinaus. Allmählich bildet sie einen Balken aus. Sie ist weniger zentral konzentriert als die LMC. Während die LMC außen nur ein wenig wabert, wird die ursprünglich flache Scheibe mit starker Konzentration in einer kleinen zentralen Ausbuchtung nun auch weiter außen verdickt (die gelbe Fläche wird größer). Das passt zur Beobachtung, dass die LMC in der Tat für eine Spiralgalaxie ziemlich wenig abgeflacht ist und man sie daher ursprünglich auch als irreguläre Galaxie ansah.
Noch interessanter ist das folgende Bild, das die Rotation der beiden Galaxien 1,4 Milliarden Jahre nach dem Verschmelzen in drei Ebenen zeigt. Nach üblicher Konvention ist die galaktische x-Achse die Richtung von der Erde zum Zentrum der Milchstraße, y die Richtung in der Milchstraßenscheibe, in welcher sich die Sonne um die Milchstraße dreht, und z die Richtung senkrecht zur Scheibenebene in Richtung Norden. Die Ebene YZ ist dann ungefähr die, in der wir die LMC heute am Himmel sehen und XY die Ebene von weit oberhalb der Milchstraße aus gesehen. XZ ist eine Ebene, auf deren Kante wir schauen und die senkrecht zur Milchstraßenscheibe verläuft.
Die LMC dreht sich in jeder der Ebenen, am wenigsten in der XZ-Ebene. Die Sterne der verschluckten Galaxie (linkes Bild, unten) drehen sich im Gegensinn, vor allem in der XZ- und YZ-Ebene (letzteres passt zu den Beobachtungen – so sehen wir ihre Bewegung von der Erde aus). Am schnellsten bewegen sie sich in der Nähe des Zentrums – auch das passt zu den Beobachtungen. Schaut man sich das Gas an (rechtes Bild), dann rotiert dieses bei beiden Galaxien mit gleicher Orientierung und gleicher Geschwindigkeit – da die Gaswolken beider Galaxien anders als die Sterne miteinander kollidieren können, zieht die größere Gasmasse der LMC die kleinere der TMC mit sich mit. Auch das stimmt mit den Beobachtungen der LMC überein, es gibt kein gegenläufig rotierendes Gas. Gleiches gilt dann für Sterne, die aus diesem Gas entstehen. Das Gas der TMC ist stärker im Zentrum konzentriert als die Sternenmasse.Die Kollision des Gases geht dann auch mit einer Neuentstehung von Kugelsternhaufen einher. Somit würde das Alter der jüngeren Kugelsternhaufen anzeigen, wann die Kollision stattfand, und dies wäre demnach vor 5 bis 3 Milliarden Jahren gewesen.
Danach gab es weitere Interaktionen zwischen der LMC und der SMC, die dann den Magellanschen Strom und die Magellansche Brücke hervor brachten. Man kann auch noch eine Gaskomponente in der LMC nachweisen, die mit dem restlichen Gas noch nicht im Gleichgewicht ist und eine unterschiedliche Drehachse hat. Damit sind die bisher bekannten Szenarien für jüngere Interaktionen der beiden verbliebenen Magellanschen Wolken also von der neuen Theorie unbeeinflusst.
Die simulierte Kollision ist in folgendem Video zu bestaunen, und man kann darin auch den unterschiedlichen Drehsinn der beiden Galaxien nach der Vereinigung erkennen. Die Galaxien drehen sich anfangs beide im Uhrzeigersinn und umkreisen sich in Gegenrichtung. Am Ende rotieren die ursprünglichen Sterne der kleinen Galaxie in der vereinten Galaxie gegen den Uhrzeigersinn, die der LMC weiterhin im Uhrzeigersinn.
Galaxienkollisionen sind nichts ungewöhnliches. Im Gegenteil geht man davon aus, dass große Galaxien wie die Milchstraße erst durch das Verschlucken kleinerer zu ihrer heutigen Größe angewachsen sind, und in der Milchstraße findet man heute noch die Spuren ehemaliger Spiralarme von verschluckten Galaxien in Form von sich parallel bewegenden Sternströmen. Daher erscheint das vorgeschlagene Szenario durchaus plausibel.
Referenzen
[1] B. Armstrong, K. Bekki, “Formation of a counter-rotating stellar population in the Large Magellanic Cloud: a Magellanic triplet system?“, Letters to Monthly Notices of the Royal Astronomical Society, Vol. 480, Issue 1, 11. Oktober 2018, S. L141–L145, veröffentlicht 11. August 2018; Preprint als PDF verfügbar bei ICRAR.
[2] Pete Wheeler, “Magellanic Clouds duo may have been a trio“, Pressemitteilung des ICRAR (International Centre for Radio Astronomy Research), 18. September 2018.
[3] THK, “Das Duo der Magellanschen Wolken könnte einst ein Trio gewesen sein“, Astropage.eu.
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