Ultra-diffuse Galaxien sind extreme Objekte im Universum. Einerseits leuchten sie so schwach wie Zwerggalaxien – die schwächsten und kleinsten Galaxien im Universum – anderseits sind sie so groß wie unsere Milchstraße. Diese Dualität wirft die berechtigte Frage nach ihrem Ursprung auf. Ein neuer Artikel von Orsolya Eszter Kovacs – einer Doktorandin am renommierten Smithsonian Astrophysical Observatory in Harvard – bringt neues Licht in die Debatte.
Was sind ultra-diffuse Galaxien?
Die Existenz von ultra-diffuse Galaxien ist seit Jahrzehnten bekannt. Allan Sandage – bekannt als Assistent und Nachfolger von Edwin Hubble – und Bruno Binggeli entdeckten in einer Durchmusterung des Nachthimmels im Jahre 1984 eine große Anzahl dieser Art von Galaxien im Virgo-Galaxienhaufen. Ein paar Jahre lang wurden diese Galaxien weiter studiert, aber bald verschwanden sie dann wieder im Niemandsland. Bis ein Team um Pieter van Dokkum in Yale im 2015 jene Art von Galaxien wiederentdeckte, diesmal im Coma-Galaxienhaufen. Seither sind ultra-diffuse Galaxien in aller Munde.
Formal definieren wir heute alle Galaxien, welche eine schwächere Flächenhelligkeit als 25m pro Quadratbogensekunde im visuellen Band und einen Diameter von 7.5 Kiloparsec haben, als ultra-diffuse Galaxien. Durchmusterungen in Galaxienhaufen und Galaxiengruppen haben eine unglaubliche Anzahl dieser Galaxien gefunden, sie sind eigentlich ganz häufig anzutreffen. Deshalb ist auch die Frage nach ihrer Herkunft unglaublich wichtig für die Kosmologie. Dabei gibt es momentan vor allem zwei Trends: van Dokkum selbst hat vorgeschlagen, dass diese Galaxien gescheiterte Milchstraßen sind, also Galaxien, die ein Dunkle-Materie-Halo wie die Milchstraße besitzen, aber aus irgendeinem Grund nur ganz wenig Gas im frühen Universum einfangen konnten oder es bald verloren haben. Somit konnten sie nur wenige Sterne produzieren. Eine andere Theorie sagt, dass ultra-diffuse Galaxien früher gewöhnliche Zwerggalaxien waren, die durch Gezeitenkräfte aufgeplustert wurden. Da beide Theorien auf beobachteten Eigenschaften der ultra-diffusen Galaxien beruhen, sind beide mehr oder weniger plausibel.
Dazu gab es bisher zwei Kronzeugen. Einerseits galt die ultra-diffuse Galaxie Dragonfly-44 als Archetyp ihrer Art und ein immens hoher Anteil an Dunkler Materie wurde in ihr festgestellt (van Dokkum et al. 2016) – 99 Prozent der Galaxie besteht aus Dunkler Materie, und nur ein Prozent aus Sternen! Nun, zu Dragonfly-44 gab es vor ein paar Wochen neue Messungen, die diese Zahlen wieder relativiert haben und ihr einen gewöhnlichen Anteil an dunkler Materie zuschreiben. Der überhöhte Anteil an Dunkler Materie war einem Messfehler zuzuschreiben. Dragonfly-44 ist somit doch nicht so ungewöhnlich.
Das andere extrem ist NGC1052-DF2, welche anscheinend gar keine Dunkle Materie aufweist. Auch dies wurde von van Dokkums Team publiziert, und dieses mal sogar in Nature. Über NGC1052-DF2 wurde auf diesem Blog schon mehrfach berichtet, und wer auch meinem Astronomie Blog folgt, weiss, dass ich diese Arbeit sehr skeptisch betrachte. Um was es genau geht, steht in diesem Artikel. Beide Galaxien also helfen nicht weiter, wenn es um die Entstehungsgeschichte “gewöhnlicher” ultra-diffuser Galaxien geht.
Was das Röntgenlicht verrät
Einen alternativen Ansatz, dieses Problem anzugehen, hat nun Orsolya Eszter Kovacs und ihr Team gewählt [1]. In einem Artikel vom 13. Juni 2019 beschreiben sie Röntgenstrahlen-Beobachtungen von 58 ultra-diffusen Galaxien. Röntgenstrahlen in Galaxien entstehen typischerweise in heißem Gas und geben Hinweise auf die Dunkle Materie in Galaxien. Hat eine Galaxie nur wenig Dunkle Materie (wie etwa Zwerggalaxien), ist ihre Gravitationskraft relativ gering, und die Galaxie kann nur wenig Gas in ihrem Gravitationspotential binden. Hat die Galaxie jedoch ein großes Dunkle-Materie-Halo – sie ist also sehr schwer – reicht die Gravitation, um das Gas in der Galaxie zu halten. Misst man also ein großes Reservoir an heißem Gas mit Hilfe der Röntgenstrahlung, kann man zurückschließen, dass eine große Menge Dunkle Materie vorhanden sein muss, wie etwa für Milchstraßen-artige Galaxien.
Hier eine wichtige Anmerkung: dabei meinen wir die Gesamtmenge an Dunkler Materie, denn häufig sprechen wir davon, dass die Zwerggalaxien die durch die Dunkle Materie am stärksten dominierten Galaxien sind. In absoluten Zahlen aber haben Zwerge typischerweise etwa 10 Milliarden Sonnenmassen an Dunkler Materie, hingegen Milchstrassen-artige Galaxien etwa 1000 Milliarden Sonnenmassen. Relativ betrachtet aber können Zwerggalaxien bis zu einem Faktor 1000 mehr Dunkle Materie als Sterne und Gas haben, Milchstraßen-artige Galaxien besitzen typischerweise nur einen Faktor 10 mehr an Dunkler Materie.
Nun, Röntgenstrahlen in weit entfernten und schwach leuchtenden Galaxien ist schwierig zu messen. Sehr schwierig. Deshalb hat Kovacs Team einen klassischen Trick angewandt: Sie haben das Signal aller Galaxien zusammenaddiert um somit ein durchschnittliches Signal zu bekommen. Man stelle sich vor, man hat ein sehr schwaches Signal, und darüber gelegt ein starkes Rauschen. Während das Signal echt ist, sprich immer mit gleicher Intensität ankommt, ist das Rauschen zufällig, mal wird ein hoher Wert gemessen, mal ein tiefer. Mittelt man das Rauschen, werden sich diese Rausch-Spitzen gegenseitig aufheben. Mittelt man hingegen das Signal, bleibt es vorhanden, da es ja echt ist. Somit kann ein Signal, welches schwächer ist als das Rauschen, trotzdem gemessen werden. Auf Kovacs Problem angewandt bedeutet das, dass man die Masse an heißem Gas im Mittel ermittelt. Ich selbst z.B. benutze diese Technik um nach ultra-diffusen und Zwerggalaxien in Bildern zu suchen, indem wir viele kurze Belichtungen machen und sie dann mitteln.Dieser Ansatz hat noch den weiteren Vorteil für Kovacs Team, dass eine einzelne Galaxie nicht “besondere” Aufmerksamkeit erhält und von den “typischen” ultra-diffusen Galaxie ablenkt, sondern eine Aussage über die Gesamtpopulation der ultra-diffusen Galaxien abgibt.
Und der Sieger ist…
Und was ist das Resultat der Studie? Sitzen ultra-diffuse Galaxien in Milchstraßen-artigen Dunkle Materie Halos, oder sind sie eher zu vergleichen mit Zwerggalaxien? Die Antwort ist die folgende: ultra-diffuse Galaxien haben ein durchschnittliches Röntgensignal von Zwerggalaxien! Wären die meisten Galaxien vom Typ der gescheiterten Milchstraßen, hätte ein viel höheres Signal an Röntgenstrahlung bei uns ankommen müssen, was Kovac et al. nicht festgestellt haben. Ultra-diffuse Galaxien sind somit typischerweise “aufgepumpte Zwerggalaxien”.
Für mich persönlich ist dieses Resultat ein großer Erfolg, da ich mich von Anfang an im Lager der Zwerggalaxien befand. Da das Resultat aber ein Mittel darstellt, kann es dennoch sein, dass es mehr als einen Weg gibt, solche Galaxien zu formen. Wäre zum Beispiel eine handvoll Milchstraßen-artiger ultra-diffuser Galaxien im Datensatz dabei, würde dies nicht detektiert werden, da sich auch hier das Signal mit dem Großteil der Zwerg-artigen ultra-diffusen Galaxien herausgemittelt hätte, so ähnlich wie die hohen Rausch-Spitzen mit den tiefen. Deshalb ist diese neue Studie nur dafür geeignet, um Aussagen über die Mehrheit der ultra-diffusen Galaxien zu machen, aber dennoch ungeeignet, um verschiedenen Theorien auszuschließen.
Referenzen
[1] Orsolya E. Kovacs, Akos Bogdan, Rebecca E. A. Canning, “Constraining the dark matter halo mass of isolated low-surface-brightness galaxies”, eingereicht 13. Juni 2019, arXiv:1906.05867.
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