In meiner Artikelreihe über den Urknall hatte ich geschrieben, dass die ältesten Sterne 13 Milliarden alt sind. Woher weiß man das eigentlich? In einem Menschenleben verändert sich ein Stern – abgesehen von einer Supernova – im Rahmen der Messgenauigkeit nicht. Wie kann man also das Alter eines Sterns ermitteln?
Tatsächlich ist es für einen einzelnen Stern extrem schwierig, sein Alter zu bestimmen; man kann bestenfalls aus seiner Metallizität (als dem Gehalt an Elementen, die in Sternen erst entstehen) und insbesondere dem Gehalt an Lithium (das in Sternen abgebaut wird) ein grobes Alter schätzen: das Äußere der meisten Sterne ist chemisch unverändert seit ihrer Entstehung und ihre Metallizität ist somit ein Abbild derjenigen des Gases, aus dem sie einst entstanden; dessen Metallizität hängt wiederum davon ab, wie lange frühere Sterngenerationen Zeit hatten, es mit Metallen anzureichern.
Stabile Verhältnisse
Ganz anders sieht das bei Sternhaufen aus, die sich mit Hilfe ihres Hertzsprung-Russell-Diagramms sehr gut datieren lassen, denn Sterne unterschiedlicher Masse und damit Spektralklasse entwickeln sich unterschiedlich schnell. Wie schnell sie das tun, lässt sich wiederum sehr gut modellieren: den weitaus größten Teil ihres Lebens verbringen die Sterne auf der Hauptreihe, während sie Wasserstoff in ihrem Inneren zu Helium fusionieren. Dabei verändern sie sich kaum: dass sie auf der Hauptreihe (bzw. in deren Nähe) bleiben, bedeutet nichts anderes, als dass ihre Größe und ihre Temperatur konstant bleiben. Dies bedeutet, dass auch in ihrem Inneren stabile Verhältnisse herrschen müssen: Druck, Temperatur, an der Fusion teilnehmendes Volumen und die Fusionsprozesse (für Wasserstoff gibt es deren zwei mit unterschiedlicher Effizienz in Abhängigkeit von der Temperatur: Proton-Proton-Kette und CNO-Zyklus) ändern sich nicht.
Somit kann man errechnen, wie lange der Stern auf der Hauptreihe leuchtet: aus der abgestrahlten Leistung folgt, wieviel Wasserstoff pro Sekunde verbrannt wird; die Größe des an der Fusion teilnehmenden Volumens kann man aus den Druck- und Temperaturverhältnissen im Inneren abschätzen, die sich aus der Masse und Größe des Sterns, dem mit der Tiefe ansteigenden hydrostatischen (Gewichts-) Druck und der vom Stern abgestrahlten Leistung errechnen lassen.
Die Lebensdauer τMS eines Sterns der Masse M auf der Hauptreihe beträgt ungefähr
τMS = 1010 · (M/M☉)-2,5 Jahre
wobei M☉ die Sonnenmasse ist, wobei die Formel für sehr massereiche Sterne nicht mehr ganz passt, aber bis 10 Sonnenmassen gut funktioniert. Für eine Sonnenmasse ergibt sich also eine Verweildauer von 10 Milliarden Jahren. Genauer modelliert sieht die Verweildauer auf der Hauptreihe graphisch so aus:
Stellarer Altersknick
Angenommen, man hat nun einen Mix aller möglichen Sterntypen, wie sie in einem Sternhaufen auftreten und betrachtet dessen HRDs für verschiedene Alter. Dann wird die Hauptreihe von den massereichsten Sternen beginnend von links oben zunehmend abgeräumt, denn je massereicher, desto früher endet die Zeit auf der Hauptreihe. Die Sterne entwickeln sich dann nach rechts oder rechts oben (kühler, steigende Leuchtkraft ⇒ sie werden zu Riesen). Die Hauptreihe biegt also mit wachsendem Alter zunehmend weiter unten nach rechts zu den Riesen hin ab. Man bezeichnet die Kurve, entlang der sich die Sterne in einem Sternhaufen reihen, als Isochronen, also Linien gleichen (iso=gleich) Sternalters (chronos=Zeit). Theoretische Isochronen sehen wie folgt aus:
Die Kapriolen rechts oben möge man für den Augenblick ignorieren, wir kommen noch darauf zurück. Die dunkelblaue Kurve zeigt die Isochrone für 5 Millionen Jahre. Im oberen Bereich des HRD sind die massereichsten Sterne schon zum Riesenast abgebogen (die massivsten sind sogar schon wieder auf dem Weg nach links, wo sie als “blaue” Supernovae enden wie der blaue Überriese Sanduleak -69° 202a, der 1987 als die berühmte Supernova in der Großen Magellanschen Wolke explodierte), während masseärmere Sterne bis ca. 10.000 K hinunter die Hauptreihe bilden. Unterhalb von 10.000 K liegt die Kurve (noch) oberhalb der Hauptreihe: diese Sterne haben nach ihrer Entstehung die Hauptreihe noch gar nicht erreicht (siehe unten). Der Punkt, wo die Hauptreihe verlassen wird, heißt Turn Off Point (TOP).
Die orangefarbene Kurve entspricht der Isochrone für 20 Millionen Jahre. Der Turn Off Point liegt schon deutlich tiefer auf der Hauptreihe, und Sterne bis hinunter zur Sonnenmasse haben die Hauptreihe erreicht; leichtere Sterne stehen kurz vor der Hauptreihe. Die orangefarbene Isochrone endet oben rechts: dort befindet sich derzeit Beteigeuze, der kurz vor seinem Ende als rote Supernova steht.
Die violette Isochrone entspricht einem Alter von 10 Milliarden Jahren. Der Turn Off Point liegt just bei der Temperatur (ca. 6000 K) und Leuchtkraft (100=1) der Sonne: die Sonne wird nach 10 Milliarden Jahren von der Hauptreihe abbiegen.
Alle Theorie ist grau (auch in bunten Diagrammen!) – wie sehen die Hertzsprung-Russell-Diagramme echter Sternhaufen aus? Hier einige Beispiele verschiedenen Alters:
Man kann also mit Hilfe des Hertzsprung-Russell-Diagramms Sternhaufen anhand des Turn Off Points sehr genau datieren. Aus Sternhaufen lernt man umgekehrt, wie sich Sterne vor und nach der Hauptreihenphase entwickeln, denn für alle Haufensterne kennt man ihr Alter sehr genau.
Der Weg zur Hauptreihe
Im folgenden Bild sind zunächst die Linien der Vorhauptreihensterne (auch Protosterne genannt) von der sogenannten “Geburtslinie”, an der sie zuerst im HRD auftauchen (dünne schwarze Linie oben) bis zur “Nullalter-Hauptreihe” (Zero Age Main Sequence, ZAMS; untere dünne schwarze Linie) zu sehen:
Man erkennt, dass die leichteren Sterne sich im Diagramm senkrecht nach unten entwickeln (d.h. bei gleicher Oberflächentemperatur schrumpfen), während die massereichsten sich nach links entwickeln (d.h. bei gleicher Leuchtkraft heißer werden). Die Sterne in der Mitte bewegen sich zuerst nach unten und dann nach links. Die senkrechten Anteile der Entwicklungspfade werden Hayashi-Linien genannt, die waagerechten Henyey-Linien.
Wenn sich das Gas zu einem Stern formt, ist es zunächst transparent und die bei der Kompression entstehende Wärme kann ungehindert als Infrarotlicht entweichen; das Gas kann ungehindert einfallen, so dass der Stern schnell wächst. Sobald er heiß genug geworden ist, dass er ein Plasma bildet (also die Atome ihre Elektronen verlieren), wird das Gas für Strahlung undurchlässig (opak), weil die freien Elektronen alle Lichtwellenlängen absorbieren und streuen können, und somit wird die weitere Kontraktion stark verlangsamt, da die Strahlung mit dem Gas wechselwirkt – es bildet sich ein hydrostatisches Gleichgewicht zwischen dem Gewicht des Gases und dem nach außen wirkenden Strahlungsdruck. Der Stern wird jetzt auch im Diagramm sichtbar, denn er bläst das Gas aus seiner Umgebung fort und befreit sich aus seinem Geburtsnebel, der ihn zuvor verbarg – er taucht an der Geburtslinie auf. Diese Phase nennt sich nach dem Prototypenstern T-Tauri-Phase: der Stern ist noch von einfallendem Gas umgeben, welches eine Akkretionsscheibe um ihn bildet, die sogar einen Jet ausbilden kann (siehe Titelbild), ganz ähnlich wie bei einem Schwarzen Loch, wenn auch weniger violent.
Hayashi-Linie
Der Stern hat dabei noch nicht mit der Fusion begonnen, sondern er leuchtet nur aufgrund seiner Kontraktion, die Gravitationsenergie via Kompression in Wärme umwandelt. Er muss also schrumpfen, um Energie zu erzeugen. Der Wärmetransport erfolgt relativ ineffizient über Konvektion, also einer Umwälzung des von innen aufsteigenden heißen Plasmas und absinkenden kühlen Gases. Deswegen bleibt das Äußere des Sterns in etwa auf der gleichen Temperatur, während er schrumpft. Die Flächenhelligkeit, die von der Temperatur abhängt, bleibt also konstant, die leuchtende Fläche wird kleiner – somit wandert er im HRD senkrecht nach unten. Sterne unter 0,5 Sonnenmassen bleiben ihr ganzes Leben lang konvektiv, daher verlaufen ihre Hayashi-Linien bis zur Hauptreihe, wo die Wasserstofffusion zündet und ein weiteres Schrumpfen durch diese neue Energiequelle verhindert.
Henyey-Linie
Bei Sternen von mehr als 0,5 Sonnenmassen nimmt die Temperatur und damit die Energie der Photonen im Inneren soweit zu, dass freie Elektronen die harten Photonen kaum mehr streuen können. Somit entwickelt sich vom Zentrum aus eine sich ausbreitende “radiative” Zone, in der die Wärme viel effizienter durch Strahlung als zuvor durch Konvektion transportiert werden kann. Der äußerlich erhöhte Strahlungsdruck verlangsamt die Schrumpfung. Dies heizt den Stern außen auf. Bei massiven Sternen erreicht die radiative Zone sogar die Oberfläche. Die Überlagerung der Aufheizung (Flächenhelligkeit steigt) und der Schrumpfung (Oberfläche verkleinert sich) führt zu einer waagerechten Bewegung nach links im Diagramm entlang einer Henyey-Linie: die Helligkeit bleibt konstant, aber die Temperatur steigt. Massive Sterne entwickeln sich so schnell, dass sie die Henyey-Linie schon erreicht haben, wenn sie sich aus dem Geburtsnebel schälen und sie bewegen sich dann gleich nach links im Diagramm. Wenn sie die Hauptreihe erreichen, endet auch hier mit dem Einsetzen der Wasserstofffusion zunächst die Wanderung durch das Diagramm und es kehrt ein stabiler Zustand ein, das Wasserstoffbrennen auf der Hauptreihe.
Wie es dem Stern dann im weiteren Leben ergeht, hat dann doch nicht mehr in diesen dritten Teil gepasst, deswegen wird es noch einen vierten geben.
Quellen
- Onno Pols, “Early stages of evolution and the mainsequence phase“, Lecture Notes for a Utrecht University MSc course, Chapter 9-11, September 2011.
- Youn Kil Jung, Y.-C. Kim, “Pre-Main Sequence Evolutions of Solar Abundance Low Mass Stars“, Journal of Astronomy and Space Sciences, Vol. 24, Issue 1, 2007.
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