Heute findet in ganz Deutschland der “Bildungsstreik” statt. Schüler und Studierende demonstrieren für eine bessere Bildung:
“Die derzeitigen Zustände und Entwicklungen im Bildungssystem sind nicht weiter hinnehmbar! Weltweit sind Umstrukturierungen aller Lebensbereiche nicht mehr gemeinwohlorientiert, sondern den sogenannten Gesetzen des Marktes unterworfen. Seit ein paar Jahren ist auch das Bildungssystem in den Fokus solcher “Reformen” geraten: Bildungsgebühren und die Privatisierung treffen uns alle!
“Ziel des Bildungsstreiks ist es, eine Diskussion zur Zukunft des Bildungsystems anzuregen. Des Weiteren sollen Möglichkeiten einer fortschrittlichen und emanzipatorischen Bildungs- und Gesellschaftspolitk aufgezeigt und durchgesetzt werden. Dem Einfluss der maßgeblichen politischen und ökonomischen Interessen im Bildungsbereich setzen wir unsere Alternativen entgegen:
- selbstbestimmtes Lernen und Leben statt starrem Zeitrahmen, Leistungsdruck und Konkurrenzdruck,
- freier Bildungszugang und Abschaffung von sämtlichen Bildungsgebühren wie Studiengebühren, Ausbildungsgebühren und Kita-Gebühren,
- öffentliche Finanzierung des Bildungssystems ohne Einflussnahme der Wirtschaft unter anderem auf Lehrinhalte, Studienstrukturen und Stellenvergabe
- und Demokratisierung und Stärkung der Mit- und Selbstverwaltung in allen Bildungseinrichtungen.”
Dem stimme ich zu! Die Universitäten werden tatsächlich immer mehr zu Schulen und die Ausbildung orientiert sich zu stark an den Bedürfnissen der Wirtschaft (siehe dazu auch den lesenswerten Artikel von Helmut Wicht). Hier müsste dringend etwas geändert werden. Nur: sind Studenten in der Lage, so eine Änderung zu bewirken?
Sooo lange ist meine Studentenzeit noch nicht vorbei; eigentlich sind es erst 5 Jahre, seit dem ich kein Student mehr bin. Und ich erinnere mich noch gut an die verschiedensten Demos und Aktion, die damals stattgefunden haben. Wir haben damals für alles mögliche und gegen alles mögliche demonstriert: Sparkpakete, Studiengebühren, usw.
Hat es was genutzt? Vermutlich nein. Studenten haben ein großes Problem: sie haben keine Lobby und das, was sie tun, betrifft den Rest der Menschen nicht direkt. Wenn die Müllmänner oder Lokführer streiken, dann merkt das jeder sofort. Wenn die Studenten nicht studieren, dann hat das keine Auswirkungen auf irgendwen außerhalb der Universität. Auch wenn qualifizierte Arbeitskräfte mit Hochschulabschluß für Wirtschaft und Gesellschaft absolut wichtig sind – Studenten haben doch eher ein schlechtes Image bei der Bevölkerung. Und dieses Image wird durch Streiks und Demos wohl leider eher noch gefestigt.
Die Studiengebühren in Österreich wurden trotz aller Proteste und Demos (und da gab es damals nicht wenig!) eingeführt. Die rechts-konservative Regierung hatte sich dazu entschieden und da der Widerstand der Studenten vernachlässigbar ist (siehe oben) das auch gegen alle Proteste durchgezogen. Abgeschafft wurden die Studiengebühren letztes Jahr. Nicht, weil es so viele Demos gab – sondern weil manche Parteien vor der Wahl schnell noch ein Zeichen setzen wollten.
Obwohl – in gewissen Sinne waren die Proteste natürlich sinnvoll. Hätte es die Demos gegen Studiengebühren nicht gegeben, dann hätten sich die Parteien auch nicht dazu bemüßigt gefühlt, mit der Abschaffung Wählerstimmen zu sammeln. Das ist – meiner Meinung nach – auch der eigentliche (und einzige?) Zweck von Studentenprotesten: zu protestieren! Man erreicht zwar höchstwahrscheinlich nichts damit – aber man gezeigt, dass es Leute gibt, die nicht alles widerspruchlos hinnehmen.
Und würde man es schaffen, auch den Leuten außerhalb des Mikrokosmos Universität die Gründe für den Protest nahezubringen, dann hätte man eine echte Chance auf großflächige Unterstützung und Erfolg. Aber genau an diesem Punkt scheitern – meiner Meinung nach – viele studentische Proteste.
Ein Beispiel dafür sind die Streikaktionen in Jena. Dort werden seit Montag Teile der Universität von den Studenten besetzt:
Prinzipiell ist gegen eine Besetzung – wenn sie denn halbwegs friedlich erfolgt und das ganze nicht ausufert – wenig einzuwenden. Nur: welche Ziele kann man damit erreichen? Man bekommt Aufmerksamkeit (die Tagessschau berichtet z.B. über Besetzungen in ganz Deutschland). Aber nutzen solche Aktionen bei der Durchsetzung der Ziele?
Wenn man im Bildungsbereich etwas verändern will, dann muss man auch die Menschen auf seine Seite ziehen, die außerhalb der Universitäten stehen. Und die erreicht man nicht, wenn man sich in der Uni verschanzt! Die Zeitungen mögen ja über die Besetzung berichten – aber bei den restlichen Menschen verstärken diese Berichte höchstens das schlechte Image der Studenten und werden kaum Sympathie für deren Proteste erzeugen.
Und dann wird das ganze noch durch solche Pressenaussendungen begleitet:
“Bildungsstreik und Besetzung sind Aktionsformen, die sich bewusst an
die Formen des Arbeitskampfes anlehnen, der auch immer einen Bildungs-
und Freiraumaspekt umfasst. Gerade der Streikbegriff soll politische
Inhalte transportieren und die Beteiligten aus gewohnten Verwertungs-
und Reproduktionszusammenhängen lösen.”
Das klingt wie hundert Jahre alter Sozialismus und spricht vielleicht linke Politikwissenschaftler an – der Rest der Welt wird mit “Arbeitskampf” und “Verwertungs-
und Reproduktionszusammenhängen” wohl eher wenig anfangen können.
Geht raus aus der Universität! In die Fußgängerzone, den Paradies-Park, die Goethe-Galerie (bzw. entsprechende Orte in anderen Städten) und erzählt dort den Leuten über die Probleme in der Bildung! Es wird solange keine Unterstützung von universitätsfernen Personen kommen, solange diese Leute nicht wissen, was an den Unis eigentlich abläuft!
Wenn ich den Streik organisieren müsste, dann würde ich Studenten aller Fakuläten über die ganze Stadt verteilen und sie bitten, dort – im öffentlichen Raum; mitten unter den Menschen – öffentliche Vorlesungen und Diskussionen abzuhalten. Sie sollten den Menschen von ihrer Wissenschaft erzählen und davon, wie diese Wissenschaft jeden – auch die, die nichts mit der Universität zu tun haben – jeden Tag beinflusst. Sie sollten den Menschen erzählen, welche Probleme es geben wird, wenn diese Wissenschaft nicht mehr gemacht werden kann und warum die aktuelle Situation auf den Universitäten genau dazu führen wird/kann.
Solange die Studenten den Protest nur innerhalb der Universität austragen, wird sich nichts ändern. Die Universität und die, die unzufrieden sind, müssen raus an die Öffentlichkeit! Dann kann sich vielleicht was ändern.
Weitere Infos:
- Bundesweiter Bildungsstreik 2009
- Auch die Thüringer Blogzentrale findet den Streik nicht optimal umgesetzt
- Ein Blog zum Bildungsstreik in Thüringen
- Pro und Contra Bildungsstreik im Akrützel, der Jenaer Studentenzeitung
- #bildungsstreik bei Twitter
- JenaTV hat einen Bericht zum Streik:
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