Letzte Woche hat sich ja eine kleine Runde an Skeptikern, Atheisten, Agnostikern, etc in Jena getroffen. Da haben wir nicht nur Glühwein getrunken, sondern auch diskutiert. Ausgangspunkt war ein Artikel von Nik Bostrom.
Nik Bostrom ist ein Philosoph aus Oxford der u.a. wegen seiner “Simulations-Hypothese” bekannt ist. Darin behauptet er, dass es wahrscheinlich ist, dass wir in einer Art “Matrix” leben; das unsere ganze Welt nur eine Simulation ist.
Da gibt es natürlich Parallelen zur Religion. Wenn wir solche simulierten Wesen schaffen können, wären wir ihre “Götter” – auch wenn sie das niemals mitbekommen würden. Und vielleicht sind wir nur die Simulation anderer Wesen oder eines anderen Wesens und können das ebenfalls nie herausfinden?
Angesichts dieser Hypothese wäre dann wohl der Agnostizismus die vernünftigste Einstellung.
Ob das tatsächlich so ist, wurde heftig diskutiert. Und damit diejenigen, die am Freitag nicht dabei waren auch was davon haben, hat sapere aude alles nocheinmal zusammengefasst und einen Gastbeitrag für mein Blog geschrieben. Der Text ist lang – aber lesenswert!
In
einem Interview mit dem Magazin Stern zur Veröffentlichung seines
Buches „Der Gotteswahn” sagte der für seinen Atheismus
weltbekannte Richard Dawkins im Jahr 2007:
„Ich bin Agnostiker.
Üblicherweise sind Agnostiker Leute, die eine 50 : 50-Wette über
die Existenz Gottes eingehen: Kann sein, dass es ihn gibt, kann auch
sein, dass es ihn nicht gibt. Das finde ich zu wenig … Ich fälle
ein Urteil über die Wahrscheinlichkeit seiner Existenz. Und die
liegt unter 50 Prozent, ich glaube sogar, sie ist äußerst gering.”
Dawkins
stellt hier also fest, dass er zwar nicht an einen „Gott” glaubt,
aber nicht ausschließen würde, dass es so etwas möglicherweise
geben könnte.
Richard Dawkins mit Ariane Sherine von der britischen Buskampagne (Bild: Zoey Margolis, Creative Commons, 2.0)
Mit dieser Positionierung hat sich der selbsternannte „Agnostiker” Dawkins jedoch bereits als Monotheist geoutet. Denn um eine Sache überhaupt für möglich – also nicht für völlig ausgeschlossen – erklären zu können, muss man selbst wissen, wovon man eigentlich spricht und das auch dem Gegenüber nachvollziehbar vermitteln. Kurz, man muss den Begriff „Gott” sinnvoll definieren. Doch zu einer einigermaßen eindeutigen Definition des Wortes „Gott” ist nicht einmal Papst Benedikt der XVI. geschweige Richard Dawkins in der Lage.
Da jeder Versuch einer falsifizierbaren Definition des Begriffes „Gott” bisher gescheitert ist offenbart der „Agnostiker”, dass er bereits ein bestimmtes kulturelles „Gottes”-Bild verinnerlicht hat, das er jedoch nicht so nachvollziehbar artikulieren kann, dass man es prüfen könnte. Der Agnostiker glaubt also ebenso an einen „Gott” wie ein gewöhnlicher Monotheist – sagt aber, dass er sehr an der Wirklichkeit dieses Gottesbild zweifelt. Zu Recht. Denn wie wir wissen, handelt es sich bei Gottesbildern ausschließlich um Produkte der menschlichen Phantasie.
Und trotzdem hält ein „Agnostiker” die reale – also von menschlicher Phantasie unabhängige – Existenz eines „Gottes” für möglich.
Wir wissen aber, dass alle Definitionen, die es bisher von „Göttern” gibt, gänzlich unmögliche Kriterien enthalten. Wie also kommt nun der „Agnostiker” darauf, dass etwas Seiendes diese bekanntermaßen unmöglichen Eigenschaften trotzdem besitzen könnte?
Er verschiebt die Antwort kurzerhand in den Bereich des Undenkbaren. Mit den Worten:
„Dass ETWAS für uns nicht denkbar ist, heißt nicht, dass es nicht existiert.”
Problem einer solchen Aussage: „ETWAS” ist ein Begriff. Und zwar ein Begriff, den wir selbstverständlich im Bereich des Denkbaren verwenden. Wenn der „Agnostiker” glaubt, er könne Begriffe aus dem Bereich des Denkbaren auf den Bereich des Undenkbaren anwenden, so irrt er. Das heißt, wenn jemand sagt, ein „Gott” sei zwar für uns nicht sinnvoll denkbar aber trotzdem möglich, wendet er denkbare und gedachte Begriffe, wie „Gott” und „möglich” scheinbar auf den Bereich des Undenkbaren an. Das aber ist unsinnig.
Alle Aussagen, die sich auf den Bereich beziehen, der hinter der Grenze unseres Erkenntnishorizonts liegt, sind, egal wie sie lauten, unsinnig und überflüssig. Man kann zwar behaupten, man sage etwas über das Undenkbare, tut es aber faktisch nicht, da etwas Sinnvolles zu sagen und es nicht sinnvoll denken zu können, sich notwendig ausschließen.
Wir sind also prinzipiell dazu verdammt, nur Aussagen über das Denkbare treffen zu können.
Da nun in „unserer Realität” – also innerhalb unseres Erkenntnishorizonts – „Götter” logisch und empirisch unsinnig und unmöglich sind, kann man mit absoluter Sicherheit sagen, dass es keine „Götter” gibt. Dass wir nur „unsere” und nicht die „gesamte” Realität kennen können – heißt eben auch, dass wir keine sinnvollen Aussagen über die Realität treffen können, die nicht die „unsere” ist.
Agnostiker wenden dann ein, dass das doch genau das sei, was sie meinten, wenn sie sagen, man könne nicht mit absoluter Sicherheit ausschließen, dass es keine „Götter” gibt.
Genau hier liegt der agnostische Fehlschluss:
Atheisten sagen, wir können über den Bereich hinter unserem Erkenntnishorizont GAR NICHTS sagen. Deshalb kann sich die Aussage des Atheisten, dass es mit absoluter Sicherheit keine Götter gibt, auch automatisch nicht auf diesen Bereich beziehen.
Agnostiker behaupten dagegen, in diesem Bereich (hinter unserem Erkenntnishorizont) sei mindestens ein Etwas, nämlich so etwas wie „Götter” möglich. Sie spekulieren sogar, zusammen mit Richard Dawkins, über Wahrscheinlichkeiten.
Das ist natürlich unsinnig. Denn wir können – wie wir bereits gemeinsam festgestellt haben – über den Bereich hinter der Grenze unseres Erkenntnishorizonts gar nichts sagen – und somit auch keine Wahrscheinlichkeitsangaben machen. Wenn Agnostiker also davon sprechen, dass ein „Gott” nicht unmöglich sei, können sie dies nur für den Bereich innerhalb unseres Erkenntnishorizonts sagen, da Aussagen für den Bereich außerhalb unseres Erkenntnishorizonts auch für Agnostiker unmöglich sind. Wenn Agnostiker also – so wie alle Menschen – nur über den Bereich innerhalb unseres Erkenntnishorizonts sprechen können ist ihre Aussage, dass ein „Gott” nach monotheistischer Tradition nicht unmöglich sei, falsch.
An dieser Stelle der Diskussion wenden Agnostiker häufig zwei Analogien ein:
- Die Einzeller-Analogie: „Agnostiker” setzen sich kurzerhand selbst an die Stelle des „Gottes”, den sie beweisen wollen und versuchen so zu zeigen, dass, auch wenn weniger intelligente Lebensformen wie z.B. Einzeller sich nicht vorstellen können, dass es uns Menschen gibt, wir ja trotzdem existieren.
- Die Historische Analogie: „Agnostiker” wenden ein, dass es die Atome, die Röntgenstrahlung oder andere vergleichbare Phänomene der Natur bereits gab, als wir sie noch nicht kannten. Eines Tages könnten sich uns also vielleicht ebenso „Götter” erschließen.
Beide Argumente sind leicht zu widerlegen.
Das Pantoffeltierchen (Bild: Barfooz, Creative Commons 3.0)
Eine Variation des Einzeller-Arguments ist z.B. auch folgendes Gedankenexperiment:
Unser gesamtes Denken ist vergleichbar mit den Rechenprozessen eines Computers. Das, was uns als Bewusstsein erscheint, ist so etwas wie die grafische Benutzeroberfläche dieses Computers, der auf unteren Ebenen einfach logisch schaltet. Grundsätzlich spricht technisch nichts dagegen, diese Schaltungen auf einem realen Rechner nachzustellen. Es gibt Prognosen, dass wir in 10 bis 20 Jahren technisch so weit sein könnten, ein menschliches Gehirn zu simulieren. Wir könnten diese Simulation mit beliebigen Stimuli füttern und ihr somit jedes beliebige Universum vorgaukeln. Damit wären wir Götter für das simulierte Wesen, und zwar solche, die es (ohne unseren expliziten Willen) niemals wahrnehmen könnte. Und genau dies könnte für uns selbst ja auch zutreffen. Wir könnten in der Matrix leben, die von (im Rahmen der Simulation) übermächtigen Entitäten beliebig manipuliert werden könnte. Auf diese Entitäten könnte man dann den Gottesbegriff anwenden.
Gegen dieses clevere Gedankenexperiment und die Einzeller-Analogie im Ganzen kann man folgendes einwenden:
Das wichtigste Problem ist hier die Perspektive. Der Agnostiker nimmt in seinem Gedankenexperiment die Perspektive des Objekts ein, das er zu beweisen sucht und setzt es damit unzulässig voraus.
Das Gedankenexperiment ist so formuliert, dass wir als Manipulatoren von Computern, von diesen Computern “niemals wahrgenommen werden könnten”. Das bedeutet: Für diese Computer gelten bestimmte Gesetzmäßigkeiten. Zu diesen gehört die Unmöglichkeit der Informationsverarbeitung außerhalb von Bereichen, die ihrer Vorstellungskraft zugänglich sind. Im Grunde also wie bei uns. Für diese Computer gibt es uns also faktisch nicht.
Deshalb können die Computer ihren Mitcomputern auch getrost sagen, dass es XYZ nicht gibt – denn da sie uns prinzipiell nicht wahrnehmen könnten, könnten sie uns weder beweisen, noch wiederlegen, sie können uns nicht mal meinen, wenn sie von etwas sprechen. Denn alle Theorien, von denen wir, die Manipulatoren, vielleicht glauben, dass sie diese Computer über uns anstellen, können diese Computer nicht über uns anstellen, denn wir sind für die Computer prinzipiell nicht erfassbar, geschweige, beschreib- oder benennbar. Alle Spekulationen, die die Computer jemals über irgendeine Sache anstellen, können sich also unmöglich auf uns beziehen.
Der Agnostiker betreibt mit dieser Analogie sozusagen umgekehrten Anthropomorphismus. Er unterstellt, dass der Computer oder Einzeller vielleicht zufällig die „richtige” Theorie über uns anstellen könnte.
Dass Computer oder Einzeller uns aber prinzipiell nicht so wahrnehmen können, wie wir uns wahrnehmen, schließt natürlich nicht aus, dass WIR (als die großen Manipulatoren) uns selbst wahrnehmen wie WIR uns eben wahrnehmen. Aber die Computer oder Einzeller könnten uns eben nicht wahrnehmen so wie wir uns wahrnehmen und deshalb auch keine zulässige Theorie über uns anstellen, die unserer Theorie über uns überhaupt nahe kommt. Deshalb gibt es uns, so wie wir uns uns vorstellen – zumindest in der Welt der Computer – nicht.
Die Computer könnten also guten Gewissens sagen, dass es keine „Götter” gibt. Über uns Menschen sagen sie nichts. Denn sie können ja gar nichts sagen. Sie können nicht mal Spekulationen über uns anstellen.
Hier könnte man nun das historische Argument einwenden.
Röntgenstrahlung (oder Atome) gab es auch vor 1000 Jahren aber erst heute können wir sie nachweisen. Das Problem bei diesem Argument ist: Die Wahrnehmung von Röntgenstrahlung und Atomen ist prinzipiell „möglich”. So auch deren Erkenntnis. Die „Götter” des Monotheismus haben aber Eigenschaften, die prinzipiell – also bereits logisch – und faktisch unmöglich sind, wie z.B. „Allmacht”, „Allgüte” und „Allwissensheit”.
Dem wird üblicherweise entgegengesetzt, dass wir diese Dinge vielleicht heute nicht begreifen könnten, aber eventuell in 100 Jahren. Dem entgegne ich, dass man dann in hundert Jahren vielleicht angemessene Theorien und Hypothesen aufgestellt hat, mit denen diese Begriffe komplett umdefiniert und die dadurch vielleicht auch möglich werden. Mit dem uns bekannten Wissen und den aktuellen Definitionen sind der All-Begriffe und ist die Möglichkeit von „Wesen” mit derartigen Eigenschaften wie „Allmacht”, „Allgüte” und „Allwissensheit” aber prinzipiell ausgeschlossen.
Wenn jemand vor zweihundert Jahren gesagt hätte, man würde eines Tages auf einem Bild das Innere seines Körpers sehen können, dann hätte sicher mancher entgegnet, dass das unmöglich sei. Wir wissen, dass mit dieser Umschreibung der Röntgenprozess gemeint sein soll. Was aber, wenn dieser Jemand das Röntgen gar nicht meinte?
Bild: Mnolf, Creative Commons 3.0
Das heißt, die bloße Behauptung irgendeines Scharlatans, er könne meine inneren Organe auf einem Bild sichtbar darstellen, reicht mir als These noch nicht aus. Wolkige Umschreibungen, bloße Behauptungen und nichtfalsifizierbare Hypothesen sind für mich kein Anlass etwas ernst zu nehmen, was mir ein dahergelaufener Typ sagt.
Und aus genau diesem Grund sollte man nach klaren, falsifizierbaren Definitionen für das Wort „Gott” verlangen.
Zusammenfassend kann man also konstatieren, dass sämtliche „Gottes”-Begriffe, die der Menschheit bisher eingefallen sind, zuverlässig widerlegt wurden. Aus diesem Grund, kann man beruhigt feststellen, dass es mit absoluter Sicherheit keine „Götter” geben kann (Es sei denn, man bezeichnet z.B. Richard Dawkins als „Gott”).
Alle apodiktischen Feststellungen von der prinzipiellen Unmöglichkeit von Dingen/Objekten/Wesen mit Eigenschaften wie Allmacht/Allgüte/Allwissenheit schließen natürlich nicht aus, dass es einen Bereich des Seins gibt, in dem unsere Vernunft versagt.
Aber zu diesem Bereich können wir eben nichts sagen. Gar nichts. Selbst wenn wir wollten. Somit sind alle Aussagen, die wir treffen, notwendig und automatisch auf den Bereich innerhalb unseres Erkenntnishorizonts beschränkt.
Im Grunde funktionieren die Aussagen über den Bereich des Seins, der sich unserer Vorstellungskraft entzieht, wie der Versuch hinter die Spiegel eines Spiegelkabinetts zu schauen. Wir glauben zwar, wir könnten die Silberlegierung der Spiegel sehend durchdringen und hinter die Spiegel sehen, wenn uns die lustigsten Spiegelbilder narren – aber tatsächlich sehen wir immer nur die Abbilder dessen, was sich vor den Spiegeln abspielt.
Ludwig Wittgenstein formulierte unser Schicksal beim Umgang mit diesem Problem einmal sehr treffend in Satz 7 seines Tractatus logico-philosophicus, der häufig als Imperativ mißverstanden wird:
“Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.”
Wenn Richard Dawkins also sagt, ein „Gott” habe eine sehr geringe Wahrscheinlichkeit, so irrt er.
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