Resonanzen spielen in der Himmelsmechanik eine fundamentale Rolle. Aber keine Angst, ich spreche hier nicht von irgendwelchem vagen esoterischen Geschwurbel über Resonanzen, Frequenzen, etc. sondern über klar definierte astronomische Konzepte.
Der Asteroidengürtel
Am besten sieht man, was Resonanzen sind, wenn man den Asteroidengürtel in unserem Sonnensystem betrachtet. Zwischen den Bahnen von Mars und Jupiter befinden sich hunderttausende kleinere und größere Felsbrocken. Deren Bahnen sind allerdings nicht einfach gleichmäßig verteilt. Übrigens darf man sich den Asteroidengürtel auch nicht als “Ring” aus Felsbrocken vorstellen – auch wenn er in so gut wie allen Science-Fiction-Filmen so dar gestellt wird (mit einer löblichen Ausnahme). Die Asteroiden sind klein und zwischen Mars und Jupiter ist sehr viel Platz. Würde man mit einem Raumschiff da durch fliegen, müsste man schon Glück haben, um überhaupt einen Asteroiden zu Gesicht zu kriegen.
Betrachtet man nun aber die Bahnen der Asteroiden, dann sieht man, dass sie nicht gleichmäßig verteilt sind. In manchen Bereichen findet man Anhäufigen von Asteroiden; in manchen Gegenden dagegen kaum welche:
Dieses Bild zeigt auf der x-Achse den mittleren Abstand der Asteroiden von der Sonne in Astronomischen Einheiten (1AE = mittlere Abstand zwischen Erde und Sonne); auf der y-Achse ist die Anzahl der dort befindlichen Asteroiden aufgetragen. Man erkennt deutliche Anhäufungen; z.B. bei Abständen von 3,9 Astronomischen Einheiten bzw. Lücken – etwa bei knapp 2,5 Astronomischenb Einheuten . Diese Lücken nennt man auch “Kirkwood-Lücken” und der Grund für ihre Existenz sind Resonanzen.
Resonanzen der mittleren Bewegung
In der Himmelsmechanik unterscheidet man mehrere Arten der Resonanzen. Das, was man im Asteroidengürtel anhand der Kirkwood-Lücken so deutlich sieht, ist auf Resonanzen der mittleren Bewegung bzw. sg. Mean-motion Resonanzen (MMR) zurückzuführen.
Von einer MMR spricht man dann, wenn die mittleren Umlaufzeiten zweier Himmelskörper in einem ganzzahligen Verhältnis zueinander stehen. Betrachten wir als Beispiel die große Lücke im Asteroidengürtel bei 2,5 Astronomischen Einheiten. Hier würde ein Asteroid genau 3,953 Jahre für einen Umlauf um die Sonne brauchen – das ist 3 mal kürzer als Jupiter mit seinen 11,8592 Jahren braucht. Asteroid und Jupiter in einer 3:1 Resonanz!
So ein resonantes Verhältnis der Bahnen hat große Auswirkungen auf die Stabilität. Durch die Resonanz finden sich die Himmelskörper in regelmäßigen Abständen immer wieder in den gleichen relativen Positionen. (Es ist kaum zu glauben, aber es scheint tatsächlich nirgendwo eine vernünftige und leicht verständliche Animation dieser resonanten Bewegung zu geben. Ich habe lange im Internet gesucht; ohne Erfolg. Aber irgendwo auf meiner anderen Festplatte sollte noch ein halbwegs brauchbares Video rumliegen – wenn ich es finde, liefere ich es nach. Oder vielleicht findet sich ja jemand unter den Lesern, der eine wirklich schöne Animation basteln kann? Mit Flash und solchem Kram kenne ich mich leider nicht wirklich aus…)
In einer MMR wie der 3:1 Resonanz ist der Abstand zwischen Asteroid und Jupiter nach einem Jupiterjahr (bzw. 3 Asteroidenjahren) immer wieder minimal. Nun kann man die Situation mit einer Kinderschaukel vergleichen. Wenn man die immer im richtigen Augenblick anstößt, dann wird sie höher und höher schwingen, auch wenn ich immer die selbe Kraft anwenden. Genauso kann Jupiter den Asteroiden immer wieder durch seine Gravitationskraft “anstoßen” – und der Asteroid wird irgendwann aus dem Sonnensystem bzw. eine komplett andere Bahn geworfen.
Dort, wo sich im Asteroidengürtel also die Asteroiden befinden würden, deren Umlaufzeiten in ganzzahligen Verhältnis zu Jupiter stehen, finden wir heute die Kirkwood-Lücken – die Asteroiden wurden schon längst aus diesen Bahnen geworfen.
Eine Resonanz kann aber auch schützend wirken. Das sieht man recht gut am Beispiel des Pluto. Der Zwergplanet hat eine Bahn, die die Bahn des Neptun kreuzt. Trotzdem kann es nie zu einer Kollision der beiden Himmelskörper kommen, da sie sich in einer 3:2 Resonanz befinden. Die relativen Positionen der beiden Objekte wiederholt sich also immer wieder. Jedesmal, wenn Pluto sich in der Nähe der Knotenpunkte befindet, ist Neptun an einer ganz anderen Stelle im Sonnensystem und aufgrund der Resonanz kann sich an dieser Situation auch nichts ändern.
Ob eine Resonanz schützend oder störend wirkt, hängt also stark von der relativen Position der beiden beteiligten Himmelskörper ab. Auch die Kirkwood-Lücken im Asteroidengürtel sind nicht völlig leer. Einige Asteroiden haben es sich dort in einer geschützen Konfiguration (analog zu Neptun und Pluto) gemütlich gemacht. Das kann man gut an der Gruppe der Hilda-Asteroiden erkennen, die sich in 3:2 Resonanz mit Jupiter befinden (bei etwas weniger als 4 Astronomischen Einheiten). Würde sich diese Gruppe mitten im Hauptgürtel der Asteroiden befinden, würde man nur eine weiter Lücke erkennen. Da sich die 3:2 Resonanz aber schon außerhalb des Asteroidengürtels und näher an Jupiter befindet, wurden die ursprünglich sich dort befindenen Asteroiden schon längst durch die direkte Gravitationswirkung Jupiters “weggestört”. Nur die Asteroiden, die sich in geschützten resonanten Konfigurationen befanden, haben überlebt.
Resonanzen der mittleren Bewegung findet man überall im Sonnensystem. Die Planeten Jupiter und Saturn befinden sich (fast) in einer 5:2 Resonanz (und man erkennt in der Änderung ihrer Bahnelemente eine entsprechende periodische Störung). Die Jupitermonde Io, Europa und Ganymed befinden sich in einer 4:2:1 Resonanz (solche Dreier-Resonanzen nennt man auch Laplace-Resonanz) – siehe das Bild rechts. Die Ringe des Saturns sind, genauso wie der Asteroidengürtel, durch Resonanzen der Ringteilchen mit den Saturnmonden strukturiert. Resonanzen findet man in der Bewegung von extrasolaren Planeten genauso wie bei der Bewegung von Sternen in Galaxien. Sie bilden gewissermaßen das dynamische Rückgrat jeglicher Bewegung der Himmelskörper.
Säkulare Resonanzen
Neben den Resonanzen der mittleren Bewegung gibt es noch weitere Arten der Resonanz. Bei den säkularen Resonanzen (SR) stehen nicht die Umlaufzeiten der Himmelskörper in ganzzahligen Verhältnissen, sondern die Änderrungsraten der Winkel-Bahnelemente. Das bedeutet folgendes:
Wie hier beschrieben, lässt sich die Bahn eines Himmelskörpers durch 7 Bahnelemente darstellen. zwei davon, das Argument des Perihels ω und die Länge des aufsteigendens Knotens Ω beschreiben die Lage der Bahnellipse im dreidimensionalen Raum. Diese Winkel ändern sich stetig; d.h. im Laufe der Zeit drehen sich die Bahnen der Himmelskörper im Raum bzw. schwanken hin und her. Die Geschwindkeit, mit der sich diese Winkel bei den Bahnen der Planeten ändern, nennt man “Fundamentalfrequenzen” und sie werden im Allgemeinen mit gi und si bezeichnet. g und s stehen hier für die Frequenzen die mit ω bzw. Ω assozierten Frequenzen und der Index i gibt an, um welchen Planeten es sich handelt (i=1 steht für Merkur, i=2 für Venus, usw…).
Genau wie die mittleren Umlaufzeiten können nun auch die Fundamentalfrequenzen in einem ganzzahligen Verhältnis zu einander stehen. Beispielsweise könnte die Änderungsrate des Argument des Perihels eines Asteroiden genau doppelt so schnell erfolgen wie die des Argument des Perihels von Jupiter. Der Asteroid wäre dann in einer säkularen 2:1 zu Resonanz. Es gibt allerdings auch komplexere Formen, bei denen mehrer Fundamentalfrequenzen kombiniert werden. Wenn z.B. die Änderungsrate von ω eines Asteroiden gleich der Kombination 3g5 – 2g6 ist, dann ist das ebenfalls ein resonanter Zustand.
Eine besonders wichtige sekulare Resonanz tritt auf, wenn die Änderungsrate von ω eines Asteroiden mit der des Saturn übereinstimmt (also gleich ist der Fundamentalfrequenz g6). Diese Resonanz nennt man auch ν6-Resonanz. Sie ist beeinflusst die Dynamik der Asteroiden stark, wie man z.B. hier sehen kann:
Bild: Piotr Deuar, GFDL, Wikimedia Commons
Hier sind auf der x-Achse die großen Halbachsen (also die mittleren Abständen von der Sonne) der Asteroiden des Hauptgürtels aufgetragen und auf der y-Achse die Bahnneigungen (also Neigungen ihrer Bahnellipsen gegenüber der Erdbahn). Man erkennt deutlich, die “schiefe” Grenze an der linken Seite, wo der Abstand der Asteroiden von der Sonne mit steigender Bahnneigung immer größer wird. Grund dafür ist die ν6-Resonanz die die entsprechenden Asteroiden alle “weggestört” hat und so für diese schiefe innere Grenze des Hauptgürtels gesorgt hat.
Genauso wie die Resonanzen der mittleren Bewegung strukturieren die säkularen Resonanzen die Dynamik der Himmelskörper (die Fundamentalfrequenzen heissen nicht umsonst “fundamental” – sie sind von enormer Bedeutung für die Analyse jeder Bewegung im Sonnensystem).
Kozai-Resonanzen
Neben Resonanzen der mittleren Bewegung und säkularen Resonanzen gibt es auch noch sg. “Kozai-Resonanzen”. Die sind etwas komplizierter zu erklären – aber im Prinzip läuft es darauf hinaus, dass hier die Änderungsraten von Exzentrizität und Inklination der Bahn eines Himmelskörpers gekoppelt sind. Genauso wie die Bahnellipsen sich im Raum drehen oder schwanken, ändert sich auch die Ellipse selbst; wird also im Laufe der Zeit mal weniger und mal mehr kreisförmig. In einer Kozai-Resonanz erfolgen diese Änderungen nun nicht unabhängig voneinander sondern sind gekoppelt: während die Ellipse kreisförmiger wird, neigt sie sich gleichzeitig auch stärker gegen die Referenzebene im Sonnensystem (die Ekliptik) und umgekehrt. Diese Resonanzen trifft man bei Asteroiden an; folgendes Bild zeigt ein Beispiel dafür:
Im unteren Teil der Grafik sieht man, wie sich die Exzentrizität (durchgezogene Linie) und die Inklination (gepunkte Linie) einer Asteroidenbahn im Laufe einer halben Million Jahre ändern (die Werte für die Inklination wurden hier skaliert um den Zusammenhang deutlicher zu machen). Man sieht sehr gut, wie der Asteroid nach etwa 175000 Jahren in die Kozai-Resonanz eintritt und Exzentrizität und Inklination ab dann gekoppelt sind. Nach etwa 430000 Jahren endet der resonante Zustand wieder. Das obere Bild zeigt das für eine Kozai-Resonanz typische Schwingen des Argument des Perihels ω um einen Wert von 180 Grad.
Ausblick
Resonanzen und Fundamentalfrequenzen sind von grundlegender Wichtigkeit bei jeder himmelsmechanischen Arbeit. Sie sorgen dafür, dass die Himmelskörper nicht auf ihren “angestammten” Bahnen bleiben, sondern sich durch das ganze Sonnensystem bewegen können. So kann z.B. die ν6-Resonanz dafür sorgen, dass die Bahnen von Asteroiden aus dem Hauptgürtel immer elliptischer werden; solange bis sie in die Nähe des Mars kommen. Durch nahe Begegnungen mit diesem Planeten werden sie dann auf ganz neue Bahnen gezwungen und entwickeln sich zu erdnahen Asteroiden, die nun auch der Erde gefährlich werden können.
In diesem Artikel konnte ich nur einen kleinen Einblick geben; über dieses Thema könnte man ganze Bücher schreiben (und diese Bucher wurden auch geschrieben). Die “Wirkung” der Resonanzen der mittleren Bewegung hängt zum Beispiel auch stark davon ab, ob die Bahn des Himmelskörpers kreisförmig ist, oder nicht. Bei elliptischen Bahnen ist die resonante Position kein einzelner Ort mehr, sondern ein ausgedehnter Bereich. Und dort, wo sich solche resonanten Bereiche überlappen, herrscht Chaos! Auch das Zusammenspiel zwischen Resonanzen der mittleren Bewegung und säkularen Resonanzen ist äußerst komplex.
Fest steht jedenfalls, dass diese Resonanzen und Frequenzen nichts mit ihren esoterischen Pendants zu tun haben, die u.a. gerne von den Astrologen bemüht werden. Um Resonanzen wirklich zu verstehen und ihre Auswirkungen untersuchen zu können, braucht man vermutlich mehr Mathematik, als der Durschnittsastrologe anzuwenden bereit ist. Im nächsten Teil meiner Serie über die Resonanzen werde ich probieren, zumindest einen Teil dieser Mathematik zu erläutern und erklären, was der Geburtstag eines schwedischen Königs mit der ganzen Angelegenheit zu tun hat.
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