Was macht eigentlich Beteigeuze? Da die Europäische Südsternwarte ESO am vergangenen Freitag, 14. Februar 2020, Aufnahmen des Sterns mit dem SPHERE-Instrument am Very Large Telescope VLT veröffentlichte, möchte ich dies zum Anlass für ein kleines Update nehmen und ein wenig über die Bilder und die Erkenntnisse der letzten Wochen berichten. Zwar steht wohl keine Supernova an, aber es gibt zwei mögliche Erklärungen für den Schwächeanfall von Orions linkem Schulterstern.
Am Scheidepunkt?
Seit meinem ersten Artikel über Beteigeuze sind nun schon 8 Wochen vergangen. Damals war Beteigeuze noch ca. 1,2m-1,3m hell auf rekordverdächtiger Talfahrt, aber immer noch erkennbar heller als der rechte Schulterstern Bellatrix, der 1,6m hell ist. Mittlerweile ist die Helligkeit von Beteigeuze ebenfalls auf 1,6m gefallen, er ist fast exakt gleich hell wie Bellatrix. Der direkte Vergleich ist wegen der deutlich verschiedenen Farben und der vergleichsweise hohen Helligkeiten der Sterne nicht einfach – meiner Beobachtung nach hilft etwas Lichtverschmutzung, die den Hintergrund aufhellt. Vermutlich verkleinert dies den Pupillendurchmesser und die beiden Sterne erscheinen etwas dunkler, was den Vergleich erleichtert. Man darf den Stern auch nicht zu lange fixieren, sonst erscheint er heller wegen des Purkinje-Effekts, denn die Helligkeit des Sterns reizt die farbsehenden Zapfenzellen des Auges, und im roten Bereich ist Beteigeuze heller als im Blauen, dem Bereich in dem die für die Nachtsicht optimierten Stäbchenzellen am empfindlichsten sind.
Hier zwei aktuelle Lichtkurven geplottet ab Anfang Dezember bis zum 15. Februar. Die schwarze Linie entspricht den visuellen Schätzungen menschlicher Beobachter, die grüne Linie gibt photometrische Messungen (auf der Basis von Digitalfotos) durch ein V-Filter aus dem Johnson UBV-Farbsystem wieder. Die Werte sind jeweils über 5 Tage gemittelt (Kreise). Dass die V-Messungen fast immer ein wenig unterhalb der visuellen Werte verlaufen, mag am oben beschriebenen Purkinje-Effekt liegen, denn das V-Filter hat sein Maximum im Grünen und auch dort ist Beteigeuze dunkler als im Roten. Man erkennt auch, dass sich die Helligkeitsabnahme zum Februar hin verlangsamt hat und möglicherweise dem Minimum nahe ist, obwohl es am Ende noch einmal einen kleinen Knick nach unten gibt – der Kurvengenerator zeigt je nach gewähltem Startdatum und Mittelungsperiode nicht immer den selben Trend am Ende, der letzte Punkt ist stets mit Vorsicht zu genießen. Derzeit liegt die Kurve bei 35% der normalen Helligkeit von Beteigeuze.
Der nächste Plot zeigt fast die gesamte in der AAVSO-Datenbank verfügbare Lichtkurve seit Beginn des vergangenen Jahrhunderts. Mit den Bordmitteln der Webseite lässt sich die Darstellung leider nicht übersichtlicher machen. Dennoch ist offensichtlich, dass das derzeitige Minimum ganz rechts das tiefste im gesamten Zeitraum ist – so dunkel war der Stern in den vergangenen 120 Jahren noch nie!
Im Astronomer’s Telegram #13439 [1] berichten Edward Guinan und Richard Wasatonic von der Villanova-Universität bei Philadelphia, Pennsylvania, USA, die den Stern seit 40 Jahren beobachten, davon, dass laut ihren Messungen die Gesamtleuchtkraft des Sterns seit September um 23% gefallen sei (0,28 Größenklassen), die Temperatur um 85 K gesunken und aufgrund dieser Werte der Radius um 8% abgenommen habe (ausgehend von der nicht ganz korrekten Annahme, die Sternenscheibe sei kreisförmig und gleichförmig hell, siehe unten).
Beim normalen ca. 420- bis 430-Tage-Zyklus schwankt die Helligkeit aufgrund von Absorption in der Atmosphäre des Sterns (Kappa-Effekt, siehe ersten Artikel), wie bei regulären periodischen Veränderlichen, allerdings normalerweise nur bis auf 0,9m Mindesthelligkeit. Das derzeitige Minimum fällt auf jeden Fall aus dem Rahmen. Falls es sich bei seinem Minimum nur um ein besonders tiefes des aktuellen 420-Tage-Zyklus handelt, dann sollte die Helligkeit laut Guinan und Wasatonic ab der 3. Februarwoche +/- 1 Woche wieder ansteigen. Dann wäre das Minimum also innerhalb der nächsten zwei Wochen erreicht. Sollte die Helligkeit jedoch weiter sinken, dann haben wir es mit einem anderen Phänomen zu tun.
Wabernder Hexenkessel
Die folgende Computersimulation von Dr. Bernd Freytag aus dem Jahr 2012, damals Centre de Recherche Astronomique de Lyon – Ecole Normale Supérieure (CRAL-ENS), zeigt, wie die Oberfläche des Sterns aufgrund von Konvektion (dem Emporsteigen heißen Gases aus dem Inneren) wie dicke Brühe in einem heißen Kessel wabert [3].
Die längere ca. 2100-tägige sekundäre Pulsationsperiode des Sterns wird durch seine riesigen Konvektionszellen verursacht. Arturo Lopez Ariste et al. [2] haben durch Analyse der Polarisation des Lichts auf eine typische Zellengröße von 0,6 Sternradien geschlossen – und das bei einem Sternradius in der Größenordnung des Radius der Jupiterbahn! Aufsteigendes Gas ist hell und absinkendes ist dunkel, und das Aufsteigen und Absinken, das sich auch an der Radialgeschwindigkeit im Spektrum erkennen lässt, wechselt sich ab im Rahmen der sekundären Pulsationsperiode. Das pulsierende Plasma ist mit wechselnden Polarisationsmustern des Lichts verbunden: Licht aufsteigenden Gases ist eher linear, das absinkenden Gases eher zirkular polarisiert, so dass sich aus der wechselnden Polarisation im Verbund mit der Radialgeschwindigkeit die sich verändernden Konvektionsmuster ableiten lassen. Die Polarisation wird von wechselnden Magnetfeldern verursacht, die vom strömenden Plasma erzeugt werden. Die oberflächliche Abkühlung (dunkle Zonen) könnte diesmal im Durchschnitt über die Sternenscheibe einfach besonders stark ausgefallen sein.
Dazu passt nun das am Freitag veröffentlichte Bild der ESO [4]. Es wurde von einem Team um Miguel Montargès vom Institut für Astronomie der katholischen Universität Löwen, Belgien, mit dem SPHERE-Instrument (Spectro-Polarimetric High-contrast Exoplanet REsearch instrument) am VLT im sichtbaren Licht aufgenommen. Eigentlich handelt es sich bei SPHERE um ein Gerät zur direkten Abbildung von Exoplaneten, das einerseits dank eigener integrierter adaptiver Optik eine hervorragende Auflösung von 19 Millibogensekunden (milliarcseconds, mas) im Visuellen hat – das entspricht 1/90.000 des Monddurchmessers und 39 m Auflösung auf dem Mond. Andererseits kann es polarisierte Anteile aus dem normalerweise unpolarisierten Licht eines Sterns ausfiltern – das von Planeten reflektierte Licht ist oft polarisiert und lässt sich so besser vom Licht des Sterns trennen.Da nun aber die Konvektionszellen von Beteigeuze ebenfalls polarisiert sind, lässt sich mit der hervorragenden Auflösung von SPHERE ein direktes Bild der Oberfläche des Sterns im Visuellen aufnehmen, das die örtlichen Helligkeitsunterschiede des Sterns zeigt (Titelbild). Dabei handelt es sich noch um ein Bild vom vergangenen Dezember, als die Verdunklung noch weniger extrem als derzeit war. Die Sternenscheibe durchmisst nur 50 mas und ist dennoch nach der Sonne die größte für uns sichtbare Sternenoberfläche.
Zufälligerweise hatte das Montargès-Team vor einem Jahr schon einmal ein Bild von Beteigeuze mit SPHERE aufgenommen, und die beiden Bilder zeigen nun im direkten Vergleich die dramatische Veränderung des Sterns:
Man sieht die Verdunklung des damals noch 1,3m hellen Sterns deutlich – die helle, dichte Fläche hat sich auf den oberen Randbereich zurück gezogen und die Sternenscheibe ist abgeflachter und damit kleiner als zuvor. Noch nicht klar ist, ob man hier nun konvektionsbedingt kühlere Bereiche der Sternoberfläche sieht, oder ob die Sternoberfläche teilweise verdeckt ist. Damit zur nächsten möglichen Erklärung.
Oder doch eher kettenrauchender Staubteufel?
Sieht man sich die Lichtkurve im Infraroten an (leider sind bei der AAVSO erst Daten ab dem 7. Januar verfügbar), so erkennt man zunächst an der Beschriftung der y-Achse, dass der Stern hier insgesamt weitaus heller ist als im Visuellen: -3,1m im J-Band (1200 nm) und sogar -3,9m im H-Band (1600 nm). Bei einer visuellen Helligkeit von gewöhnlich +0,4m bedeutet dies die 25- bzw. 50-fache Helligkeit im J- bzw. H-Band. Außerdem zeigt die Infrarot-Helligkeit kaum Schwankungen, die Werte streuen ein bisschen innerhalb von 1/10 Größenklassen. Das heißt, die Verdunklung findet hauptsächlich im Visuellen statt, das sehr empfindlich auf Temperaturschwankungen reagiert. Die Gesamtleuchtkraft (bolometrische Helligkeit) hat sich kaum verändert.
Dies deutet darauf hin, dass das Licht des Sterns absorbiert und als Wärmestrahlung wieder abgestrahlt wird. Dies könnte sowohl von Partikeln und Molekülen in der Sternatmosphäre verursacht werden, als auch von Gas und Staub, die der Stern gerade im Begriff ist auszustoßen, denn die tiefe Konvektion des Sterns reicht phasenweise (während sogenannter “dredge-ups“) bis in den Bereich der Schalen um den Kern, wo Fusion stattfindet, und so kommen Atome wie Silizium und Aluminium an die kühle Oberfläche, wo sie sich mit Sauerstoff zu Siliziummonoxid (einem Vorläufermolekül von Quarz) und Aluminiumoxid (Tonerde) verbinden. Auch Wassermoleküle entstehen in der Sternatmosphäre. Der vom Magnetfeld des Sterns angetriebene starke Sternwind bläst diese Moleküle in den Raum, wo sie sich zu größeren Partikeln zusammenfinden, die den Stern als Wolken umhüllen. In seiner Nähe kurz nach dem Ausstoß können sie dicht genug sein, sein Licht abzuschwächen.
Die ganz große Show ist vertagt
Welche der beiden Erklärungen zutrifft, wird sich bald zeigen: dauert die Verdunklung über den Februar hinaus an und nimmt sie danach nur langsam ab, dann dürfte es eher Staub sein, der sich vor dem Stern in unserer Sichtlinie befindet und sich langsam ausdünnt. Nimmt die Helligkeit ab Ende Februar wieder wie bei anderen Minima binnen weniger Wochen zu, dann dürfte es sich um absorbierende Moleküle handeln, die beim Emporquellen heißen Gases wieder zerbrechen und transparent werden. Dies sollte auch im Spektrum erkennbar sein.
Das Team um Montargès hat weitere Beobachtungszeit auf dem fliegenden Observatorium SOFIA der NASA und DLR gebucht, mit dem Spektroskopie im mittleren Infrarot vorgenommen werden kann, um z.B. die Bewegung von Staub auf uns zu messen zu können. Auch andere Teams planen Beobachtungen mit dem Hubble-Weltraumteleskop, im Radiobereich bei 22 und 15 GHz mit den britischen Mikrowellen-Interferometrie-Radioteleskop-Netzen e-MERLIN und AMI, sowie mit im Optischen mit SPHERE am VLT Interferometer (VLTI) und dem CHARA-Interferometer in Georgia [6]. Wie schon im ersten Artikel vorausgesagt stürzen sich also derzeit die Astronomen auf Beteigeuze, um ihm sein Geheimnis um die dramatische Verdunklung zu entreißen. Nur die von manchen erhoffte Supernova wird aller Voraussicht nach vertagt und noch ein paar zehntausend Jahre auf sich warten lassen. Aber Orion wäre nach der kurzen Lightshow ohne Beteigeuze auch nicht mehr das, was er mal war. Vielleicht spendiert uns Mutter Galaxis ja zum Trost eine andere Supernova; überfällig wäre sie schon lange.
Referenzen
[1] Edward Guinan, “Betelgeuse Updates“, The Astronomer’s Telegram ATel #13439, 01. Februar 2020.
[2] Arturo López Ariste, P. Mathias et al., “Convective cells in Betelgeuse: imaging through spectropolarimetry”, Astronomy & Astrophysics, Vol. 620, A199, Dezember 2018; arXiv:1811.10362.
[3] Bernd Freytag, “Numerical simulations of a red supergiant“, August 2012.
[4] ESO photo release eso2003, “ESO Telescope Sees Surface of Dim Betelgeuse“, 14. Februar 2020.
[5] Rich Roberts, “Star of the Month – February 2020 – Alpha Ori“, AAVSO Homepage, 30. Januar 2020.
[6] Bob King, “Is Betelgeuse Approaching a Crossroads?“, Sky & Telescope, 14. Februar 2020.
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