Gestern ging die Konferenz der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP) in Hamburg zu Ende. Aber auch vom dritten und letzten Tag hat Gastautor rolak wieder einen netten Bericht geschrieben (so wie von Tag 1 und Tag 2). Diesmal ging es um Astrologie, Verschwörungen und Intelligent Design.
Zuallererst ein Nachtrag zum gestrigen Tage: Es ergab sich doch noch die Gelegenheit, ein Bild von Herrn Lambeck zu ergattern. Es soll ja keiner zu kurz kommen…
Auch heute gab es kein festes Thema, es sei denn, man bezeichnet “Freie Themen” als ein solches. Dafür fing es recht früh an, fast wie die Erstsemestervorlesungen, die meiner Meinung nach nur zur Grobfilterung der Studentenschaft um 8 Uhr beginnen. Aus einem ähnlichen Grunde dürften auch die Sitzgelegenheiten des altehrwürdigen historischen Hörsaales im Völkerkundemuseum (nach meinem Dafürhalten der eigentlich Star der Veranstaltung) ihre Unbequemlichkeit absichtlich erhalten haben: Nur wer den nötigen Durchhaltewillen mitbringt, hat eine Chance.
09:15: Ivo Ponocny – mit der eher soufflierenden Unterstützung seiner Gattin Elisabeth Ponocny-Seliger – schlug die “Akte Astrologie Austria” auf im Rahmen der Suche nach einer rational fassbaren Begründung für den weitverbreiteten Glauben an die Astrologie. Der Titel bezieht sich ziemlich absichtlich auf Gunter Sachs‘ Buch “Die Akte Astrologie“, dessen Ergebnisse in einer von der GWUP mitfinanzierten Studie per Replizierungsversuch geprüft wurden.
Nach einem Abriß allgemeiner statistischer Methoden (Kreuztabelle, chi-square-test, Nullhypothese) wurde ein besonderer Augenmerk auf die die Resultate möglicherweise beeinflussenden Störfaktoren geworfen:
- eine allgemeine Nicht-Gleichverteilung der Geburten über das Jahr (am Jahresende weniger)
- eine dazu entgegengesetzte Häufung jehresendlicher Geburten bestimmter Jahrgänge wie z.B. 1919. viele ‘Spätgeburten’ wegen der aus WW1 heimkehrenden Soldaten. Übrigens ließ der Ausschluß dieses Jahrgangs die reproduzierte Signifikanz einer Substudie verschwinden.
- die österreichische Spezialität, allen Migranten ohne bekanntes Geburtsdatum dem 1.1. zuzuordnen
- relative Alterseffekte wie z.B. gerade eben noch / satt im Jahrgang eingeschult
- u.v.a.m.
Generell ließen sich die von Sachs anhand schweizerischer Daten erhaltenen signifikanten Ergebnisse mit den österreichischen Daten nicht reproduzieren, allerdings konnten die auch schon vorher beobachteten Geburtstagseffekte nachgewiesen werden, sehr klein zwar, aber allein aufgrund der großen Datenbasis durchaus signifikant. Die nebenbei unternommenen Vollmond- und Freitag, der 13.-Untersuchungen brachten das übliche Ergebnis: Keine Auffälligkeiten.
Fazit: Aus Sachs’ Daten hätte wesentlich mehr gemacht werden können, wenn er nicht (wie vermutet) bei jedem (vermeintlichen) Beleg für die Astrologie die Analyse gestoppt hätte.
Oh, noch etwas: Mir ist klar, daß die amtlichen Daten nur das Geburtsdatum und mithin die Sonnenzeichen festlegen, aber es ging ausschließlich um die Überprüfung der Sachsschen Resultate, also bitte keine Kommentare á la ‘das kann doch astrologisch gar nicht funktionieren’
10:15: Da ich ähnliche wie die angesprochenen Effekte schon bei mir beobachtet zu haben glaube (retrospektiv natürlich ;), war ich besonders gespannt auf den Vortrag “Ich ahne, was da kommt” von Wolfgang Hell (Bikd oben) über subliminales Lernen von Pseudozufallsfolgen.Die Frage, ob hinter den Positiv-Befunden der Parapsychologie mehr steckt als die automatisch hohe Signifikanz selbst winzigster Effekte allein durch die hohe Versuchszahl je Versuchsperson.
Nach den einleitenden Fragen, was Zufall ist, was man als zufällig beurteilt, wie man überhaupt Zufälligkeit beschreibt und dem Hinweis auf die Unmöglichkeit, eine endliche Datenmenge auf Zufälligkeit zu testen (maximal kann die Wahrscheinlichkeit für Zufälligkeit klassifiziert werden) kamen mögliche Gründe für ein überzufälliges Ergebnis:
- der beobachtete Effekt, Regeln lernen zu können, bevor man auch nur ansatzweise in der Lage wäre, diese Regeln zu formulieren. Bzw überhaupt zu erkennen, daß man gerade eine Regel lernt / gelernt hat
- kein echtes Raten mehr, sondern auf Mustererkennung basiertes Vorhersagen
- Menschen denken nicht zufällig, sondern musterbasiert – auch wenn sie zufällige Folgen / Ereignisse produzieren sollen
- existente Strategien für Zener-Karten-Tests mit Rückmeldung, die ein Ergebnis deutlich besser als Zufall ermöglichen (die Rückmeldung wird von Parapsychologen mit der verstärkten Motivation begründet)
- sheep/goat-effect: ohne den Antrieb der Ψ-Gläubigen (=Schafe), einen Effekt bzw eine Fähigkeit nachweisen zu wollen, fehlt der Versuchsperson die Motivation für das Lernen
- eines der typischen bisher wegen der Neuheit nicht berücksichtigten Ergebnisse der Forschung: Erst 1938 belegte Goodfellow (pdf) die überzufällige Übereinstimmung menschlichen Ratens mit Pseudozufallsfolgen, die im allgemeinen die Basis parapsychologischer Untersuchungen sind.
Auch noch so interessante, spannende Ergebnisse der Parapsychologie werden stark relativiert durch die einseitig falsche Interpretation, da u.a. gegen theoretischen Zufall, nicht aber gegen Kontrollgruppen getestet wird.
Fazit: Nicht alles Unbequeme allzuschnell als kompletten Humbug ein- bzw aussortieren, aber genausowenig (wie eben in der Para*) Daten für eine Theorie suchen, sondern korrekt eine Hypothese für die Daten.
11:30: Klaus Schmeh informiert über “Parawissenschaftliche Codes”, die so neu ja nun auch nicht sind, wie anhand John Taylors 1859er Buch “The Great Pyramid” gesehen werden kann (vermutete Codierung von u.a. der Zahl Pi in der Cheopspyramide). Ein Konzept, für das der Begriff Para-Steganographie geschöpft wurde, die nach wissenschaftlicher Meinung nicht vorhandene versteckte Nachricht. Nach einer kurzen Betrachtung, wie leicht im Speziellen (Radosophie oder der Nudellöffel aus Bornholds “Der Hund, der Eier legt”) und Allgemeinen eine solche ‘Entschlüsselung’ aus dem Nichts geschaffen werden kann, kam eine sehr lange Liste von Ausgangspunkten derartiger Dekodierversuche:
- Shakespeare (war es doch Francis Bacon?)
- Voynich-Manuskript (an sich ein durchaus interessantes Werk)
- Da Vincis Abendmahl (die Gralsnummer halt..)
- Nazca
- Turiner Grabtuch (ja, auch darin sollen Texte verborgen sein)
- Johann Sebastian Bachs Werke (natürlich jenseits des bekannten b-a-c-h)
- Nostradamus
- und nicht zuletzt die heiligen Schriften wie Bibel und Koran
Als besonders obskures Beispiel zum Abschluß dienten die die satanischen Umtriebe der EAN-Codes, das Lesen der 666 aus den Trennstreifen.
14:15: Holm Hümmler (Bild oben) betrachtet diejenigen Aussagen der Verschwörungstheorien um den 11 September 2001, die auch in vielen eher seriösen Zuhörern ein “Da stimmt doch was nicht…” entlocken.
- Einsturzursache und -Verlauf scheinen unlogisch, kann ein ‘Bürobrand’ Stahl schmelzen?
- WTC7 sieht doch wie eine typische Gebäudesprengung aus
- In das Pentagon kann doch kein Flugzeug gestürzt sein, keine Überreste
- Hat die große Militärmacht USA den Anschlag verschlafen, warum kein Abschuß, wo doch beim Pentagon ein automatisches Flugabwehrsystem installiert ist
Die rückstandslose Zertrümmerung dieser Aussagen geschah derart lakonisch und ohne die Notwendigkeit eines besonderen Spezialwissens, daß ich a) nicht zum Mitschreiben kam, dafür aber b) zur Umsetzung in einen ©-freien Text um Zusendung der slides gebeten (und erhalten) habe. Falls also jmd Interesse zeigt, werde ich diesen noch zu entstehenden Text gerne zugänglich machen.
Fazit: Schon aufgrund der Varianz der überall im Netz und anderen Medien vertretenen 9/11-VTs ist eigentlich nicht von einer Verschwörungstheorie, sondern eher von einer Verschwörungsgläubigkeit zu reden.
15:15: Sich selbst anmoderierend, erklärte Martin Mahner, “Warum Intelligent Design versucht, ohne Gott auszukommen, aber grundsätzlich nicht auf ihn verzichten kann”. Nach der Differenzierung Kreationismus / ID folgte ein historischer Abriß der immer noch gerne zitierten Vorgänger aus der Teleologie oder Naturtheologie wie z.B. William Paley, der schon lange vor dem Erscheinen seines Buches “Natural Theology” (1802, das mit der Uhrmacher-Analogie) von David Hume widerlegt worden war. Letzteres war natürlich keine präkognitive Meisterleistung, sondern nur ein Ausdruck, das alles auch damals schon lange bekannt war. Auf demselben falschen Analogieschluß wie schon Paley fußt die aktuelle Kritikimmunisierungsstrategie der Kreationisten, sorry, des ID: Das Zurückschieben des Schöpfungsprozesses (Panspermie, Alien-Genfummelei etc pp) so weit es geht – nur um in einem unendlichen Regress zu torieren. Die Verlegung der teleologischen Argumentation ins Transzendente löst nicht nur diese Problematik überhaupt nicht, sondern wäre auch eine Selbstaufgabe des naturalistischen Ansatzes.
Letztendlich könnte ID aufgefasst werden als aktuelle Ausprägung einer Marketingstrategie sattsam bekannter reaktionärer, aufklärungs- bzw wissenschaftsfeindlicher Interessen.
Jetzt wird sich ein aufmerksamer Leser vielleicht fragen ‘Ja gab es denn heute gar keinen Spaß?’. Ganz im Gegenteil, nur erwähne ich es aus reiner Faulheit für alle Vortragenden zusammen – und es wurde sogar noch wesentlich intensiver, als Anne Frütel und Jörg Wipplinger verkündeten “Die Wahrheit bringt Heilung“. Nein, ich wage es nicht, ein Theaterstück zu beurteilen – nur eine völlig subjektive Zusammenfassung: Umwerfend, zwerchfellgefährdent. Falls ihr eine Gelegenheit zum Anschauen bekommen solltet, verpasst sie nicht. Zwei Schnipsel muß ich allerdings weiterreichen:
Homöopathisches Medikament, Verdünnung 1:0.00000000000000000(weitere Nullen auf der Packungsbeilage)
Der Deppensyllogismus:
- ich habe von A keine Ahnung
- ich habe von B keine Ahnung
- also hängen A und B kausal zusammen
Etwas ganz spezielles habe ich neben allem anderen gelernt auf dieser Reise: Es gibt doch vernünftige Gründe, sich einen Lap-, Net- oder sonstwie-top zuzulegen. Da zu Hause schon eine Handvoll Rechner mehr oder weniger gut zusammen arbeiten, sah ich bisher wahrlich keinen Anlaß für noch einen mehr. Aber: Allein die Zeit, die sich für Interessanteres einsparen läßt, wenn in den unvermeidlichen kleineren und selbst winzigen Pausen schon der Text vorbereitet, die Photos bearbeitet werden können…
Eine Schlußbemerkung meinerseits: Alles in diesem Tagungstagebuch Wiedergegebene ist natürlich nicht das, was die Redner gesagt haben, ja nicht einmal das, was ich gehört habe, sondern ausschließlich das, was ich gehört zu haben mich erinnere. Oder anders gesagt: Alle Fehler auf meine Kappe.
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