Gestern hat der österreichische Wissenschaftsminister Johannes Hahn verkündet, dass Österreich nicht mehr weiter Mitglied des europäischen Kernforschungszentrum CERN sein wird. In meinem Artikel dazu habe ich auch schon von einige Reaktionen berichtet – fast ausschließlich negativ.
Mittlerweile haben sich noch mehr Menschen zu Wort gemeldet. Hier kommt ein kleiner Überblick:
Walter Thirring, ein nicht gerade unbekannter österreichischer Physiker, der zwischen 1968 und 1971 auch Forschungsdirektor in CERN war, ist “entsetzt” von Hahns Entscheidung und spricht von einer Katastrophe:
“Das ist eine
Katastrophe, CERN ist ein Sinnbild dafür, dass Europa alle anderen
Länder überflügeln kann, wenn es zusammenhält.”
Herbert Pietschmann, der ehemaliger Direkter des österreichischen Instituts für Hochenergiephysik spricht in einem offenen Brief an Hahn von einem “historischen Irrtum”. Ausserdem meint er, dass Hahn die Entscheidung nicht im Alleingang treffen hätte sollen:
“Offenbar wurde dieser Beschluss ohne ausreichende Konsultation der
einschlägig ausgewiesenen österreichischen Fachleute gefasst, da sich
die Kunde über diese Entscheidung mit weitreichenden Konsequenzen erst
am Tag der Veröffentlichung in den TV-Nachrichten verbreitete. Als
ehemaliger österreichischer Delegierter zum Aufsichtsrat des CERN
(„CERN-Council”) und Direktor des Instituts für Hochenergiephysik der
österreichischen Akademie der Wissenschaften wurde ich jedenfalls nicht
von dieser Entscheidung informiert und vielen meiner engeren
Fachkollegen ist es ähnlich ergangen.Aus diesen Gründen liegt
die Vermutung nahe, dass Sie, sehr geehrter Herr Bundesminister, über
die Konsequenzen Ihrer Entscheidung nicht ausreichend informiert waren.
CERN ist das weltweit größte Institut auf dem Forschungsfeld der
Struktur der Materie. Daher pilgern Teilchenphysiker aus aller Welt zu
CERN, um an den grundlegenden Fragen nach dem, „was die Welt im
Innersten zusammenhält” mitzuwirken. Durch die Nobelpreise der Jahre
1960, 1963, 1965, 1968, 1969, 1976, 1979, 1980, 1984, 1988, 1990, 1992,
1995, 1999, 2002, 2004 und 2008 wurde dieses Forschungsgebiet
ausgezeichnet und ich darf anmerken, dass zwar Österreich seit 1945
keinen Nobelpreis der Physik mehr erhalten hat, dass aber immerhin
mehrere Physikerinnen und Physiker des Instituts für Hochenergiephysik
der österreichischen Akademie der Wissenschaften Co-Autoren der
Publikation sind, für die Carlo Rubbia im Jahre 1984 den Nobelpreis
erhalten hat.”
Wenig begeistert ist auch die österreichische Physikerin Felicitas Pauss, beim CERN zuständige Ansprechpartner für Probleme der Mitgliedsländer. Vor allem auch deswegen, weil sie ebenfalls erst durch die Medien von Österreichs Austritt erfahren hat.
Aber nicht nur die renommierten Physiker sind von der Entscheidung Hahns entsetzt, auch die Studenten sind verständlicherweise verärgert. In einer Presseaussendung meint Bianka Ullmann, Vorsitzende der Studienrichtungsvertretung Physik an der TU Wien:
“Das Vorhaben Minister Hahns ist ein grober Einschnitt in die österreichische Forschungslandschaft. Viele österreichische Top-WissenschaftlerInnen und -Lehrende sind am CERN-Projekt beteiligt, wodurch die heimischen Universitäten, besonders die Studierenden, enorm profitieren.”
Und sie fragt:
“Wie soll Österreich jemals wieder einen Nobelpreis bekommen, wenn hochkarätige Wissenschaft mit Füßen getreten wird?” beklagt Karner die kurzsichtige Wissenschaftspolitik. Die budgetäre Prioritätensetzung in Österreich läuft in eine komplett falsche Richtung.” stellt Ullmann mit Bedenken fest. Das zeigt die Tatsache, dass für Banken 100 Milliarden Euro ohne Probleme locker gemacht werden können, während 20 Millionen für ein wissenschaftliches Großprojekt zu viel verlangt sind.”
Auch die Vorsitzende der Studienrichtungsvertretung Physik an der Universität Wien, Carina Karner ist um die Studenten besorgt:
“Der Ausstieg Österreichs aus dem CERN-Projekt hat weitreichende Konsequenzen für viele Studierende. Zahlreiche Praktika, Diplomarbeiten und Dissertationsstellen hängen in der Luft.”
Natürlich wird auch in den Blogs diskutiert:
Der Physiker Lubos Motl schreibt in seinem Blog über den Austritt und ärgert sich (so wie ich) besonders über den Leitartikel von Martin Kugler in der Presse. Dort meint Kugler (der ehemalige Pressesprecher des Opus Dei) ja, Teilchenphysik wäre sowieso uninteressant:
“Im Vergleich zu den Lebenswissenschaften oder
der Nanotechnologie mutet die Teilchenphysik wie ein
Wissenschaftsdinosaurier an: behäbig (jedes Experiment dauert Jahre),
aufwendig (riesige Anlagen sind nötig) und wenig zukunftsträchtig (die
Zeit der großen Entdeckungen scheint vorbei zu sein).”
Motl kommentiert das so:
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