Der Planet Venus existiert erst seit ein paar tausend Jahren. Entstanden ist sie als Komet, der von Jupiter ausgestoßen wurde. Danach flog sie wie wild durchs Sonnensystem und kollidierte dabei mehrmals fast mit der Erde und dem Mars. Und Beweise dafür findet man in den alten Texten der Ägypter, Babylonier, der Bibel usw… Absurd? Nicht für Immanuel Velikovsky, der sich das alles ausgedacht hat und einige Bestseller zu diesem Thema verfasst hat.
Nach “Physik für Mädchen” möchte ich auch noch mein zweites Fundstück vom Bücherflohmarkt vorstellen: “Erde im Aufruhr” von Immanuel Velikovsky. Dieses Buch von 1955 ist ein Nachfolger von Velikovskys bekanntestem Werk “Welten im Zusammenstoß”. Dieses 1950 veröffentlichte Buch sorgte in den Siebzigern in den USA für einige Aufregung und Kontroversen.
Velikovsky selbst war Arzt und Psychoanalytiker. Nebenbei hat er sich auch mit der ägyptischen Geschichte und Mythologie beschäftigt. Und im Zuge dieser Studien kam er zu dem Schluss, dass die mythologischen Beschreibungen der alten Ägypter (und anderer alter Texte wie der Bibel oder der Ilias) Tatsachenberichte sind. Wenn also zum Beispiel in der Bibel steht:
“Damals redete Josua mit dem HERRN an dem Tage, da der HERR die Amoriter
vor den Israeliten dahingab, und er sprach in Gegenwart Israels: Sonne,
steh still zu Gibeon, und Mond, im Tal Ajalon! Da stand die Sonne still und der Mond blieb stehen, bis sich das Volk an seinen Feinden gerächt hatte” (Jos 9,12-13)
dann bedeutet das, dass die Erde tatsächlich aufhörte zu rotieren! Und wenn in der griechischen Mythologie Athene (die Velikovsky mit der römischen Venus assozierte) aus dem Kopf von Zeus (dem römischen Jupiter) entsprang, dann bedeutet das, dass der Planet Venus vom Planet Jupiter ausgestoßen werden musste.
Vor die Wahl gestellt, ob die existierenden physikalischen und astronomischen Theorien falsch sind, oder seine Ansicht das die alten Mythen Tatsachenberichte sind, entschied sich Velikovsky für zweiteres. Und bastelte sich daher seine eigene Theorie des Sonnensystems zurecht die er in seinem Buch “Worlds in Collision” (Welten im Zusammenstoß) darlegt:
Um das Jahr 1500 v.Chr. soll also Jupiter einen großen “Kometen” ausgespuckt haben. Der hat sich dann ins innere Sonnensystem bewegt und ist der Erde sehr nahe gekommen. Das verursachte Unmengen an Katastrophen (Erdbeben, Vulkanausbrüche, Überschwemmungen, etc) von denen wir in den alten Mythen lesen können. Die Erdachse und die Rotationsdauer der Erde wurden auch noch geändert; unter anderem hat die Beinahe-Kollision mit dem Venus-Kometen dazu geführt, dass die Rotation der Erde für eine Zeit lang komplett aufhörte und später wieder einsetzte (Das Ereignis, das im Buch Josua der Bibel beschrieben wird). Später kam Venus dann wieder vorbei und hat die Erde nochmal so richtig durchgeschüttelt. Im 8. und im 7. Jahrhundert v. Chr. kam dann auch noch Mars der Erde nahe (der wurde nämlich auch von der wildgewordenen Venus aus seiner Bahn gestört – belegt durch diverse Mythen, die einen “Kampf der Götter” am Himmel beschreiben); und auch der erzeugte jede Menge Naturkatastrophen. Danach hat sich alles beruhigt, Mars und Venus sind wieder auf die normalen, “braven” Bahnen zurückgekehrt, die wir heute beobachten und aus dem “Kometen” Venus wurde ein Planet.
Jeder, der auch nur die geringste Ahnung von Physik bzw. Astronomie hat, sieht sofort, dass diese “Theorie” vollkommen absurd ist. Planeten können sich nicht auf diese Art und Weise bewegen und ihre Bahnen ändern ohne Energie- und Drehimpulserhaltung zu verletzen. Es gibt keinen Mechanismus, der die Rotation der Erde einfach so anhalten könnte – und selbst wenn, gäbe es keinen, der sie danach wieder in Rotation versetzt. Ein Objekt, so groß wie die Venus kann keinen Kometenschweif haben. Es gibt keinen Mechanismus, wie Jupiter einen Planeten “auswerfen” kann. Und selbst wenn, dann müsste die wegfliegende Venus die Bahnen der Jupitermonde gestört haben (was nicht der Fall ist). Genauso müssten die nahen Begegnungen mit Erde und Mars die Bahn des Erdmondes gestört haben (was nicht er Fall ist). Und so weiter… So gut wie nichts in Velikovskys Buch macht physikalisch gesehen irgendeinen Sinn. Trotzdem war er fest davon überzeugt davon, Recht zu haben und hat viele Anhänger gefunden. Sein Buch wurde ein Bestseller und die wissenschaftliche Community sah sich genötigt, ein Statement zu Velikovsky abzugeben. Es gab große Diskussion, viel Streit und sogar ein eigenes Buch über die ganze Affäre: “Scientists confront Velikovsky“. Selbst heute noch gibt es viele, die Velikovskys Theorie für wahr halten bzw. zumindest fordern, dass die Wissenschaft sie als alternative Theorie anerkennt. Man muss nur mal in die Wikipedia schauen – auf die Diskussionsseiten zu den Artikel – um zu sehen, dass auch solche absurden Theorien immer noch jede Menge Anhänger haben. Aber auch an anderen Stellen im Internet finden sich noch genügend Anhänger die Velikovsky würdigen. Das ist – leider – auch nicht weiter verwunderlich. Velikovsky hat eine klassische pseudowissenschaftliche Theorie geschaffen – und die sind leider nur schwer auszurotten.
Mit ein Grund für den “Erfolg” dieser Theorie ist wohl leider die Unwissenheit vieler Menschen was Physik und Astronomie angeht. Velikovsky selbst war “nur” Arzt und hatte keine physikalisch/astronomische Ausbildung. Sein katastrophistisches Weltbild war rein aus der Beschäftigung mit der Mythologie motiviert. In keinem seiner Werke finden sich physikalische oder mathematische Berechnungen; alles wird nur mit Zitaten aus alten Texten belegt. Menschen, die keine richtige Vorstellung von unserem Sonnensystem und den Planeten haben lassen sich durch solche Schilderungen leicht überzeugen. Wer schon mal ein Buch von Erich von Däniken gelesen hat, der weiß wie überzeugend solche Theorien wirken können, wenn sie scheinbar durch Unmengen an alten Texten belegt werden.
Aber wie bei allen Pseudowissenschaftern hat es Velikovsky mit den Zitaten auch nicht allzu genau genommen. Dazu möchte ich ein Beispiel aus “Erde im Aufruhr” bringen. In diesem Buch will Velikovsky Belege dafür bringen, dass Katastrophen in der Geschichte der Menschheit einen großen Einfluss hatten und das die einzige Erklärung für diese Katastrophen die Theorie des “Venus-Komets” ist. In “Kapitel 9: Verlagerte Erdachse” will Velikovsky u.a. belegen, dass es – bedingt durch die Beinahekollisionen mit Venus und Mars – zu bestimmten früheren Zeiten sehr viel mehr Erdbeben gab als heute. Er schreibt:
“Und wenn wir den Berichten über Erdbeben in den Überlieferungen des Alten Ostens und in den Chroniken des Klassischen Zeitalters Glauben schenken, werden wir über die Anzahl seismischer Stöße und Beben mit Verwunderung erfüllt sein. Ein Beispiel sind die babylonischen Aufzeichnungen auf Tontafeln […] ein anderes sind die römischen Berichte aus einer späteren Zeit: In einem einzigen Jahr des Punischen Krieges (-217) werden aus Rom 57 Erdbeben berichtet.”
Ok, 57 Erdbeben innerhalb eines Jahres in Rom – dass ist beeindruckend! Da kann ja wirklich nicht alles mit rechten Dingen zugegangen sein. Oder? Als Beleg für diese Behauptung gibt Velikovsky Plinius an (Naturgeschichte, II, 86). Ich habe mal nachgesehen, was dort steht:
“Fiunt simul cum terrae motu et inundationes mareis, eodem videlicet spiritu infusi aut terrae sidentis sinu recepti. maximus terrae memoria mortalium exstitit motus Tiberii Caesaris principatu, XII urbibus Asiae una nocte prostratis; creberrimus Punico bello intra eundem annum septies ac quainquagies nuntiatus Romam, quo quidem anno ad Trasimenum lacum dimicantes maximum motum neque Poeni sensere nec Romani. nec vero simplex malum aut in ipso tantum motu periculum est, sed par aut maius ostento. numquam urbs Romas tremuit, ut non futuri eventus alicuius id praenuntium esset.”
Die Perseus Digital Library der Tufts University übersetzt uns das ins Englische:
“Inundations of the sea take place at the same time with earthquakes ; the water being impregnated with the same spirit, and received into the bosom of the earth which subsides. The greatest earthquake which has occurred in our memory was in the reign of Tiberius, by which twelve cities of Asia were laid prostrate in one night. They occurred the most frequently during the Punic war, when we had accounts brought to Rome of fifty-seven earthquakes in the space of a single year. It was during this year that the Carthaginians and the Romans, who were fighting at the lake Thrasimenus, were neither of them sensible of a very great shock during the battle. Nor is it an evil merely consisting in the danger which is produced by the motion; it is all equal or a greater evil when it is considered as a prodigy. The city of Rome never experienced a shock, which was not the forerunner of some great calamity.”
Aha! “…when we had accounts brought to Rome…”. Es gab also nicht 57 Erdbeben in Rom, sondern Berichte über 57 Erdbeben wurden während eines Jahres nach Rom gebracht. Und das ist schon wieder ganz was anderes. Der U.S. Geological Survey gibt an, dass weltweit pro Jahr etwa 13000 Erdbeben der Stärke 4-5 stattfinden (und damit von Menschen ohne technische Hilfsmittel gespürt werden können). Wenn also in der Hauptstadt des römischen Reichs Berichte von 57 Erdbeben innerhalb eines Jahres eintreffen, ist das nichts was außergewöhnlich genug wäre, um irgendeiner Erklärung zu bedürfen – und schon gar keiner so absurden wie dem Venus-Kometen. Und das war nur ein Beispiel von vielen – Das ganze Buch lässt sich auf diese Art und Weise auseinander nehmen.
Aber diese Art zu Arbeiten ist typisch für die Pseudowissenschaften: Zitate werden verfälscht wiedergegeben um die eigenen Thesen zu stützen. Es wird auch nur das zitiert, was die Theorien möglicherweise unterstützt – auf andere Argumente (hier die naturwissenschaftlichen) wird mit keinem Wort eingegangen. Aber wie man bei anderen Pseudowissenschaften (Astrologie, Homoöpathie, Impfgegnern, etc) oder Verschwörungstheorien (Mondlandung, UFOs, …) sehen kann, lässt sich mit Argumenten meist sowieso nichts ausrichten. Menschen, die Anhänger solcher “Theorien” sind, sind Gläubige. Sie glauben daran, dass diese Dinge richtig sind. Aber Wissenschaft hat mit Glauben nichts zu tun! Und gegen blinden Glauben kann man meistens auch nicht mit Argumenten ankämpfen… Der einzige Weg ist den Menschen von Anfang an die Möglichkeit zu geben, zu erkennen wann etwas Unsinn ist und wann nicht. Aber in einer Welt mit Bild-Zeitung, “The next Uri Geller” und “Galileo Mystery” ist das manchmal gar nicht so einfach… (aber immerhin gibt es noch die ScienceBlogs 😉 )
Weiterführende Links:
- Skepdic-Eintrag zu Velikovksy
- NZZ Folio Artikel über Velikovsky
- sogar die christliche Vereinigung “Wort und Wissen” hält Velikovskys Theorien für Blödsinn
- Carl Sagan über Velikovsky bei Youtube
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