Sorry, dass ich eine Weile weg war – zwei Baustellen plus Job waren am Ende dann doch zu viel. In der Heise-Reihe “Die X-Akten der Astronomie” habe ich eine Menge neues gelernt, aber auch gemerkt, dass der eine oder andere Grundlagenartikel zum darauf Verweisen fehlt. Das liefert Stoff für mein Blog, das ich nun wieder fortsetzen möchte.
Hin und wieder habe ich in meinen Artikeln von einem “Farb-Helligkeits-Diagramm” gesprochen, nur um den Fachbegriff und seine Erläuterung zu umschiffen. Es geht dabei um das Diagramm vom Dänen Ejnar Hertzsprung und vom Amerikaner Henry Norris Russell, die es Anfang des 20. Jahrhunderts erdachten. Bis heute ist es das wohl wichtigste Universalwerkzeug in der Astronomie, ohne das wir beispielsweise keinerlei Idee davon hätten, wie weit Feldsterne von uns entfernt sind, wie groß die mit der Transit-Methode entdeckten Exoplaneten sind und wie sie zusammengesetzt sind. Eigentlich sollte es nur ein kurzer Artikel werden, aber das Diagramm ist so bedeutend und vielschichtig, dass es für eine kleine Serie gereicht hat – ich denke, es werden drei Teile werden. Im heutigen ersten Teil stelle ich den Ursprung des Diagramms vor.
Rosenbergs Diagramm
1910 untersuchte der Astronom Hans Rosenberg den Sternhaufen der Plejaden. Dieser im Sternbild Stier gelegene, hübsch anzusehende Sternhaufen enthält neben den mit bloßem Auge sichtbaren “7 Schwestern” noch hunderte schwächere Sterne. 1910 veröffentlichte der deutsche Astronom Hans Rosenberg in den “Astronomischen Nachrichten” einen kurzen Artikel, in dem er ein Diagramm der hellsten Sterne der Plejaden vorstellte, in welchem er die scheinbare, also am Himmel beobachtete Helligkeit der Sterne über einer selbst erdachten Skala auftrug, entlang derer er die Auffälligkeit einer Linie des Elements Kalzium relativ zu zwei benachbarten Wasserstofflinien auftrug. Die Linienstärke der Kalziumlinie nimmt auf der x-Achse von rechts nach links ab (Details siehe unter dem Bild).
Dies wird durch eine zunehmende Temperatur verursacht, denn Kalzium verliert bei steigender Temperatur seine äußeren Elektronen früher als Wasserstoff und verblasst im Spektrum.
Damit konnte Rosenberg zum Einen überzeugend belegen, dass die verschiedenen Farben der Sterne nicht durch verschieden starke Absorption von unterschiedliche starken Schichten interstellaren Staubes zwischen dem Beobachter und den Sternen verursacht werden, der blaues Licht stärker absorbiert als rotes. Die Stärke der Kalziumlinie war ein von der Farbe unabhängiges Maß der Temperatur, und die variierte für Sterne unterschiedlicher Farbe. Zum anderen zeigte sich, dass die Sterne nicht wild durch das Diagramm streuen, sondern die meisten Sterne sich entlang einer schmalen Linie reihen, die mit zunehmender Temperatur zu höheren Helligkeiten hin ansteigt. Blaue Sterne sind im Allgemeinen viel heller als rote. Rosenberg hatte klugerweise einen Sternhaufen ausgewählt, in dem sich viele verschiedene Sterne in der gleichen Entfernung zur Erde befinden, so dass ihre Helligkeiten untereinander vergleichbar sind. Die scheinbar helleren Sterne sind also im Sternhaufen auch die tatsächlich helleren.
Hertzsprungs Diagramm
Den Luxus der direkten Vergleichbarkeit hat man bei einzelnen Feldsternen allerdings nicht. Um Sternhelligkeiten in verschiedenen Entfernungen dennoch vergleichbar zu machen, führten die Astronomen das Maß der absoluten Helligkeit ein: bei bekannter Entfernung errechnet man zur beobachteten scheinbaren Helligkeit diejenige Helligkeit, die der Stern in einer bestimmten Normentfernung haben würde. Heute sind 10 pc (32,6 Lichtjahre) üblich, wobei ein pc (auch parsec, Parallaxensekunde) die Entfernung ist, bei der ein Stern sich aufgrund seiner perspektivischen Verschiebung vor dem Hintergrund um eine Bogensekunde (1″) verschiebt, wenn die Erde sich auf ihrer Bahn um die Sonne aus der Perspektive des Sterns um eine Astronomische Einheit zur Seite bewegt (nach einem halben Umlauf hat sie sich um ca. 2 AE bewegt, den Durchmesser ihrer Bahn). Wenn sich der Stern nur 0,1″ verschiebt, ist er 10 pc entfernt; allgemein gilt, dass die Entfernung in pc = 1/Parallaxe in Bogensekunden ist.
Kennt man die absolute Helligkeit eines Sterns, dann kann man seine (visuelle) Leuchtkraft direkt mit derjenigen anderer Sterne vergleichen. “Visuell” ist wichtig, weil sehr rötliche Sterne einen großen Teil ihrer Leistung als unsichtbares Infrarotlicht abstrahlen; gleiches tun sehr blaue Sterne im Ultravioletten. Diese Sterne sind also über alle Lichtfarben gemessen deutlich leuchtkräftiger, als ihr sichtbares Licht erschließen lässt. Die Sonne hat eine absolute Helligkeit von 4,8m (m steht für Magnituden = Größenklassen), das ist etwa die Helligkeit des Reiterleins Alkor, dem kleinen Begleitstern des mittleren Deichselsterns im Großen Wagen. Capella im Fuhrmann hat eine absolute Helligkeit von 0,3, das sind 4,5m heller, gleichbedeutend mit einem Faktor 63*. Beteigeuze im Orion hat eine absolute Helligkeit von -5,9m, das sind 10,7 Größenklassen weniger (die Größenklassenskala zählt rückwärts, kleiner ist heller!) als die Sonne entsprechend einer um den Faktor 19.000 höheren Helligkeit.
Ejnar Hertzsprung war schon im Jahr 1908 aufgefallen, dass einige Sterne trotz gleicher Farbe und damit Temperatur sehr verschiedene Leuchtkräfte haben: 61 Cygni und Aldebaran haben die gleiche Farbe und damit Temperatur, aber obwohl 61 Cygni nur 5. Größenklasse hat, ist er seiner Parallaxe gemäß nur 1/6 so weit entfernt wie Aldebaran, der 4 Größenklassen (Faktor 40) heller erscheint. Bei gleicher Entfernung wäre 61 Cygni nur (1/6)² = 1/36 so hell, das wären 3,9 Größenklassen schwächer, 9,9m, nur 1/1440 der Helligkeit von Aldebaran.
Da Hertzsprung nicht die Parallaxen ferner, leuchtkräftiger Sterne kannte, orientierte er sich statt dessen an den Eigenbewegungen der Sterne, also den Winkeln, um die sich die Sterne aufgrund ihrer Bewegung durch den Raum über die Jahre in der Himmelsebene verschieben. Je kleiner die Eigenbewegung, desto größer sollte die Entfernung sein. 1911 fertigte er dann seine eigene Version des Diagramms an, wobei seine Darstellung gegenüber der von Rosenberg um 90° nach links gekippt erscheint:
Wie man auch in diesem Diagramm erneut sieht, reihen sich die meisten Sterne eintlang einer Linie, genannt Hauptreihe, die rechts bei niedrigen Leuchtkräften und großen Wellenlängen (also rötlichem Licht) beginnt und links bei hohen Leuchststärken und kurzen Wellenlängen (blauweißes Licht) endet. Es gibt aber auch ein paar Sterne im Diagramm, die langwelliges Licht aussenden und trotzdem hell sind. In Hertzsprungs Diagramm sind sie mehr als 5 Größenklassen (Faktor 100) heller als solche, die bei gleicher Farbe auf der Hauptreihe liegen. Man kannte damals schon das Strahlungsgesetz von Josef Stefan und Ludwig Boltzmann, demgemäß die Helligkeit eines Wärmestrahlers von der Oberfläche und der 4. Potenz der Temperatur abhängt, sowie das Verschiebungsgesetz von Wilhelm Wien, das den Zusammenhang zwischen der Temperatur und der Farbe eines Wärmestrahlers herstellt. Hertzsprung schloss korrekterweise aus der Existenz von sowohl leuchstarken als auch lichstschwachen Sternen der gleichen Farbe, dass diese die gleiche Temperatur haben, aber sehr verschieden groß sein müssen, weil nach den Strahlungsgesetzen die pro leuchtender Fläche abgegebene Strahlung für dieselbe Temperatur und damit Farbe gleich ist. Er unterschied bei den Sternen zwischen Zwergen und Riesen.
Man konnte Zwerge und Riesen auch bei unbekannter Entfernung und damit Leuchtkraft gut auseinanderhalten: Hertzsprung war aufgefallen, dass die Sterne mit kleiner Eigenbewegung (also größerer Entfernung) viel schmalere Spektrallinien hatten. Er wusste zwar noch nicht, warum das so war (darauf kommen wir später zurück) aber der Unterschied war offensichtlich.
Russells Diagramm
Die klassische Form des Diagramms verwendete dann erstmals Henry Norris Russell 1913. Als Proxy für die Temperatur verwendete er die damals schon bekannte Spektralklasse nach dem Harvard-System. Ursprünglich in den 1880ern ein von Williamina Fleming und Edward C. Pickering entwickeltes Maß für die Linienstärke der Wasserstofflinien von A (am stärksten) bis O (am schwächsten) ordnete Annie Jump Cannon die Klassen nach ihrer Farbtemperatur um und fasste einige von ihnen zusammen (unterteilte statt dessen den Bereich zwischen den Klassen einheitlich mit den Ziffern 0-9), so dass sich die Folge OBAFGKM und ursprünglich noch N ergab. O entsprach den blauweißen Sternen der höchsten Temperatur und M (und N) den kühlsten Sternen mit rötlichem Licht.
In Russells Darstellung wird die Hauptreihe bei den hohen Temperaturen weniger gestaucht und sie erscheint als diagonale Gerade. Unten sein erstes Farb-Leuchtkraft-Diagramm aus Sternen, deren Parallaxen damals schon bestimmt worden waren (hier also nicht aus dem gleichen Sternhaufen).
Die Daten streuten sehr stark, weil die Parallaxen damals fürchterlich ungenau waren. In Russells Originalarbeit “Relations between the Spectra and other Characteristics of the Stars” ist als Bild 2 noch eine zweite Version mit 150 Sternen enthalten. Diese stammten allesamt aus vier damals bekannten Sternhaufen (besser gesagt, lockeren Sterngruppen, genannt Assoziationen) mit einer gemeinsamen Eigenbewegung ihrer jeweiligen Sterne (“Bewegungshaufen”), deren gemeinsamer Fluchtpunkt (Vertex) bekannt war. Aus der Richtung zum Vertex und den Geschwindigkeiten lässt sich die Entfernung bestimmen (“Sternstromparallaxe” – siehe meinen früheren Artikel dazu), und zwar sehr viel genauer als durch die damaligen Parallaxenmessungen von Einzelsternen möglich war. Somit war die Entfernung recht gut bestimmt und die verschiedenen Sterne zumindest der entfernteren Haufen waren nahezu gleich weit entfernt, was die Streuung der Werte verkleinerte.
Die vier betrachteten Sternhaufen bzw. Assoziationen waren die Hyaden im Stier (ca. 150 Lichtjahre entfernt; deren hellster Stern Aldebarangehört nicht zum Sternhaufen, denn er steht mit 65 Lichtjahren viel näher zu uns und teilt die Bewegungsrichtung der Hyaden nicht), eine Gruppe von Sternen um 61 Cygni, die 1911 als Bewegungshaufen identifiziert worden war und die zwischen 11 und 100 Lichtjahren entfernt sind, die Scorpius-Gruppe um Antares (Teil der heute bekannten, rund 400 Lichtjahre entfernten Scorpius-Centaurus-Assoziation) und die Ursa-Major-Bewegungsgruppe mit den meisten Sternen des Großen Wagens (ca. 80 Lichtjahre entfernt) und zahlreichen anderen.
In diesem Diagramm wird besser erkennbar, dass die Sterne oberhalb der Hauptreihe ebenfalls eine Linie bilden, die nach rechts oben abzweigt. Sie enthält nur Riesensterne und wird heute “Riesenast” genannt. Russell stellte fest, dass in der Klasse B alle Sterne Riesen sind. In der Klasse A vermischen sich Riesen und Zwerge. In Klasse M sind die Zwerge so lichtschwach, dass man sie nur in geringer Entfernung zur Erde überhaupt sehen kann, während die Riesen (wie Antares) selbst im am weitesten entfernten Sternhaufen noch hell am Himmel leuchten.
Was taugt so ein Diagramm?
Russell betonte in seiner Arbeit, dass man die absolute Helligkeit und damit die Leuchtkraft eines Zwergsterns ermitteln könne, wenn man nur seine Spektralklasse kenne. Aus dem Vergleich der absoluten Helligkeit mit der scheinbaren Helligkeit folgt dann sofort die Entfernung, aus der absoluten Helligkeit und der Temperatur folgt die leuchtende Fläche und damit die Größe des Sterns – und damit wird aus dem Diagramm ein mächtiges Instrument zur Charakterisierung der Sterne.
Aber Russell hatte noch etwas anderes im Sinn: er wollte seine Theorie zur Sternentwicklung mit dem Diagramm belegen. Russell bemerkte, dass die Massen der Sterne, die man aus der Beobachtung der Orbits von Doppelsternen schon kannte, nicht so füchterlich verschieden waren, wie es die Leuchtkräfte waren (ein Stern von -4m oben links auf der Hauptreihe ist 4000 Mal heller als die Sonne). Mehr als einen Faktor 50 mochte er nicht erkennen, die meisten Sterne lagen sogar innerhalb eines Faktors 3. Damals wusste man noch nichts über die Energiequelle der Sterne, die Kernfusion, und so nahm Russell an, dass die Sterne sich entlang der Linien im Diagramm entwickelten, und zwar von Riesen mit größerer Masse hin zu Zwergen mit kleinerer Masse. In der Mitte ihres Lebens befänden sie in der Mitte des Diagramms, die Russell genau dorthin verlegte, wo sich die Sonne befindet (Spektralklasse G, absolute Helligkeit ca. 5m). Dabei würden sie stetig Masse verlieren (logisch – wenn ein Stern “brennt”, verliert er an verbrauchtem Brennstoff!) und als rote Zwerge enden. Noch heute spricht man bei den Klassen O und B von “frühen” Spektralklassen, bei M von “späten”.
Dass sein Diagramm etwas mit der Entwicklung der Sterne zu tun hat, damit lag er goldrichtig. Seine Schlussfolgerung über den Entwicklungsweg der Sterne war allerdings vollkommen daneben. Was seiner Arbeit keinen Abbruch tut, ihm fehlten lediglich Kenntnisse, die erste Jahrzehnte später erschlossen wurden.
Sein Diagramm wurde bis in die 1930er nur als “Russell-Diagramm” bezeichnet, bevor Bengt Strömgren, später Subrahmanyan Chandrasekhar und andere Astronomen mehr und mehr den Begriff “Hertzsprung-Russell-Diagramm”, “HR-Diagramm” oder kurz “HRD” verwendeten und damit auch Hertzsprungs Beitrag ehrten, der als erster die Natur der Riesen und Zwerge erkannt hatte. Heute weiß jeder Astronom sofort etwas mit der Abkürzung HRD anzufangen. Das Diagramm ist eine Art universeller Rechenschieber der Astronomie, an dem sich die wichtigsten Parameter eines Sterns ablesen lassen.
Warum es Riesen und Zwerge gibt (und nicht nur diese), was das Diagramm uns über die Sterne alles verrät und welchen Entwicklungsweg die Sterne wirklich im Diagramm nehmen – darüber mehr in den folgenden Teilen der Serie.
Referenzen
- Hans Rosenberg, “Über den Zusammenhang von Helligkeit und Spektraltypus in den Plejaden“, Astronomische Nachrichten, 186 (5): 71–78. Bibcode: 1910AN….186…71R, doi:10.1002/asna.19101860503.
- Ejnar Hertzsprung, “Über die Sterne der Unterabteilungen c und ac nach der Spektralklassifikation von Antonia C. Maury“, Astronomische Nachrichten, 179 (24): 373–380. Bibcode:1909AN….179..373H, doi:10.1002/asna.19081792402.
- Henry Norris Russell, “Relations between the Spectra and other Characteristics of the Stars“, Popular Astronomy, 22: 275–294. Bibcode:1914PA…..22..275R.
- Owen Gingerich, “The Critical Importance of Russell’s Diagram”, Origins of the Expanding Universe: 1912-1932, ASP Conference Series, Vol. 471; arXiv:1302.0862.
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