Eine kürzliche veröffentlichte Arbeit beschreibt das Langzeitverhalten der Planeten in unserem Sonnensystem. Das Ergebnis: In ferner Zukunft könnte die Erde mit Merkur kollidieren. Wie chaotisch ist unser Sonnensystem wirklich?
Die Kollisionen lassen mich irgendwie nicht los. Nach dem Asteroiden, der in ein paar Jahrzehnten angeblich den Weltuntergang verursachen wird und den wirren Thesen des Immanuel Velikovsky gibt es nun schon wieder ein Weltuntergangsszenario. Diesmal handelt es sich aber um seriöse Forschung – und wahrscheinlich findet man deshalb wenig darüber in den Medien (ich habe auf die Schnelle nur einen Eintrag im österreichischen Standard gefunden).
Um was geht es diesmal? Jacques Laskar vom Observatoire de Paris hat sich mit der Langzeitstabilität des Sonnensystems beschäftigt. Ein bisschen was über seine Ergebnisse habe ich schon in meinem alten Blog geschrieben – er hat nämlich am 7. Alexander von Humboldt Colloquium über Himmelsmechanik teilgenommen und dort seine Ergebnisse vorgestellt. Nun ist seine Arbeit, die in der Fachzeitschrift Icarus erscheinen wird, auch als Preprint veröffentlicht: “Chaotic Diffusion in the Solar System” ist der Titel und die Arbeit selbst ist eine Fortsetzung der früheren Forschung von Laskar.
Das Sonnensystem ist chaotisch!
In vielen Vergleichen muss unsere Sonnensystem ja immer als Beispiel für absolute Regelmäßigkeit herhalten. “Wie ein Uhrwerk” bewegen sich die Planeten auf ihrer Bahn; absolut regelmäßig und vorhersagbar. Naja, spätestens seit den Arbeiten von Henri Poincaré im 19. Jahrhundert wissen wir, dass dem nicht so ist. 1889 zeigte Poincaré dass das n-Körper Problem für n> 2 analytisch nicht lösbar ist. Das bedeutet, dass es keine Möglichkeit gibt, das Verhalten von mehr als 2 Körpern unter ihrer gegenseitigen gravitativen Anziehungskräfte für alle Zeiten vorherzusagen. Es lassen sich zwar die Gleichungen aufstellen, die ihre Bewegung beschreiben – aber es ist unmöglich sie zu lösen. Das kann man nur näherungsweise machen; heutzutage verwendet man dafür Computerprogramme, die diese Näherungslösungen berechnen. Man sollte sich hier aber nicht vom Wort “Näherung” täuschen lassen! Die Methoden sind mittlerweile so ausgereift, dass diese “Näherungen” enorm exakt sind. Raumsonden werden mit diesen “Näherungen” punktgenau zu weit entfernten Planeten gesteuert; Sonnen- und Mondfinsternisse lassen sich mit diesen Näherungen sekundengenau vorhersagen – die moderne Himmelsmechanik kann enorm exakt arbeiten, auch ohne die Bewegungsgleichungen exakt lösen zu können.
Betrachtet man aber sehr lange Zeiträume, dann ist die ganze Sache nicht mehr so einfach. 1994 untersuchte Jacques Laskar, wie sich die Bahnen der Planeten verhalten, wenn man sie für sehr lange Zeiten betrachtet. “Lang” bedeutet hier einige Milliarden Jahre. Natürlich ist es illusorisch, wirklich genau Vorhersagen über solche Zeiträume zu machen. Will man einigermaßen exakt vorhersagen, wo sich ein Planet in Zukunft befindet, dann geht das für ein paar Millionen Jahre (wenn es wirklich exakt sein soll, beispielsweise für Weltraummissionen, dann liegt die Grenze viel niedriger, bei einigen tausend Jahren). Laskar behauptet also nicht, er könnte die Bewegung der Planeten für Zeiträume von einigen Milliarden Jahre vorhersagen – aber solche Untersuchungen zeigen, was für ein Verhalten unser Sonnensystem prinzipiell zeigen kann. In seinem Artikel “Large-scale Chaos in the Solar System” (Astronomy & Astrophysics 287, L9, 1994) kam Laskar zu dem Schluss das sich die schweren, äußeren Planeten des Sonnensystems (Jupiter, Saturn, Uranus, Neptun) auch während einiger Milliarden Jahre extrem regelmäßig bewegen – hier stimmt also der Vergleich mit dem Uhrwerk. Die kleineren inneren Planeten (Merkur, Venus, Erde und Mars) zeigen allerdings ein anderes Verhalten.
Der chaotische Merkur
Auch wenn in erster Näherung alle Planeten eine sehr regelmäßige Bewegung haben, zeigte Laskar in dieser Arbeit erstmals, das bei der Betrachtung von sehr langen Zeiträumen auch im Sonnensystem chaotisches Verhalten auftreten kann. Besonders gut sah man das bei Merkur, dem kleinsten und leichtesten Planeten. Im Laufe der Zeit erreichte die Exzentrizität von Merkur Werte die größer als 0.6 waren und sehr nahe an 1 heran kamen. Die Exzentrizität beschreibt wie sehr die Bahn eines Planeten von der Kreisform abweicht. Ein exakter Kreis hätte eine Exzentrizität von Null; je größer der Wert ist, desto “ovaler” und langgestreckter ist die Bahn. Heute haben die meisten Planeten fast kreisförmige Bahnen mit sehr kleinen Exzentrizitäten. Aber durch gravitativen Störungen können sie im Laufe der Zeit unter Umständen anwachsen. Wenn aber nun z.B. die Bahn von Merkur immer elliptischer und langgestreckter wird, dann bedeutet das, dass seine Bahn irgendwann die Bahn der Venus überschneiden wird. Und wenn die beiden Bahnen sich kreuzen, dann können die Planeten auch kollidieren!
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