“Warum die Astronomie in drei Bundesländern seit 1959 Pflichtfach ist und warum sie es bundesweit werden sollte”. So lautet der Titel eines offenen Briefes an Bund und Länder.
Darin wird ein bundesweiter Astronomieunterricht in den Schulen im Ausmaß von 2 Jahreswochenstunden in der 10. Klasse gefordert. Das ich schulischen Astronomieunterricht für eine sehr gute Sache halte, habe ich hier im Blog ja schon öfters geschrieben (z.B. hier). Darum unterstütze ich auch die Forderungen in diesem offenen Brief und hoffe, dass das auch viele meiner Leserinnen und Leser tun. Wer sich als Unterstützer eintragen möchte, der möge bitte ein Mail an Lutz Clausnitzer (lutz.clausnitzer AT t-online.de) schicken. Der Brief und viele weitere interessante Informationen zum Thema Astronomieunterricht findet sich auf der Homepage von ProAstro-Sachsen.
Ich habe den Text aber auch nocheinmal hier in mein Blog kopiert:
Pflichtfach ist und warum sie es bundesweit werden sollte
Sehr geehrte Politiker(innen), sehr geehrte Kolleg(inn)en,
unsere Kultur ist geprägt von der Kenntnis des Sternhimmels. Die Astronomie der Griechen
stellte das Denken und Handeln des Menschen erstmals in den Kontext des gesamten Kosmos’. Die ontologischen Fragen „Woher kommen wir? Wer sind wir? Wohin gehen wir?”
veranlasste die Menschen zu versuchen, durch Sternenbeobachtung unseren Platz im Universum zu bestimmen. Sternreligionen, Mythen, Kunst, Archäologie und Wissenschaftsgeschichte zeigen die Verbundenheit des Menschen mit dem gestirnten Himmel. Astronomie und Astronomiegeschichte sind Kulturgeschichte.
Die modernere Astronomie erkannte, dass überall im Kosmos die gleichen Naturgesetze gelten wie auf der Erde und erklärte die Herkunft der chemischen Elemente. Heute stimuliert die Astronomie viele Wissenschaften, ist Technologietreiber und ein Fundament der Raumfahrt. Mit der Raumfahrt erkunden wir den Weltraum und verbessern die Qualität unseres täglichen Lebens, etwa durch Satelliten für Wettervorhersage, Kommunikation, Navigation, Flugsicherheit, Umweltkontrolle, Klimaforschung und den Katastrophenschutz. Astronomie und Raumfahrt bringen Universitäten, Forschungsinstituten, Industrie und Mittelstand eine wachsende Zahl von Aufträgen. Das fördert die wirtschaftliche Entwicklung,
erhöht andererseits aber auch die Anforderungen an das Fachpersonal, wo den Kosmos betreffende Kompetenzen zunehmend gefragt sind.
Allgemein bildende Schulen und Universitäten müssen sich diesen Erfordernissen stellen. Dabei geht es zum einen um eine gediegene astronomische Grundbildung aller und zum anderen darum, den interdisziplinären Charakter der Astronomie zu nutzen, um eine von Fächergrenzen befreite Gesamtsicht auf Natur und Gesellschaft zu generieren.
Die besten Voraussetzungen und Ansätze findet man dafür in Thüringen, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern, wo die Astronomie seit 1959 Pflichtfach ist und (in Jena, Halle und Rostock) fast ebenso lange Astronomielehrer ausgebildet werden. Aus den dort gesammelten Erfahrungen ergibt sich die Notwendigkeit, den regulären Astronomieunterricht schnellstmöglich auf alle Bundesländer auszudehnen. Gründe sind:
- Medien berichten vielfältig über das All. Die Schule sollte nicht nur weitere Fragmente hinzufügen, sondern mit den Schülerinnen und Schülern ein „Regalsystem” bauen, in das sie den Weltraum betreffende Erkenntnisse ein Leben lang einordnen können. Dieses „Regalsystem” ist nichts anderes als die Fachsystematik der Astronomie.
- Das Wissen über den Kosmos ist so komplex geworden, dass Lehrer den Anforderungen des Astronomie Lehrens nur dann gewachsen sind, wenn sie Astronomie für das Lehramt studiert, ein Zusatzstudium Astronomie absolviert oder im Ausnahmefall durch umfassendes Selbststudium eine vergleichbare Qualifikation erworben haben.
- Im Fach Astronomie greifen die Schülerinnen und Schüler auf Wissen und Können aus dem Mathematik-, Informatik-, Technik-, Physik-, Chemie-, Biologie-, Geografie-, Geschichtsunterricht und auf Elemente der Philosophie, Religion, Ethik und Kunst zurück und wenden es in einem neuen Kontext an. Diese Strategie der Reaktivierung, Festigung und Vertiefung fördert Multiperspektivität und entwickelt intelligentes Wissen mit einem hohen Grad flexibler Anwendbarkeit. Optimal gelingt das in Klassenstufe 10, weil die jungen Menschen erst dann über die erforderlichen Vorleistungen verfügen und zugleich mehrheitlich noch in den Genuss dieses Unterrichts kommen können.
- Wenn Astronomie nicht nur auf andere Fächer verteilt, sondern in ihrem natürlichen Zusammenhang gelehrt wird, ist sie eine Plattform für Fächer übergreifendes Arbeiten.
- Viele Himmelserscheinungen unterliegen einer jährlichen Periodizität. Ein ganzjähriger Astronomieunterricht bietet optimale Möglichkeiten, Beobachtungen zu integrieren.
Astronomieunterricht unterstützt viele andere Fächer, fördert vernetztes Denken und bietet den jungen Menschen zahlreiche Gelegenheiten, ethische Werte zu erschließen und Medienkompetenz zu erwerben. Beispielsweise ist das Fach Astronomie besonders geeignet, dem reichlichen Astrologieangebot der Medien eine wissenschaftliche Sichtweise entgegen zu setzten. Lehrer anderer Fächer verfügen eher selten über die dazu nötigen astronomischen, astronomiehistorischen und astronomiedidaktischen Voraussetzungen.
Allerdings können diese Bildungs- und Erziehungspotenzen auch in den o.g. Bundesländern
nur teilweise genutzt werden, weil dieser Unterricht in der Sekundarstufe I auf eine Wochenstunde in nur einem Schuljahr begrenzt ist. Wir empfehlen daher bundesweit zwei Jahreswochenstunden Astronomie für alle Schüler der Klassenstufe 10 und eine Flächen deckende Ausbildung von Astronomielehrern.
Zusätzlich sollten ausgewählte astronomische Inhalte ab der Grundschule – möglicherweise in anderen Fächern – eine Rolle spielen. Beispielsweise ist es unangemessen, Fünfzehnjährige erstmals mit dem Aufbau unseres Planetensystems konfrontieren zu wollen. Dem Pflichtfach in Klasse 10 sollte sich in der gymnasialen Oberstufe ein fakultativer Kurs anschließen. Als Hauptschulkompromiss ist Astronomieunterricht in Klassenstufe 9 sinnvoll.
Ein Wort zu anderen Fächerwünschen: Mitunter werden Wirtschaft, Rechtskunde und Gesundheitserziehung als eigenständige Unterrichtsfächer empfohlen. Ökonomie und Jura sind aber zentrale Komponenten des unmittelbaren gesellschaftlichen Alltags. Deren allgemeinbildungsrelevanten Grundlagen können in Gesellschaftskunde im entsprechenden Kontext sogar noch lebensverbundener und effektiver vermittelt werden als in separaten Fächern. Analog passt das Thema Gesundheit inhaltlich sehr gut in den Biologieunterricht.
Die Natur- und Kulturwissenschaft Astronomie lebt aber vom Zusammenspiel so vieler Disziplinen, dass sie sich nirgendwo einordnen lässt. Nicht umsonst wird sie von den Vereinten Nationen als „basic science” hervorgehoben.
Die Unterzeichner,
die mit der Vielfalt ihrer Fachgebiete den gesamtgesellschaftlichen Charakter des Anliegens dokumentieren.
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