Es war ein großer Tag für Richard Branson, der ein Tränchen nicht verdrücken konnte. 14 Jahre nach der Gründung seines Unternehmens Virgin Galactic, 13 Jahre nach dem Beginn der Entwicklung von SpaceShipTwo, 8 Jahre nach dessen Erstflug und 4 Jahre nach dem katastrophalen Absturz von VSS Enterprise erreichte VSS Unity im 4. raketenbetriebenen 1 Testflug die angepeilte Zielhöhe von über 50 Meilen. Genau waren es 51,4 Meilen (82,7 km). Nun knackten Mark P. Stucky und sein Co-Pilot Frederick W. Sturckow, ein ehemaliger NASA-Astronaut mit 4 Shuttle-Flügen, die magischen 50 Meilen. Stucky ist damit der 568. Mensch, der die 50 Meilen übertroffen hat (‘C.J.’ Sturckow war der 391.).
Mit an Bord waren 4 automatische Experimente der NASA im Rahmen des NASA Flight Opportunities Programms, die den Flug vollständig finanzierten und somit den ersten Profit für Virgin Galactic erbrachten.
Der Verlauf des Flugs
Am 13. Dezember um 7:11 Uhr morgens lokaler Zeit hob das Trägerflugzeug WhiteKnightTwo, das auf den Namen VMS Eve getauft worden war, gesteuert von der Pilotin Nicola Pecile von der Mojave Luft- und Raumfahrtbasis im Süden Kaliforniens ab. Nach einem 49minütigen Aufstieg auf eine Höhe von 50.000 Fuß (ca. 15 km) klinkte Eve um exakt 8:00 Uhr Pazifikzeit (17:00 MEZ) das VSS Unity aus, das umgehend sein Hybrid-Raketentriebwerk startete. Das Triebwerk brannte für 60s und beschleunigte Unity auf eine Maximalgeschwindigkeit von Mach 2,9 (3550 km/h), während die Piloten das Raumflugzeug in einen vertikalen Steigflug hochzogen. Es fiel dann noch einige Kilometer antriebslos nach oben, bis es die besagten 82,7 km Höhe erreichte. Während dessen wurden die hinteren Tragflächen und Leitwerke steil nach oben geklappt, der sogenannte “Feder-Mechanismus”, der beim Wiedereintritt bei Mach 2,5 die Fluglage automatisch mit der Nase schräg voraus nach unten ausrichtete, ähnlich wie die das die Federn an einem Federball tun. In ca. 19.000 m Höhe wurden die Tragflächen teilweise, in 12.200 m Höhe komplett zurückgeklappt und das Flugzeug glitt antriebslos in einer Schleife zur Basis zurück, wo es um 8:15h (17:15 MEZ) planmäßig aufsetzte.
Die Erfüllung eines Traums
Kurz danach floss Champagner und Branson hielt eine Rede, wie wichtig ihm der Traum vom Weltraumflug sei, welch bemerkenswerte Menschen mit dem Blick auf die Sterne gerichtet ihren größten Traum hätten wahr werden lassen und welche große Herausforderungen sie gemeistert hätten. Es sei das erste Mal, dass ein bemanntes, speziell für den Tourismus gebautes Raumschiff den Weltraum erreiche.
Auch für den 60jährigen Piloten Mark “Forger” Stucky ging ein Kindheitstraum in Erfüllung. Seit er als nicht einmal vierjähriges Kind mit seinem Vater John Glenns ersten Orbitalflug eines amerikanischen Astronauten im Fernsehen verfolgt hatte, wollte er Astronaut werden. Er hatte sich in den 90ern mehrmals bei der NASA beworben, war aber nie über die engere Auswahl hinaus gekommen. 2009 wurde er als Testpilot bei Scaled Composites als Testpilot eingestellt – der Firma, die SpaceShipTwo baute und auch bereits den Vorgänger SpaceShipOne, der den Ansari-X-Prize gewonnen hatte 2. Nach dem Unglück von VSS Enterprise, bei dem sein Kollege und bester Freund Mike Alsbury ums Leben gekommen war, hatte Stucky daran gezweifelt, ob er jemals sein Ziel erreichen würde.
Nun berichtet er in einem Interview begeistert von seinem Flug. Endlich tue SpaceShipTwo das, wofür es gebaut worden sei: mit 3-facher Schallgeschwindigkeit senkrecht nach oben zu steigen und in den Weltraum zu treiben. Der Flug sei sehr ruhig gewesen, man spüre die Beschleunigung des Raketentriebwerks unter dem Hintern, die einen etwa eine Minute lang anschiebe; man beschleunige die ganze Zeit, und dann ziehe man senkrecht nach oben. Die maximale Beschleunigung betrage das 3- oder 4-fache der Erdschwerkraft, aber das nehme man wegen des Raketenmotors gar nicht so wahr. Und wenn der Motor erlösche, würde es sofort still. Der Himmel sei schon während der Motor noch brennt schon schwarz, und da oben sei es sehr friedlich. Nach dem Verlöschen des Triebwerks habe man das SpaceShipTwo auf den Rücken gedreht, um einen besseren Blick auf die Erde zu haben. Es sei unglaublich gewesen, nach unten zu schauen, während sie noch auf dem Weg nach oben waren, er kenne kein anderes Raumfahrzeug, aus dem man beim Aufstieg nach hinten sehen könne 3. Der Blick reichte über den Golf von Kalifornien bis zum südlichsten Punkt von Baja California, Cabo San Lucas in Mexiko.
Auf die Frage, ob er sich um seine Sicherheit Sorgen gemacht habe, sagte er, er sorge sich wie jeder um seine Sicherheit, auch wenn seine Risikobereitschaft sicherlich höher als die einer durchschnittlichen Person sei, aber dies sei die kommerzielle Raumfahrt und Virgin Galactic müsse demonstrieren, dass sie sicher seien, wenn sie erfolgreich sein wollten. Er halte das SpaceShipTwo für sehr robust und zuverlässig und denke, dass sie auf dem richtigen Weg seien.
Er finde großartig, was Virgin Galactic und andere kommerzielle Firmen derzeit leisteten; als er sich in den 90er Jahren bei der NASA beworben habe, habe er gedacht, er sei eine Generation zu spät geboren worden – und plötzlich sei er es nicht mehr, es sei eine großartige Zeit, um am Leben zu sein. High-School Schüler könnten sich nun Hoffnung machen, tolle Jobs in der Raumfahrt zu bekommen.
Nach all dem Training und den Tests sei er erleichtert, wie glatt alles gelaufen sei, dass er einen guten Job abgeliefert hätte und dass das SpaceShipTwo noch besser funktioniert habe als er selbst. Er habe nicht das Gefühl, nun den Höhepunkt erreicht zu haben, sondern er habe Spaß am Flug gehabt und freue sich auf die Zukunft, wenn er Passagiere dort hinauf fliegen werde, das wolle er nicht aus den Augen verlieren.
Bei den nächsten Flügen werden laut Virgin Galactic erstmals Passagiere mit an Bord sein, allerdings noch keine zahlenden – zunächst soll das Prozedere für die Gäste während des Flugs entwickelt und getestet werden. Z.B. werden die Sitze in der Phase der Schwerelosigkeit aus dem Weg gefahren, damit die Passagiere mehr Platz zum Schweben haben. Die “dynamische Bestuhlung” soll beim nächsten Flug erstmals in Aktion getestet werden. Vielleicht gegen Mitte des Jahres könnte dann, wie angekündigt, als erster echter (aber sicherlich nicht zahlender…) Passagier Sir Richard Branson persönlich in die Thermosphäre aufsteigen und gegen Ende des Jahres der reguläre Flugbetrieb vom “Spaceport America” in New Mexico aus starten.
Viele Menschen werden diesen Traum bald für sich wahr machen können. Natürlich ist es noch ein sehr teurer Spaß für Reiche, aber mehr als 700 Menschen haben bei Virgin Galactic bereits die Anzahlung für den $250.000 teueren Flug geleistet – das sind mehr Menschen als bisher überhaupt im Weltraum waren. Und weitere werden folgen. Und auch die zivile Luftfahrt war zu Beginn den Reichen vorbehalten. Mit Jeff Bezos’ Blue Origin (der noch keine Buchungen annimmt) und Bransons Virgin Galactic sind die beiden ersten Konkurrenten am Start. SpaceX hat noch höhere Ambitionen und plant, sein im Bau befindliches Starship für weltweite Personen- und Frachtflüge einzusetzen. Auch Blue Origin arbeitet an einer wiederverwendbaren Rakete für den Orbit. Konkurrenz wird langfristig die Preise senken und die Technik voran treiben.
Ist das der Weltraum?
VSS Unity hat wohl noch ein klein wenig Schubreserve, aber sehr viel höher wird sie nicht steigen können. Ihre Vorgängerin, die verunglückte VSS Enterprise, war für eine Flughöhe von 110 km ausgelegt, aber zusätzlich verbaute Sicherheitstechnik, damit sich der Unfall niemals mehr wiederholen kann, und eine stärkere Struktur um das Triebwerk herum erhöhten die Masse des Nachfolgeschiffs, so dass Unity nur noch gut 80 km Höhe erreichen kann. Die Konkurrenz von Blue Origin hat hingegen schon ohne Besatzung demonstriert, dass sie auf 119 km Höhe fliegen kann.
Bei 50 Meilen (80,5 km) Höhe setzen amerikanische Behörden (US Air Force, NASA und die amerikanische Flugaufsicht FAA) die Grenze zum Weltraum an. Die Air Force verlieh den X-15-Piloten, die diese Höhe erreicht hatten, das Astronautenabzeichen 4. Dort endet auch die Mesosphäre – die darüber liegende Thermosphäre 5 reicht bis über die Bahn der ISS hinaus und ist sicherlich schon Weltraum.
Vom Internationalen Luftsportverband FAI wird hingegen die Kármán-Linie von 100 km als offizielle Grenze zum Weltraum betrachtet. In dieser Höhe ist die nötige Geschwindigkeit, um Auftrieb in der dünnen Luft zu erreichen, so hoch, dass das Objekt dann durch die Fliehkraft bereits selbstständig seine Höhe beibehalten würde. Hier geht der durch Luft getragene Flug also in den Orbit nach Newtonschen Gesetzen über.
Für manche beginnt der Weltraum erst auf einer Umlaufbahn. Aber auch in größerer Höhe ist noch Luft vorhanden, Satelliten überleben in weniger als 120 km Höhe keinen vollen Orbit, und bis 300 km Höhe braucht ein Satellit einen Antrieb, um nicht binnen eines Jahres abzustürzen. Von einem Orbit ist SpaceShipTwo nicht nur mehr als 100 km, sondern auch 6,8 km/s entfernt – es erreicht gerade einmal eine Geschwindigkeit 1 km/s. Um im Orbit zu bleiben bräuchte es die achtfache Geschwindigkeit, Mach 24, und die 64-fache Energie. Deswegen bestehen Raketen zu 95% aus Treibstoff.
Aber SpaceShipTwo will gar nicht in den Orbit und kommt deshalb auch ohne Hitzeschild sicher wieder zur Erde zurück.
Der Astrophysiker und Raumfahrtexperte Jonathan McDowell setzt sich schon seit den 1990ern dafür ein, dass die 80-km-Definition auch von der FAI anerkannt wird, denn für die 100 km, die zwar schön rund und metrisch seien, sieht er keinerlei physikalische Begründung. Er ist auch Raumfahrthistoriker und für seine Listen von Raumflügen benötigte er ein sinnvolles Kriterium für die Grenze zum Weltall. In einer Anfang 2018 von ihm veröffentlichten Arbeit in Acta Astronautica untersuchte er in einer Datenbank 90 Millionen Satellitenbahnen, die mehrfache Umkreisungen vollführt hatten und fand, dass elliptische Bahnen mehrfach 80 km Perigäum erreicht hätten. Nach der FAI-Definition wären diese Satelliten zwar im Orbit, aber nicht die ganze Zeit im Weltraum gewesen, was unsinnig sei. Einen zweiten Ansatz verfolgend berechnete er, ab welcher Höhe aerodynamische Kräfte eine größere Rolle spielen als die Newtonschen Kräfte im Orbit, und fand, je nach Form des Objekts, zwischen 70 und 90 km. Die FAI will deswegen zusammen mit der International Astronautical Federation im kommenden Jahr 2019 einen internationalen Workshop abhalten, um die wissenschaftlichen Argumente für eine Neufestlegung zu diskutieren.
Wenn Ihr mich fragt, sind das Haarspaltereien – das Erlebnis eines Flugs in die Schwärze oberhalb der Stratosphäre wird bei 80 km Höhe kaum weniger intensiv und atemberaubend sein als bei 100 km – und mit einem Orbitalflug von Tagen, Wochen oder Monaten ist ein Suborbitalflug von wenigen Minuten Dauer dann auch wieder nicht zu vergleichen. Solche Flüge werden noch länger Milliardären oder Berufsastronauten vorbehalten bleiben.
Referenzen
- Mike Wall, “Virgin Galactic’s SpaceShipTwo Reaches Space for 1st Time in Historic Test Flight!“, Space.com, 13.12.2018.
- “Richard Branson Welcomes Astronauts Home from Virgin Galactic’s Historic First Spaceflight“, Virgin Galactic, 13.12.2018.
- Nicholas Schmidle, “Behind the Scenes of Virgin Galactic’s First Space Mission“, The New Yorker, 14.12.2018.
- Eric Berger, “Virgin Galactic just flew to 82.68 kilometers—is this space?“, ars Technica, 13.12.2018.
- Richard Branson, Newsletter auf Virgin.com.
1 Es gab vorher 7 Gleitflüge, bei denen Unity nur vom WhiteKnightTwo abgeworfen wurde und dann ohne Antrieb zur Basis zurück flog. VSS Enterprise hatte 30 Gleitflüge absolviert und 3 angetriebene. Beim 4. Flug mit Raketenantrieb verunglückte das Raketenflugzeug, weil der Feder-Mechanismus versehentlich zu früh entriegelt worden war. Ein Pilot kam ums Leben, der andere wurde schwer verletzt. Das gesamte SpaceShipTwo-Testprogramm ist hier dokumentiert.
2 2004 hatte SpaceShipOne dreimal eine Höhe von 100 km überschritten. Die letzten beiden Flüge fanden binnen zwei Wochen statt, was die Bedingung zur Erlangung des Preises war. Der erste Flug machte den Piloten Mike Melvill zum ersten kommerziellen Astronauten.
3 Beim Space Shuttle, das auf dem Rücken liegend aufstieg, konnten die Piloten die Erde schräg über sich sehen, allerdings in Vorwärtsrichtung.
4 Bei der ESA braucht man dafür übrigens nur die entsprechende Ausbildung am Boden zu absolvieren.
5 Die Atmosphärenschichten sind nicht willkürlich gewählt, sondern an jeder Grenze kehrt sich jeweils der Temperaturverlauf mit der Höhe um – in der Troposphäre wird es mit der Höhe kälter, in der Stratosphäre wärmer, in der Mesosphäre wieder kälter und in der Thermosphäre wiederum wärmer.
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