Es wird wieder über die Wikipedia diskutiert. Ich bin mir zwar nicht hunderprozentig sicher, was der Ausgangspunkt der Diskussion war – aber ich glaube, es geht um die Löschung des Wikipedia-Artikels über den Verein MOGIS (MissbrauchsOpfer gegen InternetSperren).
Und nun wird überall wieder heftig über die “Relevanzkriterien” diskutiert. Was soll rein in die Wikipedia? Alles – oder nur das wichtigste? Und wer entscheidet, was wichtig ist und was nicht?
Ich halte die Wikipedia für eine tolle Sache und verwende sie auch häufig. Ich habe früher sogar aktiv dort mitgearbeitet. Aber das heisst nicht, dass ich dem ganzen System völlig unkritisch gegenüber stehe. Über meine Ansichten zur Verläßlichkeit der Wikipedia habe ich letztes Jahr schonmal geschrieben.
Diesmal geht es allerdings nicht um das alte Problem, ob man den Informationen aus der Wikipedia trauen kann oder nicht. Es geht darum, welche Informationen überhaupt in der Wikipedia stehen dürfen?
Die englischsprachige Wikipedia ist da sehr tolerant. Ob es sämtliche Zaubersprüche des Harry Potter sind oder der Star-Trek Schauspieler, der nach 2 Minuten erschoßen wird – alle bekommen einen eigenen Artikel.
In der deutschsprachigen Wikipedia ist man da viel strenger. Hier wird genau darauf geschaut, was relevant ist und was nicht. Dafür hat man sich sogenannte Relevanzkritieren für alle möglichen Fälle ausgedacht.
Da sind manchmal ein paar seltsame Formulieren dabei. Ein Journalist zum Beispiel muss Chefredakteur eines relevanten Mediums sein. Oder leitender Redakteur oder Ressortchef eines überregional bekannten Mediums. Oder er muss einen Preis bekommen haben (einen relevanten allerdings!). Und falls das alles nicht zutrifft, muss er einen relevanten Skandal aufgedeckt haben! Ich habe allerdings keine Liste gefunden, wie man relevante von irrelevanten Skandalen unterscheidet 😉
Ich will jetzt übrigens nicht sagen, dass Relevanzkritierien sinnlos sind. Ganz im Gegenteil: es würde keinen Sinn machen, alles und jedes in die Wikipedia aufzunehmen. Das hätte dann nichts mehr mit einer Enzyklopädie zu tun. Es wäre außerdem unmöglich, die Richtigkeit der enthaltenden Informationen zu garantieren. Im Notizblog gibt es dazu einen sehr guten Artikel.
Es scheint aber tatsächlich so zu sein, dass die “neuen Medien” in der Wikipedia zu wenig Aufmerksamkeit bekommen. Was seltsam ist – denn eigentlich sollte man gerade bei einem Projekt wie Wikipedia damit rechnen können, dass man sich dort in Sachen Web 2.0 auskennt.
Als Blogger habe ich mir mal angesehen, wie es mit den Blogs in der Wikipedia aussieht. Sind Blogs relevant?
Wer überspringt die Relevanzhürde? (Bild: Wikimedia Commons, GFDL)
Nicht so wirklich… In der Kategorie Weblog findet man 22 Einträge. Bei 14 davon scheint es sich auch tatsächlich um “echte” Blogs zu handeln; acht davon kommen aus dem deutschsprachigen Raum (Die Achse des Guten, BildBlog, Elektrischer Reporter, netzpolitik.org, NPD-Blog, Riesenmaschine, Slanted und Spreeblick).
Ok – 8 Blogs sind nicht nichts – aber vermutlich gibt es doch mehr, die als “relevant” gelten dürften. Aber bei der Wikipedia schreibt man ja nicht nach Plan. Wenn es wenig Artikel über Blogs gibt, dann heisst das vielleicht nur, dass bisher kaum einer Lust hatte, dort etwas über Blogs zu schreiben.
Aber scheinbar ist es gar nicht so leicht, einen Artikel über ein Blog in die Wikipedia zu bekommen. Es kann durchaus passieren, dass sich so ein Artikel gleichmal einen Löschantrag einfängt. Das ist dem NPD-Blog passiert, dem BildBlog, Spreeblick, Slanted und auch die Kollegen von BoingBoing müssten sich noch Anfang dieses Jahres eines Löschantrags erwähren.
Die oben angeführten Blogs sind Beispiele, die nach einer Diskussion in der Wikipedia verbleiben durften. Wieviele Artikel über Blogs nach einem Löschantrag tatsächlich rausgeflogen sind kann ich nicht sagen.
In der englischsprachigen Wikipedia ist man hier weiter. Die Kategorie Blogs hat jede Menge Unterkategorien und Einträge (und hey! sogar ne eigene Kategorie über österreichische Blogger mit immerhin zwei Einträgen 😉 ). In einer eigenen Unterkategorie sind Wissenschaftsblogs aufgelistet und auch die ScienceBlogs selbst haben einen eigenen Wikipedia-Eintrag (in dem immerhin auch wir deutschsprachigen Kollegen erwähnt werden).
Hat bis jetzt wirklich niemand Zeit gefunden, sich mit der Erstellung von Wikipedia-Artikel über Blogs zu befassen? Oder sind Blogs einfach nicht relevant genug für die deutschsprachige Wikipedia?
Würde ein eigener Artikel über die ScienceBlogs bestehen bleiben oder gelöscht werden? Was wäre, wenn ich einen Artikel bei der Wikipedia über Astrodicticum Simplex einstellen würde – oder besser einen über Hinterm Mond gleich links, Frischer Wind, Zoon Politikon oder eins der anderen Blogs (man soll ja nicht über sich selbst in der Wikipedia schreiben).
Sind wir relevant genug für die Wikipedia? Ich frage das jetzt nicht aus Eitelkeit (naja – nicht nur aus Eitelkeit 😉 ). Aber aus der Liste der bisher bei Wikipedia vertretenen Blogs lässt sich nicht wirklich ein gemeinsames Kriterium für Blog-Relevanz ableiten. Sind Blogger relevant (sofern sie “nur” Blogger sind und nicht noch irgendwas anderes “relevantes” machen)? Wenn ja, welche?
Soll man hier die Relevanzkriterien für Websites als Maßstab nehmen? Aber ist ein Blog denn wirklich nichts anderes als eine normale Homepage? Soll man journalistische Relevanzkriterien anlegen (ist mein Blog relevanter als z.B. die Backnanger Kreiszeitung?)
Das sind keine rhetorischen Fragen; sondern mich würden die Antworten wirklich interessieren. Meine Mitarbeit bei der Wikipedia habe ich vor etwa 3 Jahren eingestellt – ich bin also nicht mehr wirklich auf dem Laufenden, was dort so hinter den Kulissen abgeht. Aber vielleicht hat ja jemand meiner Leser ein paar interessante Hinweise?
Der Eindruck, den ich bisher gewonnen habe, scheint jedenfalls daraufhin zu deuten, dass die Wikipedia in Sachen Blogs & Co durchaus noch ein bisschen Nachholbedarf hat.
Nachtrag (23.10): Wikimedia.de lädt am 5.11. Online-Journalisten und Blog-Autoren zu einer Diskussion über Relevanzkriterien ein. Gute Sache! Ich schaff es leider nicht nach Berlin – aber vielleicht ist ja jemand dort und will hier darüber berichten?
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