Bisher habe ich in meiner Serie über chaotische Systeme über den Phasenraum gesprochen und erklärt, welche Arten von Bahnen im Phasenraum es gibt. Heute möchte ich eine Methode vorstellen, mit der man die verschiedenen Zustände eines Phasenraums sehr schön und sehr einfach visualisieren kann.
Diese Methode stammt von Henri Poincaré, der nicht umsonst als einer der Väter der Chaostheorie gilt. 1889 hat er sich mit dem N-Körper-Problem (also der Bewegung von mehr als 2 Himmelskörpern unter ihrem gravitativen Einfluss) beschäftigt und herausgefunden, dass es auch bei der Bewegung der Planeten in unserem Sonnensystem chaotische Aspekte gibt. Dafür hat er eine originelle Methode entwickelt, um den Phasenraum einfach zu visualisieren.
Angenommen, wir betrachten eine Bahn im Phasenraum. Und der
Einfachheit halber gehen wir mal davon aus, dass der Phasenraum
dreidimensional ist. Dann wird der Zustand des Systems durch eine Kurve
in diesem dreidimensionalen Raum beschrieben.
Aber brauchen wir
wirklich die komplette Information aus dem ganzen Phasenraum? Poincaré
zeigte, dass das nicht notwendig ist! Wir können einfach eine
zweidimensionale Ebene durch den Phasenraum legen – dann wird die
Trajektorie diese Ebene irgendwann durchstoßen. Wir können nun einfach
die Schnittpunkte zwischen Bahn und Ebene betrachten und bekommen die gleichen dynamischen Informationen über das System wie bei Betrachtung des Phasenraums!
Diese Animation veranschaulicht das ganze nochmal:
Gestern
habe ich im Rahmen der Action-Angle Variablen erklärt, welche Arten von
Zuständen ein System haben kann. Damit sieht man auch wunderbar, wie
das dann in der Ebene aussieht – die übrigens Poincaré Surface of Section oder einfach nur Surface of Section (SoS) genannt wird.
Da gab es zuerst einmal die periodischen Bahnen.
Das sind geschlossene Kurven im Phasenraum (entlang der Oberfläche
eines Torus). Diese Kurve ist ein eindimensionales Objekt und wenn ich
das mit einer Ebene schneide, bekomme ich nulldimensionale
Schnittpunkte. Eine periodische Bahn ergibt in der SoS also einfach
einen Punkt (bzw. mehrere Punkte).
Einen weitereren geordneten Zustand stellen die quasiperiodischen Bahnen
dar. Hier füllt die Phasenraumkurve die gesamte Oberfläche des Torus
aus – ist also ein zweidimensionales Objekt. Beim Schnitt mit einer
Ebene entsteht dadurch eine eindimensionale Kurve. In der SoS
erscheinen quasiperiodische Bahnen also als geschlossene Kurven.
Und schließlich waren da noch die chaotischen Zustände.
Hier ist die Bahn im Phasenraum nicht mehr auf einen Torus beschränkt
sondern kann überall hin gehen. Dementsprechend bekommen wir also in
der SoS eine ausgedehnte Punktwolke die im Laufe der Zeit den
verfügbaren Platz in der Schnittebene komplett auffüllt.
Am besten ist es, ich zeige einfach ein paar Bilder. Das Beispiel, dass ich hier verwende ist die sg. Hénon-Heiles-Gleichung. Im Prinzip beschreiben diese Gleichungen die Bewegung eines Sterns im Gravitationsfeld einer Galaxie. Und so kann dann eine bestimmte Surface of Section aussehen:
Man
sieht hier deutlich jede Menge konzentrischer, geschloßener Kurven. Das
manche Kurven hier nicht geschloßen sondern eher als Strickurven
erscheinen, liegt nur an der Darstellung bzw. der endlichen Rechenzeit.
Um alle Kurven zu schließen müsste man den Phasenraumorbit nur lange
genug verfolgen.
In dieser Surface of Section erkennt man also
hauptsächlich quasiperiodische Zustände, die sich um einige periodische
Bahnen gruppieren (das sind die Punkte im Zentrum der konzentrischen
Kurven). Das System ist also so gut wie überall in einem geordneten
Zustand. Erhöht man die Störung auf das System, dann sieht die Surface
of Section so aus:
Einige periodische und quasiperiodische Bereiche sind immer noch
vorhanden – aber dazwischen findet man nun große chaotische Bereiche
(die vielen Punkte zwischen den (quasi)periodischen Gebieten). Es hat
sich übrigens eingebürgert, hier Begriffe aus der Geografie zur
Beschreibung zu verwenden. Man spricht also vom “chaotischen Meer” in
dem sich “Stabilitätsinsel” befinden. An so einer Surface of Section
kann man nun gut ablesen, wie sich ein System verhält. Wählt man als
Anfangbedingung den Wert 0.3 für y und den Wert 0 für vy, dann landet man auf einer stabilen Insel und auch das System wird sich geordnet verhalten. Wählt man hingegen y=-0.1 und vy = 0 dann befindet man sich mittem im chaotischen Meer und das System wird sich ebenfalls chaotisch verhalten.
Mit so einer Surface of Section kann man also einfach und schnell einen Überblick über die möglichen Zustände erhalten, die in einem System möglich sind.
Zum Abschluß möchte ich noch kurz erklären, was ein Mapping (oder “Map” oder einfach “Abbildung”) ist. Bei der Berechnung bzw. dem Zeichnen einer Surface of Section gibt es einen entscheidenden Nachteil: man muss immer noch die komplette Bahn im Phasenraum berechnen – auch wenn ich später nur die Schnittpunkte mit der Ebene betrachte. Es wäre doch viel praktischer, wenn ich direkt aus einem Punkt der Surface of Section berechnen könnte, wo der nächste entsprechende Punkt auf der SoS liegen wird.
Solche Abbildungsvorschriften von einem Punkt zum nächsten (bzw. Mappings) kann man tatsächlich finden! Die Mathematik, die beschreibt, wie man von einem Differentialgleichungssystem, das ein bestimmtes System beschreibt, zu einem simplen Mapping kommt, ist allerdings recht knifflig – die werde ich hier nicht genauer darstellen (wer sich nicht vor Formeln fürchtet, kann ja z.B. hier mal reinschauen 😉 ).
Es gibt mittlerweile eine ganze Reihe von chaotischen Mappings, die den verschiedensten physikalischen Problemen entstammen. Da man mit ihnen sehr schnell und einfach die allgemeinen Eigenschaften chaotischer Systeme untersuchen kann, tauchen sie oft in den unterschiedlichsten Bereichen der Forschung wieder auf.
Mein erster Kontakt mit der Welt des Chaos war z.B. das Hénon-Map. Die Gleichungen des Mappings sehen ganz unschuldig aus:
Das ist eine ganz simple Iterationsvorschrift: man wählt einen Startwert für x und y (und einen Wert für den Parameter alpha, der das Ausmaß der Störung im System beschreibt) und kann dann daraus direkt die neuen Werte für x und y wählen. Die nimmt man dann als neue Startwerte – usw. Und doch zeigt das Hénon-Map das komplette Spektrum an chaotischen Eigenschaften das man in nichtlinearen Systemen beobachten kann. Ich habe damals sicher ein ganzes Semester mit diesen Gleichungen rumgespielt und gearbeitet…
Wer möchte, kann das ja selbst mal programmieren – das ist wirklich nicht schwer (ein entsprechendes Programm hat ein paar dutzend Zeilen; höchstens!).
So viel zu Mappings und Surface of Sections. Im nächsten Teil erkläre ich dann genau, wie sich die Stabilitätsinseln verhalten, wenn das Chaos größer wird und wir kommen zum Herzstück der Chaostheorie: dem KAM-Theorem.
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