Ich habe mich früher auch eine Zeit lang mit der Langzeitstabilität des Sonnensystems beschäftigt, unter anderem auch mit der Arbeit von Laskar. Eine Kollegin von mir aus Wien hat sogar ihre Diplomarbeit über das chaotische Verhalten von Merkur geschrieben (sie liest hier mit soweit ich weis – vielleicht schreibt sie ja einen Kommentar dazu 😉 ). Diese Arbeit von Laskar war zwar sehr wichtig und äußerst interessant – aber es gab einiges dabei zu kritisieren.
Auch hier wurde natürlich eine Näherung benutzt. Normalerweise benutzt man für diese Art von Simulation die newtonschen Gravitationsgleichungen die dann am Computer numerisch gelöst werden. Um aber einen Zeitraum von einigen Milliarden Jahren zu untersuchen brauchen selbst die besten Computer enorm lang. Deshalb entschied sich Laskar, vereinfachte Bewegungsgleichungen zu benutzen. Diese haben aber den Nachteil, sehr ungenau zu werden, wenn die Exzentrizitäten der Planeten sehr groß werden. Es war also nicht klar, wie exakt Laskars Rechnungen wirklich waren. Zusätzlich handelte es sich nicht um eine durchgängige Simulation. Die Rechungen wurden “zusammengestückelt” und stellten nur eine Art “Worst-case”-Szenario dar. Laskar untersuchte nicht nur die Bahn der “echten” Planeten sondern auch die von 4 benachbarten “Klonen” (die Unterschiede in der Anfangsposition waren aber sehr klein – nur 150 Meter). Die Bahn dieser 5 Objekte wurden nun für einige Zeit berechnet – und dann diejenige ausgewählt, die den stärksten Anstieg der Exzentrizität verzeichnete. Diese Bahn zu diesem Zeitpunkt diente dann als neuer Ausgangspunkt; es wurden wieder 4 Klone hergestellt und das ganze Spiel wiederholt. Am Ende ergab sich dann insgesamt der oben erwähnte enorme Anstieg der Exzentrizität des Merkur. Für diese Methodik wurde Laskar des öfteren kritisiert; was er aber zweifelsfrei zeigte, war das potentiell chaotische Verhalten des inneren Sonnensystems bei der Betrachtung von sehr langen Zeiträumen.
Die neuen Ergebnisse
In seiner neuen Arbeit hat Laskar nun die alte Arbeit weitergeführt. Die besseren Computer machten es möglich sehr viel mehr Simulationen durchzuführen als 1994. Deswegen konnten diesmal auch genaue Wahrscheinlichkeiten berechnet werden, die angeben, wie groß die Chancen sind, dass ein bestimmter Planet einen bestimmten Anstieg in der Exzentrizität zeigt. Laut diesen Rechnungen besteht eine Wahrscheinlichkeit von 1 bis 2% das Merkurs Exzentrizität innerhalb der nächsten 5 Milliarden Jahre auf Werte von über 0.6 steigt. Das ist eine relativ große Wahrscheinlichkeit – und ein so hoher Anstieg der Exzentrizität birgt die Möglichkeit einer Kollision mit Venus! Allerdings hat Laskar auch hier wieder die vereinfachten Bewegungsgleichungen verwendet. Kollegen aus Japan hatten ähnliche Simulationen durchgeführt; diesmal aber mit den ungekürzten Gleichungen (Ito & Tanikawa: “Long-term integrations and stability of planetary orbits in our Solar System“, MNRAS 336, 483, 2002). Sie fanden, dass die Exzentrizität von Merkur zwar größer werden kann, aber immer kleiner als 0.35 bleibt – ein Wert, bei dem keine Gefahr einer Kollision besteht. Ito & Tanikawa hatten allerdings in ihrer Simulation keine Effekte der allgemeinen Relativitätstheorie berücksichtigt und auch den gravitativen Einfluss des Mondes vernachlässigt (Das ist nicht unüblich, denn beide Effekte sind sehr, sehr klein). Laskar argumentiert nun aber, dass gerade bei solch langen Zeiträumen diese kleinen Effekte durchaus berücksichtigt werden müssen. Deswegen hat er selbst die Simulationen von Ito & Tanikawa wiederholt – und fand deutlich höhere Werte für die Exzentrizität des Merkur! (Es wurden Exzentrizitäten von bis zu 0.8 erreicht). Er zeigte auch (diesmal wieder mit den vereinfachten Gleichungen) das die Effekte der allgemeinen Relativitätstheorie einen großen Einfluss haben: Bei Berücksichtigung dieser Effekte ist das System wesentlich weniger chaotisch; die Werte von Merkurs Exzentrizität bleiben kleiner.
Alles in allem wieder eine etwas verwirrende Angelegenheit. Wenn die relativistischen Effekte das Chaos abschwächen, dann müsste die Simulation von Ito & Tanikawa größere Exzentrizitäten liefern als die von Laskar – es ist aber genau umgekehrt. Eine Wiederholung der Simulation der Japaner konnte ihre Ergebnisse auch nicht bestätigen. Und wie genau sind die von Laskar benutzten vereinfachten Gleichungen nun wirklich? Laskar selbst führt den Unterschied zwischen den Ergebnissen auf unterschiedliche Anfangswerte zurück. Das ist durchaus möglich, denn in chaotischen Systemen spielen die eine wichtige Rolle. Um die Gültigkeit seiner vereinfachten Gleichungen einzuschätzen müsste man eine Simulation mit den kompletten Gleichung unter Berücksichtigung der relativistischen Effekte und des Mondeinflusses zur Verfügung haben. Die gibt es aber – für solch lange Zeiträume – leider noch nicht. Laskar hat abschließend angekündigt, diese in nächster Zeit selbst durchführen zu wollen.
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