Eigentlich sollte man ja meinen, dass es beim Weltraummüll nicht viel neues zu entdecken gibt. Immerhin haben wir den Kram ja selbst dort rauf gebracht – wir sollten doch eigentlich wissen, um was es sich handelt.
Der Vortrag von Thorsten Schildknecht von der Universität Bern, den ich heute bei der Konferenz über Weltraumschrott in Darmstadt gehört habe, kommt zu einem anderen Ergebnis. Auch der Müll im All hat Überraschungen für uns parat und seine Erforschung ist oft genau so spannend, wie die der natürlichen Himmelskörper.
Schildknecht sprach über die Arbeit der letzten 10 Jahre am “ESA Space Debris Telescope”. Eigentlich ist das gar nicht der offizielle Name. Bei diesem Teleskop handelt es sich um die Optische Bodenstation (Optical Ground Station) der europäischen Weltraumagentur ESA am Teide Observatorium in Teneriffa:
Da das 1-m Teleskop dort aber sehr oft für die Beobachtung des Weltraummülls eingesetzt wird, hat sich im Laufe der Zeit der Name “Space Debris Telescope” eingebürgert. Seit August 1999 werden dort optische Beobachtungen des Weltraumschrotts durchgeführt; durchschnittlich 80 Nächte pro Jahr.
Dabei hat man sich anfänglich auf die sg. GTO-Region konzentriert. GTO steht für “Geostationary Transfer Orbit” und meint Bahnen von künstlichen Himmelskörpern, deren erdfernster Punkt in der Region der geostationären Satelliten liegt (etwa 36000 km von der Erde entfernt); deren erdnächster Punkt aber sehr nahe der Erde ist. Diese stark elliptischen Bahnen werden benutzt, um Satelliten in geostationäre Bahnen zu bringen.
Entlang dieser Bahnen gibt es natürlich auch viel Schrott – im Juni 2002 hat man mit dem Space Debris Telescope aber auch Objekte gefunden, die sich “seltsam” verhalten. Die großen Halbachsen ihrer Bahnen sind ebenso groß wie die der GTO-Objekte; ihre Exzentrizität ist aber viel geringer. Allerdings auch nicht kreisförmig, so wie die Bahnen der echten geostationären Satelliten.
Man konnte sich vorerst nicht vorstellen, wo diese “neue” Population an Weltraumschrott herkam. Natürlich wäre es möglich, dass Schrott von Satelliten in geostationären Bahnen durch Bahnstörungen in diese Bereiche gekommen war. Aber eigentlich war das eher unwahrscheinlich. Viel eher wäre es möglich, dass der Strahlungsdruck der Sonne dafür gesorgt hat, dass sich die Exzentrizität der Bahnen der Schrottteilchen im Laufe der Zeit erhöht hat. Dafür müsste aber ihr “Area to Mass Ratio” (AMR), also das Verhältnis von Oberfläche zu Masse, relativ groß sein.
Man begann also die physikalischen Eigenschaften dieser seltsamen Müllpopulation genauer zu untersuchen und stellte fest, dass sie tatsächlich alle einen hohen AMR-Wert hatten. Nun wollte man natürlich wissen, mit was man es hier zu tun hat und benutzte dazu auch das Zimmerwald-Observatorium der Universität Bern.
Hier beobachtete man Lichtkurven der Objekte (d.h. man untersuchte, wie sich die Helligkeit im Lauf der Zeit ändert) um so Rückschlüsse über das Rotationsverhalten ziehen zu können. Man bestimmte die Farbe der Objekte und nahm sogar Spektren auf (das allerdings dann wieder mit dem Teleskop in Teneriffa).
Dabei hat man unter anderem festgestellt, dass es einige Objekte gibt, deren AMR-Wert sich im Laufe der Zeit ändert!
Bis jetzt weiß man immer noch nicht, um was es sich hier genau handelt. Ich habe Herrn Schildknecht nach dem Votrag nochmal gefragt, und er meinte, dass es sich hier wahrscheinlich um Stücke handelt, die von funktionierenden Satelliten abgefallen sind – beispielsweise Isoliermaterial. Aber um genau sagen zu können, wo diese seltsame Population an Weltraummüll herkommt, muss man noch weiterforschen.
Einerseits ist der Müll im Weltraum natürlich ein großes Problem. Aber irgendwie ist es schön zu wissen, dass selbst der Schrott noch für ein paar spannende wissenschaftliche Rätsel gut ist.
Kommentare (7)