Große Kometen – gemeint sind Objekte, die deutlich für jedermann mit bloßem Auge erkennbar am Himmel zu sehen sind – können sehr beeindruckende Himmelserscheinungen sein, einer der Gründe warum sie früher als Vorboten von Unheil galten. Der andere ist, dass sie die himmlische Ordnung scheinbar störten, weil sie so mir-nichts-dir-nichts am Himmel auftauchten und nach ihrer Show wieder auf (im allgemeinen) Nimmerwiedersehen verschwanden, im Gegensatz zu den verlässlich unbeweglichen Fixsternen und den Planeten, die den Himmel in gewohnter Regelmäßigkeit entlang der Ekliptik durchstreiften. Ich erinnere mich noch sehr gut an das Jahr 1996, als wir Nordhalbkugler gleich von zwei großen Kometen beehrt wurden. Zuerst Hyakutake, der der Erde sehr nahe kam und einen beeindruckenden Schweif von über 90° Länge am Himmel hinter sich herzog, und später im Jahr Hale-Bopp, der eine spektakuläre absolute Helligkeit hatte und damit aus großer Entfernung über lange Zeiten sichtbar blieb. Noch 2001 konnte die europäische Südsternwarte ihn jenseits der Bahn des Saturn aufnehmen.
Längst überfällig
Ich habe einmal gelesen, im Schnitt erscheine so ca. einmal pro Jahrzehnt ein großer Komet am Himmel. Nach den Kometen Ikeya-Seki (war in Sonnennähe am hellen Tag sichtbar!) 1965, West 1975, Hyakutake 1996, Hale-Bopp 1997 und McNaught 2006 (ebenfalls kurz tagsüber sichtbar, hatte seine große Show aber am Südhimmel) wäre es mal wieder an der Zeit. Die Kometen C/2011 L4 PANSTARRS und C/2012 S1 ISON (der 2013 in Sonnennähe zerbrach) wurden nach ihrer Entdeckung als potenzielle große Kometen gefeiert, aber nur PANSTARRS erreichte 2013 eine weit unter den Erwartungen bleibende Sichtbarkeit für das bloße Auge. Kometenjäger David Levy hat einmal gesagt, Kometen seien wie Katzen – sie haben einen Schweif und tun was sie wollen.
Das Problem ist, dass gerade Kometen, die sich aus der Oortschen Wolke zum ersten Mal der Sonne nähern, bereits in großer Entfernung von der Sonne und mäßiger Erwärmung flüchtige Gase explosionsartig freisetzen, was ihre Helligkeit enorm steigert. Die Vorhersagen einer großen Helligkeit in Sonnennähe extrapolieren diese Helligkeitssteigerung dann einfach mit der zunehmenden Beleuchtungsstärke bei der Annäherung an die Sonne, aber bis dahin sind die flüchtigen Stoffe längst entwichen und das dann freigesetzte Wassereis und der Staub können die Helligkeitsentwicklung nicht fortsetzen. Daher erwartet man einen großen Kometen eher im Falle eines Objekts, dessen Umlaufzeit in tausenden statt hunderttausenden Jahren gemessen wird, und das somit schon mindestens einmal die Sonne umkreist und dabei seine trügerischen Gase schon lange verloren hat. Langperiodisch werden Oort-Kometen, wenn sie bei Ihrer Annäherung an die Sonne einem großen Planeten begegnen, der ihre Umlaufbahn so verändert, dass der sonnenfernste Punkt aus der Oort-Wolke in den Bereich der Planetenbahnen abgesenkt wird. Aber erst wenn die Umlaufzeit unter 200 Jahren liegt, spricht man von einem periodischen Kometen, der in historischer Zeit wiederkehrt (wie z.B. der Halleysche Komet).
Ein hoffnungsvoller Kandidat?
Am 28. Dezember 2019 entdeckte das Asteroid Terrestrial-impact Last Alert System (ATLAS) mit einem seiner beiden 0,5-Meter-Reflektoren auf Hawaii einen neuen langperiodischen Kometen mit einer Helligkeit von 19,6 Größenklassen. Zu dieser Zeit war er noch 3 Astronomischen Einheiten (AE) von der Sonne entfernt und damit der Jupiterbahn näher als der des Mars. Seine Bahn wurde zunächst mit 4400 Jahren Umlaufzeit und einer größten Sonnenannäherung (Perihel) von 0,25 AE berechnet. Die Bahnelemente ähneln denen des Großen Kometen von 1844 (C/1844 Y1) und er könnte ein Bruchstück des gleichen Mutterkörpers sein. Mittlerweile wird die Umlaufzeit vom Minor Planet Center der NASA mit 5519 Jahren angegeben, was schon einmal eine gute Voraussetzung für einen Großen Kometen ist.
Bis Februar entwickelte sich die Helligkeit des Kometen nur langsam bis zur 17. Größenklasse, aber dann stieg sie bis Mitte März rasant bis auf 8. Größe (Feldstechersichtbarkeit) an, was Hoffnungen weckte:
A few of you have requested the light curve of Comet C/2019 Y4 ATLAS. Please keep in mind this is only a prediction. Keeping this in mind the comet MAY be visible to the naked eye for some months. pic.twitter.com/j92Der86Te
— Con Stoitsis (@vivstoitsis) March 16, 2020
Die Extrapolation der Helligkeitsentwicklung ließ auf eine Helligkeit von bis zu -11,5m im Perihel Ende Mai hoffen, das wäre etwa Vollmondhelligkeit und garantierte damit Tagessichtbarkeit! Einige Amateure in Asien extrapolierten sogar eine absurde Helligkeit von -30m aus den Daten heraus, was deutlich heller als die Sonne selbst und damit physikalisch unmöglich wäre. Trotzdem durfte man gespannt sein, wie es weiter ging.
Logenplatz für die Nordhalbkugel
Der Komet nähert sich dem inneren Sonnensystem von Norden her, weshalb er für Bewohner der Nordhalbkugel ideal positioniert aus der Gegend des Himmelsnordpols kommt, wo er die ganze Nacht über zu sehen ist. Derzeit hält er sich in der Nähe des “Kopfes” des Großen Bären im unauffälligen Sternbild Giraffe (Camelopardalis) auf und zieht Capella im Fuhrmann links liegen lassend auf den Perseus zu. In diesem Sternbild wird er Mitte Mai voraussichtlich nach Sonnenuntergang in der Abenddämmerung verblassen – falls er sich nicht so spektakulär entwickelt wie zunächst vorhergesagt.
Mittlerweile hat sich der Komet leider offenbar den Hashtag #FlattenTheCurve zu Herzen genommen und seine Lichtkurve deutlich abgeflacht. Nach der jüngsten Lichtkurve vom Kometenbeobachter José J. Chambó könnte er etwa 2,5m erreichen, bevor er im abendlichen Zwielicht kurz vor seiner größten Annäherung an die Erde am 23. Mai und dem Perihel am 31. Mai verschwindet (in Sonnennähe hätte er dann unbeobachtbare 0,5m). Aber: auch diese pessimistische Kurve ist nicht in Stein gemeißelt, der Komet ist, wie gesagt, kein frischer Oort-Wolken-Komet und er hat bereits einmal aufgedreht – wenn er der Sonne nahe kommt, kann durchaus eine große Menge Staub und Wasser freigesetzt werden, die seine Helligkeit wieder deutlich ansteigen lassen. Daher heißt es derzeit Daumen drücken.
Eine Sichtbarkeit mit bloßem Auge ist auf jeden Fall drin und vermutlich wird er noch einen sichtbaren Schweif entwickeln. Auf jeden Fall werden wir (weiterhin) sehr schöne Amateurfotos von ihm bekommen. Vielleicht versuche ich mich auch einmal an ihm, da er von meinem Balkon aus ideal in nordwestlicher Richtung positioniert ist. Ich werde euch auf jeden Fall auf dem Laufenden halten.
Referenzen
- en.wikipedia.org, C/2019 Y4 (ATLAS)
- José J. Chambó, “Comets visible in March 2020“, Cometografía.
- Gideon van Buitenen, “C/2019 Y4 (ATLAS)“, astro.vanbuitenen.nl.
- IAU Minor Planet Center, “C/2019 Y4 (ATLAS)“.
- JPL Small-Body Database Browser, “C/2019 Y4 (ATLAS)“, Solar System Dynamics, JPL, NASA.
- Tanja Banner, “Wird Komet „Atlas“ mit bloßem Auge sichtbar? Seine Helligkeit nimmt rapide zu“, Frankfurter Rundschau, 29.03.2020.
Kommentare (5)