Ich ärgere mich gerade. Jörg Friedrich philosophiert in seinem Blog ein wenig über den Sinn der Grundlagenforschung. Und sagt dabei Dinge, die ich für absolut falsch und unsinnig halte. Um zu zeigen, dass es auch ScienceBlogger mit einer anderen Meinung zu diesem Thema gibt, möchte ich mich hier nochmal ausführlich dazu äußern.
Jörg Friedrich schreibt über die Grundlagenforschung folgendes:
Die Grundlagenforschung. Als solche will ich hier alle wissenschaftlichen Aktivitäten verstehen, deren Nutzen für die Gesellschaft so ungewiss ist, dass jede Argumentation mit möglichen zukünftigen Effekten, mit denen die Kosten verrechnet werden können, reine Spekulation ist. (…) und wenn sich, quasi als Nebenprodukt, doch ein Nutzen ergibt, dann sollte man sich schnell eingestehen, dass dieser Nutzen auch anders gestiftet worden wäre.
Ich bin absolut nicht der Meinung, dass der Nutzen der Grundlagenforschung für die Gesellschaft “ungewiss” ist! Friedrich meint wahrscheinlich, dass Grundlagenforschung keine konkreten Anwendungen/Erfindungen anvisiert. Das ist aber noch lange nicht identisch mit “ungewissen Nutzen” (dazu später mehr).
Und was soll “dann sollte man sich schnell eingestehen, dass dieser Nutzen auch anders gestiftet worden wäre.” bedeuten? Das die Grundlagenforschung nicht notwendig für diesen “Nutzen” ist? Das der Nutzen auch auf andere Art und Weise entstehen hätte können? Auch wenn es mir seltsam vorkommt: aber Jörg Friedrich scheint hier völlig mißzuverstehen, was Grundlagenforschung ist (dabei steckt es doch schon im Wort): die Basis (die Grundlage) jeder Forschung. Jede Anwendung, jede Erfindung, jeder Nutzen ist eine Folge der Grundlagenforschung! Erst sie hat die angewandte Forschung ja möglich gemacht!
Zu diesem Thema habe ich vor über einem Jahr mal einen Artikel geschrieben. Da ging es um einen Vortrag des Nobelpreisträgers Herbert Kroemer. Er sprach über “Das zentrale Lemma über die Anwendungen neuer Technologien“. Kroemer, ohne dessen “sinnlose” (Grundlagen)Forschung es keine CDs, DVDs, Handys und vieles mehr gäbe, hat hier einige wichtige Dinge über das Wechselspiel von Theorie und Anwendung gesagt. Ich möchte seine zentralen Aussagen hier nochmal zitieren.
“Die entscheidenden Anwendungen jeder hinreichend neuen und innovativen Technologie waren immer Anwendungen die von der Technologie selbst erst erschaffen wurden – und das wird auch in Zukunft so bleiben.
Der Druck, die Forschung auf vorhersagbare Anwendungen zu konzentrieren verzögert den Fortschritt statt ihn zu beschleunigen.”
Wie soll ein “Nutzen” – welcher Art auch immer – entstehen, ohne Grundlagenforschung? Hier verstehe ich Jörg Friedrich absolut nicht.
Aber er ist großzügig:
“Wir sind bereit, zu akzeptieren, dass große Vorhaben am Schluss doppelt so teuer werden wie geplant, wir sind auch bereit, Fehlschläge hinzunehmen und zu akzeptieren, dass wir in manchen Fällen jahrzehntelang auf spannende Ergebnisse warten müssen.”
Ich weiß zwar nicht wer “wir” ist – aber ja: das muss man eben akzeptieren. Es liegt in dedr Natur von Grundlagenforschung, dass man vorher nicht weiß, was passieren wird. Man betritt Neuland. Da kann es schon mal vorkommen, dass die Dinge nicht exakt so laufen wie geplant.
Ein bisschen herablassend geht es weiter:
“Was wir allerdings erwarten dürfen ist, dass man uns dann teilhaben lässt an den großen Taten der Wissenschaftler. Sie haben von uns eine lange Ausbildung bezahlt bekommen, wir haben ihnen teure Instrumente spendiert und bezahlen ihnen ihre lange Suche nach den tollen Erkenntnissen. Ich denke, dann dürfen wir auch darauf bestehen, dass sie uns unsere Fragen beantworten, dass sie geduldig sind, wenn wir das, wofür sie lange studiert und geforscht haben, nicht in wenigen Momenten verstehen.”
Erstmal: auch Wissenschaftler sind Steuerzahler. Diese Aufteilung in “Wir, die Steuerzahler” und “Sie, die Wissenschaftler” ist entweder dumm oder polemisch. Und selbstverständlich sollte jeder Wissenschaftler die Öffentlichkeitsarbeit ernst nehmen. Jeder, nicht nur die Grundlagenforscher. Ich habe schon in vielen meiner Artikel darauf hingewiesen, wie wichtig Lehre und Öffentlichkeitsarbeit sind. Leider stimmt es wirklich, dass viele Forscher keine Lust haben, ihre Arbeit mit der Öffentlichkeit zu teilen. Und solange die Forschungspolitik keine entsprechenden Anreize setzt; solange die Karriere eines Wissenschaftlers mehr oder weniger ausschließlich von dessen wissenschaftlicher Arbeit abhängt und Lehre und Öffentlichkeitsarbeit unberücksichtigt bleiben – solange wird sich daran auch nichts ändern. Man darf – man soll! – also ruhig diejenigen kritisieren, die die Öffentlichkeitsarbeit vernachlässigen. Wenn Friedrich diesen Vorwurf aber gerade an ScienceBlogger richtet; also an Wissenschaftler, die neben ihrer Arbeit als Forscher auch noch ein Blog schreiben (freiwillig!) um ihr Forschungsgebiet anderen zugänglich zu machen – dann ist das schon irgendwie absurd:
“Ich weiß zum Glück, dass nicht alle Wissenschaftler in der Grundlagenforschung so reagieren wie zwei oder drei junge aufstrebende Forscher bei den ScienceBlogs. Wenn es anders wäre, dann müssten wir die Frage, ob wir uns diese Grundlagenforschung leisten wollen, nämlich wirklich stellen.”
Jörg Friedrich hat ja leider weder konkrete Namen genannt noch konkrete Beispiele gebracht. Also ist es schwer zu verstehen, was er meint. Seinen Kommentaren nach zu urteilen, scheint er sich darüber zu beschweren, dass manche Kommentatoren von manchen Bloggern als “Trolle” o.ä. bezeichnet werden. Nun, zu diesem Thema gibt es hier schon eine lange Diskussion. Ich sehe allerdings nicht, was das mit Öffentlichkeitsarbeit und Wissensvermittlung zu tun haben soll.
Aber egal. Viel ärgerlicher finde ich diese Aussage und das, was sie impliziert:
“Der Nutzen dieser Forschung [der Grundlagenforschung] für die Gesellschaft ist in etwa so groß wie die Durchquerung der Antarktis auf Schiern, wie die Besteigung des Mont Everest, wie das Laufen von 42 km in 2 Stunden.”
Ich habe weiter oben schon geschrieben, dass ich nicht der Meinung bin, dass der Nutzen der Grundlagenforschung für die Gesellschaft “ungewiss” (oder nicht vorhanden) ist! Muss ein “Nutzen” immer etwas sein, was man produzieren, verkaufen und ins Regal stellen kann? Welchen Nutzen hat ein Kinofilm? Welche Nutzen hat ein Musikstück? Ein Gemälde? Ist das auch alles nutzlos?
Würde ich argumentieren, dass Kunstgalerien und -museen keinen Nutzen für die Gesellschaft haben, nur viel Geld kosten und daher abgeschafft werden sollten, würde man mich (zu Recht!) kritisieren. Würde ich behaupten, Fußball, Formel-1 und überhaupt der restliche Sport hätte keinen Nutzen und man könnte die Unsummen, die dafür ausgegeben werden viel besser verwenden, dann müsste ich (wieder zu Recht!) mit sehr vielen, sehr bösen Kommentaren rechnen. Natürlich haben Kunst und Sport einen Nutzen für die Gesellschaft. Genauso wie die Grundlagenforschung. Der Nutzen, den eine (scheinbar) nutzlose wissenschaftliche Theorie hat, ist der gleiche Nutzen, den ein Gemälde hat: Menschen sind froh darüber, dass es existiert. Auch wenn es nicht um neue tolle Technologien mit hundert Klingeltönen geht, kann Wissenschaft nützlich sein. Die Mona Lisa hängt im Louvre und tut dort nicht viel. Trotzdem ist sie für sehr viele Menschen sehr “nützlich” gewesen. Genauso “nützlich” für viele Menschen war z.B. die Entdeckung des ersten extrasolaren Planeten.
Wissenschaftliche Erkenntnisse sind genauso “schön” wie Kunstwerke – unabhängig von den Anwendungen, die sich daraus ergeben. Wissenschafliche Erkenntnisse können Menschen genau mitreissen oder inspirieren wie Musik oder ein Sportereignis – auch ohne neue Technologien, die daraus entstehen. Irgendwie scheint das auch Jörg Friedrich zu verstehen (“Es gibt einen Konsens darüber, dass wir wissen wollen „was die Welt im Innersten zusammenhält”) – was ihn aber nicht daran gehindert hat, den oben zitierten Unsinn über Grundlagenforschung zu schreiben.
Ich denke, eine Welt in der alles und jedes immer nur einen “Nutzen” (im technologischen Sinn) haben muss, wäre äußerst langweilig und häßlich. Die “Sinnlosigkeit” hat durchaus Sinn – denn sie macht das Leben erst interessant und schön! Dazu möchte ich nochmal einen Freund von mir zitieren – Dr. Albert Washüttl, der Gründer des Vereins “Freunde der Zahl Pi” – der zu diesem Thema folgendes gesagt hat:
“Die Sinnlosigkeit zeigt uns, worum es letztendlich in unserem Leben ankommt: nicht darum, einer Aufgabe oder Verpflichtung nachzukommen, ein Los zu tragen oder nach Befreiung zu streben (wie es so manche Religion dem Menschen aufbürden will), sondern einfach nur um eines: nämlich das Leben zu leben, hier und jetzt! es zu genießen und sich daran zu erfreuen, in guten wie in schlechten Dingen. Der Sinn, nach dem die Menschheit stets strebte, würde uns nur einengen. Das Nichtfindenkönnen dieses vermeintlichen Sinnes erfüllte so viele ernsthaft Suchende mit Enttäuschung, Schmerz und Trostlosigkeit. Die zurückgewonnene, nun akzeptierte Sinnlosigkeit macht uns frei!”
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