Was ist eigentlich ein chaotisches System? Was passiert, wenn das Chaos zu stark wird und wie beschreibt man dann alles wissenschaftliche?
Wenn man dynamische Systeme, KAM-Theorie und Chaos erklären will, dann muss man zuerst einmal wissen, was ein Phasenraum ist. Ein Phasenraum ist etwas abstraktes; ein rein mathematischer Raum, der nichts mit dem “normalen” dreidimensionalen Raum zu tun hat, den wir jeden Tag erfahren. Der Phasenraum eines dynamischen Systems wird durch die Anzahl der Freiheitsgrade bestimmt. Damit ist die Zahl der Parameter gemeint, die nötig sind, um das System vollständig zu beschreiben.
Ein gutes Beispiel dafür ist ein Pendel. Wenn wir von einem Pendel
ausgehen, dass nur in einer Ebene schwingt, dann braucht man genau 2
Zahlen, um den Zustand des Pendels zu einem bestimmten Zeitpunkt zu
beschreiben: den Winkel der Auslenkung aus der Ruheposition und die
Geschwindigkeit, die es in diesem Moment hat. Damit ist der Zustand des
Pendels vollständig beschrieben; der Phasenraum ist daher
zweidimensional.
Ein Phasenraum kann beliebig viele Dimension haben und natürlich
auch mehr als drei. Betrachtet man z.B. das eingeschränkte
Dreikörperproblem (ein kleines Objekt bewegt sich im gravitativen
Einfluss zweier großer Körper), so findet man dort einen
sechsdimensionalen Phasenraum. Man kann das Koordinatensystem beim
eingeschränkten Dreikörperproblem immer so wählen, dass die zwei großen
Körper sich nicht bewegen (z.B. durch ein mitrotierendes
Koordinatensystem). Das komplette System wird also durch die Parameter
des dritten, kleinen Körpers beschrieben. Dieser hat nun 3 mögliche
Parameter, die seinen Ort angeben (die drei Raumrichtungen) und
ebenfalls 3 Parameter, die die Geschwindigkeit in jede der drei
Richtungen beschreiben. Macht insgesamt 6 und damit auch einen
sechsdimensionalen Phasenraum.
Man kann nun für jeden beliebigen Zeitpunkt die Parameter bestimmen
und einen entsprechenden Punkt im Phasenraum eintragen. Dadurch
entsteht ein sg. Trajektorie bzw. ein “Phasenraum-Orbit”. Die Trajektorie ist eine Kurve, die im Phasenraum liegt und alle möglichen Zustände des Systems beschreibt.
Ein Beispiel ist vielleicht hilfreich: betrachten wir wieder das
Pendel. Wie oben schon beschrieben, ist der Phasenraum hier
zweidimensional:
Auf der horizontalen Achse ist der Auslenkungswinkel aufgetragen,
auf der vertikalen Achse die Geschwindigkeit (in diesem Fall ist das
genaugenommen die Änderungsrate des Auslenkungswinkel). Wie sieht nun
so ein Phasenraumorbit aus?
Bei Punkt 1 ist das Pendel maximal ausgelenkt. Der Winkel ist daher
groß – die Geschwindigkeit aber null (es handelt sich um genau den
Punkt, an dem das Pendel anhält und wieder zurückschwingt). Bei Punkt 2
schwingt das Pendel gerade durch die Ruhelage. Hier ist der
Auslenkungswinkel per Defintion gleich null, die Geschwindigkeit dafür
maximal. Und Punkt 3 zeigt den anderen Umkehrpunkt des Pendels – hier
ist die Situation wieder wie bei Punkt 1.
Natürlich kann ich das Pendel anfangs stärker auslenken – dann erhalte ich eine andere Trajektorie:
Aus Symmetriegründen kann ich die Kurven untenrum erweitern und der
fertige Phasenraum des Pendels sieht – zumindest in meiner Skizze – so
aus:
Auf dem nächsten Bild sieht man, wie der Phasenraum der Pendelbewegung aussieht, wenn man die Trajektorien tatsächlich berechnet und nicht nur skiziiert:
In der Mitte sehen wir wieder die ellipsenförmigen Kurven, die verschiedene
Pendelbewegungen zeigen. Genaugenommen gibt es unendlich viele dieser
Kurven – aber wenn man zu viele einzeichnet, dann erkennt man nichts
mehr. Über und unter diesen Ellipsen gibt es noch wellenförmige
Trajektorien. Diese beschreiben Zustände, bei denen das Pendel nicht
hin und her schwingt, sondern im Kreis rotiert. Es bleibt nie stehen
und schwingt wieder zurück sondern dreht sich immer weiter im Kreis
herum (deswegen wird auch die Geschwindigkeit bei diesen beiden Kurven
nie gleich null). Dieser Zustand wird “Zirkulation” genannt, im
Gegensatz zur Pendelbewegung, die man “Oszillation” nennt. Es gibt eine
ganz spezielle Trajektorie, die beide Zustände trennt (im Bild rot
eingezeichnet). Sie heisst “Seperatrix” und stellt einen hypothetischen
Zustand dar, in dem das Pendel immer weiter nach oben schwingt und
dabei immer langsamer wird – solange bis es fast vertikal nach oben
zeigt. Dieser Position nähert sich das Pendel zwar kontinuierlich an;
erreicht ihn aber nie (bzw. erst nach einem unendlich langen Zeitraum).
Die Seperatrix wird später noch von Bedeutung sein – denn sie zeigt
den Bereich an, wo es zu chaotischer Bewegung kommen kann (eine
Definition von “Chaos” ist der Wechsel von – verallgemeinerten –
Oszillationszuständen zu Rotationszuständen: also ein Überschreiten der
Seperatrix).
Im Bild oben – dem Phasenraum des Pendels – kann ich also auf einen
Blick alle möglichen Zustände erkennen, die dieses System einnehmen
kann. Es ist also leicht zu sehen, wie wichtig dieses Konzept bei der
Untersuchung dynamischer Systeme ist.
Soweit zum Phasenraum. Im nächsten Teil werde ich etwas über die “Action-Angle Variables”
erzählen und über die Bewegung von Phasenraumorbits entlang eines
Torus. Keine Angst, das klingt schlimmer als es ist 😉 Aber es ist
wichtig, diese Konzepte einzuführen, damit ich später die
grundelegenden Theoreme der Chaostheorie erklären kann.
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