“Man muss mit der Zeit gehen” heißt es. Dieser gemeinhin auf meist modische Trends gemünzte Satz ist von ernüchternder physikalischer Alternativlosigkeit – womit auch sonst? Die Zeit schreitet unaufhaltsam fort. Wenn man älter wird und die freudige Erwartung kommender Großereignisse allmählich in die Erkenntnis übergeht, dass dies nur auf Kosten des unaufhörlichen Schrumpfens der eigenen Restlebenszeit einher geht (“Learning that we’re only immortal for a limited time”, wie Neil Peart gedichtet hat), wünscht man sich manchmal, auf diesem Strom, der einen wie ein Floß flussabwärts trägt, ein Stück gegen die Strömung paddeln zu können, aber selbst die Tricksereien der Relativitätstheorie ändern nichts an der empfundenen Richtung der Zeit. Auch in hypothetischer Zeitreisender würde selbst nicht jünger werden. Der Verfall ist unvermeidlich.
Gegen den Strich zwickt es
Zeit vergeht, von der Vergangenheit in Richtung Zukunft. Die Richtung, in der die Zeit fließt, ist für fast alle realen Vorgänge leicht erkennbar. Wenn wir einen Film rückwärts laufen lassen, merken wir das in fast immer sofort. Ein Glas, dass sich aus zunächst reglos am Boden liegenden Scherben zusammen setzt, die plötzlich zu schaukeln und rutschen anfangen, bevor sie vom Boden hochspringen und sich nahtlos vereinen, hat in der realen Welt noch niemand gesehen. Ebenso wenig kreisförmig zusammen laufende Wasserwellen, die sich immer höher auftürmen, bis sie sich zu einem wilden Strudel vereinigen, der einen aus schließlich völlig bewegungslosem Wasser herausspringenden Stein gebiert, welcher in jemandes Hand landet, die ihn mit einer heftigen Bewegung des Arms nach hinten endlich zur Ruhe bringt. Licht, das in einer Lampe zusammen läuft, Gas, dass sich in einer Gasflasche verdichtet usw. scheinen in unserer Welt unmöglich und definieren eine eindeutige Richtung des sogenannten Zeitpfeils.
Schaut man sich die natürlichen Prozessen zu Grunde liegende Physik jedoch im Detail an, dann scheinen sämtliche Gesetze der Newtonschen Mechanik vollkommen zeitsymmetrisch zu sein. Betrachtet man beispielsweise ein Pendel oder auch den Umlauf von Planeten um die Sonne oder die Rotation der Erde, dann sind dies Vorgänge, die in einem rückwärts laufenden Film vollkommen natürlich aussehen würden. Die sie beschreibenden physikalischen Gesetze kennen keine ausgezeichnete Zeitrchtung. Auch Kraft- und Stoßgesetze sind zeitlich symmetrisch: man kann mit einer gewissen Kraft einen trägen Körper über eine gewisse Wirkungsdauer beschleunigen und in Bewegung versetzen. Oder einen bewegten Körper durch eine gleich große Kraft in Gegenrichtung der Bewegung über die selbe Dauer wieder zur Ruhe. Wenn eine ruhende Billardkugel von einer rollenden nicht exakt mittig angestoßén wird, werden die beiden Kugeln mit bestimmten Geschwindigkeiten in einem 90°-Winkel voneinander weg rollen. Würde man beide Bewegungen exakt umkehren, dann würde die eine Kugel zur Ruhe kommen und die andere mit dem selben Geschwindigkeitsbetrag auf dem selben Weg zurück rollen, den sie vorher in umgekehrter Richtung genommen hatte. Die Vorgänge sind zeitlich symmetrisch (und erhalten übrigens abgesehen von Reibungsverlusten Impuls und Bewegungsenergie). Die Kunst beim Herbeiführen des zeitumgekehrten Falls wäre hier allerdings, die beiden Kugeln mit exakt dem Timing und den Geschwindigkeiten auf einen präzisen Kollisionskurs zu bringen, was ungleich schwieriger erscheint, als im ursprünglichen Fall, bei dem man nur eine Kugel auf groben Kollisionskurs mit der ruhenden Kugel bringen muss.
Ordnung und Chaos
Das ist tatsächlich der Schlüssel zum Geheimnis des Zeitpfeils – jedenfalls dieses Zeitpfeils. Man denke sich die Situation bei Anstoß des Billards: alle farbigen Kugeln sind zu einem Dreieck vereint und die weiße Kugel wird mit Wucht in das Dreieck gestoßen, aus dem die Kugeln scheinbar zufällig in alle Richtungen auseinander stieben. Die Newtonschen Gesetze besagen eindeutig: würde man die Bewegungsrichtungen aller Kugeln unter Beibehaltung ihrer Geschwindigkeitsbeträge um exakt 180° umkehren (und Reibungsverluste vernachlässigen), dann würden sie sich wieder zu einem ruhenden Dreieck vereinen und die weiße Kugel in Richtung auf den Spieler, der sie angestoßen hatte, zurück schleudern. Aber im realen Leben ist es wesentlich einfacher, eine einzige Kugel anzustoßen und sehr viel Chaos im Kugeldreieck anzurichten, als aus einem solchen Chaos wieder eine geordnete Bewegung zu machen – gleich wohl dies physikalisch möglich wäre!
Ganz wesentlich ist hierbei die Definition des “Chaos”. Würde man beispielsweise exakt den gleichen Anstoß mit exakt dem selben Ergebnis wiederholen wollen, würde das schwer fallen – zwei einander überlagerte Filme der Anstöße würden schwerlich erweisen, dass sich alle Kugeln in beiden Fällen exakt gleich bewegen. Das Auseinanderstieben der Kugeln kann auf unzählige Weisen geschehen, die wir in der Wahrnehmung nicht voneinander unterscheiden. Das Vereinigen vieler bewegter Kugeln zu einem ruhenden Dreieck unter Ausstoß der weißen Kugel mit exakt der Summe aller Impulse und Bewegungsenergien der anderen Kugeln wäre jedoch hinreichend auffällig, dass wir ihm eine ganz andere Qualität zuordnen würden. Wir würden diesen Ablauf und sein Endergebnis als extrem geordnet empfinden, während die auseinander stiebenden Kugeln als ungeordnet erscheinen. Aus Ordnung Unordnung zu erzeugen ist bekanntlich leichter, als umgekehrt. Grund dafür ist, dass es unzählig mehr ungeordnete als geordnete Zustände gibt. Wenn ich einen geordneten Zustand ungezielt verändere, erhalte ich einen anderen, der mit überwältigender Wahrscheinlichkeit weniger geordnet sein wird, ganz einfach, weil es viel mehr ungeordnete als geordnete Zustände gibt. Eine zufällige Veränderung eines Zustands (von was auch immer) führt fast immer in einen Zustand, der ungeordneter oder bestenfalls gleich ungeordnet ist.
Über den Kopf gewachsen
Wie schnell die Zahl ungeordneter Zustände mit der Teilchenzahl zunimmt, kann man sich an folgendem Beispiel klar machen. Die Luft in einem Zimmer ist im Allgemeinen sehr gleichmäßig verteilt, die Luft hat überall die gleiche Dichte. Kein physikalisches Gesetz verbietet es jedoch, dass sich alle Luftmoleküle in einer Hälfte des Zimmers vereinen und Euch in der anderen Hälfte ersticken lassen: man denke sich die Luft zunächst durch eine Trennwand in einer Hälfte gefangen. Nimmt man die Trennwand weg, wird das Gas sofort das leere Volumen auffüllen und sich gleichmäßig verteilen. Würde ein Dämon nun alle Bewegungsvektoren der Luftmoleküle gleichzeitig exakt um 180° umkehren, dann würde das Gas wieder in die Hälfte des Zimmers zurück fließen und man könnte die Trennwand wieder einsetzen.
Dass dies allerdings zufällig geschieht, ist unfassbar unwahrscheinlich. Ein Zimmer von 4m×3m×2,5m enthält in einem Volumen vom 30 Kubikmetern rund 8,1 · 1026 Luftmoleküle, die sich mit einer Wahrscheinlichkeit von 1/28,1·1026 ≈ 1/102,44·1026 in einer Hälfte sammeln würden – jedes Teilchen befindet sich mit einer Wahrscheinlichkeit von 1/2 in der richtigen Hälfte, und die Wahrscheinlichkeit, dass sich alle n Teilchen dort befinden, ist das Produkt aller Wahrscheinlichkeiten der n Teilchen, in der richtigen Hälfte zu sein: 1/2n). Das ist eine Zahl 0,000… mit 2,44 · 1026 Nullen vor der Ziffer 1 an letzter Stelle, ziemlich schwer vorstellbar. Der Versuch, sie in voller Länge ohne Exponenten auszuschreiben wäre vollkommen aussichtslos – nebeneinander geschrieben mit 3 mm pro Ziffer wäre die Folge von Nullen nach dem Komma etwa 73,2 Millionen Lichtjahre lang, 30 mal die Strecke bis zur Andromedagalaxie, bevor die erste Ziffer ungleich Null käme! Und jede Null mehr verringert die Wahrscheinlichkeit um den Faktor 1/10. Streng genommen ist es also nicht vollkommen ausgeschlossen, dass so etwas passiert, es ist nur unvorstellbar unwahrscheinlich und mit großer Sicherheit bisher noch in keinem Zimmer auf der Welt passiert.
Das ist ein sehr extrem geordneter Fall, nur einer aus mehr als 101026 möglichen. Aber eine exakte Gleichverteilung ist doch auch sehr speziell, oder? Weniger speziell, als man denkt. Nehmen wir etwa nur 100 Moleküle an. Dann können sie sich verteilen als 100 links / keins rechts, 99 links / 1 rechts etc. bis 50 links / 50 rechts und so weiter bis keins links und 100 rechts. Für 100 links und keins rechts gibt es nur eine Kombination. Für 99 links und 1 rechts gibt es bereits 100 Kombinationen, weil jedes der Teilchen dasjenige sein könnte, welches sich rechts befindet. Für 98 links und 2 rechts gibt es 100 · 99 /2 = 4950 Kombinationen, weil es 100 Möglichkeiten gibt, das erste Teilchen auszuwählen und 99 für das zweite, wobei uns aber egal ist, in welcher möglichen Reihenfolge wir die beiden ausgewählt haben, das Endergebnis ist identisch. Daher brauchen wir diese beiden Fälle nicht zu unterscheiden und können durch 2 dividieren. Alle übrigen Fälle berechnen sich analog (und zwar mit Binomialkoeffizienten): wenn wir n Teilchen haben und wissen wollen, auf wie viele Weisen wir k davon in der einen und n–k in der anderen Hälfte des Raums anordnen können, dann sind das n!/[k!·(n–k)!] Kombinationen. Im folgenden Bild sind die Anzahlen aller Kombinationen für n=100 und k=0…100 in einem Diagramm über k aufgetragen:
Das Diagramm ist nicht etwa unten abgeschnitten, sondern die Säulen werden nach außen hin so kurz, dass man sie angesichts der gigantischen Skala auf der y-Achse (gesehen?) nicht mehr darstellen kann. Das bedeutet, dass Kombinationen, bei denen sich in einer Hälfte weniger als ca. 30 der Teilchen wiederfinden (und folglich mehr als 70 in der anderen), extrem unwahrscheinlich sind. Schon für nur 100 Teilchen kommt man auf rund eine Quintillionen (1030) von Kombinationen, bei denen sich höchstens 6 Teilchen mehr oder weniger als der Mittelwert 50 in einer Hälfte befinden, aber nur 1/4 Quintillion, bei denen die Abweichung größer ist. 99,82% aller Kombinationen finden sich zwischen 50±15 Teilchen in einer Hälfte, 99,997% bei 50±20 und 99,99998% bei 50±25. Die Summe aller möglichen Kombinationen insgesamt ist 2100 ≈ 1,26765 · 1030.
Und was passiert, wenn es mehr Teilchen werden? Schön, dass Excel mit großen Exponenten klar kommt. Bei 1000 Teilchen sieht die Kurve so aus:
Abgesehen vom mehr als 10fach höheren Exponenten (Kombinationsanzahlen mehr als 10-fach potenziert!) erscheint sie schmaler, d.h. eine geringere prozentuale Abweichung vom Mittelwert ist hier schon wesentlich unwahrscheinlicher als bei 100 Teilchen. Bei 8,1 · 1026 Luftmolekülen in einem Zimmer wäre die Verteilung dann ein sehr schmaler Strich bei 4,05 · 1026 (und Excel würde versagen). Und dies nur für den einfachen Fall Teilchen in der linken oder rechten Raumhälfte. Noch viel mehr Kombinationen ergeben sich, wenn man den Raum in kleine Würfel zerteilt und danach fragt, auf wie viele Weisen sich die Moleküle auf diese verteilen können.
Mikro und Makro
Genau aus diesem – rein statistischen – Grund verteilt sich ein Gas gleichmäßig im Raum. Es gibt einfach viel mehr ungeordnete (gleichmäßig verteilte) Zustände für die Teilchen, als geordnete (lokale Häufungen, Dichteschwankungen). Ludwig Boltzmann führte 1877 ein Maß ein, mit dem er die Unordnung quantifizieren wollte, die schon seit 1865 von Clausius als Entropie bezeichnet wurde. Boltzmanns Entropieformel findet sich heute eingraviert in seinen Grabstein auf dem Zentralfriedhof von Wien (siehe Titelbild):
S = k log W
Hierbei bedeutet S die Entropie, k oder meist kB ist eine nach Boltzmann benannte Konstante (deren Wert und Einheit uns hier nicht weiter kümmern muss) und W die Wahrscheinlichkeit im Sinne der Anzahl der gleichwertigen “Mikrozustände”, die einem beobachteten Makrozustand entsprechen (etwa dem gleichen Gasdruck in einem Volumen), im Verhältnis zur gesamten Zahl aller möglichen Zustände. Log ist der natürliche Logarithmus (eigentlich ln).
Beispiel: Oben war davon die Rede, dass es ca. eine Quintillion Kombinationen für k zwischen 50±6 gibt; genauer gesagt sind es 1,0226 · 1030. Wenn wir dies als den Makrozustand “gleichmäßige Verteilung” zusammenfassen, beträgt dessen Entropie in Einheiten der Boltzmannkonstante kB: ln (1,0226 · 1030) = 69,1. Das ist ein deutlich handlicherer Wert als 1,0226 · 1030. Die Entropie des gegenteiligen Makrozustands der 100 Teilchen, dass sie nicht gleichmäßig verteilt sind (also weniger als 44 in einer und mehr als 56 Teilchen in der anderen Hälfte) beträgt ln (2100-1,0226 · 1030) = ln 2,451 · 1029 = 67,67 kB. Bei ≤ 30 oder ≥ 70 Teilchen beträgt die Entropie 59,0 kB. Und wenn alle Teilchen in einer Hälfte sind, dann ist die Entropie dieses Zustands 0.
Aus der simplen Tatsache, dass es viel weniger geordnete Mikrozustände als ungeordnete gibt, folgt trivialerweise, dass aus einer Änderung eines Makrozustands geringer Entropie mit hoher Wahrscheinlichkeit (und für realistische Situationen mit vielen beteiligten Teilchen und der Beschränkung auf menschliche Beobachtungsdauern sicher) ein solcher höherer Entropie hervor geht (jedenfalls in abgeschlossenen Systemen mit einer festen Energie und Teilchenzahl – mehr dazu im nächsten Teil der Reihe). Dies ist der zweite Hauptsatz der Thermodynamik (der erste beschreibt die Energieerhaltung geschlossener Systeme). Die Forschungen von Clausius, Boltzmann und anderen im 19. Jahrhundert beschäftigten sich mit der Kinetik von Gasen und Dampfmaschinen, daher der Bezug zur Thermodynamik, der Wärmelehre.
Der zweite Hauptsatz bedingt den thermodynamischen Zeitpfeil. Ihm zufolge ist es viel wahrscheinlicher, dass eine weiße Kugel beim Anstoß im Billard die anderen Kugeln auseinander treibt, als dass jene, angetrieben von mikroskopischen Stößen im Billardtisch und Luftwirbeln Fahrt aufnehmen und sich mit genau den richtigen Geschwindigkeiten und Richtungen aufeinander zu bewegen, um selbst in Dreiecksanordnung zur Ruhe zu kommen und lediglich die weiße Kugel in eine bestimmte Richtung zu beschleunigen. Oder dass keine Scherben sich spontan zu einem Glas formen, das vom Boden hochspringt und auf dem Tisch zu stehen kommt. Oder dass von Ufer und Grund eines Sees keine Druckwellen konzentrisch zu einem am Boden liegenden Stein zusammen laufen, die ihn just beim Zusammentreffen anheben und aus dem Wasser schleudern. Das sind alles Vorgänge, denen jeweils exakt ein zeitlich symmetrischer realer Vorgang entspricht, und die daher wegen der zeitlichen Symmetrie der Gesetze der Mechanik auch möglich sein müssen, aber die real beobachteten unter den jeweiligen Paaren von Vorgängen beginnen alle aus einem Zustand niedriger Entropie und enden in einem höherer, während die beschriebenen absurden Vorgänge die Entropie verkleinern würden, und das ist so unwahrscheinlich, dass wir nicht darauf zu warten brauchen.
Und das soll alles sein?
Aber erklärt der zweite Hauptsatz den Zeitpfeil komplett für alle physikalischen Vorgänge, oder gibt es vielleicht noch andere Zeitpfeile, unabhängig von diesem? Gibt es nicht etwa elementare physikalische Prozesse, die zeitlich nicht umkehrbar sind?
- Sterne strahlen Licht aus – könnten Sterne auch Licht aufsaugen? Der elementare Prozess, bei dem ein Atom ein Lichtteilchen (Photon) ausstrahlt, kommt auch umgekehrt vor, indem ein Atom ein Photon absorbiert. Genau so enstehen die dunklen Spektrallinien im Sternenlicht (im Durchlicht eines kühlen Gases vor heißem ,leuchtendem Hintergrund). Dass Sterne keine Linienstrahler sind liegt daran, dass sie ein Plasma aus freien Elektronen und Atomkernen sind, in denen die Elektronen nicht nur einzelne charakteristische Energien aufnehmen können, sondern alle Energien über einen weiten Bereich und so verteilt sich ihre Energie gemäß einer statistischen Verteilung über ein breites Spektrum des sichtbaren Lichts (und darüber hinaus). Aber jeder einzelne Vorgang der Emission eines Photons ist genau so umkehrbar.
- Auch chemische Reaktionen sind umkehrbar. Man kann Wasserstoff und Sauerstoff zusammen verbrennen und es entsteht Wasser und Energie. Umgekehrt kann man Wasser unter Energieaufwand (Elektrolyse) wieder in Wasserstoff und Sauerstoff aufspalten. Auf Niveau einzelner Moleküle kehrt man die Oxidationsreaktion einfach um.
- Schwarze Löcher sind die ultimative Einbahnstraße, man kann ihnen nicht entkommen, innerhalb ihres Ereignishorizonts führt jeder Weg hin zum Zentrum, der Singularität (jedenfalls solange sie nicht rotieren). Also ist die Allgemeine Relativitätstheorie vielleicht zeitlich unsymmetrisch? Nein – sie postuliert nämlich äquivalente “Weiße Löcher”, die ebenfalls eine Singularität enthalten, umgeben von einem Ereignishorizont, innerhalb dessen sich jeder Weg von der Singularität entfernen muss. Nichts kann in den Ereignishorizont eines Weißen Lochs eindringen. Zwar hat man noch keines im Weltraum beobachtet, aber sie sind mit den Gesetzen der Relativitätstheorie verträglich, denn diese kennt auch abstoßende Gravitation im Falle einer hohen Vakuumenergie. Die beste uns bekannte natürliche Annäherung an ein Weißes Loch ist der Urknall selbst, dessen wahrscheinliche Inflationsphase von gemäß der Relativitätstheorie von abstoßender Gravitation angetrieben worden sein soll.
- Die Welt der kleinsten Teilchen wird von der Quantenmechanik regiert, z.B. Teilchenzerfälle. Gibt es, wie bei der Ausstrahlung von Licht, für jeden Teilchenprozess einen entsprechenden zeitsymmetrischen Prozess?
Früher ging man davon aus, dass es zu jeder Teilchen-Interaktion eine gleichartige Interaktion gibt, wenn man die Ladungen (C für Charge) der Teilchen umkehrt (z.B. Teilchen durch ihre Antiteilchen ersetzt) und den Vorgang räumlich spiegelt (“die Parität P umkehrt”; z.B. den Spin, der sehr vereinfacht als “Rotation” veranschaulicht werden kann). Diese Eigenschaft bezeichnet man als CP-Invarianz, und man nahm an, dass sie für alle Teilcheninteraktionen universell gilt. 1964 fanden die Physiker James Cronin und Val Fitch, dass der Zerfall von neutralen Kaonen die CP-Invarianz verletzt. Neutrale Kaonen (K0) sind mittelschwere Teilchen (Mesonen). Mesonen bestehen immer aus einem Quark und einem Antiquark. Beim K0 sind das speziell ein Down-Quark (Ladung -1/3) und ein Anti-Strange-Quark (Ladung +1/3). Die Ladungen heben sich auf, daher ist das K0 elektrisch neutral (was die hochgestellte Null erklärt). Sein Spin ist +1/2. Das zugehörige Anti-Teilchen, das neutrale Anti-Kaon K0 besteht hingegen aus einem Anti-Down (+1/3) und einem Strange (-1/3) und ist ebenfalls neutral mit umgekehrtem Spin -1/2. Beide sind gleich schwer und gemäß CP-Umkehrung symmetrische Partner (umgekehrte Ladungen, umgekehrter Spin). Beide zerfallen in Pionen (das sind andere Mesonen, die nur aus Up- und Down-(Anti-)Quarks bzw. ihren Antiteilchen bestehen). Je nachdem, ob ein K0 oder ein K0 zerfällt, entstehen andere Pionen – daran kann man sie überhaupt unterscheiden. Interessanterweise wandeln sich K0 und K0 spontan ineinander um, sie oszillieren. Bei CP-Invarianz sollte man annehmen, dass sie gleich lange im Zustand K0 verweilen wie im Zustand K0 und die Zerfallsprodukte in gleicher Menge für beide Zustände entstehen. Cronin und Fitch fanden jedoch, dass es winzige Unterschiede in den Zerfallsprodukten gibt. Folglich ist die CP-Invarianz verletzt. Was jedoch nicht verletzt ist, ist die CPT-Invarianz: wenn man C und P umkehrt und den zeitlich umgekehrten Verlauf betrachtet (also etwa statt eines Zerfalls eine Verschmelzung), dann ist dieser Prozess symmetrisch zum ursprünglichen. Bisher wurde noch keine CPT-Invarianzverletzung in der Physik nachgewiesen.
Ja. Aber…
Die CPT-Invarianz gilt letztlich für die ganze Physik. Dass Sterne kein Licht absorbieren, das wellenförmig auf sie zu läuft, ist äquivalent dazu, dass keine Wasserwellen zusammenlaufen und Steine aus dem Wasser schmeißen. Die Elektrolyse von Wasser ist deutlich komplizierter als die explosionsartige Verbrennung von Wasserstoff mit Sauerstoff. Zerfälle einzelner Teilchen passieren seltener als die Vereinigung von mehreren Teilchen zu einem neuen. Und Gravitation wird üblicherweise durch die Raumkrümmung von Massen erzeugt, die im Extremfall Schwarze Löcher hervorbringen kann – Schwarze Löcher aufgrund von Masse sind eher zu erwarten als Orte mit absurd hoher Vakuumenergie, die Weiße Löcher hervorbringen könnten.
Der thermodynamische Zeitpfeil von niedriger zu höherer Entropie ist derjenige, der sagt, wo’s zeitlich lang geht. Was allerdings neue interessante Fragen aufwirft:
Wieso ist die Entropie jetzt gerade so klein? Wieso steigt sie eigentlich nur in der einen Richtung? Kann sie immer weiter grenzenlos wachsen? Und wenn nicht, was passiert dann? Damit beschäftigen wir uns in den kommenden 5. und 6. Teilen der Reihe.
Referenzen
- Sean Carroll, “From Eternity to Here / The Quest for the Ultimate Theory of Time”, Dutton / Penguin Group USA Inc., Januar 2010.
- en.wikipedi.org, “Kaon“
- de.wikipedia.org “CP-Verletzung“
- de.wikipedia.org “CPT-Theorem“
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