In diesem Jahrzehnt will die Menschheit zurück auf den Mond, um zu bleiben. Und Europa möchte mit dabei sein. Nicht nur die Erforschung des Mondes selbst ist ein Ziel, sondern langfristig auch die Erschließung seiner Ressourcen. Wegen der wesentlich kleineren Schwerkraft des Mondes – er hat nur 1/81 der Erdmasse und 1/6 der Erdschwerkraft an der Oberfläche – ist es sehr viel leichter, Ressourcen vom Mond in den Weltraum zu transportieren als von der Erde aus. Welche Ressourcen könnten hier gemeint sein? Zum Beispiel Sauerstoff. Deswegen entwickelt die europäische Raumfahrtbehörde ESA eine Sauerstofffabrik für den Mond.
Schwerer Stoff
Sauerstoff wird nicht nur als Atemgas für die Bewohner einer Mondbasis oder in Raumfahrzeugen benötigt, sondern auch als Raketentreibstoff. Wenn man ihn beispielsweise mit Wasserstoff verbrennt, dann reagieren 2 Wasserstoffmoleküle H2 mit einem Sauerstoffmolekül O2 zu Wasser: 2H2 + O2 → 2H2O. Wasserstoffatome H haben das Atomgewicht 1, H2-Moleküle entsprechend 2. Sauerstoffatome haben hingegen das Atomgewicht 16 (8 Protonen + 8 Neutronen), O2-Moleküle entsprechend 32. Demnach benötigt man zum Verbrennen von 4 Gewichtsanteilen Wasserstoff deren 32 an Sauerstoff – die achtfache Menge. Wenn man – wie demnächst das Spaceship von SpaceX – Methan (CH4) als Treibstoff verwendet, dann macht der zur Verbrennung benötigte Sauerstoff immer noch das Vierfache an Gewicht des Methans aus. Da jedes Kilogramm Masse, das man von der Erde in den Weltraum befördert, immer noch (zehn)tausende Euro kostet, ist es wirtschaftlicher, Treibstoff zum Nachtanken von Raumfahrzeugen, die zwischen Erde und Mond, zu Asteroiden oder zum Mars fliegen, auf dem Mond zu gewinnen, als dies auf der Erde zu tun.
Wie kann auf dem atmosphärelosen Mond Sauerstoff gewinnen? Am naheliegendsten erscheint, ihn aus dem Wasser zu ziehen, das in den Kratern an den Polen im ewigen Schatten vorhanden sein soll. Mittels Elektrolyse, also der Aufspaltung unter Stromfluss, lässt sich das Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff aufspalten, und man erhält sogar die zweite Treibstoffkomponente im richtigen Mengenverhältnis gleich mit dazu. Allerdings ist man damit auf einen kleinen Bereich des Mondes beschränkt, und die Wasservorräte auf dem Mond sind nicht unendlich groß – man schätzt das Vorhandensein von etwa 6,6 Milliarden Tonnen Eis, das ist ca. das Doppelte der Menge im Starnberger See, die allerdings mit reichlich Staub vermengt sein dürften.
Frische Luft aus Dreck
Tatsächlich ist Sauerstoff das vom Gewichtsanteil häufigste Element auf dem Mond überhaupt. Der Regolith, das Mondgestein, besteht nämlich zu 40%-45% Gewichtsprozent aus Sauerstoff, und den gibt es überall. Das Problem ist nur, dass dieser Sauerstoff chemisch stabil gebunden ist, z.B. in Form von Eisenoxid (a.k.a. Rost), Siliziumdioxid (Glas) oder dem Mineral Ilmenit (FeTiO3), und er lässt sich nur mit hohem Aufwand aus dem Gestein entziehen. Eine Möglichkeit ist, den Regolith auf über 1000°C zu erhitzen und ihn dann mit Wasserstoff in Kontakt zu bringen. Der Wasserstoff reagiert dann mit dem Sauerstoff zu Wasser und dieses kann durch Elektrolyse wieder in Wasserstoff und Sauerstoff aufgespalten werden. Damit werden Ausbeuten von 2%-3% Gewichtsprozenten des ursprünglichen Gesteins erreicht. Durch die nachfolgend nötige zusätzliche Elektrolyse fällt der Energieaufwand doppelt an. Alternativ kann man den Regolith bei mehr als 1600°C aufschmelzen und mit Methan versetzen, wobei Kohlenmonoxid und Wasserstoff entstehen. Dem Kohlenmonoxid kann man mit Hilfe des Wasserstoffs den Sauerstoff in Fom von Wasser entziehen und das Methan wieder zurückgewinnen. Das Wasser muss dann wieder per Elektrolyse aufgespalten werden. Auf diese Weise erreicht man 10-20% Ausbeute. Oder man schmilzt den Regolith bei noch höheren Temperaturen selbst auf und führt an ihm direkt eine Elektrolyse durch. Hier werden Ausbeuten von 20-30% erreicht, aber das Hantieren mit dem extrem heißen geschmolzenen Regolith ist kein Pappenstiel und der Energieaufwand noch größer.
Bei der ESA am ESTEC (European Research and Technology Center) in Noordwijk an der niederländischen Küste wird an der Erschließung von Sauerstoff aus Mondgestein geforscht. Am 17. Januar berichtete die ESA nun in einer Pressemeldung darüber, dass eine von ihr geförderte Gruppe von den Universitäten Glasgow und Edinburgh um Bethany Lomax den Protoypen einer “Sauerstofffabrik” am ESTEC entwickelt habe, der eine neue Technologie einsetzt, die wesentlich effizienter als die oben genannten Extraktionsmethoden ist. Der Prozess basiert auf dem nach den Entwicklern benannten FFC-(Fray, Fathing, Chen)-Cambridge-Prozess, einer Form der Schmelzflusselektrolyse. Der Prozess wurde von der britischen Firma Metalysis (die an der hier vorgestellten Arbeit beteiligt war) industrialisiert, um aus Erzen die Metalle heraus zu ziehen. Dazu wird das Gestein zu Pulver zermahlen und in ein über 900°C heißes Bad aus geschmolzenem Kalziumchlorid-Salz gegeben, durch das man zwischen zwei Elektroden (Kathode und Anode) einen Strom fließen lässt. An der negativ geladenen Kathode lagert sich das Metall ab. Beim FFC wird eine Anode aus Graphit, also reinem Kohlenstoff, verwendet, mit dem sich der abgeschiedene Sauerstoff zu CO2 (Kohlendioxid) und CO (Kohlenmonoxid) verbindet, die aus der Schmelze aufsteigen. Die Anode löst sich dabei auf und muss irgendwann ersetzt werden.
Von der Industrie abgeschaut
Die wesentliche Modifikation der Wissenschaftler vom ESTEC und der mit ihr kooperierenden Universität Glasgow besteht darin, eine Anode aus Zinndioxid (SnO2) zu verwenden, an der reiner Sauerstoff entsteht und die sich daher nicht auflöst (während Zinn bei 232°C schmilzt, weswegen man es zum Löten verwendet, ist Zinndioxid bis 1630°C fest). Außerdem musste man die Zelle hart gegen den aggressiven heißen Sauerstoff machen. Als Kathode verwendete man einen Korb aus Edelstahl und schloss das Ganze in einer zylinderförmigen Zelle ein. Das auf der Erde kostbare Mondgestein simulierte man durch einen Tuffstein, genannt JSC-2A, der ähnliche Oxide in vergleichbarer Menge enthält. 30 Gramm JSC-2A-Pulver wurden in die Salzschmelze gegeben. Dann ließ man die Zelle rund zwei Tage lang bei 4 Ampere brutzeln.
Die Methode entzog dem Gestein rund 34% Gewichtsanteil an Sauerstoff. Theoretisch lassen sich 96% des Sauerstoffs aus dem Gestein entziehen (entsprechend 42% Gewichtsprozent). In nur 15 Stunden erreicht man bereits 75%, was wirtschaftlicher ist als das letzte Gasbläschen herauszukitzeln. Und dies bei Temperaturen unter 1000°C, bei denen der Regolith nicht aufgeschmolzen wird, in einem einzigen Verarbeitungsschritt. An der Kathode wurden Metalllegierungen abgeschieden, die durch Auswaschen des Kathodenkorbs und Trocknen der Schlacke gewonnen werden konnten – somit gewinnt man neben Sauerstoff auch noch wertvolle Rohstoffe wie Aluminium, Titan oder Eisen zur Weiterverarbeitung oder gar direktem 3D-Druck. Die Methode hat zudem den Vorteil, dass sie auf alle Mondgesteine anwendbar ist, man muss also nicht umständlich Basalt oder Ilmenit aus dem Boden graben.
Der Begriff “Sauerstofffabrik” trägt etwas dick auf – das Experiment wurde bisher nur im Kleinen in einer Zelle von der Größe eines Einweckglases durchgeführt und soll nun zunächst weiter optimiert werden. Bis Mitte des Jahrzehnts möchte man den Prozess jedoch hochskalieren und eine Demonstrationsfabrik bauen, die auf dem Mond betrieben werden und tonnenweise Sauerstoff produzieren könnte. Dort ließe sich der nötige Strom durch Solarzellen generieren. Dies in ein wichtiger Schritt zur Erschließung des Mondes, aber auch von Asteroiden, zur Gewinnung von Rohstoffen im Weltall und deren Einsatz in situ (also vor Ort – In-Situ-Ressourcenproduktion).
Referenzen
- Bethany A. Lomax, Melchiorre Conti et al., “Proving the viability of an electrochemical process for the simultaneous extraction of oxygen and production of metal alloys from lunar regolith“, Planetary and Space Science, Vol . 180, Elsevier, Januar 2020.
- “ESA opens oxygen plant – making air out of moondust“, ESA Pressemitteilung, 17. Januar 2020.
- Erika K. Carlson, “Making air from Moon dust: Scientists create a prototype oxygen plant“, Astronomy, 21. Januar 2020.
- Nadja Podbregar, “ESA testet ‘Mondfabrik‘”, Scinexx, 24. Januar 2020.
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