An den Universitäten wird gestreikt und protestiert. Die Forderungen der demonstrierenden Studenten sind umfassend und das meistens zu Recht. Mit dem Bildungssystem liegt einiges im Argen. Über die Frage, ob Streiks, Besetzungen und Demonstrationen wirklich das richtige Mittel sind, um solche Forderungen durchzusetzen, habe ich mich ja schon früher beschäftigt.
Das, was die Studenten fordern, kann oft nur von Bund und Ländern erfüllt werden und es fraglich, ob die Proteste die politische Entscheidungsfindung beeinflussen können. Aber es sind nichtmal immer die “großen” Probleme, die wichtig für die Studenten sind. Oft würden schon kleine, lokale Lösungen für bestimmte konkrete Probleme reichen, um die Studienbedingungen vieler Studenten zu verbessern.
Aber in der aktuellen politischen Auseinandersetzung zwischen Studenten und dem “System” gehen solche “kleinen” Probleme oft unter.
Yvonne Richter studiert Japanologie an der Universität Halle. In ihrem Gastbeitrag schildert sie die ganz konkreten Probleme ihrer Studienrichtung; sie erläutert was sie tut, um Lösungen dafür finden und erzählt, dass diese Bemühungen bei den “Streik-Studenten” oft gar nicht gut ankommen.
Japanologie
Seltene Fächer mit ungewöhnlichen Inhalten und wenigen Studenten werden zu den Orchideenfächern gezählt. Zum Beispiel Sinologie, Kristallographie oder Arabistik. Es wird ihnen nachgesagt, dass sie einen hohen Spezialisierungsgrad und, bedingt durch die wenigen Studenten, eine gute Betreuung durch die Professoren haben.
Wenn das die Kriterien sind, dann zählt die Japanologie eigentlich nicht mehr dazu – sie wird zu einem Modefach. Immer mehr Kinder und Jugendliche lesen Mangas und sehen Animes.
Dadurch fangen sie idealerweise an sich für Kanji (Schriftzeichen der japanischen Sprache) und die Kultur zu interessieren und wollen etwas darüber lernen. Der Hauptteil dieser Jugendlichen will aber nur die Sprache lernen um später Mangas auf Japanisch lesen zu können oder als Übersetzer in einem Mangaverlag zu arbeiten.
Das sind aber bei weitem noch nicht alle Möglichkeiten für Japanologen. Orchideenfächer bilden Nischen für die großen Massenfächer wie BWL oder Politikwissenschaften. Wer diese großen Fächern in Kombination mit einem Orchideenfach wie Japanologie studiert, hat später durch sein besonderes Wissen gute Chancen am überlaufenen Markt.
Kombiniert mit BWL oder Wirtschaftswissenschaften ist Japanologie eine gute Grundlage, um bei Firmen mit Japanbezug zu arbeiten. Wenn man als einer unter wenigen in der Lage ist japanische Schriften zu lesen, ist man zum Beispiel bei Fachzeitschriften gefragt.
Aber auch einfach nur die Tatsache das man eine Geisteswissenschat und somit andere Methoden lernt, erhöht die Chancen auf dem Markt. Man hat gelernt über den Tellerrand zu schauen und somit andere Kulturen, Strukturen und Ideen zu verstehen.
Wie bereits oben erwähnt, zählt die Japanologie langsam nicht mehr zu den Orchideenfächern. Das kommt durch den hohen Andrang neuer Studenten. Das ist natürlich eine wunderbare Sache, wer freut sich nicht, dass man nicht alleine mit seinen Interessen ist.
Doch kommt es dadurch zur Verkleinerung der Nischen – die Besonderheit fällt weg.
Hochschulpolitisch gibt es ein weiteres großes Problem. Dadurch, dass man als „kleines” Fach gehandhabt wird, werden von der Universität nur wenige Professoren, Lektoren und Mitarbeiter gestellt. Nun bewerben sich aber immer mehr Studenten auf dieses Studiengang. Ihnen muss ein berufsqualifizierendes Studium ermöglicht werden, sprich: der Sprachunterricht muss funktionieren.
In Halle ist es nun so, dass dieses Semester 70 Erstsemester angenommen worden sind. Der Numerus Clausus (NC) wurde von der Universität aufgehoben, um eine bestimmte Mindestanzahl von Studenten den Zugang zur Universität zu ermöglichen. Diese Mindestanzahl ist vom Staat vorgegeben und wird sie erreicht erhält die Universität mehr Geld.
Die hohe Anzahl der neuen Studenten schlägt sich nun negativ auf den Sprachunterricht aus. Es sitzen 70 Wissbegierige in einem Kurs der ursprünglich für 20 ausgelegt wurde. Es kann nicht mehr jeder einzelne so gefördert werden wie es vorgesehen ist. Die Durchfallquote wird ansteigen. Dadurch werden diese „Sitzenbleiber” in einem Jahr wieder bei den Erstsemestern sitzen und den Kurs wiederholen, dass heißt zu den vielen Neuen, werden ein paar „Alte” kommen und den Kurs noch weiter vergrößern.
Dieses Problem kann gelöst werden, wenn ein weiterer Lektor angestellt werden würde. Der Sprachkurs könnte geteilt werden und der Inhalt könnte besser gelehrt werden. Hört sich soweit nach einer einfachen Lösung an. Ist es jedoch nicht, da die Geldgeber der Universität aufgrund der Größe des Faches keinen weiteren Lektor vorsehen.
Dieses Problem wird nun dadurch umgangen, dass die Professoren des Faches den Sprachkurs geteilt und einen Lehrbeauftragten angestellt haben. Lehrbeauftragte sind keine ausgebildeten Lehrer und lediglich Leute, die (speziell für die Japanologie:einen japanischen Pass haben und) gewillt sind kurz auszuhelfen. Außerdem erhalten sie sehr wenig Geld für sehr viel Arbeit. Ihnen wird nur das Geld für die Dauer des Unterrichtes gewährt. Vorbereitung, Nachbereitung, Korrekturen und so weiter sind unentgeltlich. Keiner würde dies langfristig tun. Um weiteren Qualitätsverlust auszugleichen werden Tutorien von älteren Semestern, die bereits in Japan studiert haben, gegeben, Sie helfen den Erstsemestern die Grundlagen zu verstehen.
Soweit ist die Theorie der Sprache abgedeckt. Aufgrund der noch immer großen Kurse bleibt jedoch das Sprechen selbst auf der Strecke. Die Tutorien werden von Deutschen gehalten und können das nicht wirklich auffangen. Die Qualität des Studiums geht verloren.
Nun versuchen wir Studenten selber, das Problem in die Hand zu nehmen und treten an die hohen Ämter der Universität heran, um sie zu überzeugen, das kleine Orchideenfach Japanologie finanziell zu stärken.
Was bringt der Streik?
Halle sieht den Streik zum Teil anders als ganz Deutschland. Natürlich wird in Halle auch gestreikt – aber nur von einer Minderheit über deren Beweggründe ich mir nicht ganz sicher bin.
Meines Erachtens, und der des Großteil meiner Kommilitonen, ist ein Streik der verkehrte Weg irgendetwas zu erreichen. Eventuell als allerletzten Weg, aber nicht früher. Ich habe schon in der Schule gelernt, das ein Streik der Firma schadet. Aber wem wird denn an der Uni geschadet? Den Professoren? Eher nicht. Der Universität? Auch unwahrscheinlich, Hauptsache die Quoten stimmen.
Bild: Yvonne Richter
Wir schaden uns doch selber. Denn obwohl gestreikt wird, müssen wir am Ende Klausuren oder Hausarbeiten schreiben. In den meisten Fächern im Bachelor-Studium ist Anwesenheitspflicht. Wer häufiger als zweimal fehlt ist raus und darf den Kurs ein andern mal nachholen. Gut, wessen Eltern Geld haben kann das machen. Aber wer vom Bafög abhängig ist, kann diesen Weg auch nicht nehmen.
Was wird bestreikt? In Halle weiß ich es nicht ganz genau, das sind alles so schwammige Aussagen, wie „Wie müssen soviel tun“, „Verschulung” und so weiter. Ja, natürlich müssen wir viel tun, das hier ist keine Schule mehr. Wir wollen doch was lernen, und das möglichst schnell, damit wir schnell arbeiten können. Wer ernsthaft studiert hat eigentlich kein Problem damit?
Verschulung? Es ist für viele hart überall anwesend zu sein und gleichzeitig alles vorgesehenen Kurse zu belegen, wo doch jedes Fach seinen Stundenplan selber aufstellt. Aber da lassen die Professoren auch sehr gut mit sich reden. Ich persönlich halte die Anwesenheitspflicht für wichtig und notwendig: gerade in einer Sprache kann man nicht die Hälfte der Zeit fehlen. Keiner kann eine Sprache aus einem Buch lernen. Aber auch in den restlichen Fächern halte ich es für äußerst sinnvoll. Das bereitet auch für das Berufsleben vor. Dort muss man auch anwesend sein. Natürlich müssen wir lernen uns zu organisieren, aber trotzdem wird im späteren Leben höchstwahrscheinlich Rahmen vorhanden sein, an dem wir uns halten müssen.
Ich will nicht sagen, dass ich das Bachelorsystem für das beste System halte. Deutschland ist aber auch äußerst ungeschickt dabei, es zu verwirklichen. Es ist nicht durchdacht, viele Fakultäten wissen nicht was sie wie zu erfüllen haben, die Studenten kommen dadurch auch nicht mit der Regelstudienzeit klar, müssen es jedoch, weil sie sonst keine Gelder mehr bekommen.
Dazu kommt, dass die Universitätsstrukturen nicht dafür ausgerichtet sind und es an allen Ecken und Kanten an Materialien, Dozenten und vor allem Geldern fehlt. Aber selbst dafür kann die Universität wenig, sie sind selber von den Geldern des Landes und Staates abhängig. Sofort kann man nichts daran ändern.
In der Japanologie schlagen wir uns mit überlaufenden Sprachkursen herum und versuchen die entsprechenden Personen zu beeinflussen. Das ist ein mühsamer aber offener Weg. Leider sind Einzelpersonen die Hände gebunden. Niemand kann aus reiner Sympathie jemanden etwas zusprechen.
Wir sind an den Rektor und dem Prorekor herangetreten – in einem netten Gespräch bei Kaffee – und haben bewirkt, dass eine Kapazitätenprüfung gemacht wird. Dazu werden Richtlinien mit den Daten der momentanen Situation verglichen. Natürlich weichen diese zum Teil stark von der Realität ab, sodass wir darum kämpfen werden, dass die Rektoren auch bitte persönlich am Unterricht teilnehmen.
Sollte sich bestätigen, dass wir überlastet sind, werden Maßnahmen ergriffen: Einstellung weiterer Dozenten oder NC-Schließung, also ein Semester ohne Neuzugänge, sodass sich die Dozenten besser auf die vorhandenen Studenten konzentrieren können.
Dieser Weg wird länger dauern als erzwungene oder eingeklagte Stellen, aber er ist beständiger.
Das Problem bei den momentanen Streiks ist, dass die meisten Studenten bisher keinen anderen Weg – über Gremien und Gesprächen – versucht haben ihre Standpunkte zu erklären, sondern gleich den radikalen Weg gehen.
Der Grund dafür mag sein, dass wir Bachelor „nur” 3 Jahre studieren. Den Erstsemestern ist alles erst einmal egal, weil sie noch nichts von den Problemen mitbekommen haben und den Fünftsemestern ist alles egal, weil sie eh bald weg sind. Also liegt das Gewicht bei den Drittsemestern, die die Probleme kennen und noch eine schnelle Lösung haben wollen, damit sie selber davon profitieren können. Also muss es schnell gehen und das kann kaum über den „rechtmäßigen” Weg gemacht werden.
Die Leute aus Halle, die ich kenne, streiken, weil Streik gleich Party ist. Es werden Ansagen gemacht wie „Kommt alle zur Vollversammlung, da besprechen wir den Streikplan und danach Grillen wir mit ‘ner Flasche Bier!”. Wenn man sich dann die Besetzungen ansieht, dann feiern die Leute die Nacht durch und haben mindestens eine Kiste Bier pro 3 Mann dabei.
Betrachtet man dann den Streiks zur Bildungskonferenz am 17.11.09 in Leipzig, kann ich die Demonstranten allerdings verstehen. Es ging in dem Fall darum, dass selbst ernannte Studentenvertreter sich für Studiengebühren und Master-NC-Beschränkungen stark machen wollten. Bedenklich ist hier, dass keiner diese Vertreter gewählt hat und kaum jemand diese Entscheidungen haben will. Also halte ich das Starkmachen hier für gerechtfertigt. Allerdings sind nur etwa 5.000 Studenten von 2,5 Mio. deutschlandweit in Leipzig auf die Straße gegangen. Wenn es hart auf hart kommt, dann fehlen die großen Streiker. (Ich gebe zu, ich war auch nicht vor Ort. Ich war in Halle und habe für mein Fach gekämpft.)
Ich möchte nochmal betonen, dass das hier größtenteils meine Ansicht ist. Ich kenne viele die meiner Meinung sind, aber wenn wir sie den Streikern gegenüber nennen, werden wir geschnitten. Hört sich böse an, aber das war letzten Sommer wirklich der Fall. Jeder soll machen was er will, sollte aber auch verstehen, warum andere es nicht tun. Ich verurteile die Streiks nicht grundsätzlich – man sollte nur abwägen, ob es wirklich sinnvoll ist.
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