Heute mal ganz was anderes, ich verlinke ein Video, das Ihr Euch nicht auf der Arbeit, sondern am besten in Ruhe zu Hause anschaut – oder besser noch anhört. Am besten bei gedämpfter Beleuchtung mit fetten Kopfhörern. Es ist knappe 24 Minuten lang. Bei Cornelius gibt’s gelegentlich Wochenendklassik – mit Klassik hab’ ich’s nicht so, eher mit Progressive Rock und Elektronik. Wollte den Jüngeren ein ihnen vielleicht noch nicht bekanntes Sahnestück aus den früheren 1970ern vorstellen, und den Älteren einen kleinen Trip in ihre Jugend verpassen 😉
Ist Euch (vor allem den Älteren) auch schon aufgefallen, dass die (populäre) Musik heutzutage unglaublich flach, bedeutungslos und kurzlebig geworden ist? Im Zeitalter der Castingsshows dominieren ein paar Labels den Markt, produzieren irgendwelche Sternchen mit Songs, die diese dann vortragen dürfen, und lassen sie schnell wieder fallen, wenn beim dritten oder vierten Song der Erfolg ausbleibt. Selfmade Bands haben es viel schwieriger, Aufmerksamkeit zu erhalten. Ich vermisse die 70er, als die Musik noch von Bands gespielt wurde, als sie noch Tiefe, Virtuosität und auch Länge hatten. Es war die Zeit der Konzeptalben und der Bands, die es von der Schülergruppe bis ganz nach oben schafften.
Eine davon war Pink Floyd. 1965 von Syd Barrett, Roger Waters, Nick Mason und Richard Wright gegründet, die sich aus Schulzeiten und dem gemeinsamen Architekturstudium in Cambridge kannten und teilweise schon in anderen Bands zusammen gespielt hatten, spielte die Gruppe zunächst in Clubs und Bars, bevor sie 1967 ihre erste Single (Arnold Layne, ein Lied über einen Wäsche-Fetischisten) und ein halbes Jahr später ihr erstes Album (The Piper at the Gates of Dawn) veröffentlichte, unter anderem mit dem Opener Astronomy Dominé mit astronomischem Bezug (“Jupiter and Saturn, Oberon Miranda and Titania; Neptune, Titan, stars can freighten…”). Es gibt ein amüsantes Video dazu, wie die vier den Song bei der BBC vortragen dürfen, sehr zum Widerwillen des Moderators Hans Keller, weil ihm das alles viel zu laut sei, aber sie hätten ein Publikum und damit ein Recht, Gehör zu bekommen. Er interviewt sie danach noch (“do you feel aggressive towards the audiences? There’s no shock treatment intended?”), und da kommen sie doch sehr brav rüber. 🙂
Der kreative Kopf und Songschreiber der Gruppe, Syd Barrett, verfiel leider sehr bald den Drogen, er geriet an die falschen Leute und kam mit dem Erfolg nicht klar. Am Ende war er so zugedröhnt mit LSD, dass er manchmal mitten im Live-Auftritt einfach nicht mehr weiter spielte und nur wie versteinert ins Publikum starrte. Auch zu Proben erschien er oft nicht mehr, so dass sich die anderen Bandmitglieder gezwungen sahen, ihn zunächst bei Auftritten und später gänzlich durch den Gitarristen David Gilmour zu ersetzen, der die Jungs ebenfalls aus der Schulzeit kannte. Schon beim zweiten Album, A Saucerful of Secrets, trug Barrett nur noch einen einzigen Song bei (Juggband Blues), in dem er selbst besingt, dass er nicht mehr dabei sei (“It’s awfully considerate of you to think of me here; And I’m most obliged to you for making it clear that I’m not here”). Er wurde schließlich schizophren. Auf späteren Alben (The Dark Side of the Moon und vor allem Wish You Were Here) nahmen sie Bezug auf seine mentale Krankheit und den Verlust ihres Freundes.
Das so entstandene endgültige Quartett schrieb jedenfalls Rock-Geschichte. Zunächst experimentierten die vier mit verschrobenen Klängen und verwendeten von Küchenutensilien über Vogelgezwitscher und Insektengeräusche bis zu Orchester und Chor alles Mögliche, um neue Sounds zu kreieren, wie das sonst keine Band tat – der Synthesizer war noch nicht erschaffen oder zumindest nicht erschwinglich. Man muss schon ein echter Fan sein, um die Stücke auf den Alben Ummagumma und Atom Heart Mother zu mögen (nur echt mit der Kuh auf dem Cover; man hatte versucht, das absurdeste Cover, das am wenigsten mit der Musik zu tun hatte, zu finden). Zwischendurch kam noch der durchaus hörbare Soundtrack More zum gleichnamigen Film heraus.
Aber am 31. Oktober 1971 kam dann mit einem Paukenschlag das Album Meddle heraus, das erste von drei Alben, welches die vier in den ewigen Olymp der Rockmusik katapultieren sollte. Die Musik, die Klänge und Geräusche, die damit erzeugten Stimmungen jagen einem Schauer den Rücken herunter. Solche Klänge hatte man bis dahin noch nie gehört, und sie sind zeitlos, sie wirken auch heute nicht altbacken. Einen Synthesizer hatten die vier immer noch nicht, aber das Album klingt so, als hätten sie einen verwendet. Der Opener One of These Days erschafft mit Gitarren und einer Hammond-Orgel einen unheimlichen Sound, manchmal an einen Rennwagenmotor erinnernd, und einem furiosen Gitarrensolo am Ende. Es folgen vier ruhige folk- und bluesartige Stücke (bei Seamus singt ein Hund mit!), bevor man damals die Langspielplatte wenden musste. Die ganze zweite Seite gehörte alleine dem Stück Echoes. 23:35 Minuten lang.
Es nimmt einen mit auf eine Reise in die Tiefsee und vielleicht auch in den Weltraum; brauchte man bei den früheren psychedelischen Pink-Floyd-Songs Drogen, um sie toll zu finden, so wirkt dieser Song selbst wie eine Droge, der regelrecht Bilder im Kopf erzeugt, wenn man ihn mit Kopfhörern im Dunklen hört; er nimmt die spätere elektronische Musik von Musikern wie Tangerine Dream oder Jean-Michel Jarre quasi schon vorweg. Trotz der Länge wird er nie langweilig.
Der Song entstand nach etlichen Experimenten und Kurzversionen (Arbeitstitel unter anderem “Nothing, Parts 1-24”, “The Son of Nothing”, “The Return of the Son of Nothing”) und alle Bandmitglieder trugen ihren Teil zur Komposition bei (Waters die Lyrics, die anderen die jeweiligen Parts ihrer Instrumente: Gilmour/Gitarre, Wright/Tasten, Mason/Schlagzeug).
Der Song besteht für mich aus 6 klar unterscheidbaren Teilen:
- Teil 1 öffnet mit einem Echolot-ähnlichen Klang, der von einem Klavier erzeugt wird, dessen hohes B durch einen rotierenden Lautsprecher und eine analoge Echomaschine auf der Basis einer rotierenden Magnettrommel als Speichermedium verfremdet wird. Dann kommen Orgelklänge hinzu und schließlich Gilmours E-Gitarre. Das ganze leitet zum ersten Lyrics-Teil mit marinem Bezug über. Richard Wright und David Gilmour sind die Vokalisten. Ursprünglich, so Waters, sollte der Text von kollidierenden Planeten handeln, aber um – nach Songs wie Astronomy Dominé und Interstellar Overdrive – nicht als Space-Rock-Gruppe abgestempelt werden, wechselte man auf das Unterwasser-Thema. An den Gesangspart schließt sich ein Gitarrenpart an.
- Teil 2 beginnt bei 7:00 Minuten mit einem Rhythmuswechsel, der Song wird rhythmischer. Bass, Schlagzeug und Hammondorgel bilden den Background für ein starkes Gitarrensolo von Gilmour.
- Teil 3 beginnt nach dem Fadeout der Rhythmusinstrumente etwa gegen 10:50 Minuten. Waters erzeugt auf dem Bass mit einem Steel-Slide, das er über die Saiten schleifen lässt, und dem oben schon genannten Echogerät das Geräusch eines unheimlichen dröhnenden Winds. Gilmour hatte zufällig herausgefunden, dass ein falsch herum an die Gitarre angeschlossenes Wah-Wah-Pedal Rückkopplungen erzeugt, und verwendet diesen “Seagull-Effekt”, um apokalyptisch anmutende Möwenschreie zu erzeugen (wer es genau wissen will – hier gibt’s ein Video-Tutorial dazu). Ein Schwarm aufgenommener Krähen verstärkt die düstere Wirkung der “Scary Section”, die wie aus einem Horror-Film wirkt.
- Teil 4 beginnt bei 15:00 mit der einsetzenden Orgel und erneuten Echolot-Pings, bevor ein Gitarrenstakkato einsetzt, dass sich unter Drum-Begleitung durch Mason langsam steigert, bis sich bei 18:15 mit zwei auf den Stereokanälen leicht versetzt spielenden E-Gitarren die aufgebaute Spannung entlädt.
- Teil 5 Nimmt bei 19:12 den Lyrics-Part wieder auf, der das Aufwachen am Morgen bei durchs Fenster hereinscheinendem Sonnenlicht beschreibt.
- Teil 6 beginnt bei 21:19 mit einem Windheulen (erzeugt aus überlagerten menschlichen Stimmen!), gefolgt von einer “Unterhaltung” von Gilmours Gitarre und Wrights Tasteninstrument, mit einem ruhigen Background aus Schlagzeug und Bassgitarre. Am Ende heult der Wind wieder auf und das ganze blendet unter Echolot-Pings langsam aus.
Danach hat man das Gefühl, eine ziemliche Reise durchgemacht zu haben und ist einigermaßen beeindruckt. Das ist nicht einfach Musik, die man mal nebenbei hört, sondern eher wie ein Film, der bei mir seltsame Gefühle und eine gewisse Nachdenklichkeit hinterlässt. Würde mich mal interessieren, wie sie auf die Leser (bzw. Hörer) wirkt, insbesondere, falls sie den Track zum ersten Mal gehört haben.
Statt des reinen Audios habe ich hier eine Version verlinkt, die den Song dem Schlussteil des Films “2001 – Odyssee im Weltraum” unterlegt. Es geht das (vermutlich falsche) Gerücht um, der Song sei so arrangiert, dass er zu dem kurz vorher erschienenen Film synchron sei. Manchmal passen die Bildwechsel ganz gut, manchmal auch nicht so. Aber da es kein offizielles Video gibt (außer der Live-Version (Teil 2), die später im Amphitheater von Pompeii aufgenommen wurde), ist die Kombination jedenfalls interessant anzusehen (obwohl man den Track, wie gesagt, besser im Dunklen mit Kopfhörern genießt).
Unter noch die nicht immer leicht verständlichen Lyrics der drei Gesangsstrophen. Viel Spaß beim Hören. Bin gespannt, wie dieses Experiment bei Euch ankommt.
Echoes – Pink Floyd, 1971
© Warner/Chappell Music, Inc, BMG Rights Management
Quelle: Google.
Hangs motionless upon the air
And deep beneath the rolling waves
In labyrinths of coral caves
An echo of a distant time
Comes willowing across the sand
And everything is green and submarine
And no one knows the wheres or whys
Something stirs and something tries
Starts to climb toward the light
By chance two separate glances meet
And I am you and what I see is me
And do I take you by the hand
And lead you through the land
And help me understand
The best I can
And no one crosses there alive
No one speaks and no one tries
No one flies around the sun
Upon my waking eyes
Inviting and inciting me
To rise
Come streaming in on sunlight wings
A million bright ambassadors of morning
And no one makes me close my eyes
So I throw the windows wide
And call to you across the sky
Referenzen
- Echoes (Pink Floyd song), en.wikipedia.org
- Echoes, Wiki Floyd
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