Nein, diesmal geht es nicht um das gleichnamige Teleskop, sondern die Hubble-Konstante. Die Kosmologie hat seit ein paar Jahren ein Problem. Sie bekommt die Expansionsraten des Universums aus Nah- und Fernmessungen nicht unter einen Hut. Gibt es dafür vielleicht eine simple Erklärung?
Die zeitlich variable Konstante
Bekanntlich expandiert das Universum mit einer bestimmten Rate, der Hubble-Konstanten1, oft abgekürzt als H0. In astronomischen Standardeinheiten gibt sie an, um wieviele Kilometer eine Referenzstrecke von 1 Mpc (Megaparsec = 3,26 Millionen Lichtjahre, ungefähr 1,3-mal die Strecke zur Andromedagalaxie) derzeit pro Sekunde anwächst (Kilometer pro Sekunde und Megaparsec oder kurz km s-1 Mpc-1). Dieser Wert ist extrem wichtig für das Verständnis der Urknall-Kosmologie, aus ihm folgt zum Beispiel das Weltalter und die Entfernung von Galaxien in Abhängigkeit von der Rotverschiebung ihres Lichts.
Seit der Entdeckung der kosmischen Expansion durch Edwin Hubble und Georges Lemaître versucht man, den Wert von H0 zu bestimmen. Die Standardmethode beruht darauf, gleichzeitig die Entfernung eines kosmologischen Objekts und seine Rotverschiebung zu messen, d.h. die scheinbare Geschwindigkeit, mit der es sich von uns aufgrund der kosmologischen Expansion zu entfernen scheint – tatsächlich ruht das Objekt lokal an seinem Ort wie auch die Milchstraße das tut (bis auf Bewegungen im Gravitationsfeld der umgebenden Galaxien). Tatsächlich wächst die Strecke zwischen dem Objekt und der Milchstraße durch die Raumexpansion stetig, und um den gleichen Faktor wächst auch die Wellenlänge des Lichts, das über diese Strecke bis zu uns gelaufen ist, und das sieht dann genau so aus, als ob die Galaxie sich von uns entfernte und die Rotverschiebung ein Dopplereffekt wäre. Ist sie aber nicht.
Im Schein der Standardkerzen
Die Rotverschiebung ist leicht anhand der beobachteten Wellenlängen der Wasserstoff-Spektrallinien im Vergleich zu deren Laborwerten zu messen. Für die Entfernungsmessung benutzt man “Standardkerzen”, das sind Sterne bekannter Leuchtkraft: Cepheiden in benachbarten Galaxien bis ca. 1 Mpc und Supernovae vom Typ Ia bis zur Rotverschiebung z von 1,3 (entsprechend einer Lichtlaufzeitentfernung von ungefähr 8,5 Milliarden Jahren und einer mitbewegten Entfernung von 12,5 Milliarden Lichtjahren). Unter Berücksichtigung der Expansionsgeschichte des Universums, die vom Anteil der Dunklen Energie und der Dichte der Materie (dunkle und baryonische) bestimmt wird und die aus der Allgemeinen Relativitätstheorie abgeleitet werden kann (Friedmann-Gleichung), kann man trotz der sich über die lange Lichtlaufzeit ändernden Hubble-Expansion den Wert des heutigen H0 errechnen. Es ergibt sich ein in immer engere Fehlerintervalle eingeschnürter Wert von mittlerweile (Hubble-Weltraumteleskop und Gaia DR2, April 2018) 73,52±1,62 km s-1 Mpc-1.
Die ultimative Heldin der niedrigsten Frequenzen
Der Wert von H0 lässt sich aber auch völlig anders bestimmen: aus der kosmischen Hintergrundstrahlung. Diese Hintergrundstrahlung zeigt uns den Feuerballs des heißen Wasserstoff-Helium-Plasmas, das nach dem Urknall den Raum erfüllte und durch die Expansion des Universums immer weiter verdünnt wurde und dadurch abkühlte. In einem Plasma sind die Teilchen so heiß und kollidieren deswegen so heftig miteinander, dass die Atome Elektronen verlieren, die sich frei bewegen können und jedes vorbeikommende Photon absorbieren oder streuen. Deswegen sind Plasmen undurchsichtig. Wer eines sehen will, braucht sich nur die Sonnenoberfläche (Photosphäre) anzuschauen: Ein Wasserstoff-Helium-Plasma bei 5800 K. Wenn ein Plasma abkühlt, können die Atome die Elektronen wieder einfangen (Rekombination) und dann können sie nur noch mit Licht bestimmter Frequenzen interagieren – so entstehen dann Absorptionslinien, z.B. in den kühleren Schichten der oberen Sonnenatmosphäre, der Chromosphäre, die ansonsten transparent ist.
Durch die Expansion kühlte das Plasma des Urknalls nach rund 380.000 Jahren2 unter 3000K ab, dass es transparent wurde, und von da an konnte Licht sich geradlinig ausbreiten, so dass es uns heute noch erreicht. Wir sehen in der Hintergrundstrahlung also den Rand des Feuerballs. Allerdings um den Faktor 1100 rotverschoben bis in den Radiowellenbereich. Ihre heutige Temperatur beträgt demgemäß nur noch 3000K/1100 = 2,73K.
Das Gas war damals noch dicht genug, Druckwellen (mit anderem Wort: Schall) zu transportieren. Wenn nun irgendwo die Materiedichte etwas höher als anderswo war, zog die Schwerkraft umgebende Materie (baryonische und dunkle) dorthin und sorgte für eine Kompression und damit Aufheizung des baryonischen Gases, was wiederum den Strahlungsdruck dort erhöhte, der das Gas wieder auseinander trieb. Auf diese Weise kam es zu Schwingungen im Plasma, den sogenannten Akustischen Baryonischen Oszillationen (BAOs), die sich als Dichteschwankungen mit 60% der Lichtgeschwindigkeit ausbreiteten. Die sich ausbreitende Strahlung zog wegen ihrer Kopplung an die baryonischen Materie das Plasma so lange teilweise mit sich mit, bis es transparent wurde, und ließ es dann verdichtet und aufgeheizt in kugelförmigen Schalen um die ursprünglichen Quellen zurück. Man kann ausrechnen, dass der Radius dieser Schalen in der Hintergrundstrahlung etwa 220.000 Lichtjahren entsprechen muss (dem sogenannten Schallhorizont oder Sound Horizon in der Hintergrundstrahlung).
Damit hat man hat ein Standardlineal, eine Strecke bekannter Größe in der Hintergrundstrahlung. Der europäische Satellit PLANCK hat von 2009 bis 2013 den kosmischen Mikrowellenhintergrund mit großer Auflösung vermessen. Aus dem maximalen Winkeldurchmesser der Strukturen in der kosmischen Hintergrundstrahlung (etwa 1°), den man durch eine Fourieranalyse der räumlichen Temperaturverteilung in der Hintergrundstrahlung ermitteln kann (Leistungsspektrum der Hintergrundstrahlung, siehe Bild oben), folgt dann auch ein Wert für H0: 67,66±0,42 km s-1 Mpc-1.
Bleibenden Eindruck hinterlassen
Eine dritte Methode liefert das Muster, das die BAOs in der großräumigen Struktur des Universums hinterlassen haben. Aus dem Muster von zentral verdichteter Dunkler Materie und schalenförmig verdichteter baryonischer Materie entstanden Galaxien, die es heute noch erkennen lassen. Bis zum heutigen Tag sind die Schalen durch die kosmische Expansion auf ca. 150 Mpc Durchmesser angewachsen. Mit der Galaxiendurchmusterung des Sloane Digital Sky Survey (SDSS), der für ca. 1,5 Millionen Galaxien Ort und Entfernung und damit deren räumliche Anordnung bestimmte, ließ sich auch im heutigen Universum mit statistischen Methoden der Schallhorizont identifizieren (Artikelbild). Das zugehörige Projekt nannte sich BOSS (Baryonic Oscillation Spectroscopic Survey). Aus ihm ergab sich ein Wert von H0: 67,6±0,7 km s-1 Mpc-1.
Diese Ergebnisse passen im Rahmen der Fehlerbalken beim besten Willen nicht zusammen. Die Abweichung, im Mittelwert von 5,8 km s-1 Mpc-1, beträgt statistisch betrachtet 3,4σ – eine nur 0,03-prozentige Wahrscheinlichkeit, dass diese Abweichung zufällig ist. Anfangs (2013) schob man das Ergebnis aus der Hintergrundstrahlung von PLANCK noch auf irgendeinen systematischen Fehler, weil man den Messungen der Standardkerzen mehr traute, aber durch die BOSS-Messungen 2016 wurde das Ergebnis weiter gestützt. Nun ist man auf der Suche nach Auswegen aus dem Dilemma.
Leben in der großen Leere
2013 schlossen Ryan Keenan, Amy Barger und Lennox Cowie aus den Galaxienzahlen im lokalen Universum [1], dass die Milchstraße, die Lokale Gruppe und sogar ein großer Teil des Laniakea-Superhaufens sich innerhalb eines Voids, also eines der Leerräume, den die BAOs hinterlassen haben, befinden soll, genannt Large Local Void (LLV), oder manchmal nach den Anfangsbuchstaben der Autorennamen KBC-Void. Voids sind nicht wirklich leer, in ihnen ist die Galaxiendichte jedoch nur 10%-20% so hoch wie in den sie begrenzenden Filamenten. Der LLV soll 1,5 Milliarden Lichtjahre durchmessen (bis zu einer Rotverschiebung von z=0,07), deutlich mehr als die üblichen Voids, die durch den Schallhorizont von 450 Millionen Lichtjahren Durchmesser begrenzt sind. Und die mittlere Dichte der leuchtenden Materie soll nur um 30% geringer sein als jenseits des mutmaßlichen Voids, der damit streng genommen nur eine unterdichte Region wäre.
Der Effekt wäre dann folgender: Die kosmische Expansion unterliegt der wechselseitigen Anziehung der Materie einerseits, die einen bremsenden Effekt hat, und der Dunklen Energie andererseits, die die Expansion beschleunigt. Ist nun im Void die Materiedichte um 30% kleiner, dann bremst die Materiedichte die Expansion innerhalb des LLV weniger ab als außerhalb und die Hubble-Konstante wäre ein wenig größer. Im folgenden Bild haben Hoscheit und Barger 2018 [2] den Effekt durchgerechnet:
Wie man dem Bildtext entnimmt, können die Autoren mit der Annahme einer geringeren Dichte rund 2 der 5,8 km s-1 Mpc-1 Unterschied der H0-Messungen erklären und damit die Abweichung von 3,4σ (0,03% Zufallswahrscheinlichkeit) auf 2,75σ (0,3%) senken. Die Idee ist qualitativ gut, aber quantitativ scheint sie mir nicht gänzlich überzeugend zu sein.
Quasare und Sirenen
Spannend wäre zu wissen, was die Rotverschiebung zwischen der kosmischen Hintergrundstrahlung bei z≈1100 und den fernsten Supernova-Messungen bei z=1,3 angestellt hat. Zwei Ansätze werden derzeit verfolgt, um genau dies herauszufinden. Der erste Ansatz stützt sich auf mit Gravitationswellendetektoren (LIGO und VIRGO) beobachteten Gravitationswellen von verschmelzenden Schwarzen Löchern. Aus der Beobachtung der Umlauffrequenz bei der Annäherung der Schwarzen Löcher lässt sich deren Masse bestimmen, aus der die intrinsische oder “wahre Gravitationswellenleuchtkraft” folgt, also wieviel Leistung in Form von Gravitationswellen abgestrahlt wird. Aus der auf der Erde beobachteten Amplitude der Welle folgt wiederum ihre “scheinbare Helligkeit”, wie man sie analog von Sternhelligkeiten kennt. Daraus lässt sich die Entfernung berechnen. Man hat auch schon einen Namen für diese Methode geprägt: Standardsirenen.
Leider ist die Methode noch ziemlich ungenau. Bis jetzt gibt es nur zwei gelungene Messungen, eine vom 16. Oktober 2017 von der berühmten Neutronensternverschmelzung GW170817 mit H0= 70,0 +12/-8 km s-1 Mpc-1 für eine sehr nahe Galaxie (ca. 41 Mpc) und eine vom 6. Januar 2019 mit 75,2 +39,5/-32,4 km s-1 Mpc-1 für ein Ereignis in einer Entfernung von 540 Mpc (1,8 Milliarden Lichtjahre). Ja, ca. ±35, das ist nicht gerade genau. LIGO wurde gerade wieder aufgerüstet und soll Anfang dieses Jahres mit der dritten Messkampagne loslegen, während in Indien ein vierter empfindlicher Detektor im Bau ist. Mit mehr Geräten und wesentlich mehr beobachteten Verschmelzungen wird die Genauigkeit und die Reichweite der Messungen zunehmen. Wenn man ein paar hundert gemessen hat, werden die Ergebnisse statistisch signifikant werden und die Fehlerbalken klein genug sein, um gute Werte abzulesen.
Der zweite Ansatz beruht auf Quasaren als Standardkerzen. Quasare sind die Kerne junger, aktiver Galaxien in der Frühphase des Universums. In ihnen verschlingt ein supermassereiches Schwarzes Loch so viel Materie, dass die Akkretionsscheibe um das Schwarze Loch die Galaxie vollkommen überstrahlt, so dass sie selbst neben dem grell leuchtenden Monstrum in ihrem Inneren gar nicht mehr zu sehen ist. Daher auch der Name Quasar, abgeleitet von quasistellar (also punktförmig, wie ein Stern, im Gegensatz zu flächigen, nebelartigen Galaxien) und Radioquelle (Quasare wurden zuerst mit Radioteleskopen entdeckt; am Ort der Quelle fand sich dann nur ein “Stern”). 2015 haben die Italiener Guido Risaliti und Elisabeta Russo eine Beziehung zwischen der UV- und Röntgenleuchtkraft der Quasare entdeckt: wenn ein Quasar heller leuchtet, dann steigt die UV-Leuchtkraft schneller an, als die Röntgenleuchtkraft. Mit zunehmender Entfernung ändert sich das Verhältnis der beiden aber nicht, beide sinken mit zunehmender Entfernung um den gleichen Faktor. Also kann man aus den beobachteten UV- und Röntgen-Helligkeiten der Quasare auf ihre Leuchtkraft und somit ihre Entfernung schließen. Ebendies taten die zuvor genannten Autoren in einer brandneuen Arbeit vom 28. Januar 2019 für nicht weniger als 1600 Quasare zwischen z>0,04 und z<5,1 [3]. Mit folgendem Ergebnis:
Die gelben Quasarmessungen streuen gewaltig, aber mittelt man sie für gleiche Rotverschiebungen, dann erhält man die roten Kreise mit den kleinen Fehlerbalken. Die Messungen für kleine z geben genau den Verlauf der Kurve wieder, der auch aus den Supernovamessungen (türkisfarben) folgt. Extrapoliert man aus diesem Teil des Graphen bis z=1,3 den weiteren Verlauf gemäß dem Standard-Kosmologiemodell ΛCDM mit zeitlicher konstanter Dunkler Energie Λ (und kalter Dunkler Materie, Cold Dark Matter, CDM), dann ergäbe sich der violett gestrichelte Verlauf. Besser zu den Daten passt aber eine andere Kurve, bei der die Dunkle Energie sich zeitlich geändert haben muss. Damit würde sich natürlich dann auch erklären, warum die Hubble-Konstante sich geändert zu haben scheint, denn die schwarze Kurve zeigt eine geringere Dunkle Energie im frühen Universum an.
Dummerweise wissen wir noch nicht, was die Dunkle Energie eigentlich ist – bisher glaubte man zumindest zu wissen, dass sie eine intrinsische Eigenschaft des Vakuums ist, die räumlich und zeitlich unverändert bleibt. Warum sich diese Eigenschaft dann auch noch mit der Zeit ändern sollte, ist vollkommen rätselhaft. Würde aber erklären, warum PLANCK und BOSS auf einen anderen Wert der Hubble-Konstante kommen als Supernova-Messungen im lokalen Universum, ganz ohne Void. Durch genau solche Beobachtungen kam die Physik bislang immer wieder voran. Der Ball geht nun an die Theoretiker.
Referenzen und weiterführende Quellen
[1] R. C. Keenan, A. J. Barger, L. L.Cowie, “Evidence for a ~300 Mpc Scale Under-density in the Local Galaxy Distribution“, The Astrophysics Journal Vol. 775, Nr. 1, 5. September 2013 arXiv:1304.2884.
[2] Benjamin L. Hoscheit, Amy J. Barger, “The KBC Void: Consistency with Supernovae Type Ia and the Kinematic SZ Effect in a ΛLTB Model“, The Astrophysics Journal Vol. 854, Nr. 1, S. 46, 9. Februar 2018; arXiv:1801.01890.
[3] Guido Risaliti & Elisabeta Russo, “Cosmological constraints from the Hubble diagram of quasars at high redshifts“, Nature Astronomy, 28.01.2019; arXiv:1811.02590.
[4] en.wikipedia.org, Hubble’s Law (mit Messungen).
[5] Elizabeth Howell, “We Live in a Cosmic Void, Another Study Confirms“, Space.com, 14. Juni 2017.
[6] Monica Young, “Does the Milky Way Live in a Void?“, Sky & Telescope, 21. Juni 2017.
[7] Jim Daley, “The Universe’s Fate Rests on the Hubble Constant—Which Has So Far Eluded Astronomers“, Scientific American, 30. Januar 2019.
[8] Markus Bauer, “Active Galaxies Point to News Physics of Cosmic Expansion“, ESA Space Science, 28. Januar 2019.
[9] Wayne Hu, “Ringing in the New Cosmology – Intermediate Guide to the Acoustic Peaks and Polarization“, Chicago, 2001.
1 Die Expansionsrate ist zeitlich variabel, man spricht vom Hubble-Parameter H(t) zum Weltalter t, aber räumlich konstant: das ganze Universum expandiert zu einem gegebenen Alter überall mit der gleichen Rate. Der heutige Wert des Hubble-Parameters ist die Hubble-Konstante H0.
2 Der Wert berechnet sich aus dem Alter des Universums und der Rotverschiebung von ca. 1089, die wiederum aus dem Vergleich der heutigen Temperatur der Hintergrundstrahlung von 2,73 K und der zur Transparenz des Plasmas nötigen Temperatur von höchstens 3000 K folgt. Mit der Friedmann-Gleichung kommt man auf ein Weltalter von 380.000 Jahren für diese Rotverschiebung.
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