Lange schon ist bekannt, dass Rote Zwergsterne ziemlich übellaunig sein können und mit ihren starken Magnetfeldern Superflares auf ihre potenziellen Planeten abfeuern können, UV- und Röntgenstrahlenschauer, die die Oberfläche einer solchen Welt sterilisieren können. Unsere Sonne ist da ja zum Glück weitaus friedfertiger. Dachte man jedenfalls bisher. Etwas überraschend zeigte sich dann als Beifang zu den Beobachtungen des Planetensuchers Kepler, dass ganz gewöhnliche sonnenähnliche F8-G8-Zwergsterne mitunter auch Superflares hervorbringen können. Wenn auch nur ein sehr kleiner Teil von ihnen. Ein japanisch-amerikanisches Team hat die Kepler-Superflaresterne systematisch analysiert, um die Unterschiede zwischen den Superflare-Sternen und unserer Sonne zu finden. Um es vorweg zu nehmen: sie fanden keine.
Magnetische Kurzschlüsse
Sonnenflares sind magnetische Kurzschlüsse in der Sonnenatmosphäre, die entstehen, wenn das Magnetfeld sich lokal neu verbindet und die darin gespeicherte Energie schlagartig freigesetzt wird. Anders als bei der Erde entsteht der Magnetismus der Sonne nicht tief in ihrem Inneren, sondern in den oberen Schichten. Das Plasma aus geladenen Teilchen, aus denen die Sonne besteht, wird dort durch aufsteigende Strömungen umgewälzt, die die Wärme aus dem Inneren an die Oberfläche transportieren (Konvektion), wobei die bewegten Ladungsträger ein Magnetfeld erzeugen. Das wäre einigermaßen regelmäßig, wenn die Sonne nicht auch noch rotieren würde, und zwar differentiell: an den Polen dreht sie sich alle 31 Tage um sich selbst, am Äquator in nur 25 Tagen. Dadurch verdrillen sich die Magnetfeldlinien über die Jahre, verstärken sich an manchen Stellen, und bilden teils Schlaufen. In den Schlaufen bewegt sich das Plasma den Feldlinien entlang und erzeugt so zum Beispiel die bogenförmigen Protuberanzen, die man mit entsprechenen Filtern am Sonnenrand sehen kann, oder die Sonnenflecken, dunklere Zonen der Oberfläche, wo die Feldlinien gewissermaßen kühlere Löcher in die Photosphäre gebohrt haben. Durch das allmählliche Verdrillen der Magnetfeldlinien kommt es zur periodischen Sonnenaktivität, die unregelmäßig mit einem Mittelwert von 11 Jahren ein Maximum erreicht. Im Maximum ist das globale Feld vollkommen verquirlt, bricht schließlich zusammen, und baut sich in gegenpoliger Richtung wieder auf, bis zum nächsten Maximum, an dem sich das Spiel wiederholt. Im Maximum zeigt die Sonnenoberfläche ständig ein paar Sonnenflecken, im Minimum (wie gerade jetzt) oft wochenlang keinen einzigen.
Hat die Sonne viele Flecken, dann ist sie besonders aktiv, dann sind die Magnetfelder stark verdrillt, und genau dann kommt es auch am häufigsten zu Flares. Wenn die sonst bogenförmigen Feldlinien aufreißen, werden Elektronen in der äußeren Chromosphäre und Korona im Magnetfeld stark beschleunigt, die dann den Feldlinien folgend mit hoher Geschwindigkeiten auf die dichtere Photosphäre prallen, wo sie stark abgebremst werden. Elektronen stark abzubremsen ist genau das Prinzip der von Wilhelm Konrad Röntgen erfundenen Röhre – so entsteht die Röntgenstrahlung des Flares. In Gegenrichtung beschleunigte Teilchen werden als koronaler Massenauswurf (engl. coronal mass ejection, CME) nach außen geschleudert. Erfolgt der Auswurf in Richtung der Erde, können die Teilchen nach 1-3 Tagen Flugzeit mit bis zu 2000 km/s dieselbe erreichen und vom Erdmagnetfeld zu den Polen abgeleitet Polarlichter bei uns verursachen. Das Röntgenlicht eines Flares ist hingegen mit Lichtgeschwindigkeit unterwegs schon nach 8 Minuten und 20 Sekunden bei uns. So kann ein Flare als Vorwarnung vor dem Partikelstrom eines CME dienen, der bei großer Intensität als Sonnensturm bezeichnet wird.
Weltraumwetter
Sonnenstürme sind also Schauer geladener Teilchen, die z.B. direkt die Elektronik von Satelliten zerstören können, und die für zukünftige Raumfahrer außerhalb des Erdmagnetfelds lebensgefährlich werden können. Das Magnetfeld der Erde schützt die niedrig kreisende ISS und auch uns Erdenbewohner zuverlässig vor Sonnenstürmen, die jedoch das Feld selbst erschüttern und deformieren können. Dies führt zu großräumigen Schwankungen der Magnetfeldstärke, die man sogar mit Amateurmitteln messen kann. In langen Leitern (Strom- und metallische Datenleitungen) kann das schwankende Feld dann durch Induktion teils beträchtliche Ströme erzeugen (induzieren), die angeschlossene Geräte oder Trafos zerstören können. Bei einem Sonnensturm im März 1989 in Quebec brach großflächig wegen durchgebrannter Transformatoren das Stromnetz zusammen. Noch stärker war der Sonnensturm von 1859 nach dem von Carrington und Hodgson ersten beobachten Flare überhaupt (im sichtbaren Licht!) dessen CME die Erde voll erwischte. Damals waren Polarlichter bis nach Kuba und Hawaii berichtet worden und Telegraphen, deren Papierstreifen durch Funkenschlag Feuer fingen. Und dies war noch kein Superflare.
Flares werden nach ihrer Röntgenleuchtkraft in einer logarithmischen Skala klassifiziert, A, B, C, M und X. Klasse B setzt 10mal so viel Energie frei wie Klasse A (Röntgenleuchtkraft 10-8 W/m²), Klasse C das hundertfache. Die einzelnen Klassen sind noch einmal linear von 1 bis 9 unterteilt, so ist M2 doppelt so stark wie M1 (10-5 W/m²), M3 dreimal so stark etc. und M10 = 10 mal M1 entspricht dann X1. In der höchsten Klasse X wird nach oben offen weitergezählt: der stärkste bisher gemessene Flare war ein X28 am 4. November 2003, dessen CME die Erde zum Glück verfehlte. Der Carrington-Flare wird auf X45 geschätzt, derjenige, der dem Sonnensturm von Quebec vorausging, lag bei X15 [6]. Den Röntgenleuchtkräften der Flares kann man annähernd die freigesetzte Energie zuordnen, wobei X1 etwa 2·1031 erg = 2·1024 Joules = 480 Billionen Tonnen TNT entsprechen (die stärkste von Menschen je erzeugte Energiefreisetzung war die Zar-Atombombe mit 50 Millionen Tonnen TNT bei 1/1000 der Stärke eine A-Klasse-Flares; immerhin…). X28 entsprechen knapp 3·1032 erg. Carrington lag bei 4,5·1032 erg. Die Energieeinheit erg stammt übrigens aus dem alten Zentimeter-Gramm-Sekunde-System (cgs), das dem heutigen SI-System mit Meter, Kilogramm und Sekunde vorausging. Die meisten Astronomen halten starrsinnig am cgs fest, so auch die Autoren der hier betrachteten Arbeit, daher verwende ich die Einheit hier ebenfalls. 107 erg sind 1 Joules.
Eine andere Liga
Superflares spielen in einer um Zehnerpotenzen höheren Liga: 1033 bis 1038 erg, 10 bis eine Million mal so stark wie die stärksten gemessenen Sonnenflares. Der Planetensucher Kepler, der zum Aufspüren der winzigen Verfinsterungen von Sternen durch vorbeiziehende Planetenscheibchen die Helligkeit hunderttausender Sterne mit großer Präzision über lange Zeiten vermessen hat, fand neben den üblichen Flares von M-Zwergen auch anscheinend ganz gewöhnliche Sterne vom Typ der Sonne, etwa Spektralklassen F8V bis G8V, die mitunter Superflares produzierten, was angesichts der als friedlich betrachteten Sonne ziemlich überraschend kam. Solche Sterne zeigten quasiperiodische Helligkeitsschwankungen von 0,1% bis zu 10%, die auf riesige Sonnenflecken hindeuteten, die bei der Rotation des Sterns periodisch durch das Blickfeld Keplers zogen. Bei M-Zwergen weiß man, dass sie bis zum Zentrum hin konvektiv und deswegen besonders magnetisch aktiv sind, aber warum sollten sich G-Sterne anders verhalten als unsere Sonne? Von insgesamt 83000 sonnenähnlichen Sternen zeigten in einer 2012 veröffentlichten Analyse der Kepler-Daten nur 184 Sterne insgesamt 365 Superflares. Das sind nur 0,2% aller sonnenähnlichen Sterne.
Manche, aber nicht alle, sind Partner in engen Doppelsternsystemen, bei denen der andere Stern das Magnetfeld beeinflussen und zusätzlich verdrillen könnte. Eine Vermutung war, dass eng umlaufende heiße Jupiter ähnliches bewirken könnten, und Kepler sah solche Planeten ja nur, wenn die Erde ungefähr in der Bahnebene des Planeten lag, was nur selten der Fall ist. Aber Beobachtungen mit der alternativen spektroskopischen Radialgeschwindigkeitsmethode, die auch Planeten auf stark verkippten Bahnen aufspüren kann, konnten diese Annahme nicht bestätigen. Eine andere, bisher gültige und durch Beobachtungen bestätigte Annahme geht davon aus, dass Sterne, die schnell rotieren, ihre Magnetfelder stärker verdrillen sollten und somit Superflares erzeugen. Die Sonne sollte demnach mit ihren gemächlichen 25 Tagen Rotation keine Superflares erzeugen können.
What’s it take to superflare?
Ein japanisch-amerikanisches Team um Nota Yotsu hat nun 18 der Kepler-Superflare-Sonnen mit dem 3,5-m-Teleskop des Apache Point Observatoriums in New Mexico von der Erde aus auf ihre Eigenschaften und Gemeinsamkeiten hin untersucht und zusätzlich aus den Gaia-DR2-Daten ihre Radien bestimmt. Diese Daten kombinierten sie mit früheren Analysen von 50 Superflaresternen aus dem Jahr 2015 mit dem Subaru-Teleskop auf Hawaii. 4 Sterne wurden von beiden Teleskopen beobachtet, so dass insgesamt die Daten von 64 Superflaresternen vorliegen. Alle Daten stammen aus dem ersten Drittel (500 Tage) der Kepler-Primärmission, die ein Sternfeld im Schwan 4 Jahre lang fest im Blick hatte.
Im ersten Bild sind die atmosphärischen Parameter dargestellt, links die Schwerkraft, stellvertretend für den Druck an der Oberfläche, und rechts die Metallizität (Eisengehalt relativ zur Sonne), beides über der Temperatur aufgetragen (stellvertretend für die Spektralklasse: 6400K=F7, 5000K=G9). Und die Sonne ☉ (G2, 5800K) zum Vergleich. Die befindet sich mitten im Gewimmel. Ihre Atmosphäre und Temperatur unterscheidet sie nicht im geringsten von den Superflaresternen.
Wie sieht es mit dem Alter der Sterne aus? Junge Sterne rotieren gewöhnlich schneller als alte. Das Alter der Sterne kann man anhand des Lithiumgehalts abschätzen, der mit dem Alter abnimmt. Im folgenden Bild sind die Lithiumhäufigkeiten relativ zur Sonne (1) über der Temperatur aufgetragen. Die Lithiumhäufigkeit nimmt mit dem Alter ab, aber die Beziehung ist komplex, daher sind die Lithiumhäufigkeiten von Sternen im Hyaden-Sternhaufen (Alter 625 Millionen Jahre) als graue Kreuze und Plus-Zeichen eingetragen. Die Sterne unter den grauen Kreuzen sind älter, die darüber jünger als die Hyaden. Die Sonne zählt im Vergleich zu den Superflaresternen zu den Methusalems, aber es gibt ähnlich alte Superflaresterne. “Sonnenähnlich” war bisher auf die Temperatur der Sterne bezogen – wie sieht es mit den Durchmessern aus? Aufgrund der Entfernung, Temperatur und Helligkeit kann der Radius eines Sterns bestimmt werden. Die Autoren nutzten Entfernungsmessungen aus dem Gaia-DR2-Katalog, um die Sterndurchmesser zu ermitteln. Es zeigte sich, dass etwa 40% der Superflaresterne tatsächlich keine waschechten Hauptreihensterne (Leuchtkraftklasse V, Zwerge wie die Sonne), sondern Unterriesen sind (Klasse IV, unterhalb der Roten Riesen in Klasse III), wie im folgenden Bild zu sehen ist. Der Radius in Sonnenradien ist nach oben hin aufgetragen, die Temperatur von 3000K (Spektralklasse M) bis 8000K (Klasse A) von rechts nach links. Die farbigen Punkte im Hintergrund sind alle von Kepler gemessenen Sterne, eingefärbt nach Leuchtkraftklasse V (schwarz), IV (Grün) und III (Rot). In Blau kühle Hauptreihen-Doppelsterne. Die Sonne ist hier nicht dargestellt, man denke sie sich bei 100=1 und 5800K. Das ist im unteren Teil der Superflaresterne-Wolke, noch innerhalb derselben. Wie schaut es aus mit der Rotationsperiode? Im nächsten Bild sind die von Kepler beobachteten Flare-Energien über den Umlaufzeiten in Tagen abgebildet. Zwar streut die Flare-Energie (auch bei der Sonne schwanken sie ja von A bis X über einen großen Bereich), aber man erkennt deutlich, dass schnelle Rotation zu höheren Flare-Energien führt, als langsame Rotation. Die Sonne läge in diesem Bild mit dem Carrington-Flare unten rechts etwa beim “d” im Wort “data”, alle anderen Flares lägen tiefer. Auch die Rotationsrate kann also nicht erklären, warum die Sonne nicht imstande sein sollte, Superflares von 1034 bis 1035 zu erzeugen. Es gibt Superflaresterne der gleichen Größe und Temperatur, der gleichen Zusammensetzung, des gleichen Alters, der gleichen Rotationsrate und ohne enge Begleiter wie die Sonne. Welchen Unterschied zwischen der Sonne und den Superflaresternen könnte es sonst geben? Sterne sind im Grunde genommen einfach gestrickt, sie sind Gasbälle aus Wasserstoff und Helium, die sich lediglich in der Masse, Metallizität, Entwicklungsstufe und Rotationsrate unterscheiden. Theoretisch könnte es noch feine Unterschiede im Anteil der Metalle geben oder bestimmte Kombinationen von Eigenschaften zusammen kommen müssen, um einen sonnenähnlichen Stern zum Superflarestern zu machen.
Gleiche unter Gleichen?
Aber es gibt noch eine andere Möglichkeit: dass es gar keinen Unterschied gibt. Was wäre, wenn nicht etwa nur 0,2% aller sonnenähnlichen Sterne Superflares produzieren, sondern alle, aber nur zu 0,2% der Zeit? Kepler sah schließlich in seinen 4 Jahren Primärmission nicht einmal einen metaphorischen Lidschlag im Leben der Sterne, aber weil das Weltraumteleskop eine so große Menge von Sternen überwachte, sah es Sterne in praktisch jeder Phase ihres Lebens.
Von Kepler beobachtete Superflares waren immer mit sehr großen Sternflecken verbunden. Im folgenden Bild sind die Wahrscheinlichkeiten für die Größe von Sternfleckengruppen für besonders sonnenähnliche Sterne (±200K, etwa F9-G4) mit Rotationsperioden von 20-40 Tagen aufgetragen. Auf der x-Achse die Fläche der Flecken relativ zur Fläche der Sonnenscheibe, auf der y-Achse die Häufigkeit der Fleckenguppen von mindestens dieser Größe pro Stern und Jahr. Die schwarze gestrichelte Linie gibt die Statistik der Sonne seit 1874 wieder, die bei 10-2=1% der Sonnenfläche nach oben abgeschnitten ist, weil im Beobachtungszeitraum keine größeren Flecken beobachtet wurden. In Blau die Daten der Kepler-Sterne, die bei Flecken von weniger als 10-3=0,1% der Sternfläche nach unten abgeschnitten ist, weil Kepler kleinere Flecken nicht mehr wahrnehmen konnte. Im Schnittbereich sind beide Graphen innerhalb der gleichen Größenordnung und folgen dem rot gestrichelten Verlauf. Dies spricht dafür, dass auch der Graph der Sonne entsprechend weiter verlaufen würde, wenn man nicht nur 150 sondern 1500 oder 15000 Jahre an Daten zur Verfügung hätten.
Im letzten Bild ist schließlich noch die Statistik der Flareenergien für Sonnenflares und der in verschiedenen Arbeiten behandelten Superflares für sehr kleine (Nanoflares) bis sehr große Flares (Superflares) dargestellt. Türkisblau die Nanoflares bis zu 1026 erg, deren Häufigkeit (Anteil dN von Flares mit dem Energieintervall dE) gemäß einer Arbeit von Aschwanden et al. einem Exponentialgesetz mit dem Exponenten -1,79 der Energie E folgt. Darunter in Violett Mikroflares um 1028 erg (bis Klasse B) mit einem Exponenten von -1,74. Nachfolgend in Grün normale Sonnenflares der Klassen A1 bis X10, die einem Exponenten von -1,53 folgen, und unten rechts schließlich die Daten von Superflares mehrerer Arbeiten. Die einzelnen Abschnitte lassen sich im Rahmen einer Größenordung mit einem gemeinsamen Exponenten von -1,8 approximieren (schwarze durchgezogene Linie). Dies ist verträglich mit der Annahme, dass wir uns möglicherweise in der “friedlichen Natur” der Sonne getäuscht haben. Wir kennen sie, bzw. ihr Flareverhalten einfach noch nicht lange genug. Gemäß der in den letzten beiden Graphiken extrapolierten Statistiken wäre für die Sonne etwa alle 2000-3000 Jahre mit einem Flare von mehr als 5·1034 erg zu rechnen (entsprechend ca. X10.000). Ohne Teleskop und Sonnenfilter wäre so ein Flare aber möglicherweisei nicht auffällig und beobachtbar. Bestenfalls würde man das Polarlicht des folgenden Sonnensturms wahrnehmen, der die Erde aber durchaus auch verfehlen könnte (siehe 2003). Polarlicht in Mitteleuropa gibt es aber gelegentlich schon bei X1-Flares und historische Aufzeichnungen von Polarlicht-Sichtungen aus den Tropen sind m.W.n. nichtexistent bis spärlich.
Auch die Sonne kann vermutlich Superflares
Kann man ausschließen, dass die Sonne jemals Superflares produziert hat? Wäre das Leben auf der Erde nicht untergegangen, denn Superflares sollen das Leben auf Planeten von Roten Zwergen ja so gut wie unmöglich machen? Solche Planeten umkreisen ihren Stern jedoch viel enger als die Erde unsere Sonne, wenn sie sich seiner kleinen habitablen Zone befinden sollen, in 5%-20% des Abstands der Erde von der Sonne, und die Sterne produzieren sehr viel häufiger Superflares als die Sonne. Mit ihrer langsamen Rotation gehört die Sonne zudem zu den G-Sternen, deren potenzielle Superflares 2 Größenordnungen unter denen der extremsten von Kepler beobachteten Flares liegen.
Und wenn es denn so wäre: kann man mögliche Spuren von Superflares auf der Erde finden? Eine der wenigen Möglichkeiten zum Nachweis bietet radioaktiver Kohlenstoff-14, der beim Ansturm der Partikel eines großen Sonnensturms (eine Art von Radioaktivität) verstärkt gebildet wird. Tatsächlich fanden Fusa Miyake et al. 2012 [2,3] einen scharfen Anstieg der C-14-Konzentration in japanischen Zedern für das Jahr 774-775. Für das gleiche Jahr fand sich ein ebensolcher Spitzenwert in kalifornischen Pinien, deutschen Eichen, sibirischen Lärchen und neuseeländischen Kauri-Bäumen. Das Bombardement der solaren Partikel erzeugt außerdem das Isotop Beryllium-10 in der Atmosphäre, das sich im folgenden auf dem Erdboden niederschlägt, wo es in kalten Regionen rasch von Schnee bedeckt werden kann. Tatsächlich fand Miyake in Eisbohrkernen aus der Antarktis für das Jahr 775 einen Anstieg der Beryllium-10-Konzentration um 80%. Neben einem Superflare könnten auch eine nahe Supernova-Explosion oder ein Gammastrahlenschauer C-14 und Beryllium-10 produzieren, aber eine nahe Supernova wäre strahlend hell gewesen und mit Sicherheit von Historikern dokumentiert worden, und ein Gammastrahlenburst dauert nur Sekundenbruchteile und könnte höchstens eine Hälfte der Erde bestrahlen. Insofern ist ein Superflare die plausibelste Erklärung für die Messungen.
Willst Du nicht haben
Und wenn uns heute ein Superflare träfe? Nun, wir würden sicher nicht gleich alle sterben. Die Menschheit wurde offenbar in historischer Zeit nicht durch einen Superflare oder Sonnensturm erheblich dezimiert, das hätte man bemerkt. Erhöhte Krebsraten in der Spätantike sind denkbar, aber mangels medizinischer Kenntnisse der damaligen Zeit nicht zu belegen. Im Unterschied zur Antike sind wir heute jedoch in großem Maße von Stromversorgung und Elektronik abhängig. Insofern würde es die Menschheit heutzutage schon katastrophal treffen, wenn etwa ein Sonnensturm weltweit die Transformatoren der Hochspannungsnetze zerstören würde. Transformatoren werden nicht in so großen Stückzahlen gefertigt oder gelagert, dass das Netz binnen Tagen wieder hergestellt wäre, es könnte nach einer Studie [4,5] der National Academy of Sciences Monate dauern, bis das Netz der Vereingten Staaten wieder vollständig hergestellt wäre, die Folgeschäden lägen bei bis zu 2 Billionen Dollar, 20mal höher als die des Hurrikan Kathrina, und die Nachwirkungen wären erst nach 4-10 Jahren beseitigt. Jeder mag sich das Leben in einer Großstadt ausmalen, die für ein paar Wochen ohne Strom und damit auch ohne fließendes Wasser und Klärwerke, ohne Bahnen und Tankstellen, ohne Geldautomaten, Alarmanlagen und Straßenbeleuchtungen wäre.
Glücklicherweise kommt ein Sonnensturm mit einem bis mehreren Tagen Verzögerung nach einem Flare und koronalen Massenauswurf auf der Sonne bei uns an, und wir haben die Sonne mit dem Solar Dynamics Observatory SDO permanent im Blick. Als vorgeschobener Spähposten im All befindet sich zusätzlich das Weltraum-Sonnenteleskop ACE im Lagrange-1-Punkt der Erde, 1,5 Millionen km vor der Erde, und es registriert die Stärke ankommender Sonnenstürme schon 1/2-1 Stunde bevor sie die Erde treffen. Es ist also möglich, rechtzeitig vor dem Eintreffen die Netze abzuschalten – wenn jemand die Verantwortung dafür auf sich nähme. Man muss den unvermeidlichen kurzfristigen Schaden einer solchen Abschaltung gegenüber dem möglichen, aber nicht absolut sicheren katastrophalen Schaden eines langfristigen Netzausfalls abwägen. Es ist auch technisch kein großes Problem, die Netze hart gegen Sonnenstürme zu machen. Die Netzbetreiber müssten nur die nötigen Investitionen tätigen. Arbeiten wie die vorliegende können hoffentlich dazu beitragen, dass entsprechende Vorsorgemaßnahmen getroffen werden.
Im Moment scheint ein Superflare aber nicht akut zu sein. Die Sonnenaktivität ging in den vergangenen Zyklen kontinuierlich zurück und die Zyklen wurden länger (d.h. das Verdrillen der Magnetfelder dauerte länger). Wir kennen die Ursachen nicht und wissen noch viel zu wenig über die langfristigen Aktivitätszyklen der Sonne und sonnenähnlicher Sterne. Dies ist ein schönes Beispiel dafür, dass Astronomie mitunter durchaus wichtige Erkenntnisse für unser tägliches Leben liefern kann. Nur zur Erinnerung, falls noch einmal jemand über die Kosten von Weltraumteleskopen jammert.
Referenzen
[1] Yuta Notsu, Hiroyuki Maehara, Satoshi Honda et al., “Do Kepler superflare stars really include slowly-rotating Sun-like stars ? – Results using APO 3.5m telescope spectroscopic observations and Gaia-DR2 data –“, The Astrophysical Journal, Volume 876, Number 1, 3. Mai 2019; arXiv:1904.00142.
[2] Fusa Miyake, Kentaro Nagaya, Kimiaki Masuda & Toshio Nakamura, “A signature of cosmic-ray increase in ad 774–775 from tree rings in Japan“, Nature, 486, S. 240-242, 14. Juni 2012.
[3] Monica Bobra, “Superflares“, Sky & Telescope, November 2015, S. 22-27.
[4] Jason Samenow, “The devastating potential of an extreme solar storm and what the White House is doing about it“, The Washington Post, 29. Oktober 2015.
[5] “Severe Space Weather Events – understanding socieatl and Economics Impacts, A Workshop Report“, National Research Council, 2008, Washington, DC: The National Academies Press. https://doi.org/10.17226/12507.
[6] Kazunari Shibata, Hiroaki Isobe, Andrew Hillier et al., “Can Superflares Occur on Our Sun?“, Publications of the Astronomical Society of Japan Vol. 65, S. 49, 25. Juni 2013.
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