Ich spoilere jetzt einfach mal: die Relativitätstheorie hat nichts dagegen. Jedenfalls theoretisch. Ich habe nicht gesagt, dass es einfach wäre. Wie es praktisch aussieht, werden wir gleich erfahren.
Zeitreisen im Wandel der Zeit
Zeitreisen waren von je her eine feste Größe in der Science Fiction. Schon 1895 lies H.G. Wells im Roman “Die Zeitmaschine” seinen Zeitreisenden ins Jahr 802.701 reisen, wo er zweierlei Menschenarten vorfand, einerseits die lichtscheuen, gruseligen Morlocks, die unter der Erde lebten, und andererseits, die Eloi, von denen es nur junge Exemplare gab, die kindlich naiv in paradiesischer Umgebung lebten aber die Dunkelheit scheuten. Später fand er dann heraus, dass die Morlocks die Eloi wie Vieh hielten und sich des nachts ihre Mahlzeiten von der Weide holten…
Den meisten Lesern dürfte die Serie “Zurück in die Zukunft” mit Michael J. Fox als Marty McFly und Christopher Lloyd als Doc Emmett Brown ein Begriff sein. Emmett Brown hat im ersten Teil des Dreiteilers eine Zeitmaschine in Form eines DeLorean-Sportwagens gebaut (“Wenn schon eine Zeitmaschine, dann mit Stil“), die mit Plutonium angetrieben wird, das er von libyschen Terroristen für das falsche Versprechen ergaunert hatte, ihnen eine Atombombe zu bauen. Gerade als Brown seinem Freund Marty die Maschine vorführen will, tauchen die Terroristen auf und erschießen Brown. McFly flieht mit dem DeLorean und wird beim Überschreiten von 80 Meilen pro Stunde (130 km/h) in das Jahr 1955 zurückversetzt. Wie der Zufall bzw. das Drehbuch es so will, verhindert er dort versehentlich, dass sich seine Eltern kennenlernen und seine eigene Existenz wie auch die seiner Geschwister gerät in akute Gefahr, was im Film daran zu erkennen ist, dass ihre Abbilder auf einem Foto verblassen. Im restlichen Plot muss er es dann schaffen, mit der Hilfe des jungen Doc Brown und ohne Plutonium (zur Not tut’s auch ein Blitz, wenn man nur weiß, wo und wann er einschlagen wird) wieder in die Jetztzeit zurück zu kehren, nicht ohne vorher dafür zu sorgen, dass sich seine Eltern doch noch kennenlernen. Und Brown, der von Marty über seine Ermordung erfährt, zieht in der Jetztzeit vorsichtshalber eine schusssichere Weste an. Großartig inszenierte, kultige Geschichte.
Was schief laufen kann: Zeitparadoxa
Das Kernthema der Geschichte ist die Variation eines Zeitparadoxons, das als “Großvaterparadoxon” bekannt ist. Es ist unklar, wer es sich ausgedacht hat, aber es stammt mindestens aus den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Im Original-Großvaterparadoxon reist der Zeitreisende in die Vergangenheit und tötet dort – absichtlich oder aus Versehen – seinen eigenen Großvater, bevor dieser seinen Vater gezeugt hat. Damit entzieht er sich somit die eigene Existenzgrundlage: da er nie geboren werden kann, kann er später auch keine Zeitmaschine besteigen, um in der Vergangenheit seinen Großvater zu töten. Ein logischer Widerspruch.
In eine ähnliche Richtung geht Newcombs Paradoxon, dass ich hier aus Platzgründen nicht vertiefen will. Es geht im Wesentlichen um ein Gedankenexperiment der Spieltheorie und darum, wie die Willensfreiheit mit bekannter Information über die Zukunft in Einklang gebracht werden kann. Wenn ich zum Beispiel erfahre, dass ich mit Sicherheit am folgenden Montag im Straßenverkehr verunglücken werde, würde ich in der Lage sein, den Unfall zu vermeiden, indem ich einfach das Haus nicht verlasse? Falls ja, was würde dann aus der sicheren Vorhersage – sie wäre dann offenbar falsch gewesen, was im Widerspruch zur Annahme steht. Falls nein, woran würde ich scheitern? Wenn ich doch weiß, dass mir etwas zustoßen wird, würde ich doch alle mir zur Verfügung stehende Macht einsetzen, das Unglück zu vermeiden. Wieso sollte das nicht möglich sein?
Neben dem Fermi-Paradoxon (eine Abwandlung des klassischen Fermi-Paradox über die Abwesenheit Außerirdischer: wenn es Zeitreisen gibt – wo sind die ganzen Zeitreisenden, warum haben wir noch keinen von ihnen gesehen?) gibt es schließlich noch die Kausalitätsschleife, auch als Bootstrap-Paradoxon bekannt. Im Englischen bedeutet “to pull oneself up by one’s bootstraps” soviel wie “sich an den eigenen Stiefelschlaufen nach oben ziehen”. Im Deutschen kennen wir ähnliches vom Lügenbaron von Münchhausen, der sich am eigenen Zopf aus einem Sumpf gezogen haben will. Von dem englischen Spruch leitet sich das “booten” eines Computers ab, der zu Beginn sein eigenes Betriebssystem starten muss (was eigentlich die Aufgabe eines Betriebssystems wäre).
Das Bootstrap-Paradoxon geht auf die Kurzgeschichte “By His Bootstraps” von Robert A. Heinlein aus dem Jahre 1941 zurück, die ich als Jugendlicher unter dem deutschen Titel “Im Kreis” in einer SF-Story-Sammlung gelesen habe, wodurch ich sofort zum Heinlein-Fan wurde. Die gar nicht einmal so kurze Geschichte (20.000 Worte) handelt von einem Mann, der mit einem plötzlich in seinem Zimmer aus dem Nichts materialisierenden Zeittor konfrontiert wird, durch das er mehrfach mit Kopien seiner selbst zusammentrifft, die er jedoch zunächst nicht erkennt (wer würde sein drei Tage älteres, lädiertes Ich auch sofort wiedererkennen?). Im Verlaufe einer Rangelei gerät der durch das Tor, wo er 30.000 Jahre in der Zukunft in einer fremdartigen Welt landet, in der ein älterer Mann, der sich Diktor nennt, über Sklaven herrscht, die eine fremde Sprache sprechen. Diktor will ihn überreden zu bleiben und sein früheres Ich überhaupt erst durch das Tor zu holen. Nachdem er dies getan hat, zerstreitet er sich jedoch mit Diktor, geht noch einmal durch das Tor, kehrt schließlich in die Zukunft zurück, versetzt sich aber durch Umprogrammierung des Zeittors umgehend 10 Jahre zurück, um Diktor zuvor zu kommen. Er nimmt dabei ein Notizbuch mit, dass er neben der Steuerkonsole der Zeitmaschine gefunden hat, in dem handschriftlich Vokabeln der Sprache der Eingeborenen notiert sind, was ihm sicher nützlich sein würde. Wo (bzw. wann) er ankommt, gibt es noch keinen Diktor. Statt dessen schwingt er sich selbst zum Anführer auf. Die Einheimischen bezeichnen ihn als Diktor – im Notizbuch steht, dass dies “Häuptling” heiße. Da das Notizbuch schon alt und zerschlissen ist, kopiert er mit der Zeit den Inhalt in ein neues Buch. Der andere Diktor taucht in den folgenden Jahren niemals auf. Irgendwann spielt er mit der Zeitmaschine herum und programmiert sie auf sein Zimmer zu Beginn der Geschichte, wo sich der Kreis schließt – denn er selbst ist DER Diktor, der einzige, den es je gab!
Und das Paradox? Ist der Inhalt des Notizbuchs. Denn die Kopie des alten Buchs legt er schließlich neben der Konsole des Zeittors ab und es wird selbst das alte Buch. Es enthält Informationen, die kein Gehirn erdacht hat, sondern die lediglich aus der früheren Version des Buchs kopiert wurden, welche wiederum eine Kopie einer noch früheren Version ist usw. – eine Kausalitätsschleife, die keinen Anfang hat.
Eines ist klar – die Natur ist frei von Widersprüchen. Paradoxa sind nur scheinbar widersprüchlich zu physikalischen Gesetzen, etwa weil man von falschen Voraussetzungen ausgeht (wie beim Olbersschen Paradoxon – warum ist der Himmel dunkel, wenn das Weltall unendlich groß ist und man in jeder Richtung auf eine Sternenoberfläche blicken müsste? Das beobachtbare Universum ist aber wegen seines beschränkten Alters nur endlich groß) oder einen wesentlichen Aspekt übersieht (wie beim Zwillingsparadoxon – warum altert der bewegte Zwilling weniger als der ruhende, wenn doch aus seiner Sicht er selbst der ruhende sein könnte und der andere der bewegte? Weil nur er das Inertialsystem wechselt). Man kann davon ausgehen, dass Zeitparadoxa in der Natur nicht auftreten können. Eine einfache Lösung des Problems wäre: Zeitreisen sind grundsätzlich nicht möglich. So einfach ist es aber nicht.
Back to the Future
Zeitreisen in die Zukunft sind gemäß der Relativitätstheorie ein Klacks. Zum Einen gibt es das angesprochene Zwillingsparadoxon. Man nehme einen möglichst großen Umweg durch den Raum, um zu einem zukünftigen Raumzeitpunkt zu gelangen, dann vergeht für den Reisenden weniger Zeit, als wenn man den kürzesten Weg durch den Raum nimmt. Um z.B. mit möglichst wenig vergangener eigener Zeit ein Jahr in die Zukunft zu reisen, sause man mit fast Lichtgeschwindigkeit zuerst ein halbes Lichtjahr von der Erde weg und kehre dann mit ebensolcher Geschwindigkeit zurück, dann ist man kaum gealtert und hat das Jahr nach persönlicher Uhr schnell vorgespult.
Eine andere Möglichkeit ist ein tiefes Schwerefeld. Im Gravitationsfeld laufen gemäß der Allgemeinen Relativitätstheorie Uhren umso langsamer, je größer die Gravitation ist. Schon die Erde ist eine Zeitmaschine. Unsere Uhren laufen ein wenig langsamer als die der GPS-Satelliten in 20180 km Höhe über der Erde, die bewusst um 38 Mikrosekunden pro Tag verlangsamt sind, damit sie synchron mit Uhren am Boden laufen (eigentlich ist der tägliche Gangunterschied sogar 45 Mikrosekunden, aber durch die Relativgeschwindigkeit der Satelliten gegenüber dem Erdboden laufen sie 7 Mikrosekunden pro Tag langsamer als wenn sie über der Erde still stünden). Das ist natürlich nicht viel und bringt mich nicht in die Zukunft der Menschen, die mit mir auf der Erde leben.
Das Schwerefeld eines Schwarzen Lochs wäre da schon deutlich effizienter. Die Eigenzeit vergeht im Abstand r vom Zentrum eines nichtrotierenden Schwarzen Lochs um den Faktor √(1-rs/r) langsamer als in (näherungsweise) unendlicher Entfernung, wobei rs der Schwarzschildradius ist. In 2rs Entfernung vergeht die Zeit nur 0,707 mal so schnell wie in der Ferne. In 1,33rs vergeht sie halb so schnell und in 1,1rs nur noch mit 30% der Geschwindigkeit im Unendlichen. Am Schwarzschildradius selbst bliebe die Zeit gänzlich stehen. Allerdings bräuchte es schon ein supermassereiches Schwarzes Loch, um am Schwarzschildhorizont nicht zerrissen zu werden. Alternativ könnte man sich eine Hohlkugel von 6 m Durchmesser mit der Masse Jupiters bauen, die in ihrem Inneren feldfrei wäre, während draußen enorme Gezeitenkräfte herrschen würden. Um sicher in die Kugel hinein zu kommen, müsste man beim Aufbau schon in ihr drin sitzen – auf der Erde wäre ein solches Gerät vollkommen fehl am Platze, weil es die Erde mit seiner Gezeitenkraft sofort zerfetzen würde. Eine solche Kugel wäre nur 6% größer als ein Schwarzes Loch von Jupitermasse und darin würde die Zeit viermal langsamer vergehen als außerhalb. Dies nur als Orientierung für die formidable Aufgabe, eine Zeitmaschine auf der Basis der Allgemeinen Relativitätstheorie zu bauen.
Obwohl wir für uns selbst an der technischen Realisierbarkeit einer Zeitreise in die Zukunft wohl auf ewig scheitern werden, erleben Teilchen, die wir in Beschleunigern fast beliebig nahe an die Lichtgeschwindigkeit heran bringen können, heute schon Zeitreisen in die Zukunft. Aber wie sieht es für Reisen in die Vergangenheit aus?
Zeitkringel
Überraschenderweise ist das bei Heinlein beschriebene Zeittor eine von der Relativitätstheorie tatsächlich erlaubte Möglichkeit, die sich “geschlossene zeitartige Kurve” nennt (englisch: closed timelike curve, CTC). Hintergrund ist, dass sich der Lichtkonus im Schwerefeld zur anziehenden Masse hin neigt. Man kann sich das bildlich ein wenig so vorstellen, als sei der die Masse umgebende Raum ein Trichter, in den die Raumzeit wie Wasser hinein fließt, und die Lichtkonen schwimmen stets mit zur Wasseroberfläche senkrechter Hauptachse im Strom, wie eine Anglerpose. Bei einem Schwarzen Loch ist die Neigung des Lichtkonus 45°, das heißt dass der Zukunfts-Konus keine Weltlinie mehr erlaubt, die sich vom Schwarzen Loch entfernt. Tut man nichts, bewegt man sich mit Lichtgeschwindigkeit in das Schwarze Loch (Mittelachse des Konus, 45° Neigung). Versucht man, sich mit Lichtgeschwindigkeit vom Schwarzen Loch zu entfernen, tritt man auf der Stelle (Außenseite des Konus, parallel zum Ereignishorizont, 0°-Neigung gegen die Senkrechte). Gibt man Vollgas mit Lichtgeschwindigkeit Richtung Singularität, so hat man gemessen an einem externen Bezugssystem keinen Zeitfortschritt mehr, man bewegt sich auf einer raumartigen Bahn und nimmt nicht mehr am Fortlaufen der Zeit teil. Hinter dem Ereignishorizont kippt der Lichtkegel dann noch weiter und die Richtung zur Singularität wird zur unvermeidlichen Zukunft. Jeder versuchte räumliche Umweg würde nur die gemessene Eigenzeit verkürzen und man würde noch schneller in der Singularität enden. Als Zeitmaschine taugt so etwas nicht.
1968 entdeckte der australische Physiker Brandon Carter, dass die Ringsingularität eines rotierenden Schwarzen Lochs von CTCs umhüllt wird – bekanntlich enthalten rotierende Schwarze Löcher keine Punkte als Singularitäten, sondern Ringe. Wenn man also um die Ringsingularität kreist, kehrt man wieder an denselben Raumzeitpunkt zurück, aus dem man gestartet ist. Dummerweise befindet sich die Ringsingularität hinter dem Ereignishorizont, man kann also nach der Zeitreise nicht mehr in unser Universum zurück.
Ein häufig genannte Möglichkeit für eine Zeitmaschine wäre ein Wurmloch. Ein Wurmloch ist ein mit der Allgemeinen Relativitätstheorie kompatibler Schlauch durch die Raumzeit, der zwei Raumzeitpunkte miteinander verknüpft. Wurmlöcher werden in der Science Fiction gerne als Abkürzung zwischen zwei Orten verwendet; so könnte man die Strecke zu einem anderen Stern auf ein paar Meter verkürzen. Tatsächlich verknüpft ein Wurmloch aber zwei Punkte der Raumzeit, das heißt, nicht nur 2 Orte sondern auch 2 Zeitpunkte. Alles was man tun muss, ist ein Ende (genannt “Mund des Wurmlochs”) auf einen großen Umweg durch den Raum zu senden, dann altert er weniger als der andere Mund und befindet sich mithin gegenüber diesem in der Vergangenheit. Dann könnte man also durch den umher gereisten, zeitlich früheren Mund in das Wurmloch eintreten und käme am anderen Mund in der Zukunft wieder heraus. Oder man betritt das Wurmloch durch den zukünftigen Mund und käme in der Vergangenheit heraus (allerdings nicht weiter zurück als das frühere Wurmlochende dem später nachhängt). Wo man dann auf die Rückkehr des zukünftigen Munds von seiner Rundreise warten könnte und sich selbst beim Betreten des Wurmlochs beobachten. Und mit seiner Weltlinie so eine geschlossene, zeitartige Kurve vollenden.
Wurmlöcher haben nur zwei Probleme:
1. man kann sie in der Allgemeinen Relativitätstheorie nicht erzeugen, sondern muss solche nehmen, die schon da sind. Möglicherweise entstehen Wurmlöcher permanent im Mikrokosmos (wir reden hier von der Planck-Skala, die im Vergleich zu einem Proton so klein ist, wie dieses im Vergleich zur Erde), und vielleicht kann man eines davon irgendwie auf makroskopische Größe vergrößern (mit viel Glück findet man auch eines aus der Frühzeit des Universums, das die kosmologische Inflation aufgebläht hat).
Und 2. sind sie fürchterlich instabil und zerfallen in Schwarze Löcher, deswegen braucht man einen Mechanismus, um sie offen zu halten. Dazu bräuchte es in ihrem Inneren ein “Weißes Loch”, einen Bereich mit abstoßender Gravitation. Abstoßende Gravitation gibt es in der Allgemeinen Relativitätstheorie, wenn das Vakuum unter einer Zugspannung steht, so wie das während der Inflationsphase zu Beginn des Universum gewesen sein soll. Eine theoretische “exotische Materie” mit negativer Energiedichte (d.h. negativer Masse – sie wöge weniger als nichts!) könnte als Ring eine solche Zone erzeugen, aber obwohl Matt Visser 2003 zeigen konnte, dass man nur eine winzige Menge davon bräuchte, gibt es bisher leider keinen Hinweis darauf, dass so ein Stoff überhaupt existiert (und nö, Antimaterie hat positive Energiedichte).
Eine Zeitmaschine, die ohne exotische Materie auskäme, wurde 1991 von Gott erfunden. Der Gott, um den es geht, heißt mit Vornamen John Richard und wurde 1947 in Louisville, Kentucky, geboren. Nach seiner Lösung benötigt man zwei kosmische Strings unendlicher Länge, die sich im Weltall mit jeweils fast Lichtgeschwindigkeit eng passieren (99,999999996% c wären gut). Die Stringtheorie erlaubt solche extrem dünnen (dünner als ein Protonendurchmesser), gleichwohl extrem massiven Gebilde (etwa 10 Billiarden Tonnen pro Zentimeter Länge), die aber gleichzeitig wie ein gedehntes Gummiband unter einer Zugspannung stünden, welche die extreme Gravitation ihrer Masse exakt kompensierte. Dennoch sorgen die Strings dafür, dass die Raumzeitgeometrie so gekrümmt wird, dass man auf einer Bahn, welche erst dem einen und dann dem anderen String entgegen deren Flugrichtung begegnet, wieder zur gleichen Zeit eintrifft, zu der man losgeflogen ist. Steven Hawking zeigte 1992, dass es keine geschlossenen zeitartigen Kurven ohne exotische Materie innerhalb einer endlichen Raumregion geben kann, weswegen die Strings unendlich lang sein müssen.
Leider hat man bisher weder einen kosmischen String, noch zwei davon, die sich mit relativistischen Geschwindigkeiten aufeinander zu bewegen, noch überhaupt einen experimentellen Hinweis auf die Korrektheit der Stringtheorie gefunden. Wie ich eingangs sagte – theoretisch sind Zeitreisen in der Allgemeinen Relativitätstheorie erlaubt, sie sind nur nicht einfach!
Viele Welten – die Lösung der Zeitparadoxa?
Tun wir die Realisierung einer Zeitmaschine einmal als ingenieurtechnisch zu lösendes Problem ab – wie schaut es nun aus mit den Zeitparadoxa? Da echte Paradoxa ausgeschlossen sein müssen, wurde vorgeschlagen, dass CTCs nur genau dann möglich seien, wenn sie frei von Widersprüchen wären. Man könne zwar mit dem Entschluss in die Vergangenheit reisen, seinen Großvater umzubringen, würde aber an irgendeinem Detail scheitern (z.B. beim Versuch, den Abzug der Feuerwaffe zu ziehen, auf einer Bananenschale ausrutschen), ansonsten könnte man die Reise gar nicht erst antreten. Das erscheint ziemlich konstruiert und erklärt dass Bootstrap-Paradoxon nicht. Im Übrigen scheint es mir nach meinem persönlichen Dafürhalten ohnehin vollkommen ausgeschlossen, in die Vergangenheit zu reisen, ohne sie unwiderruflich verändern zu müssen – die geringste unvermeidliche Veränderung ist die Verdrängung der Luft, die man mit seinem Auftauchen verursacht, denn die verdrängten Moleküle waren in der ursprünglichen Historie ja an einem anderen Ort als sie es nach der Ankunft des Zeitreisenden sein können. Damit hat man den Zeitfluss schon verändert und es ist lediglich ein quantitativer, aber kein qualitativer Unterschied zum Großvaterparadoxon. Mir erschien daher schon als Jugendlicher plausibel, dass es mehrere Zeitstränge geben müsse, zwischen denen man bei einer Reise in die Vergangenheit wechseln würde. Man käme auf einem Strang an, in dem die eigene Ankunft fester Bestandteil der Historie wäre.
Da kommt Hugh Everetts Viele-Welten-Interpretation der Quantenmechanik extrem gelegen, behauptet sie doch, dass jede physikalisch mögliche Realität tatsächlich als quantenmechanischer Überlagerungszustand der Wellenfunktion des Universums existiere und somit könnte man doch als Zeitreisender in einem Zustand eintreffen, in dem die Ankunft bereits fester Bestandteil der Historie ist. Vielleicht ließe sich sogar Information von einem Zustand zu einem anderen transferieren, wie etwa Diktors Vokabelbuch. Denkt man sich als Laie, aber der Quantenphysiker David Deutsch (und nicht nur der) vertritt genau diese Ansicht, die allerdings über die üblichen Annahmen der Viele-Welten-Interpretation hinaus geht.
Allen Everett (so viel ich weiß nicht verwandt oder verschwägert mit Hugh Everett) hat Deutschs Annahme jedoch 2004 in einem Aufsatz buchstäblich zerlegt:
Everett konstruiert dazu in einem Gedankenexperiment einen Aufbau des Großvaterparadoxons, der rein mechanisch funktioniert und somit etwaige Probleme der Willensfreiheit ausklammert. Zunächst wird das Experiment mit einem Punktteilchen, etwa einem Elektron durchgeführt (Erläuterung siehe Bildunterschrift):
Erfreulicherweise löst die Viele-Welten-Interpretation tatsächlich das Großvaterparadoxon für Punktteilchen. Was aber passiert, wenn man ein ausgedehntes Objekt wie etwa einen Zeitreisenden durch ein Wurmloch in die Vergangenheit schickt und dort einer Großvaterparadoxon-Situation aussetzt? Man sollte es besser zuerst mit einem unbelebten Objekt wie einer Billardkugel versuchen:
Das Ergebnis wäre für einen Zeitreisenden weitaus unerfreulicher als es in “Zurück in die Zukunft” geschildert wird: er würde in seine Elementarteilchen zerlegt und auf zahlreiche Welten verteilt. Das ist zwar irgendwie auch eine Lösung des Problems, aber nicht diejenige, die sich Science-Fiction-Freunde gewünscht hätten.
Und die Moral von der Geschicht?
Zeitreisen in die Zukunft sind also – bis auf kleinere ingenieurtechnische Probleme – durchaus möglich und werden von Elementarteilchen in Beschleunigern oder in der kosmischen Strahlung tatsächlich vollzogen. Die Rückreise gestaltet sich allerdings problematisch. Da die Realität als widerspruchsfrei vorausgesetzt werden muss, sieht es relativ schlecht für Zeitreisen in die Vergangenheit aus. Zwar gibt es in der Relativitätstheorie Lösungen für geschlossene zeitartige Kurven (CTCs), aber abgesehen von der noch weitaus komplexeren praktischen Umsetzung einer solchen Maschine, die entweder exotischer Materie oder unendlich langer kosmischer Strings bedarf (die Existenz beider ist bisher nicht mehr als Hypothese) – oder aber hinter einem Horizont verborgen bleibt, führten solche Zeitreisen unvermeidlicherweise zu Paradoxa, die sich anscheinend nicht gänzlich ausschließen lassen. Die Natur muss halt nicht alles mitmachen, was die Gleichungen ausspucken, deswegen muss man Vorhersagen ja experimentell überprüfen.
Im nächsten Teil wenden wir uns dem Zeitpfeil zu und warum Zeit überhaupt vergeht, und das anscheinend nur in eine Richtung. Oder könnte sich das eines Tages vielleicht ändern?
Referenzen
- Robert A. Heinlein (als Anson MacDonald), “By His Bootstraps“, Astounding Science Fiction Magazine, Oktober 1941.
- J. Richard Gott III, “Zeitreisen in Einsteins Universum”, Rowohlt Verlag GmbH, 2002.
- Sean Carroll, “From Eternity to Here / The Quest for the Ultimate Theory of Time”, Dutton / Penguin Group USA Inc., Januar 2010.
- Allen Everett, “Time travel paradoxes, path integrals, and the many worlds interpretation of quantum mechanics“, APS Physical Review D 69, 124023, 25. Juni 2004; arXiv:gr-qc/0410035.
- en.wikipedia.org, Wormhole.
- en.wikipedia.org, Grandfather Paradox.
- en.wikipedia.org, Causal Loop.
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